April 5th, 2020

GLW/DRK Fanzine aus #117, 2007

Posted in interview by Jan

Das GLOW IN THE DARK ist ein neues englischsprachiges Zine aus Österreich. Der Inhalt besteht jeweils zur Hälfte aus Punkrock und Skateboarden. Das Heft ist äußerst professionell gemacht und verliert dabei den DIY-Gedanken nicht aus den Augen: trotz seines farbigen Drucks, großen Werbeanzeigen und einer Auflage von 5.000 Stück wird alles sehr ideell gehandhabt.

Jedem der Schreiber merkt man jahrelange Szeneaktivitäten und immer noch anhaltenden Enthusiasmus an. Ich kann mich nicht erinnern jemals ein großes buntes Punkrockmagazin gesehen zu haben, welches so persönlich und ehrlich wirkte. Das hat nicht einmal das amerikanische PUNK PLANET geschafft! Jeder noch so kleine Fleck dieses Heftes wirkt liebevoll gestaltet. Die supporteten Bands und Interviewpartner sind meist kleine Bands, die viel zu erzählen haben. Die immer mehr akzeptierten großen Festival–HC-Bands bleiben dagegen völlig außen vor. Ähnlich ist es mit Anzeigenkunden: obwohl viel über Werbung finanziert wird und alles in hoher Auflage umgesetzt wird, verzichtet das Heft nahezu komplett auf große Namen – es ist erstaunlich wie viele kleine Labels und unabhängige Skatefirmen hier inserieren.

Pünktlich zum einjährigen Bestehen erschien im Dezember die dritte Ausgabe. Um auf sich aufmerksam zu machen wurde in dieser Runde die Auflage des Heftes auf 10.000 Stück (!!!) erhöht und es ist dieses Mal kostenlos erhältlich! Nicht nur deshalb sollte niemand die Chance auslassen, dieses großartige Heft auszutesten…

Da sich das Heft aber trotzdem langfristig finanzieren muss, wird die im April erscheinende Nummer vier, wieder gewohnt käuflich erhältlich sein. Zahlreiche Benefizmöglichkeiten für Bestehen des GLW/DRKs lassen sich auf www.glwdrk.com nachlesen.

Einer der Mitarbeiter ist Christian Unsinn, der schon seit über 15 Jahren in der Szene aktiv ist und dessen Namen einem immer mal wieder über den Weg läuft. Sicher erinnern sich auch noch einige an seine alten Bands MINE, BLUE WATER BOY und CRUSH MY CALM. Skateboarden, Politik und Plattensammeln stehen bei ihm hoch im Kurs. Trotzdem erfüllt Christian dabei nicht alle Stereotype eines klassischen HC-Kids. Sein Beruf als Rechtsanwalt und seine Tätigkeit als Syndikusanwalt für eine große Werbeagentur dürften eher ungewöhnlich sein bzw. für viele sogar ein Widerspruch. Also Grund genug um ein Interview zu führen.

Christian, Du bewegst dich schon sehr lange in der HC/Punk-Szene. Sei doch so nett und stell dich kurz vor!
Mit Spitznamen heiße ich seit meiner Kindheit „Kiki“ und bin derzeit 29 Jahre alt. Aufgewachsen bin ich im Allgäu und Bodensee-Bereich, jedoch bin ich vor drei Jahren wegen meiner Beziehung und meinem Beruf in den Norden gezogen. Da ich als Rechtsanwalt im Bereich Medien- und Musikrecht arbeite, war immer klar, dass ich irgendwann mal nach Hamburg oder Berlin muss, denn das sind die Städte, in denen Medienrecht wirklich interessant ist. Derzeit bin ich in Hamburg Syndikusanwalt für eine der führenden Werbeagenturen Deutschlands.

Wie Bist Du zum Hardcore gekommen und was hast Du szenemäßig gemacht?
Zu Hardcore bin ich über Deutschpunk gekommen. So mit elf, zwölf Jahren habe ich angefangen Deutschpunk-Platten zu kaufen. In dem Kaff, in dem ich im Allgäu wohnte, gab es im örtlichen Laden ein Fach, auf dem stand „Hardcore/Punk“ und ich habe dort halt erst mal alle Platten rausgekauft, die Deutschpunk waren. Irgendwann stand da mal von POISON IDEA „Kings Of Punk“ und ich dachte mir, dass ich die unbedingt brauche, denn Punk war irgendwie mein Ding und wenn das die Kings sein wollen, dann brauchte ich die auch. Nun ja, zu Hause fand ich dann, dass das nicht so genau der Punk war, den ich zuvor gehört hatte, aber es war definitiv interessant.

