Dezember 31st, 2021

FIRE AND FLAMES (#202, 2020)

Posted in interview by Thorsten

Seit mittlerweile 18 Jahren gibt es das Label Fire and Flames, spezialisiert auf Bands mit einer klaren Antifa-Haltung, aber nicht festgelegt auf einen eindeutigen Musikstil. Eine deutliche Schlagseite gibt es in Richtung Oi! und Streetpunk und somit eigentlich etwas außerhalb meines persönlichen Wahrnehmungshorizonts. Die Existenz von Fire and Flames stand zwischenzeitlich auf der Kippe. Label und Online-Store zogen nach Kiel um und werden dort seit einigen Jahren von einem neuen Kollektiv von Menschen betrieben, die auch schon zuvor seit langem in der Kieler Punk- und Politszene aktiv unterwegs waren. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum Fire and Flames eine deutlich wahrnehmbare Dynamik innerhalb der Kieler Szene und wahrscheinlich auch weit darüber hinaus entfalten, obwohl die Zahl der Plattenreleases recht überschaubar ist. Bekanntester Act sind aktuell sicherlich Moscow Death Brigade, die ja auch live in den letzten Jahren viel unterwegs waren. Spannend ist das Projekt Fire and Flames neben der Musik in seiner politischen Dimension. Letzten Sommer habe ich mich mit zwei der Mitglieder des aktuellen Kollektivs, Morten und Onni, zu einem längeren Gespräch im Fire and Flames „Streetshop“ Kiel-Gaarden getroffen.
Nach einem netten Eingangsplausch über Sinn und Unsinn von Reunions und Konzerten mit „alten Bands“ anlässlich des etwas skurrilen Auftritts von D.I. kurz zuvor in der Kieler Schaubude und dem bevorstehenden und von Fire and Flames organisierten Auftritt von Angelic Upstarts ging es recht schnell ans Eingemachte. Nicht alles aus diesem Gespräch hat Eingang in das hier Abgedruckte gefunden, manches wurde für eine bessere Lesbarkeit gestrafft.

Fire and Flames gibt es seit 2002, ihr habt ca. 2013 übernommen. Und das Label dann auch in relativ kurzer Zeit deutlich größer gemacht. Erzählt mal.

Morten: 2013 haben wir angefangen, 2014 haben wir gelauncht. April oder Mai 2014 sind wir online gegangen.
Onni: Interessante Wahrnehmung. Mittlerweile würde ich tatsächlich sagen, auch ohne konkrete Zahlen zum Umsatz zu haben, dass wir jetzt wieder da sind, wo Fire and Flames zu Höchstzeiten in den Nullerjahren vielleicht mal war. Aber das hat auch ein bisschen gebraucht. Fire and Flames war ja ein, zwei Jahre wirklich tot und auch offline. Das hat auch innerhalb der Szenen, die wir bedienen, zu einem großen Bekanntheitsverlust geführt. In diesen Nischen sind dann auf einmal ganz andere Labels gewachsen, gerade auch auf der T-Shirt-Ebene, die mittlerweile eine viel größere Bedeutung haben als wir. Die eigentliche Frage war…?

Naja, wie ihr angefangen habt und warum. Die Wahrnehmung der gesteigerten Bedeutung beziehe ich auf eure Aktivitäten. Zuvor habe ich Fire and Flames vor allem als Plattenlabel wahrgenommen, für Bands wie z. B. Obrint Pas.

