März 20th, 2020

Gastkolumnen ex-Trustlerinnen aus #100, 2003

Posted in artikel by Jan

Die Idee war ganz einfach: frage ehemalige Trust-Mitmacher ob sie was für die # 100 schreiben wollen, nach all den Jahren. Die Durchführung im Jahre 2003 – dank e-mail – auch nicht so viel schwerer. Immerhin (oder leider, je nachdem wie man es sehen will), haben (nur) 5 Leute was geschickt, ich würde es als immerhin bezeichnen. Klar das nach so vielen Jahren die Erinnerung etwas verschwommen sein kann, Fakten nicht unbedingt solche sind, geschweige denn das meinereiner immer einer Meinung sein würde… aber, damit muss man leben können. Das war schon immer so, beim TRUST, jeder macht was er will, mehr oder weniger. Nachdem diese Gastkolumnen (so nenn ich die jetzt mal) hier eingetroffen waren hatte ich mir überlegt was ich wohl im Jahre 2003 schreiben würde wäre ich vor Jahren ausgestiegen und natürlich kann ich diese Frage nicht beantworten… deshalb lest was Leute zu sagen haben die dabei waren.

dolf

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FLASHBACK: Black Flag, Löwenbräukeller, München, Februar 1983. Night of the Living Dead. Hardcore kommt nach München. Vor der Bühne: Punker in Leder, Nieten, Springerstiefeln. Auf der Bühne: Fünf Hippies mit langen Haaren, kurzen Hosen und barfuss. Shock and awe. Feedback und Selbstentleibung. My damage. Minutemen waren Vorband. Auf dem Klo fragt D.Boon Weber, welche Bands er mag. Er sagt: Foreigner und REO Speedwagon.

FLASHBACK: Negazione, Porno Patrol, Declino, Berlin, August 1984. Hardcore in Full Effect. 200 mitgereiste Italiener in Holzfällerhemden, Bandanas und Converse All-Stars stehen hinter ihren Bands wie eine Wand. Stagediving und slamdance. Stop and go. Breaks. Maximale Beschleunigung, radikale Verlangsamung. Nie wieder was besseres gesehen oder erlebt.

FLASHBACK: Everything Falls Apart, Government Issue, AJZ Homburg, November 1986. Letztes Konzert meiner Band. Mission erfüllt: Aufhebung zwischen Gruppe und Publikum perfekt. Jeder ist überall. Wer das Mikro hält oder Gitarre spielt, ist scheissegal. Anne als Fotografin ist so wichtig wie Dolf als Tänzer wie Wix am Bass wie die Leute aus Amsterdam von Emma, die auf der Bühne sitzen, oder Dumbo, der das Cover gemacht hat. Alles stürzt zusammen, damit wir neu anfangen können.

Kann man Hardcore schreiben? Kann man unsere Musik erklären? Nur so mit Sprache, mit Worten erfahrbar machen? Klingt eigentlich ganz einfach. Lange klingt die einzeln angeschlagene Bassnote aus, so lange, dass man sich fragt: Kommt da noch was? Tatsächlich. Wieder eine einzeln angeschlagene Bassnote, genauso scharf, lauernd, drohend, irgendwo aus der Tiefe. Dann die nächste, etwas knapper diesmal. Und nochmals.

Alles klar: Prinzip der Beschleunigung. Dukowski enttäuscht nicht. Steigert das Tempo, Robo hält auf den Toms mit. Was ohne Ziel begonnen hat, verdichtet sich binnen Sekunden. Mahlstrom. Raserei. Das… muss… jetzt… raus… Endlich: Ginn legt ein Feedback drüber, Rollins kehlt: „I won’t believe that this is all…„.

Und dann explodiert das in alle Richtungen, aber vor allem nach vorne. Als würde man sich gemeinsam mit aller Macht nach vorne legen. Im ersten Moment ist man wie betäubt, kann gar nicht glauben, dass sich Flag da noch irgendwie fangen, den Song auch nur ansatzweise unter Kontrolle bringen können. Und doch: Da begleitet ein Riff die Raserei, da sind Textzeilen, eine richtige Strophe. Aber alles immer am Rande der totalen Auflösung. Oder besser: Weit darüber hinaus.

Das ist, für mich, Hardcore im Optimalzustand. Eine Verengung und Veräßerung zugleich. Ein IST-Zustand, der intensiver nicht sein könnte. Das war damals so, als ich „Damaged„ zum ersten Mal gehört habe. Das ist heute, 21 Jahre später, noch genauso. Auch wenn ich nichts mehr mit der Szene zu tun habe und sie mich ungefähr so sehr interessiert, wie sie sich fŸr mich interessiert. Also NULL, ZILCH, NADA, NIX. Aber mein Empfinden und Erleben hat sich nicht geändert.

Alles beruht auf diesem einen Moment, wo sich die Musik in einem Mass verdichtet, dass die Spannung unerträglich wird und alles raus muss. Nach vorn, in einem gewaltigen Schritt. Die besten Hardcore-Songs, zumindest meiner Generation, haben diesen Moment. „Wrecking Crew„ von den Adolescents, wenn sich das Geplänkel am Anfang auflässt, Tony brüllt: „We’re just a wrecking crew, bored boys with nothing to do„, die Zeit ganz kurz stehen bleibt und dann der südkalifornische Wahnsinn losbricht. Saturday Night Holocaust„ von den Kennedys, wenn nach Biafras frivolem Taste a little strange„ die Band auf einmal so rasend schnell einsetzt, dass man die Druckwelle förmlich spürt.

Oder In My Eyes„ von Minor Threat. Oder Banned in DC„ von Bad Brains. Oder Depression„ von Black Flag. Oder Glue„ von SSD. Das ist der Grund, warum ein Hardcore-Song nicht länger als 55 Sekunden lang sein muss und trotzdem genial sein kann. Denn hier geht es nicht um Struktur, Aufbau oder Atmosphäre. Es geht um diesen einen Moment, der so mit Energie geladen ist, dass der Schädel zu platzen droht. Als hätte man siebeneinhalb Minuten auf einen einzigen Akkord konzentriert.

FLASHBACK: Spermbirds, Jugendzentrum Nagold, Herbst 1984. Geburtsstunde des Hardcore in unserer Szene. Wildfremde liegen sich in den Armen, Tränen in den Augen. Das wollten wir festhalten, dokumentieren, verbreiten, unterstützen. Das war die Idee des TRUST.