Zwei Typen aus meiner Stadt („Hosi“ & „Fussi“), die bei uns im Gymnasium schon in der 10. Klasse waren, in meinen damaligen Augen also alte Säcke, haben mir dann so ein paar Tipps an die Hand gegeben. Das waren dann Bands wie SNFU, Skeezicks, Spermbirds, No Means No, Negazione und Heresy. Damals hatte mich das irgendwie beeindruckt, da es nicht nur ums Saufen ging, wie bei den Toten Hosen, sondern es gab wirkliche Inhalte. 1988/89 oder so war ich dann auf einer Mass, Bomb Disneyland & Hard-Ons Show in Ravensburg und ich fand das irgendwie angenehmer als auf einem Toten Hosen-Konzert: Weniger Prolls, eine bessere Stimmung und auch der Moshpit war weniger gefährlich als diese stumpfen Pogopits.

1989 stand ich dann in einem Skateladen in Ulm – man musste damals noch weit fahren um ein „amerikanisches“ Board im Allgäu aufzutreiben – sah ich ein Plakat für die Lethal Aggression/Youth Of Today-Tour. Irgendwie fand ich das derbe und habe mir in unserem Dorf dann gleich eine Youth Of Today LP gekauft. Dann war ich völlig baff: Das waren auch Punks wie ich, die aber keine Sauflieder hatten, sondern genau dagegen waren. Das fand ich den Hammer. Wir haben uns dann immer Xe auf die Hand gemalt, wussten aber immer noch nichts über straight edge, sondern dachten erst mal, das stünde für die Band Youth Of Today. Dann haben mich die Jungs aus der 10. Klasse wieder aufgeklärt und mir so ein paar Dinge über straight edge erzählt. Und mir war dann sofort klar, dass das genau das ist, für was ich stehen will. Seither bezeichne ich mich als straight edge.

So 1989 habe ich dann mit Freunden zusammen die Band GNEZL DREI gegründet, eine straight edge Band, die zuerst fürchterlichen Punk machte, dann eine Weile ziemlich guten NY/HC und dann wiederum total beschissenen Emo-Hardcore (davon gibt es dann leider auch eine 7″). Die Zeit mit GNEZL DREI war aber super: Wir haben unsere ersten Konzerte selbst organisiert, also Räume gemietet, andere Bands eingeladen und Flyer dafür verteilt. Unser erstes Konzert war in einem Minidorf, ca. 10 km von unserer Stadt entfernt. Wir haben dann von unseren Eltern alles an Equipment in einem Golf hinfahren lassen und sind auf unseren Rädern hinterher geeiert.

Und nach der Show sind wir dann auf den Rädern wieder nach Hause gefahren, um dann am nächsten Morgen gleich wieder zurück zu kommen, denn wir mussten schließlich alles putzen. Das war wirklich eine aufregende und schöne Zeit.

Von meine Schulaustausch in Amerika hatte ich Anfang der 90er einige Zines und Tapes mitgebracht; das war so um 1993 dann der Start meiner Distro XKikiX. Irgendwann wurde daraus auch mal ein T-Shirt-Label (die ganzen „Straight Edge Means I Am A Sex-Maniac“-Shirts waren z.B. von mir). 2000 habe ich dann auch mal Platten rausgebracht und dann ist alles irgendwie eingeschlafen.

Nach GNEZL DREI hatte ich mit Marianne Hofstetter (Profax, Sundowner, Ape Must Not Kill Ape Records), Carsten Nebel (Sundowner), Ricki Dürst und Simon Füllemann (Mine, Armicide, Damage ID, Cataract) eine Band namens FERGUSON. Wir hatten so FUEL-mäßige Mucke gemacht. In diesem PLOT-Umfeld waren wir auch ganz angesagt, leider sind unsere Studioaufnahmen aber so scheisse geworden, dass wir uns nach dem Studio auflösten. Daneben hatte ich schon angefangen bei MINE Bass zu spielen, die u.a. auf Great American Steak Religion veröffentlicht hatte.