Morten: Als wir Fire and Flames übernommen haben, waren wir zu fünft, im aktuellen Kollektiv vier und es wurde noch eine Person durchgetauscht. Für viele von uns war Fire and Flames nicht nur ein Name, den man irgendwie kannte, sondern Fire and Flames hatte uns zuvor in unserer eigenen Kultur als auch in unserer politischen Sozialisation geprägt. Sei es dadurch, dass man auch vorher schon Konzerte mit Niko veranstaltet hatte, bis dahin, dass ich wer weiß wie viele Fire and Flames-Shirts im Schrank hängen hatte. Ich fand immer den internationalistischen Aspekt wichtig und auch die politischen Impulse, die dorther kamen. Das war für mich immer schon sehr spannend, auch schon bevor die konkrete Gelegenheit kam, das zu übernehmen. Wir haben zwar gemerkt, dass Fire and Flames nichts mehr macht und dann auch mal im Spaß gesagt, eigentlich müsste man doch… . Und ein paar Wochen später kam dann von Black Mosquito (anarchistischer Mailorder aus Flensburg, TH) die Anfrage, ob wir das nicht machen wollen. So kamen wir also zufällig oder auch nicht ganz zufällig dazu, weil diese Verbindung sowohl aus einer Konsument_innen als auch aus einer Sozialisierungsperspektive bestand.
Onni: Bei mir war es so, dass ich Fire and Flames immer sehr geschätzt habe – unabhängig davon, dass ich mit der dort veröffentlichten Musik viel anfangen konnte. Es gibt ja eine Unzahl an linken Merchandise-Mailordern. Auch einige, von denen wir wissen, dass es Top-Genossinnen und Genossen sind. Bei Fire and Flames war für mich immer die Stärke, dass es eindeutig angedockt war an organisierte linksradikale Politik und dass da über das T-Shirt-Motiv hinaus eine gewisse politische Ernsthaftigkeit hinter steht. Als wir mitgekriegt haben, dass das so’n bisschen auf der Kippe steht: Es ist eigentlich zu schade drum, als dass man es sterben lässt. Das war die Hauptmotivation zu sagen: Ok, wir versuchen`s.

Ihr habt also Fire and Flames als explizit politisches Projekt verstanden und nicht als reines Plattenlabel!?

Morten: Das war sozusagen unsere Ausgangsbedingung. Es war weder so, dass wir zu wenig zu tun hatten, noch dass wir dachten, dadurch kann man sich einen Job schaffen. Es war eher eine Verlängerung oder ein neuer Weg unserer politischen Arbeit, um vielleicht noch mal andere Leute zu erreichen. Das war ein total zentrales Element bei uns allen. Wir dachten immer, dieses Projekt darf nicht sterben, weil es für uns total wichtig ist und es müsste auch für andere Leute total wichtig sein, weil es eine straighte politische Idee verfolgt.

Du sprachst von Jobs schaffen – wie trägt sich Fire and Flames? Ich unterstelle erst mal nicht, dass ihr in größerem Maße Geld verdient.

Onni: Natürlich muss man schon sagen, einerseits sind wir ein explizit politisches Projekt und das ist auch unser Hauptanliegen, andererseits ist es auch kein unkommerzielles Projekt im engeren Sinne. Natürlich haben wir hier Ladenmiete usw. und die üblichen Unkosten, d.h., wir verdienen hier auch in gewisser Weise Geld. Es ist mittlerweile so und auch unser Ziel, dass wir uns zumindest auch teilentlohnen für unsere Arbeit. Das klappt aktuell, oder eigentlich von Beginn an, nur bedingt. Drei von uns bekommen mittlerweile eine Aufwandsentschädigung, andere machen das völlig unentgeltlich, weil sie nicht darauf angewiesen sind. Wenn man das auf einen Stundenlohn umrechnen würde, dürfte das keine Gewerkschaft hören. Aber es hat halt mittlerweile einen so großen Umfang gekriegt, dass es anders gar nicht möglich ist. Für mich persönlich war es beispielsweise auch die Entscheidung dagegen, weiter im Rahmen meines eigentlich erlernten Berufs tätig zu sein. Fire and Flames ist mein Hauptprojekt, auch wenn ich drum herum noch mehrere andere Jobs mache, damit das hier läuft. Aber natürlich: Es ist ein kommerzieller Einzelhandel.
Morten: Zusammengenommen kommt die Aufwandsentschädigung für drei Leute noch nicht einmal auf einen vierstelligen Betrag. Trotzdem geht hier wirklich schon auch viel raus. Wenn man am Ende des Jahres die Zahlen sieht, denkt man sich: „Krass, so viel haben wir verkauft?“ Aber eigentlich sind wir eher am strugglen, dass wir unsere Rechnungen zahlen können, die ja auch teilweise von Genoss_innen aus anderen Mailordern kommen.
Onni: Aus einer wirtschaftlichen Perspektive sind wir viel zu DIY und viel zu politisch um das vernünftig zu machen. Unser Sortiment bestimmt sich ja auch aus politischen Erwägungen und unsere kulturelle Sozialisation ist ja auch so, dass wir eher Plattenpreise drücken, als das zu nehmen, was man eigentlich nehmen müsste. Weil wir eine DIY-Vorstellung von unserer Kultur haben, die wir gar nicht verkaufen wollen – eigentlich. Paradoxerweise machen wir’s, wir müssen es auch irgendwie. Aber da sind wir eigentlich immer durch unsere eigene kulturelle Moral oder unsere politischen Ansprüche auch immer zu eingeschränkt, um wirklich ein vernünftiges Unternehmen daraus zu machen.
Label, Konzertveranstalter, Mailorder, Plattenladen oder kulturelles Projekt? Entscheidet ihr euch für irgendwas oder ist es das Gesamtprojekt?