FLASCHBACK: Pussy Galore, Bootleg Augsburg, Februar 1988. Ende der Hardcoreszene. Everything Falls Apart. Die Mauern zwischen den Szenen fallen ein. Man darf entdecken, neugierig und auch peinlich sein. Alles geht. Gut so.

Mit stilistischen Betrachtungen haben wir uns gleichwohl nicht aufgehalten in den ersten paar Jahren des TRUST. Es ging nicht um das Abwägen und überlegen von Worten. Wir wollten Hardcore nicht schreiben. Es ging darum, Hardcore zu leben. Ich vermute mal, das ist uns gelungen. Dolf konnte irgendwann, irgendwie davon leben, Moses stieg aus, um mit dem Zap ein Heft ohne Bremser zu machen, das ihm, zumindest eine zeitlang, den Unterhalt sicherte. Armin, nehme ich an, konnte sich mit Mailorder und Label halbwegs über Wasser halten.

Ich hatte es sicher am einfachsten: Ich war professioneller Sohn und verdiente ein bisschen beim Zivildienst, ohne mir Sorgen machen zu müssen, wie das irgendwann mal weitergehen soll. Das war natürlich naiv. Und es war auch einer der Gründe, warum ich nach fünf Jahren die Segel strich. Aber natürlich hatte sich bis dahin, Mitte 1991 ungefähr, alles geändert. Oder besser: Die Musik hatte sich geändert. Und so sehr wie wir uns auch einreden wollten, dass sich im TRUST schliesslich und letztendlich alles um die Inhalte und die Einstellung drehte, ging es doch immer um die Musik. Sie war der Motor. Und ab 1988 änderte sich einfach alles.

Da musste man alte Positionen aufgeben und sich von der Drei-Akkord-Philosophie verabschieden. Die Szenen brachen zusammen. Alles war erlaubt. Zumindest musikalisch. Und man durfte offen auf Entdeckungsjagd gehen, während man davor eher verschämt auf Entdeckungsreise gegangen war, um dem Genius der Punk-UrvŠter (also Stooges, MC5, Seeds, Sonics, 13th Floor Elevator, New York Dolls) auf die Spur zu kommen.

Auf einmal durfte man also feststellen, dass Johnny Cash vielmehr Hardcore ist als Youth of Today, dass Hank Williams ein härterer Hund gewesen war als es Henry Rollins jemals sein könnte, dass die Riffs von Sabbath doch unverschämt viel schwerer sind als die der Cro-Mags, und dass in Neil Youngs flacher Stimme wenigstens so viel Drang nach Freiheit und Unabhängigkeit liegt wie in den komplexen Rhythmen von Fugazi. Da wurde man auf einmal mit Dingen konfrontiert, die sich im Rahmen unserer letztlich auch bequemen Hardcore-Philosophie nicht so einfach beantworten liessen.

Wenn man also nicht im kleinen Schneckenhäuschen sitzen bleiben wollte, dann musste man raus und sich öffnen. Das habe ich versucht. Es hat alles verändert. Mein Denken, mein Schreiben (oder zumindest mehr Wert auf das Geschriebene zu legen), meine Interessen. Nur mein Empfinden blieb das Gleiche. Hardcore ist eine prima Schule, was das anbetrifft. Weil es heisst, um mit den Worten von Jerry Lee Lewis zu sprechen, dass man entweder heiss oder kalt sein muss (nur wer lauwarm ist, den würde der Herrgott ausspucken – um das Zitat komplett wiederzugeben).

Soll heissen: Keine halben Sachen. Man muss da totalitär und radikal sein. Anders geht nicht, wenn man den Kopf einigermassen über Wasser halten will. Und ich behaupte einfach mal, dass mir das gelungen ist, auch wenn andere das anzweifeln werden. Egal. Zumindest sehe ich im Spiegel den gleichen Typen, der vor 16 Jahren alle zwei Monate bis fünf Uhr morgens in der Druckerei von Mitchs Eltern mit Dolf, Anne, Moses, Julian und Mitch ein Heft fertig gebastelt hat, auf das ich heute noch stolz bin. Einfach, weil wir es gemacht haben.

FLASHBACK: Mit Dolf, Sascha, Julian und Mitch in Mitchs Auto. Wie immer auf dem Weg irgendwohin. Keine Ahnung mehr. Alle angetrunken, alle elektrisiert, alle berauscht davon unterwegs zu sein, nicht stillzustehen. Dolf pinkelt fünf Minuten wie ein Pferd in den Schnee. Danach wieder die Musik volle Lautstärke. Und weiter. Grossartig.

FLASHBACK: Mit Bauer und Anne irgendwann, irgendwo auf einer beliebigen Autobahn auf dem Rücksitz eines Wagens, auf dem Weg zu einem Konzert, um all die anderen Freunde zu treffen und mit ihnen dann weiter zu ziehen. Ich blicke aus dem Fenster, sehe die Landschaft vorbeiziehen. Und ich weiss: Es wird wohl wieder so gut. Aber es wird nicht mehr besser.

So weit entfernt, und doch so nah. Greifbar nah. Wie gestern, wie gerade erlebt, wie soeben erfahren. Die knapp 20 Jahre dazwischen. Unwichtig. Aufhebung des Zeit-Raum-Kontinuums. Gilt alles nicht. Komisch, welche Filme da wieder abgelaufen sind, seitdem Dolf mich via E-Mail gebeten hat, ein paar Sätze zu irgendeinem TRUST-Jubiläum zu schreiben. Hab schon wieder vergessen, um was es genau ging. 100. Heft? Gratulation.

Ich habe nur 24 oder 25 Ausgaben durchgehalten. Lange überlegt, was ich erzählen soll, ob ich schmutzige Wäsche waschen, Missverständnisse aufklären und mich erklären soll. Nee, kein Bock. Lange nachgedacht, ob ich alte Geschichten aufwärmen soll. Dann an Cameron Crowe erinnert, der sagt: Das eine, was man nicht sein will, ist Opi, der von Led-Zeppelin-Konzerten schwärmt.„ Nee, will nicht Opi sein, der von Toxic-Reasons-Konzerten faselt (zumindest nicht ausführlich).