Nach dem sich MINE 1997 aufgelöst hatte, habe ich dann bei BLUE WATER BOY gesungen, einer vegan straight edge-Band, die so nach CLOSURE, NAVIO FORGE etc. geklungen hat. Als zwei von BLUE WATER BOY nicht mehr edge waren, haben wir uns 2001 in CRUSH MY CALM umbenannt und dann old schooligeren Hardcore gemacht. Dort bin ich 2003 ausgestiegen, da ich mich dann mehr auf meine juristische Karriere konzentrieren wollte/musste und damit den anderen und ihren Tourplänen im Wege stand. Die Band heißt jetzt übrigens SOLID GROUND.

Ich hätte auch Lust auf eine neue Band, aber ich finde leider in Hamburg keine Leute, die straight edge sind, Bock auf eine neue Band haben und nicht blöden Metal – sondern vielmehr guten Hardcore – spielen wollen. Ich werde 2006 das XKikiX T-Shirt-Label wieder aufleben lassen, mal sehen, was dann noch kommt. Derzeit bin ich aber schon froh, wenn ich neben meiner Arbeit überhaupt noch zum Sport komme. Somit bleibt erst mal nicht so viel Zeit für anderes.

Nachdem ich schon seit einigen Jahren u.a. fürs HEART ATTACK geschrieben habe, hat mich Thomas von YUMMY 2003 gefragt, ob ich nicht bei einem neuen Heft mitarbeiten will, nämlich dem GLW/DRK. Dort bin ich jetzt Mitarbeiter oder Redakteur oder wie auch immer du das nennen willst.

GLW/DRK ist ein relativ neues Heft, das viele sicher noch nicht wahrgenommen haben. Kannst du das Heft kurz beschreiben? Es gibt so viele Fanzines / Magazine im Punk-/ Hardcorebereich, warum seid ihr der Auffassung die Welt braucht mit GLW/DRK noch ein weiteres?
Das Gesamtkonzept von GLW/DRK stammt von Thomas (Yummy, Fire Walk With Me Records): Das Konzept will einfach Skaten, Kunst und Hardcore/Punk verbinden. Thomas ist wahnsinnig kreativ, organisiert, nett und er hat dann einfach einige Leute, die in sein Konzept passten, gefragt, ob sie mitmachen wollen. Nun, da ich auch noch immer skate und viele Ideale mit ihm teile, habe ich da gerne mitgemacht und bin jetzt also fest an Bord.

Die Grundidee hinter GLW/DRK ist also ein internationales Medium für unabhängiges Skaten, Musik und Kunst zu machen, welches nicht so unpersönlich ist, wie die ganzen großen Hefte, aber auch nicht so unprofessionell, wie die meisten Zines. GLW/DRK ist außerdem stark designlastig – einfach weil Thomas das so im Griff hat.
Das GLW/DRK ist – und das muss man klarstellen – in erster Linie Thomas Baby, aber ich bin froh, dass ich dazu einen Beitrag leisten und meinen Input geben kann. Denn trotz der Tatsache, dass Thomas der Mastermind ist, werde ich/die anderen in viele Entscheidungen einbezogen bzw. um meine/unsere Meinung gefragt.

Ich habe neulich in einem Interview mit NOW DENIAL auf beatpunk.org gelesen, in dem die Band gefragt wurde, wie sie ihre Verbindung ihrer beiden „Steckenpferde„ Punkrock und Fußball sieht. Sie erklärten, dass sie beides sehr gern mögen, aber als getrennte Dinge betrachten, so ähnlich wie sich Punk und Kochen vereinbaren lassen.  Im GLW/DRK versucht ihr Hardcore, Skateboarding und Kunst/Design unter einen Hut zu bringen. Wie seht ihr beim GLW/DRK die Verbindung zwischen diesen drei Dingen – immerhin bringt ihr sie alle in einem Heft unter?
Ich versuche immer alles im Leben mit meinen Hardcore/Punk-Idealen zu verbinden und versuche nichts zu machen, was gegen diese Ideale ist. Insofern finde ich es cool, wenn Leute ihre Steckenpferde mit Punk verbinden, also z.B. Fußball und Punk in einem Kontext darstellen. Kennt noch wer die ganzen Fußball-Punk-Fanzines, die man früher immer bei den Kleinanzeigen im Zap bestellen konnte? Und genauso verstehe ich das GLW/DRK-Konzept: Eine Verbindung von alle dem, was uns wichtig ist. Ich finde, das geht auch toll zusammen. Punk/Hardcore ist u.a. deshalb so interessant, weil es kreativ ist und Kreativität darf nicht bei der Musik enden. Genauso wie sich DIY nicht auf Punk beschränken darf und ich deswegen auch beim Skaten lieber PLAIN SANE Decks (aus Hannover) fahre als TITUS Decks, also die unabhängigen Labels bevorzuge. Nimm doch auch mal Skatefirmen wie CONSOLIDATED – wenn die nicht den Hardcore-Spirit leben, wer dann?!