Morten: Es ist ein gegenkulturelles Projekt und da gehören sowohl das Organisieren von Konzerten (mittlerweile ein wichtiger Faktor), als auch natürlich der Verkauf und Vertrieb von Musik auf CD und auf Platte und von Klamotten dazu.

Kann man vom Arbeitsaufwand her zuordnen, was am meisten Arbeit macht/schafft, oder wobei am meisten reinkommt?

Onni: Eine Zeitlang hätten wir’s bestimmt sagen können. Am Anfang waren das sicherlich T-Shirts usw. Der Kern des Ganzen – und damit beginnt alles auch ein bisschen – ist natürlich der Mailorder. Dass wir jetzt den Laden haben, ist eher ein Zufallsprodukt gewesen, das war ursprünglich unser Lager und Büro. Leute haben mitgekriegt, dass es diesen Laden gibt und haben sich ihren Kram direkt abgeholt. Das hat sich insbesondere durch die Grafitti-Sachen, die wir ja auch hier verticken, relativ schnell gesteigert. Das hat sich dann in dieser Szene rumgesprochen, sodass wir irgendwann an einem Punkt gesagt haben, wir bauen unsere Räumlichkeiten so um, dass es als Laden besser nutzbar ist und wir nicht mit unseren Computern zwischen den Sprühdosen sitzen.

Hier gibt es ja wahrscheinlich auch nicht so viel Laufkundschaft.

Onni: Genau. Es läuft aber erstaunlich gut und ist von alleine ein Faktor geworden, der in der Abrechnung am Ende bedeutend ist. Für uns ist das eine sehr positive Entwicklung, weil eine Frage für uns ist natürlich: Wie wollen wir politisch und kulturell wirken? Weil Fire and Flames ist ja sogar international aufgestellt und hat da eine große Reichweite.

Sag da mal was zu.