Lange gerätselt, ob ich meinen Freunden von damals nachträglich noch einmal sagen soll, wie sehr ich sie geliebt habe und das in Teilen immer noch tue, auch wenn ich sie seit Jahren nicht mehr gesehen habe. Nee, Schultze, mach halblang. Interessiert keine Socke. Also komme ich zum Ende und schreibe auf Wunsch von Dolf noch kurz, was ich mittlerweile mache: Habe meine Liebe zum Film entdeckt und zum Schreiben intensiviert, und arbeite mittlerweile als Filmjournalist bei einem Münchner Verlag, der sich mit Filmwirtschaft befasst. Hin und wieder kommen Artikel für andere, weiter verbreitete Zeitungen dazu. Aber nur manchmal. Ich bin 37 Jahre alt, und wenn es der Welt nicht gerade noch beschissener gehen würde als damals, als ich für das TRUST gearbeitet habe, würde ich sagen: Die Dinge sind gut.

Schnell runtergeschrieben, nicht korrigiert und noch einmal durchgelesen (dies ist Hardcore – da muss man Fehler in Kauf nehmen) und wie immer viel zu spŠt abgeliefert am 9. Mai an einem sonnigen Morgen in L.A.Over and out.

Tomasso Schultze

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Die Geschichte von Hasso Fass
Es war 1989, meine Band ging gerade gut los, wir hatten Gigs in anderen Städten. Wir hatten neben der Band ein Tonstudio, nichts grosses, ne 16-Spur-Maschine und ein Satz Geräte in einem umgebauten Kuhstall, in nem Dorf ausserhalb meiner Geburtsstadt. Andere Bands aus den Städten kamen zu uns, um Aufnahmen zu machen, im Ganzen warens über 100 Produktionen.

In unserem Lieblingsplattenladen downtown gabs Fanzines zu kaufen, eins davon kam aus der selben Stadt wie wir, und der Typ vom Plattenladen machte den Kontakt mit dem Herausgeber des Zines. Ich fand es super, dass meine verschlafene Hometown ein echtes Fanzine hatte. Also trafen wir uns und redeten darüber, was man denn alles zusammen machen könnte. Und so liefs dann auch, ich fing an für das Fanzine zu schreiben. Erst mal nen Karton Demotapes rezensieren, dann ne Kiste Singles, Platten, schwarz oder silber, und es dauerte nicht lange, dann fing ich an, Kolumnen zu schreiben. Die Kolumne hiess „Hasso Fass“ und hatte als Wiedererkennungsfoto einen Marderschädel aus einem Biologiebuch.

Der Marder sah aber von Ausgabe zu Ausgabe todesmetallischer aus, weil Mitch, der Layout-Chefkoch des Trust (so heisst das Fanzine) den Marder von einem Heft zum nächsten weiterkopierte, statt immer die gleiche Vorlage zu verwenden. Aber gut, das Layout war seine Sache. Mit Künstlern braucht man nicht zu diskutieren. Und die verschlafene Hometown heisst Augsburg. Der coole Plattenladen existiert nicht mehr, der hiess Ohral, ja, mit H. Der Chef vom Ohral war Christian, den ich nicht gerne besuche, obwohl er ein einzigartiger Mensch ist und die grösste Plattensammlung westlich des Himalaya hat. Wenn nämlich ich die unzählbar vielen Platten sehe, die einfach alle auf dem Wohnzimmerboden gestapelt sind, bekomme ich Angst, dass das Haus zusammenstürzt.

Bisher ging aber alles gut. Der Typ vom Fanzine heisst immer noch gleich: Dolf. Ich glaube, den kennt ihr. Meine Band hiess Tech Ahead, die gabs von 87 bis 94. Das Studio hiess Phase 4, das lief von 89 bis 99. Soviel zur Orientierung.

Aber erstmal zurück zur Kolumne, die anscheinend viel Aufmerksamkeit erregt hat, wie mir später noch oft Leute erzählten. Die Hauptfigur, Hasso, war so eine Art Höllenhund, mal deutscher Schäferhund mit allen amtlichen Arschloch-Eigenschaften, mal Satans Schosstier. Der durfte dann immer die politisch unkorrekten Sachen sagen. Als ich nämlich zum Trust kam, befand sich das ganze Mag und die Posse drumherum wieder mal im Umbruch.

Die Münchner Riege (lest das mal an anderer Stelle nach), die den alten Geist aus den ersten Tagen weitergetragen hatte, zog sich zunehmend zurück. Ich selber war nie ein echter Punk gewesen, schon garnicht Hardcore. Und alles andere als Straight Edge. Meine Musik klang nicht so. Drogen, Autos, Frauen, alles hatte ich ausprobiert, irgendwie gehörte ich eher ins Indie-Lager, hatte keine Berührungsängste zu Gothic oder Industrial, fand Metal lustig und Punkrock… naja Punkrock eben. Was ich über Punkrock zu sagen hatte, legte ich meinem Alter Ego Hasso in den Mund, oder eben in den Rachen. Der gurgelte dann damit und gab Frechheiten von sich. (Welche, könnt ihr auch selber nachlesen… ihr habt doch alle Trust-Ausgaben, oder?)

Über Musik zu schreiben, war für mich zu jener Zeit, also Ende der 80er und bis Mitte der 90er sehr wichtig, und sehr befreiend. Tatsächlich habe ich mich als Musiker nicht mehr den grossen und kleinen Medien ausgeliefert gefühlt, die meine Musik bejubelten oder bespuckten. Auf einmal war ich auf beiden Seiten des eisernen Vorhangs, ich war einer der Akteure in diesem Theater. Ich hatte den Tick (hier knöpfe ich wieder an vorhin an), Verbindungen schaffen zu wollen, alle möglichen nichtkommerziellen Bands und Musikstile zusammenzufassen und in Zusammenhang zu bringen.

Bis dann 97 (ihr habt es kommen sehen) die Industrie zuschlug, mir Geld bot für das, was ich bis dahin aus Überzeugung getan hatte: Schreiben. Seltsamer Nebeneffekt: weil ich ab da ja als Redakteur mehr oder weniger den ganzen Tag schrieb, hatte ich in meiner Freizeit ganz anderes im Kopf. Meine Band hatte sich schon 94 einvernehmlich aufgelöst, Drogen fand ich langweilig, Frauen und Autos wechselten sich ab, was mich noch anturnte, war der Computer und das heraufdämmernde Digitalzeitalter. Ich fing an, für Computerspielemagazine zu schreiben. Eine komplett andere Welt, die mich zwar begeisterte, die aber auch verdammt weit weg war von meinem früheren Leben als Gitarrist, Tontechniker und Fanzineschreiber. Also bekam das Trust immer weniger Beiträge von mir. Und immer noch weniger. Und selbst das ist jetzt Jahre her.