Du hast in Bands gespielt, einen Label/Distro gemacht, Konzerte veranstaltet etc. Wie hat sich deine Sicht auf Hardcore verändert, seitdem Du aus diesem neuen Blickwinkel „hinter die Kulissen„ blicken kannst?
Natürlich war ich überrascht, als die ersten größeren Labels ankamen und meinten, sie würden bei GLW/DRK nur Anzeigen schalten, wenn das GLW/DRK auch Interviews mit Ihren Bands machen würde (und natürlich haben wir uns darauf auch nicht eingelassen!). Irgendwie habe ich mich dann gefragt, ob das Begleiterscheinung der Neuzeit ist, aber irgendwie stört es mich auch nicht wirklich nachhaltig, weil das sind alles Labels gewesen, die für mich eben nichts mit Hardcore/Punk am Hut haben. Und solche Labels gab es schon immer. Denk doch mal daran, was Lost & Found Anfang der 90er so abgezogen hat. Oder Frontline, als die noch Platten hatten. Oder auch We Bite gegen Ende von deren Existenz. Das waren immer Leute, denen Geld irgendwann wichtiger war als Hardcore. Hardcore konnten die aber trotzdem nicht tot bekommen – Hardcore lebt noch immer, diese Labels aber nicht mehr und/oder in anderer Form.

Und jetzt heissen die Labels halt VICTORY, SIDE ONE DUMMY und TOOTH & NAIL. Auch wenn ich mich manchmal über deren Masche ärgere und diese ganzen Emo-Bands mit Eyeliner, Gelfrisuren, weißen Gürteln und Nagellack albern finde, so glaube ich, dass die sich irgendwann totlaufen werden und Hardcore aber weiterleben wird. Also lohnt es sich gar nicht, sich zu sehr darüber aufzuregen. Ich lese ja auch nicht das OX, einfach weil das nicht das ist, was ich unter Hardcore/Punk/DIY verstehe. Das geht mir alles völlig am Arsch vorbei. Damit muss ich mich auch schon nicht mehr darüber aufregen. Es gibt noch immer gute Bands wie JUST WENT BLACK und idealistische Labels wie EBULLITION. Darum kaufe ich einfach deren Zeug und lass die VICTORY-Scheisse links liegen.

Klar, viele Konzerte sind nicht mehr so intim wie früher, aber auch diese intimen Konzerte gibt es noch immer. Vielleicht muss man manchmal nur mehr suchen und/oder sein eigenes Ding machen. Und manchmal gibt es dann eben wieder das eine Zine oder die eine Platte, das/die wieder all den Enthusiasmus in mir hochkommen lässt. Und genau für diese Momente lohnt es sich doch alles, oder?!

Das GLW/DRK hat den Anspruch ein internationales Medium zu sein. Ihr habt aber eine Kontaktadresse in Österreich. Wie funktioniert denn der Vertrieb außerhalb Deutschlands und Österreich? Bekommt man außerhalb dieser zwei Staaten viel von dem Heft mit?
Prinzipiell denke ich schon, dass das GLW/DRK international wahrgenommen wird, was wahrscheinlich nicht zuletzt daran liegt, dass viele MitarbeiterInnen eben international“ sind: Marianne Hofstetter aus der Schweiz, Katty Otto und Andy Maddox aus Amerika, Leute aus dem Balkan usw. usw.
Vor allem ausserhalb des Hardcore-Mikrokosmos gibts ein merkliches Interesse an dem Heft. Zwar hauptsächlich aus dem europäischen Skatebereich – wohl weil wir mit Vorliebe kleine, unabhängige, europäische Firmen featuren, für die sich bei großen Heften wie dem Monster Mag oder bei Titus niemand interessieren würde -, aber auch aus einer gewissen (DIY-) Kunstecke gibt es auch ein ganz interessiertes Feedback.