Onni: Gleich. Was für uns ein wichtiger Aspekt ist: unsere politische Arbeit startet natürlich in unserem eigenen Umfeld, in unserem Viertel, in unserer Stadt. Deswegen ist so ein Laden wie Fire and Flames gerade für eine Stadt wie Kiel, wo es aktuell nichts Vergleichbares gibt, ein total wichtiger Ort für bestimmte Generationen politischer Aktivist_innen bis hin zu irgendwelchen Leuten, die vielleicht eher sprühen gehen, aber darüber einen Kontakt kriegen. Und da ist dieser Laden zu einem witzigen Verknüpfungspunkt verschiedener Leute geworden, die sich aber irgendwie alle auf Fire and Flames beziehen, aber auch wissen, worum es hier geht. Weil wir überhaupt keinen Hehl draus machen, dass das hier ein Antifa-Laden ist, das ist auch für Leute mit eher unpolitischem Gespür sofort sichtbar. Und die kommen hier her und das hat, glaube ich, noch mal eine subtilere politische Wirkung.
Zu der internationalen Sache: Das haben wir quasi mit übernommen, das ist erst einmal ein Verdienst gewesen des alten Fire and Flames, das hat auch mit der Personalie Niko, der das vorher maßgeblich betrieben hat, zu tun, der international ganz gut aufgestellt war. Das läuft vor allem über die Bands, die wir rausbringen. Die deutschen Bands sind wohl eher in der Minderheit. Wir haben viele Bands aus Frankreich rausgebracht, zur Zeit auch aus Italien, Kanada usw. Über diese Kontakte und durch die internationalen Kooperationen mit anderen Labels, die wir auch sehr schätzen und gerne machen, sind wir eben Teil von einem internationalen Netzwerk, auf das wir auch permanent zurückgreifen können. Sei es, wenn wir Stände auf Festivals auch im Ausland machen – was sicherlich auch eher eine Ausnahme für ein Projekt wie unseres ist – bis hin zu persönlichen Freundschaften, die sich daraus ergeben oder politischen Kontakten, die dabei abfallen. Und da schließt sich dann auch der Kreis, sodass wir nicht nur in Deutschland verschicken, sondern knapp die Hälfte der Bestellungen aus dem Ausland kommen. Das ist eine Stärke, aus der ich auch persönlich sehr viel ziehe. Dass man über dieses Netzwerk wirklich den Horizont, obwohl wir hier in Kiel-Gaarden unseren Laden haben, total erweitert.

Für das Ausland macht ihr Mailorder und geht vielleicht mal auf ein Festival, aber ihr macht doch nicht den Vertrieb für eure Bands in Frankreich, oder?

Morten: Niko als Betreiber des alten Fire and Flames hatte noch Kooperationen mit Läden beispielsweise in Paris, wo dort dann T-Shirts verkauft wurden. In Teilen konnten wir das aufrecht erhalten, aber eigentlich ist das ein bisschen eingeschlafen, bzw. es fällt uns schwerer, diese Kontakte so offensiv aufrecht zu halten. Das liegt vielleicht daran, dass es immer weniger Läden gibt. Anfangs war es sogar so, dass noch mehr Bestellungen international kamen und dass Fire and Flames international viel mehr angenommen wurde und für mehr Aufsehen gesorgt hat als in Deutschland. Das sind natürlich die geilen Momente – von wegen unbezahlte Arbeit und politische Arbeit, die ja immer unbezahlt ist – diese Möglichkeit und dieses internationale Netzwerk zu haben und da Leute zu treffen und zu hören: „Fire and Flames – cool“. Und die dann manchmal noch über Niko erzählen oder noch andere Verbindungen haben. Das hat mir in den letzten fünf Jahren auch die Kraft gegeben, wenn die lokale Arbeit ein bisschen bleiern war, dass man da den Blick über den Tellerrand hinaus und auch einen authentischen Blick hatte, was die Genoss_innen in dieser oder jener Stadt gerade machen.

Würdet ihr sagen, dass sich der regionale Fokus verändert hat, seit ihr Fire and Flames übernommen habt?

Onni: Die Kontakte nach Italien, Frankreich, Kanada oder in den spanischen Staat sind noch die klassischen, die wir aufrechterhalten und zum Teil auch erneuert haben. Was neu dazugekommen ist und sicherlich auch zu den bekanntesten Sachen gehört, die das neue Fire and Flames so rausgehauen haben, sind die osteuropäischen Bands, Moscow Death Brigade, What We Feel und Mister X. Moscow Death Brigade ist mit Abstand die bekannteste Band von uns zur Zeit. Das Osteuropa-Ding ist also neu und auch in Deutschland haben wir ein paar Bands.

Wieviel verkauft ihr von Moscow Death Brigade?