Wenn dieses Heft erscheint, bin ich 43, und immer noch unterwegs auf der Suche nach Neuem. Für einige Jahre war das Trust für mich sowas wie ein Forschungsschiff, mit dem ich unbekannte Küsten erkundet hab, um dann aufzuschreiben, was es dort zu sehen und zu hören gab. Manche der alten Teerzöpfe und Klabautermänner sind immer noch dabei. Und ich hab den Eindruck, dass bei jedem erneuten Ankerwerfen, also alle zwei Monate, sich wieder einer mehr an Bord schleicht. Ich steh jetzt mal am Pier und winke. Gute Reise. Euer Fritz.

Fritz Effenberger

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Stand in Köln am Bahnhof. Zug wie immer verspätet. Zwecks Lektüren-Beschaffung den Kiosk geentert. Minutenlang vor dem Ständer mit Musikmagazinen gestanden. Auf jedem 4Farb-Hochglanzcover dieselben Fressen. Im bunten Blätterwald sticht ein schlichtes s/w-Cover hervor. Genauer fixiert. Ungläubig die Augen gerieben. TRUST? Hä? Gibt’s das noch?! Rausgenommen, rumgeblättert. Ein paar alte Namen entdeckt. Leichter Anflug von Sentimentalität und ein bißchen Wehmut. So etwas nennt man schwacher Moment. Heft gekauft.

Im Zug angefangen darin rumzublättern. Bemerkenswerte Standfestigkeit in der Wahl der gestalterischen Mittel. Dolf’s Kolumne angelesen. Klingt abgeklärt, (zu) sehr nach gelangweilter Routine. Das gleiche habe ich schon vor zehn Jahren von ihm gelesen. Die Interviews noch immer derselbe zermürbende Quark wie früher. Denke, daß mir das am Arsch vorbeigeht. Lege das Heft weg. Nicke ein. Im Übergang von Wach zu Schlaf überraschen mich Gedanken. Bilder kommen auf.

Upright Citizens. The FU’s. Hostages of Ayatollah. Negazione. Inferno. Manson Youth. Nuclear. Das war schnell. Scheiße schnell. Überschall. Keine sinnentleerten Phrasen, sondern authentische Ich-Bezogenheit. AJZ Bielfeld. Diese verfickte Säule vor der Bühne. Hat mich mehr als eine Beule gekostet. Ottobrunner Jugendzentrum. 70er Jahre Flair und ein Sozialarbeiter der mich nach dem fünften Bier fragte, ob ich Probleme zu Hause hätte. HoHoHo, hatte ich, nicht zu knapp. So Much Hate & Ripchord im Spaßhaus Schwäbisch Gmünd. 200 Leute in einem 30 Quadratmeter-Wohnzimmer. Sauerstoff für höchstens 100. Der Schweiß tropfte von der Decke.

40 Grad Celsius. Wer umkippte, wurde über die Köpfe der Crowd zum Ausgang weitergereicht. 100 Fotos geschossen. Die waren auf der Bühne so schnell, daß kein einziges scharf war. Scumrock-Partys in der Igenhausener Kiesgrube. Gesichter. Tomasso. Das alte Großmaul. Und seine Provokationen gegen die Politically Correctness Totalitarismus Front, deren (g)eifrigster Vertreter ich war. Was war ich neidisch auf seine verfickte Plattensammlung. Julian Weber, der mir Augustiner Edelstoff Flaschen in den Arsch rammte, als ich wehrlos besoffen und vollgekotzt in der Igenhausener Kiesgrube lag. Julian. Ob der immer noch diese ätzende John Lennon Nickelbrille trägt?

Eigentlich hätte er ja als Bindeglied zwischen Hardcorehausen und der Zündfunk/Spex-Fraktion so eine dicke schwarze Hornbrille tragen müssen. Habe gehört, der soll tolle Deep-House Sets auflegen. Dolf. Mit vollgepisster Hose in Mitch’s Küche. Seine stundenlange Vorträge über richtige gesunde Ernährung und das Zivilisationsgift Zucker. Dabei soff er immer Hasenbräu. Die haben damals schon mit Zusatzstoffen und Extrakt statt reinem Hopfen gebraut! Ute & Armin. X-Mist. Die unergründliche Plattenkiste bei jedem Gig. Linz. Die Kapu. Rainer Krispel, Andi Ehrenberger. Nächte voller Spaß, Exzeß, Weltverbesserungs-Phantasien.

Die Norweger. Gunnar & Katja. Oslo. Das Blitz. Per Arne, der mir wie ein großer Bruder war. Stromsveien. Scotti „It’s not me, only Tequila!“ Flo Helmchen und Zündi. Amsterdam. Heemsteede. Der mondänste Squat aller Zeiten. Frederike. Erna. Und – natürlich – Mitch. Der Herr der Kopiermaschinen. Die Seele des Trust. The Engine. Der Mann mit dem großen Herz. Der Papa, der immer für alle die Kastanien aus dem Feuer holte (Hallo Mummie!!!). Herr Alber, der mir außer Hardcore auch Neil Young, Thin Lizzy und Black Sabbath nahegebracht hat. Mühlhausener Baggersee. Hey Mitch, don’t mess with Texas!!

Quietschende Zugbremsen reißen mich aus dem Halbschlaf. Zuhause im Bett. Leichte Melancholie.Warum habe ich da eigentlich mitgemacht? – Weil es selbstkontrolliert war. Weil es authentisch war. Weil es konstruktiv war. Nichts mußte, aber alles konnte. Weil es keine Regeln gab. Weil es aufregend war. Weil ich in Anne verknallt war. Weil ich auf einmal jemand war. Nicht nur eine anonyme Gestalt in der dunklen Menschenmasse vor der Bühne. Weil mir imponierte, daß Dolf einen Kiste Bier trinken konnte und trotzdem noch halbwegs sinnvolle Dinge von sich gab.