Zwar verirren sich derzeit noch wenige Hefte pro Ausgabe in die USA und/oder nach Japan, aber GLW/DRK ist primär auch ein europäisches Heft und versucht seinen Wirkungskreis hier zu finden. Über mehr Interesse aus den USA würden wir uns freuen, aber das ist nicht primäres Ziel.

Der Vertrieb funktioniert nach dem gleichen Prinzip wie bei den ganzen DIY-Punk-Vertrieben auch: Wer Lust hat das Teil zu verteilen, der macht das bei sich in dem ihm möglichen Rahmen. So findest Du das Heft z.B. bei vielen DIY-Touren am Merchstand (TCWTGA, Selma Tours), bei klassischen HC-Mailordern wie X-Mist, aber auch in vielen kleinen Skateshops.

Wechseln wir das Thema und kommen zu deinem Beruf. Slime sangen „Legal, illegal, scheißegal.“. Im Punk/HC-Konsens ist diese Ausspruch weit verbreitet. Du dagegen bist Rechtsanwalt. Ist das kein Widerspruch? Kannst du dich mit den (politischen) Idealen des HC nicht identifizieren (welche auch immer das sein mögen)? Oder gelten für dich andere Ideale?
Warum soll es ein Widerspruch sein, seine Rechte zu kennen?! Meine Motivation Jura zu studieren war immer die, mehr über meine Rechte zu erfahren. Mich hatte es als Kind immer geärgert, wenn ich von einem Polizisten angehalten wurde, der meinte, dass freihändig Radfahren nicht ginge und ich deswegen mal schnell 10 DM zu berappen hätte. Oder als wir als 14, 15-Jährige Jungs ein DISRUPT-Konzert gemacht haben und dann stand da jemand von der GEMA, der Geld wollte und behauptet hat, man müsse immer GEMA-Gebühren abführen. Und immer hatte ich im Gefühl, dass das irgendwie unfair sei, nur wusste ich nicht, wie es eigentlich zu laufen hat. Und dieses Unwissen wollte ich beseitigen.

Es ist völlig bescheuert, wenn Punks immer meinen man dürfe sich dem Thema Recht nicht nähern. Ich will wissen was mir andere und v. a. der Staat aufdrücken dürfen und was nicht. In der Unwissenheit der meisten Punks kann ich nichts Erstrebenswertes finden. Erst wenn ich weiß, wie alles genau zu laufen hat und wo meine Rechte liegen, kann ich doch mein DIY-Ding erst richtig durchziehen und bin nicht mehr auf andere angewiesen, die mir ihr Wissen und/oder Halbwissen verkaufen und denen ich ausgeliefert bin.

Natürlich kann ich mich mit sehr, sehr vielen (politischen) Punkidealen identifizieren – darum bin ich Teil der Szene. Aber eben nur mit vielen Idealen und nicht mit allen. Das ist auch etwas, was mich an Punk immer störte: Diese komische Haltung, dass man entweder das ganze Paket „kaufen“ muss oder sonst als Sellout/Verräter dasteht.

Aber ich bin gerade aus dem Grund Punk, weil ich mir von niemandem sagen lassen will, was ich zu tun oder denken habe, sondern ich will mir das selbst aussuchen dürfen. Ich bin Punk, weil ich mir meine (Verhaltens-)Regeln selbst aussuchen will und nicht, weil ich einfach einem neuen Set von (Szene-)Gesetzen folgen will. Und deshalb vertrete ich auch mal einen Standpunkt, der in der Punkszene gemeinhin als unpopulär angesehen wird. Wie heisst es im Textheft zur Unbroken LP so schön?!: „I’d rather go fuck myself, than do the right things for the wrong reasons“.