Onni: Gute Frage. Gepresst haben wir von dem aktuellen Album jeweils 2.000 CDs und 2.000 LPs in der Erstauflage. Die gehen jetzt langsam zur Neige. Wir haben sonst in dieser Größenordnung nichts Vergleichbares für eine Erstauflage, aber wir waren uns auch sicher, dass die auch weggehen. Das ist aber auch ein absolutes Verdienst der Band, wir machen bei Moscow Death Brigade nicht wahnsinnig viel anders, als bei unseren anderen Bands. Die sind einfach sehr umtriebig, machen sehr viel in Eigenregie und es ist auch eine sehr gute Zusammenarbeit. Wir können mittlerweile sehr dankbar sein, dass die Bock haben, das mit uns zu machen.

Lizensiert ihr fertige Platten? Wie macht ihr das, wenn jemand aus Frankreich oder Russland kommt, um eine Platte zu machen?

Morten: Das ist sehr unterschiedlich. Manchmal haben die Bands die Sachen schon fertig und kommen dann auf uns zu und dann ist meistens die Frage, ok, mit welchen Labels noch? Weil es oftmals schwierig ist, allein eine komplette Auflage zu stemmen und dann fragen wir eigentlich auch immer automatisch, ob die Bands noch Bock auf andere Labels haben und aktivieren wieder dieses Netzwerk nach Frankreich, Italien usw. Manchmal ist es aber auch so, dass Sachen noch nicht im Kasten sind und man spricht das dann mit der Band ab, ob die Bock drauf haben, Sachen mit uns rauszubringen. Aber meist liefern die eigentlich schon die fertigen Aufnahmen ab und wir übernehmen dann ab dem Punkt, übernehmen dann die Presse usw.
Onni: Klassische Lizenzveröffentlichungen hat es aber auch schon gegeben, z.B. die Obrint-Pas-Platte, die das alte Fire and Flames gemacht hat, die wurde dann auch nur in Deutschland vertrieben. So etwas machen wir aber nicht. Die meisten unserer Bands haben eine völlig überschaubare Größe und der Vertrieb wird eben dadurch sichergestellt, dass wir mit diesem internationalen Konglomerat an Labels zusammenarbeiten. Meist übernimmt dann eins dieser Labels die Pressung und schickt die fertigen Platten dann in die anderen Länder. Wir finanzieren das dann gemeinsam und sprechen uns ab.

Ab hier gleitet das Gespräch dann kurzzeitig ab in Spezialbereiche wie Gema und Zoll, die vielleicht nicht ganz so interessant zu lesen sind und als Fragenkomplex von mir hätten besser vorbereitet werden müssen. Deshalb wieder zu den großen philosophischen Fragen…
Einerseits rechtfertigt ihr euch ja so ein bisschen: „Naja, wir ziehen auch ein wenig Geld raus.“ Wie ist denn für euch das Verhältnis zwischen Punk Rock und Kommerz in dem Moment, wo ihr euch hier wirtschaftlich betätigt? Wie fühlt sich das für euch an, so was zu machen? Also mit dem, was man vielleicht sowieso schon immer gemacht hat, noch mal auf eine ganz andere Art einzusteigen?