Weil ich eine verklemmte kleine Dorfpomeranze war, der sich durch das HC-Netzwerk die Möglichkeit eröffnete, andere Länder und Städte zu sehen. Weil Respekt und Solidarität keine Floskeln waren. Weil ich meine Minderwertigkeitskomplexe durch großspuriges Polit-Gesabbel und militantes Gehabe kompensieren konnte. Weil es ein geiles Gefühl war, die Angst in den Augen der Polizisten zu sehen, wenn sie unversehens in einen wilden HC-Pit gerieten. Weil es wild war. Weil es unkontrollierbar war. Weil es – eine zeitlang zumindest – ehrlich war. Weil man weltweit Freunde hatte. Weil es auf musikalische Impulse fokussierte, die bis heute fortdauern. Weil das Bestehende von einem Meer von Möglichkeiten umgeben war, aus dem immer wieder ein neues Stück Wirklichkeit aufstieg.

Pah. Gefühle lügen. Erinnerung selektiert. Wirklich cool war’s nur von 1985 bis 1989. Danach zerfiel es in tausend Sub-Millieus, die sich gegenseitig nicht grün waren. Straight Edge. Crust. Trashcore. Speedcore. Grunge. Blablabla. Zap vs Trust. Armin vs Tomasso. Ox vs Bonzen. Akö vs Scumfuck Tradition. Willy Wucher vs Akö. What the fuck. Außerdem beschlossen zuviele, ihr HC-Hobby zum Beruf zu machen. Ökonomische Notwendigkeiten erstickten den Enthusiasmus. Und das Fußvolk konsumierte nur noch statt selbst kreativ und aktiv zu sein. Nix verstehen? – Beispiel. Mein Hüsker Dü Shirt hat mich einen ganzen Tag gekostet. Mühsam den Schriftzug vom Cover abpausen, Schablone daraus machen. Textil-Sprühfarbe bei Kutscher & Gehr klauen. Drei Shirts versaut, bevor’s beim vierten geklappt hat. Kreativ sein, selber machen. Das hielt die Gehirnzellen fit.

Die Uniformität in Grenzen. Frontline, Lost & Found und Nastrovje Potsdam. Jeder Bauerndepp konnte seine Uniform bei denen kaufen. (Ganz) Alte Fotos durchgesehen. Keiner sieht gleich aus. C&A Carohemden mit abgerissenen Ärmeln. Trachtenschnupftücher als Bandanas. Selbstgemachte Band-Shirts. Abgeschnittene Militär-Hosen statt Santa Cruz Shorts. Die Converse Chucks waren das einzig uniforme. Damals schon. Trotzdem. Bis 89 war’s cool, weil der Inhalt vor der Form kam. Danach wurde es langweilig, weil die Form immer mehr über den Inhalt triumphierte. Bessere Vertriebswege, schnellere Vertriebswege. Professionalisierung. Distribution – Uuueber Alles!

No Means No, Fugazi, Alice Donut, Life but how to Live it, Do or Die, Steel Pole Bath Tub. Coole Mucke, liebe Leute. Die freuten sich über fünf Matratzen, ein beheiztes Zimmer, selbstgemachtes Frühstück am nächsten Morgen. Die spülten ab und putzten das Bad. Aber das kam mir anfang der 90er vor, wie eine aussterbende Rasse. Immer mehr hatten keine Zeit mehr für Spaß, waren ständig busy. Ehemals lockere HC-Aktivisten entwickelten eine Autohändler-Mentalität. Machte (mir) keinen Spaß mehr.

Typen, die von ihren Touren bzw. Labels lebten, erinnerten sich deiner Freundschaft nur noch, wenn es darum ging, ihre eigenen Produktionskosten zu minimieren. Lag Wagon haben wir in Stuttgart rausgeschmissen, weil sie unsere Wohngemeinschaft mit einem Hotel verwechselten. Was für ein Haufen dämlicher Wichser! Außerdem kam mir jede neue Band nur noch wie ein Plagiat des Plagiat des Plagiats vor. Wer brauchte schon Dawnbreed, wenn der Minor Threat zu Hause stehen hat?

Jetzt. Heute. Zehn Jahre Distanz. Mache die Programm-Konzeption für einen Stuttgarter Club. Außerdem Bookings und Pressearbeit im elektronischen Bereich: Drum’n’Bass, Fusion/Freestyle, Funk, Soul, Jazz, Minimal-, Deep- und Tech-House & Elektro, Dancehall, Dub und Reggae.

Ich treffe ständig alte Hardcorienser oder Punk-Bekannte. Manche von denen sind dick im Club-Music-Geschäft. Ist mir stets eine Genugtuung, wenn deren verkackten Booking-Agenten, die herablassend mit mir reden, realisieren müssen, daß ihr „Star-DJ“ lieber bei mir auf der Schlafcouch im Wohnzimmer pennt, auf dreiviertel seiner marktüblichen Gage verzichtet und keinen sechsseitigen Gastspiel-Vertrag braucht. Klingt infantil. Aber daß ist es, was mir vom Trust geblieben ist. Auf den Rest ist geschissen. Für mich hat das Trust keine besondere Relevanz mehr, aber vielleicht gibt es da draußen eine Menge Junger, die das anders sehen. Würde mich freuen, wenn es so wäre.

Alex Köpf

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Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie damals Mitte der 80er das TRUST entstand. Es gab vereinzelt Grüppchen von Menschen im süddeutschen Raum, die sich für diese neue „Hardcore-Welle“ (v.A. aus den USA und Italien zu uns herüberschwappend) begeisterten. Um es kurz und nicht gerade umfassend in ein paar wenige Worte zu fassen: Es war eine Art von positiver Gegenreaktion zu der abgestandenen und in sich reaktionären Punk-Szene. Um dieser „Hardcore-Idee“ auch ein Sprachrohr und Forum zu geben, entstand bei diversen Treffen dieser „Hardcore-Aktivisten“ die Idee des TRUST. Die treibenden Kräfte waren wohl Moses Arndt, Dolf Hermannstädter, Thomasso Schultze und meine Wenigkeit (daher auch der damalige Untertitel „Süddeutsches Hardcore-Magazin“).