Punks sind oft hysterisch, verkrampft und alles andere als offen für neue Standpunkte. Und das nervt. Und wenn jemand einen Standpunkt bezieht, nur weil man diesen im Punk beziehen „muss“, dann tut er mir leid und hat für – mein Verständnis – Punk auch nicht verstanden. Bild Dir Deine eigene verdammt Meinung und rede nicht nach, was andere in der Szene vorgeben! Denn bei den Leuten, die alles nur nachplappern ist es immer ein schneller Schritt von links nach rechts und was weiß ich noch. Bei denen hängt die Meinung nur von dem sozialen Umfeld ab. Mehr ist das oft nicht. Und dann ist man von dem Normalo von nebenan und dessen Attitüde gar nicht mehr so weit entfernt.

Und was nutzen mir die kleinen Punker, die 5 Jahre superradikal sind und irgendwann merken, dass sie das nicht ewig durchhalten können und dann alles(!) hinschmeißen?! Das sieht man so oft. Da bin ich doch lieber aus dem Punk-Standpunkt (oft) zu „angepasst“ und/oder „moderat“, dafür aber langfristig konsequenter und dadurch v. a. ehrlich zu mir selbst.

Und natürlich stehe ich oft zwischen den Stühlen und sehe selbst, dass ich Dinge in der Punkszene aus einem zu unpunkigen Blickwinkel betrachte. Und dann sehe ich aber klassisch juristische Dinge wiederum auch aus einer Punk-Sicht. Manchmal fühle ich mich deswegen auch in gewisser Weise verloren, aber dann wiederum bin ich auch sehr glücklich darüber beide Sichtweisen in mir zu tragen und mir meine eigene verdammte Meinung bilden zu können.  Wichtig ist doch nur, dass man sich abends im Spiegel in die Augen schauen kann und mit sich selbst im Reinen ist. Dann ist es doch völlig zweitrangig, was die Szene denkt.

Bei SLIME ging es aber nicht nur darum, die Gesetzgebung abzulehnen, sondern eher die Regierung, der sie vorwarfen die obere Schicht zu schützen und nicht eben die Mittel- und Unterschichten. Dadurch, dass du Rechtsanwalt bist, erkennst du genau diese Gesetze an und stellst sie nicht in Frage?!
Zwar erkenne ich als Rechtsanwalt die Deutsche Verfassung und ihre Gesetze an, denn hierzu musste ich auch einen entsprechenden Schwur bei meiner Vereidigung leisten, aber natürlich ist man auch als Rechtsanwalt inhaltlich nicht mit jedem Gesetz und jeder Regelung einverstanden. Gerade als Anwalt –  wenn man die Interessen seiner Mandantschaft vernünftig vertritt –  muss man sich m. E. intensiv mit dem Sinn und Zweck von den jeweils anzuwendenden Normen auseinandersetzen und ggfs. deren Verfassungsgemäßheit in Frage stellen bzw. angreifen. Es bleibt jedem belassen darüber hinaus gegen unliebsame Normen an zu arbeiten, sei es durch eine Beteiligung an der wissenschaftlichen/juristischen Diskussion, durch Mitarbeit in Gremien usw.! Es gilt auch hier: Nicht immer nur jammern, sondern manchmal auch was selber machen!

Dass die deutschen Gesetze „nur„ die oberste Schicht schützen würden ist völliger Quatsch: Natürlich gibt es hier Defizite, natürlich ist so manche Regelung unfair bzw. bevorzugt die oberste Gesellschaftsschicht und natürlich muss man da vielerorts nachbessern, denn eine Gesellschaft kann m. E. nur dann dauerhaft funktionieren, wenn die Bedürfnisse der Mehrheit berücksichtigt werden und das sind in Deutschland nun mal die untere und mittlere Schicht.

Trotzdem ist die Aussage von SLIME zu pauschal, denn in vielen Punkten ist das deutsche Recht auch  vielerorts sehr sozial und schützt den „Kleinen Mann“. Gerade im Mietrecht und Arbeitsrecht sind die deutschen Gesetze so sozial gestaltet, dass es oft nahezu unmöglich ist, einen unliebsamen Mieter oder Arbeitnehmer loszuwerden. Und das geht dann eben zum Nachteil der besitzenden Oberschicht. Es gibt also auch hier zwei Seiten der Medaille.

Das ist eben das, was ich vorhin schon mal meinte: Mich nervt es, dass so manche Punks alles stumpf nachplappern, selbst die Punk-Regeln, -Sichtweisen und Parolen von Bands nicht in Frage stellen und damit selbst genau das tun, was sie anderen vorwerfen. Übrigens wohne ich in der Straße, in der der SLIME-Proberaum war. Insofern sollte ich allein dadurch schon von den ganzen Vorwürfen rehabilitiert sein. Haha.

Was für Reaktionen hast du so bekommen auf HC-Kid und gleichzeitig Rechtsanwalt? Du machst daraus ja kein Geheimnis.
Als ich mit 15 Jahren gegenüber Leuten aus der Szene äußerte, ich wolle Jura studieren, war ich natürlich immer der Vollarsch. Jetzt aber ist das oft gar kein Problem mehr bzw. ich werde auch oft von Punks um Rat gebeten. Gerade in Zeiten, in denen Bands bei Labels richtige Verträge unterschreiben ist es doch nicht schlecht jemanden zu haben, der sich nicht nur im Musikrecht auskennt, sondern auch noch weiß, wie die (Punk-)Szene so läuft und worauf es deswegen ankommt. Es gibt übrigens auch mehr Punk-Juristen als man denkst: Leslie von Ebullition, Scott vom Heart Attack, Dave Stein aus NYC (New Beginning Records), Ole von Just Went Black usw. usw.

Wie schaffst du es denn deine DIY-Ideale mit deinem Job unter einen Hut zu bringen? Die Werbeagentur, für die Du arbeitest produziert riesige Kampagnen, die zum Bestandteil unseres täglichen Lebens geworden sind also denen wir nirgendwo mehr ausweichen können. Gleichzeitig fährst du lieber mit Decks von kleineren Firmen als mit welchen von Titus. Die Größenunterschiede stehen doch in keiner Relation?
In unserem alltäglichen Leben – und gerade im Berufsleben – müssen wir oft Kompromisse machen, die allerdings immer in dem Rahmen sein sollten, dass man sich selbst nicht völlig untreu wird.
Das vorweg genommen muss ich sagen, dass ich nicht das Gefühl habe in einem Umfeld zu arbeiten, in dem ich mir selbst untreu bin:  Ich beschäftige mich mit den Rechtsgebieten, die mir Spaß machen – nämlich Medienrecht, Wettbewerbsrecht, Markenrecht, Urheberrecht -, ich habe einen abwechslungsreichen, spannenden Job, bin in einem äußerst kreativen Umfeld unter netten Leuten, habe viele Freiheiten (ich sitze im Büro meist in einem Bandshirt mit Jeans und Sneakern, so wie ich sonst auch rumlaufe) und die Agentur, für die ich arbeite, betreut u. a. mit großem Aufwand und völlig honorarfrei eine große deutsche Tierrechtsorganisation. Daran kann ich nichts Schlechtes finden.

Deswegen finde ich, dass ich meine Ideale mit meinem Job sehr gut unter einen Hut bringe, als dass ich das mache, was mir Spaß macht, in einem Umfeld, in dem ich gerne bin, mit Leuten, mit denen ich meine Zeit gerne verbringe. Insofern ist meine Arbeit keine „Sklaverei“, sondern pathetisch ausgedrückt eher „Erfüllung“. Mag auch mal eine Kampagne dabei sein, mit der ich (inhaltlich) nicht d’accord bin, so überwiegen aber die Kampagnen, bei denen ich mich über das Ergebnis freue. Also finde ich, dass die Punkte, in denen ich Kompromisse machen muss, in einem vernünftigen Verhältnis stehen.

Und je wichtiger mir eine Sache ist, desto weniger bin ich bereit Kompromisse zu machen, was auch erklärt, dass ich eben beim Skaten darauf achte Decks von DIY-Brands zu kaufen oder auch bei HC die Dinger vielleicht noch genauer nehme als in anderen Bereichen, z.B. beim Kauf von Kleidung. Hand aufs Herz: So ist das doch auch bei jedem einzelnen von uns. Ich bin nicht perfekt – im Sinne von immer 100% konsequent sein – und habe auch nie behauptet perfekt zu sein.