Wie das nunmal der Gang aller Dinge ist, verlieren sich mit der Zeit die anfängliche Euphorie und Enthusiasmus. Und mit der Routine kommen auch die ersten Diskrepanzen. Im Nachhinein betrachtet, darf man wohl sagen, dass sich das TRUST von einem „Szene-Sprachrohr“ zum Ego-Projekt und persönlichen Identifikations-Modell des Dolf Hermannstädter entwickelt hatte…

Inwiefern die Veränderungen in der sogenannten Szene das bewirkt hatten, oder die Beteiligten selbst dazu beitrugen, sollen andern beurteilen (nicht ich, als selbst Mitwirkender). Jedenfalls war es Moses Arndt, der als Erster seine Konsequenzen zog und das Zap entwickelte – welches damals in seiner Anfangsphase wieder mehr dem ursprünglichen Modell der TRUST-Ursprungs-Idee entsprach…
Nach ein paar weiteren Monaten zog ich dann auch selbst die Konsequenz aus der Entwicklung des TRUST und stieg ebenfalls aus.

Nach all den Jahren, kann man unumstösslich sagen, dass das TRUST von heute mit dem TRUST von damals, ABSOLUT NICHTS mehr gemeinsam hat! Ausser dem Namen… was vielleicht auch das einzig Ärgerliche an der Geschichte ist – schliesslich darf ich behaupten, dass der Name meine Idee war, und ein selbstironisches Wortspiel sein sollte, aus den beiden englischen Begriffen für Vertrauen und Kartell.

TRUST steht heute aber weder für ein Vertrauen in eine bestimmte Szene, noch für einen Zusammenschluss diverser Aktivisten – sondern lediglich für ein weiteres Musikmagazin unter Vielen, das sich aus Anzeigen finanziert und beliebige Artikel über beliebige Musikgruppen enthält. Eine detaillierte Wertschätzung dieser Entwicklung verkneife ich mir absichtlich (schliesslich habe ich ja selbst vor Jahren konsequenterweise einen Schlußstrich unter meine Beteiligung gezogen) – ich sage nur wie es sich rein faktisch verhält! Als jemand der das Heft mitbegründet hat, und auch die Entwicklung des TRUST bis heute mitverfolgt hat, dürfte ich wohl einer der Wenigen sein, die
dies mit Fug und Recht behaupten können.

Ein Rückblick auf die Anfangszeiten des TRUST vom Standpunkt des „heutigen TRUST“ aus, erscheint mir geradezu aberwitzig! Ein Rückblick worauf? Auf eine Geschichte mit der das Heft aber auch gar Nichts zu tun hat!?! Die heutige TRUST-Belegschaft sollte die Nr.100 als das nehmen was sie ist: NUR eine Zahl, mehr nicht – und es sich verkneifen sich in irgendeiner Form mit einer Art von Historie zu brüsten, zu der das heutige Heft keinerlei Bezug mehr hat!

Armin Hofman/X-Mist Records

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Grund wieder mal Alles bis auf den allerletzten Drücker hinzukriegen – ganz in Abwandlung und Angedenken des wunderbaren Wolfgang Neuss (NEUSS TESTAMENT!)- …Stell Dir vor´s gibt Krieg keiner….

STELL DIR VOR ES GEHT UND KEINER KRIEGTS HIN – musste ich vor lauter angedachter Brillantfeuerwerke zündenster Ideen für Essays galaxiescher Ausmaße – jetzt sollte Piet Glocke läuten und alles wär gut – aber diesen Bandwurm-Brandsatz noch elegant abzuwürgen gelingt mir dann doch nicht so tausendklug wie Douglas Hofstadter und sein Legionen von Zuarbeitern. {Scheu Dich nicht zu kürzen oder auch nicht..?!}

Hoffentlich sprengt meine Form nicht den Rahmen. Formatierung ist mir als Teilzeit- und semiprofessioneller Medienarbeiter ein Gräuel. Meine Leidenschaft für mehr oder weniger populäre Musik brachte mich ja nach Mitarbeit von „HaveAcent“, Howl, Daniels „Lay Screaming“ (Damals war auch noch Conny [der machte später mit hervorragendem Layout „Exit Out“ oder „Last Exit“ o.Ä., ein Mag über ausschließlich Garagenmusik, was er im Prinzip schon bei Lay screaming tat] beteiligt) und etwas später Riddim. Das Free Dare (Hüttig) in Zusammenarbeit mit Thieme und Alexander Schula gestaltete und herausbrachte, auch zu Deinem Trust. Frieder machte übrigens auch ganz rege in mehreren Bands „Doin´ horse“, „Wonderwarthog“ und ganz früher „Wirtschaftswunder„ o.ä. (da möchte ich ihm jetzt kein Unrecht tun, aber im allgemeinen ging mir schon damals die ganze Ndw-Schei.. …

… na ja jedenfalls brauch ich mich heute nicht mehr um dieses blödsinnig herbeigehypte Revival zu kümmern, dann lieber gleich diese Düsseldorfer Hosen, die Wiederkehr des ewig Gleichen, und wenn das dann Punk (und Komma, mit samt der Kummdochmarum Band) sein soll, dann lieber gleich meine Kind- und Jugendfreunde aus dem Fränkischen wenn sie als abprobierte Kampftrinker und Fulleulen mit ihrem Grölschlund schrundige Trommelfelle zerschreddern. Na ganz so schlimm wird alles nicht gewesen sein (man redet schon so wie die ganz alten vom letzten Kartoffelkrieg). Frieder war jedenfalls Multikreativ und machte ganz originelle Comix, Zeichnungen etc., schrieb sogar fürs Speck-heft, in dem ja auch Dath, der irgendwann unter X-Ray-SPEX im Trust geschrieben hatte, richtig Karriere machte (hab sogar kürzlich was von ihm in der Faz gelesen, darüber vielleicht später mehr). Was Frieder heute macht weiß ich nicht. Er war jedenfalls nicht so moralinsauer wie die andern beiden, vielleicht warn´s ja sogar noch mehr.

Zum Trust direkt brachten mich paradiesische Höllenhunde, die mir ein Pigmy Lovecircus-Interview aufschwatzten. Die Zirkuspygmäen waren lieb und mitteilungsfreudig, der Trommler von denen hat wohl als einziger bei Tool Kariere gemacht. So stand ich jedenfalls das erste mal im Trust.