Aber mal eine Frage an Dich: Machst Du außerhalb Deines Punk-Mikrokosmos keine Kompromisse? Fährst Du kein Auto? Tankst Du nicht bei sog. Multinationals? Hast Du noch nie eine Cola getrunken? Schon mal Sojamilch von Nestle gekauft? Und wo bzw. was arbeitest Du? Machst Du keine Kompromisse? Machen wir nicht alle irgendwie irgendwelche Kompromisse?
Klar, wir machen alle Kompromisse – täglich. Dein Interessensgebiet ist unter anderem das Urheberrecht. Wie beurteilst du die aktuellen Diskussionen und die Panikmache von der (Major-)Musikindustrie, wenn es um raubkopierte Musik über das Internet geht?
Persönlich bin ich der Meinung, dass die Musikindustrie sich das Problem selbst heran gezüchtet hat. Ende der 80er hiess es von da, dass CDs nur zur Einführung über 25,00 DM kosten und später billiger würden. Zig Jahre später werden CDs in größeren Massen und billiger hergestellt, aber der Preis liegt jetzt deutlich über den 25,00 DM – derzeit bei meist 20,00 EUR.

Dazu kommt, dass die Industrie versäumt hat einen vernünftigen Nachwuchs zu fördern und zu viele Schnellschüsse produziert hat. Diese ganzen Alben von One-Hit-Wonder-Interpreten haben meist nur ein bis zwei Hits und der Rest ist zum Teil übler Schrott, der eben das Album nur auffüllt. Und dann fragt sich natürlich jeder  – verständlicherweise-, warum er hierfür einen vollen Albumspreis von 20,00 EUR zahlen soll.

Auch die Downloadpreise sind viel zu hoch, denn warum soll ein Lied 1,29 EUR kosten?! Wie rechtfertigt sich das? Klar hat die Musikindustrie hohe laufende Kosten, aber auch die sind zum Teil hausgemacht, denn niemand muss einem Superstar 60 Mio. EUR für einen 6-Alben-Vertrag bezahlen. Dieser Superstar hätte den Deal sicherlich auch für ein Drittel dieses Preises gemacht. Und dazu kommt all der übertriebene Saus und Braus, in dem die Musikindustrie Jahre lang gelebt hat. Dort ging es immer nur bergauf, alle waren raffgierig bzw. verschwenderisch und niemand hat nach vorne geblickt. Und das  rächt sich jetzt eben. Klar ist das für die Industrie jetzt ein enormes finanzielles Problem, aber nach dem Gesagten fehlt mir hier das Mitleid und ich kann Kids verstehen, die sich eben nicht ein Album für 20,00 EUR, das zu 2/3 aus Schrottsongs besteht, vom stets knappen Taschengeld absparen
können/wollen und sich das Zeug deswegen aus dem Netz ziehen.

Hinzu kommt, dass es eine Frechheit ist, dass CDs teilweise Kopiersperren haben. Wenn ich eine CD kaufe, dann geht diese in  mein Eigentum über und ich muss mit meinem Eigentum so verfahren können, wie ich will, also dazu befugt sein, für mich Sicherheitskopien zu fertigen, woran ich aber durch einen Kopierschutz gehindert werde. Vor allem wenn ich für das Ding 20,00 EUR bezahlen soll. Ein Kopierschutz ist eine völlig unangemessene Eigentumsbeeinträchtigung, so dass ich mir keine CDs kaufen möchte, die über einen Kopierschutz verfügen.

Auch die „Raubkopierer sind Verbrecher“-Kampagne ist übrigens auch so eine bodenlose Frechheit,  da könnte ich platzen vor Wut. Und für 5 Jahre kommt so schnell kein Kid in den Knast, auch wenn es die Kampagne so suggerieren mag. Dafür muss man verdammt viel verbockt haben. Und dann nervt es mich, dass  in der Kampagne Kids als Verbrecher hingestellt werden. Diese Kids sind in erster Linie „Fans„  und keine „Kriminellen„ im klassischen Sinne. Was soll also dieser Slogan?!  Da könnte ich echt ausflippen bei dem Mist.

Letzte Worte?
Informationen zum GLW/DRK findest Du unter www.glwdrk.com und mich kann man unter Christian@glwdrk.com erreichen. Danke für Dein Interesse. Go Vegetarian! XXX Und ich danke für deine Zeit!

Interview und Einleitung: Benjamin Schlüter

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