Dass ich mich für solch grobe Schweinerocker mehr interessierte als für irgendwelche Brasilianischen Schnulzler, Operettenkönige, Diskursmischer- und Rocker und Roller brachte mich bei den Himmelssendern soweit in Misskredit, dass ich fürderhin nur noch als Interview-Teilnehmer Bedeutung suggerierte. So tauchte ich namentlich hier und da in diesem Hochglanzmagazin (wie es einer der Höllenhunde nannte, was mir nur die Frage ins Hirn pflanzte, da der Glanz rein physikalisch so hoch gar nicht war, ob er denn nur solche zusammengetackerten Zettel wie Felix Austs Listen als Medium akzeptiere) auf und war die lästige Tipperei los. Man ist ja sonst ganz uneitel.

Bevor ich mit meinen ganzen Erinnerungen komplett aus dem Ruder laufe, zurück zum Formatierungsterror, der für mich beim Schreiben so enervierend ist. Enervierend sollte es nicht sein für den geneigten Leser. In einer Testcard-Ausgabe steht: „Der Leser will alles, nur nicht lesen.„ Hört sich nachvollziehbar an, nur handelt es sich dann nicht um einen Leser sondern um einen Alleswoller, in den ich mich schon weit besser reindenken kann.

Was ich gar nicht will, sind Beurteilungen. Passend dazu ein Gedicht unseres Universalgelehrten, Künstler, Poet etc. Gernhard. „Meinung„ war glaub ich der Titel (Journal-istisch völlig inkorrekt, da keine Recherche, Zuhilfenahme des Aktenalls, Durchwühlen des Privatarchivs, was ich sowieso ständig mache um noch präziser, genauer, geschliffener, fundierter und dann noch nachts lange über und hinter dem Todeslinientermin fatalistisch die Lustlosigkeit mit surrealistischer Ecriture Automatique überlistend mich verzettele) Zurück zur Meinung, die ich hier frei rekapituliere: Mich interessiert hier nur meine Meinung. Interessierte mich was Du denkst, so hieße es ja Deine Deinung und nicht meine Meinung.

Im konkreten Fall meiner Meinung zur Formatierung, bin ich auch bei meiner jüngsten Produktion von Teilzeitlohnschreiberei im Gegensatz zum momentan Schreiben für Gottes Lohn angelangt. Ich dachte, nach bald Zehn Jahren für ein paar Kröten bei einem unserer Stadtmagazine (die andern sind eingegangen, zumindest das eine, bei dem mich schon lange die Lust verlassen hatte) wenigstens mäßig zur kulturellen Vielfalt, wenn auch nicht gerade Multikulti, so grün bin ich auch wieder nicht, beitragen zu können.

Der vorletzte Glassjaw-Preview wurde zur Unkenntlichkeit gekürzt und verstümmelt und die letzte CD-Besprechung teils sinnverdreht, vom Dünnschiß der Kollegen drumrum ganz zu schweigen. Proportional zum „Umstand verlass mich nicht, ich will dir auf ewig getreulich dienen„ ist natürlich bei dem zunehmend freudloseren Geschreibsel der Salär verschmälert.

Vom Redakteur muss ich mir dann endlose Lamentos anhören, dass in Frankfurt ein Fritz Deutschland den Superstar (von denen hatte auch mal einer im Trust geschrieben) sucht, denn nur wer in dem Käsblättchen publizieren durfte muss auch bevorzugt behandelt werden. So ist man einmal mehr herausgeekelt aus einer Zunft, der man nie so ganz angehörte.

Es war nie meine Welt, aber das sie bekloppter ist als ich dachte, lässt mich dennoch grübeln. Die Erde ist die Hölle eines anderen Planeten zitiert mein alter Vater gerne einen längst vergessenen Sf-Roman. Nicht so vergessen wie der Roman „Das Reich endet nie“, der nochmals in der großartigen und neuaufgelegten „Valis-Trilogie„ von Philip Dick zitiert wird. „Und im Zentrum des Universums regiert der taube und blinde Idiotengott„ hieß es bei Lovecraft. „Der Mensch schuf Gott nach seinem Bilde„ (Feuerbach) und „das Christentum beruht auf verschiedenen Geboten – dem Gebot der Nächstenliebe, der Feindesliebe, dem Gebot nicht zu stehlen und nicht zu töten, und der Klugheit, keines dieser Gebote zu halten.„

Alles scheint vergiftet und der Mensch ist meistens auch nur krumm und schief in diese Welt gebaut, und das gleich im Überfluss. Schopenhauer spricht nicht umsonst von der Ramschware der Natur. Gottfried Benns „Krone der Schöpfung„ samt „Saal der Kreisenden Frauen„ bringt es etwas derber. Bei Arschmit, dem großen Arno Schmidt ist es ein Gemisch aus Scheiße und Mondschein. William Gaddis und Thomas Bernhard, Jonathan Swift und zahlreiche äußerten sich entsprechend darüber.

Ein ehemaliger Kommilitone, Thor Kunkel brachte es in der Sichtweise seiner Romanfigur Kuhl etwas juveniler, zotiger und schnoddriger in seinen charmanten Frankfurtroman „Schwarzlichtterrarium„ auf den Punkt. Baal hat bei Brecht auch noch so einiges auf der Pfanne (Was muss das für ein Gott sein, der den Harnleiter mit dem Geschlechtsorgan kombiniert?).

Ich selbst tendiere dahin Philanthropie für eine ganz gefährlich Perversion zu halten. Ein weiterer SF-Autor Stanislaw Lem äußert sich in einem aktuellen Interview: „Der Mensch ist eine unangenehme Gattung, sehr peinlich…„ (und das sicherlich nicht nur auf bestimmte Aggregatzustände reduziert)
Dick noch mal abschließend : „Wir brauchen keinen Erlöser, wir brauchen einen Arzt.„ (Krankheit als Weg, Gesundheit als Umweg)

„Sei keinem anderen Knecht, wenn du Dein eigner Herr sein kannst.„ Wussten schon Paracelsus und etwas abgewandelt auch der Meister Eckhart. „Sweet dreams are made of this, some people want to abuse you, some people want to be abused by you.„ wusste auch schon der unübertroffene George Grosz in den Zwanzigern, als er dichtete:“…und lammfromm kriecht der Masoch ins Geschirr…“. „Die Kreatur wohnt nun einmal im Leibe und hat mit dem lieber zu tun als mit dem Geiste.„ Alles weitere auf den JPGs. Glück & Grüße und weiter dann in Heft 200.

Matthias Erbe

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Trust – der Name birgt eine Idee, die mich damals (wie heute) fasziniert und angespornt hat. Zum einen Trust (engl.) = Vertrauen, zum anderen i.S. eines Kartells die Zusammenlegung, Vernetzung und Vereinigung von Ideen, Interessen, Vorhaben. Damals gab es viele Projekte, Ideen, Aktivitäten und Leute, die begeistert eine Szene mitgestalteten, die mich anzog. Leider verliefen viele Projekte und Aktionen im Sand oder Ideen bekamen nicht die Beachtung, die sie verdient hätten, was wohl meistens daran lag, dass ein einzelner eben nicht den Wirkungsgrad erreicht, als mehrere.

Und dann – wo auch immer – treffen sich Armin Hofman, Thomasso Schultze, Moses Arndt, Dolf Hermannstädter, Mitch Alber und Anne Ullrich und der Wunsch reift, die Energien zu bündeln und sich gegenseitig zu vertrauen. Das Trust war geboren.

Wenn ich zuerst auf den Aspekt des Vertrauens eingehe, dann denke ich spontan an die Zusammenarbeit mit diesen Menschen. Ich glaube, dass ich in meinem Leben bisher immer gute und enge Beziehungen knüpfen konnte und jemandem zu vertrauen bereitet mir weniger Probleme, aber diese Handvoll Menschen waren für mich etwas besonderes. Ähnliche Ideen und trotzdem viele Auseinandersetzungen und Diskussionen über den Weg, aber meist mit Respekt und Achtung vor dem anderen.

Die Ressourcen der einzelnen waren auch unterschiedlich, so dass wir uns gut ergänzt haben. Dolf in seiner direkten und unmittelbaren Art im Denken und Schreiben, Thomasso deutlich reflektiert, manchmal verschroben in seinem Abwägen und Analysieren, Armin für mich eher sachlich, zurückhaltend und klar, Moses in seiner manipulativen und energieversprühenden Art antreibend für alle, Mitch unermüdlich für Organisation und verantwortlich für die Ruhe und Gelassenheit. Mein Beitrag im Trust waren die Fotos (da ich auch heute noch der Meinung bin, dass ich zum Schreiben nix tauge!). Heute kann ich auch sehen, dass wohl allein die Tatsachen, dass ich eine Frau bin, die Gruppe damals ergänzt hat.

Wenn ich an die Anfänge des Trust denke, kommt natürlich auch die Wehmut, die mit der Spaltung der Gründer-Gruppe zusammenhängt. Damals standen dann nicht mehr Vertrauen und Gemeinsames im Vordergrund, sondern Machtinteressen, Neid, Eifersucht und Enttäuschung. Meine Naivität und der Glaube an das Positive und Gute im Menschen hat sicher dazu beigetragen, dass ich damals ziemlich geschockt war, wie die Dinge, ach, Quatsch, wie die Menschen von einander wegdrifteten.
Trust – im wesentlichen ein Musikmagazin.

Ich bin mir gar nicht sicher, wieviel mir die „reine„ Musik damals bedeutete, sicherlich mehr als heute, aber mit dieser Musik verband (und verbindet!) sich natürlich mehr als „nur„ Musik. Mit dieser Musik ist ebenfalls der Gedanke einer gemeinsamen Energie verknüpft, der Wunsch etwas aus eigener Kraft zu gestalten und sich fernab von Kommerz und vorgefertigte Schemata eine Form zu schaffen, um eigenen Gedanken auszudrücken. Gedanken, die sicherlich viel mit den gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen zu tun hatten, aber auch mit dem direkten miteinander Leben.

Jede Menge Ideale und Utopien, die Generationen vor uns auch hatten. Wahrscheinlich hätte ich so gesehen auch Hippie werden können, aber ein für mich bedeutender Unterschied fesselte mich an diese Szene: Power, Kraft und Dynamik, ein Vorwärtstreiben, das eine gewisse Aggressivität nicht ausschloss. Und dies vermittelte die Musik und die Konzerte unmittelbar.

Wenn ich mir meine Fotos heute anschaue, wird mir im nachhinein klar, dass ich immer versucht habe, diese Dynamik und Energie einzufangen. Es ging nicht um einzelne, um Stars, um die Band. Es ging um die Energie, die auf einem solchen Konzert frei wird. Es ging um das gemeinsame Erleben, um ein Wir-Gefühl. Auf den meisten Bildern ist die Szene eingefangen, d.h. Band und Publikum, eine für mich untrennbare Einheit.

Mich haben die Menschen interessiert, was sie denken, fühlen, wohin sie wollen und mit welchen Mitteln sie ihre Ideale erreichen. Meist waren das unkonventionelle Wege, die offensichtlich mit Steinen gepflastert waren, aber egal… Das Ringen um Echtheit, Wahrheit und intensive Gefühle stand im Vordergrund. Auch die Brüche (i.S. von Lebenskrisen), die sich dadurch bei dem einen oder anderen ergeben haben, zogen mich an.

Mein Interesse an dieser speziellen Szene hat im Laufe der Jahre nachgelassen. Meine Mitarbeit beim Zap (Moses´ Konkurrenz-Blatt nach der Trennung) reduzierte sich immer mehr. Vor nicht allzu langer Zeit gab es noch das gemeinsames Projekt eines Fotobuches mit Lee und Dolf als Organisator, das eine oder andere Konzert, bestimmte Kassetten oder CDs liegen im Auto und manchen Artikel lese ich auch noch im Trust, das mir Dolf beständig und treu schickt.

Nichtsdestotrotz – das packende, antreibende, gemeinsame Entwickeln von Ideen und das Interesse an Menschen mit ihren (teilweise zerstörten) Idealen zieht sich bis heute durch mein Leben und hat vielleicht in der Trust-Gründer Zeit seinen Anfang genommen. Menschen mit denen ich heute – privat oder beruflich – zusammenkomme, sind meist Menschen mit Brüchen in ihrem Leben und dadurch auch mit besonderen Fähigkeiten und Sensibilitäten ausgestattet. Es gibt also einen roten Faden, auf den ich stolz bin.

Ich bin heute Psychotherapeutin und habe in diesen Rahmen viel Aufbauarbeit geleistet, immer mit anderen, denen ich vertraute und die eine gemeinsame Idee mit mir teilten. Immer noch geht es um Veränderungen in unserer Gesellschaft, um mehr Gerechtigkeit und Fairness, um das Miteinander, um „Gefühl und Härte„, um gegenseitige Unterstützung und Hilfe.

Anne Ullrich

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