Onni (lacht): Das ist eine schwierige Frage die ich aber auch ein bisschen müßig finde. Natürlich…
Punk Rock ist erst mal DIY und mein Zugang zu Punk Rock hatte nie auch nur im weitesten Sinne mit Geld verdienen zu tun. Das heißt, wir haben Konzerte veranstaltet, ich hab auch jahrelang, bevor wir mit dem Ding hier angefangen haben, Konzerte gemacht, wo wir ausschließlich in Läden wie der alten Meierei veranstaltet haben. Also dort, wo niemand irgendwas verdient hat usw. Das ist erst mal der Ausgangspunkt, von dem ich komme. Natürlich, Platten haben zu kosten, was sie in der Produktion kosten und nicht mehr. Nichtsdestotrotz ist das natürlich erst mal eine Haltung, die entstanden ist in einer Zeit, wo man ein ganzes Leben mit Punk Rock, DIY und so weiter bestreiten konnte und wo es möglich war, durch eine bestimmte Art von sozialstaatlicher Absicherung in Deutschland, ohne Lohnarbeit über die Runden zu kommen und dafür die Zeit sinnvoll zu nutzen. Um Konzerte oder was weiß ich zu veranstalten oder Platten rauszubringen. Das ist leider oder de facto vorbei heutzutage. Das merkt man, finde ich, allerorten, auch in der politischen Arbeit, wo ja sowas wie Entschädigung, zumindest in den politischen Milieus aus denen ich herkomme, eigentlich nicht vorhanden und auch tabu ist. Da merkt man natürlich, dass dieser Mangel an Zeit auch schwierig zu kompensieren ist. Das ist jetzt für mich keine Rechtfertigung zu sagen, unsere ganze Subkultur und unsere ganze Politik sollte jetzt kommerzialisiert werden. Wenn es irgendwie möglich ist, will ich schon das, was man gemeinhin freie Zeit nennt, auch voll und ganz oder zu großen Teilen in das stecken wofür ich kämpfe oder was ich liebe. Bei Fire and Flames halten sich meine Gewissensbisse derzeit noch in Grenzen, weil es eben ein klassischer Fall von Selbstausbeutung ist und gar nicht so ist, dass ich mir hier jetzt einen Luxus finanziere, sondern das ist ein realer Posten, mit dem ich am Ende des Monats meine Miete bezahlen kann. Das ist dann gar nicht das Verhältnis von Punk Rock zu Kommerz, das ist glaube ich schwieriger. Andererseits bin ich natürlich auch lohnabhängig, quasi Arbeiter, muss zusehen, dass ich meine Arbeitskraft verkaufe wie viele andere auch. Das tue ich an anderen Orten und das tue ich natürlich auch hier. Das ist eine andere Perspektive, die ich hier auch einnehmen kann und dass ich natürlich denke, dass in Verhältnissen stecke, wo Arbeit entlohnt wird und entlohnt werden muss, weil ich für alles bezahlen muss usw. Dass ich mir das eben gar nicht aussuchen kann und dass ich natürlich zusehe, für meine Arbeit das reinzukriegen, was ich zum Leben benötige. Und mit vielen, vielen Abstrichen, die ich ja schon benannt habe, wende ich das auch hier an. Klar, wenn ich einen Großteil meiner wöchentlichen Arbeitszeit in dieses Projekt stecke, komme ich gar nicht umhin, dass da auch was zurückkommt.
Morten: Ich kann mich da grob anschließen. Tatsächlich ist Fire and Flames ja auch mehr als Punk Rock. Das ist ja mehr als Distro mit ein paar Cassetten und mehr als ab und zu mal ein Konzert machen. Einzelpersonen können hier mehr als 40 Stunden in der Woche arbeiten und zu viert machen wir hier hunderte Stunden im Monat und haben die Funktion eines Bücherladens, eines Klamottenladens, eines Musikvertriebs, eines politischen Ladens, also einer politischen Anlaufstelle. Deshalb habe ich mich an dem Punkt, an dem wir uns gerade befinden, mit dieser minimalen Entschädigung, bis jetzt auch gar nicht nach diesem Widerspruch gefragt, ehrlich gesagt. Der kann für mich sehr schnell auftauchen an kleinen Punkten wie, „wie hoch sind die Plattenpreise?“ Und das ist ein Punkt wo wir uns unterscheiden von anderen, auch linken Labels, die dann mit professionelleren Strukturen kooperieren, wo die Plattenpreise ganz schnell sehr, sehr hoch werden. Das ist jetzt kein Vorwurf, dass die sich ausverkaufen, aber natürlich sind das so ein paar Stellschrauben, die man hat und die haben wir auch immer zu Gunsten von DIY gedreht. Wir haben uns zum Beispiel gegen eine Zusammenarbeit mit Broken Silence entschieden. Das war z.B. auf dem Tisch, als es um das zweite MDB-Album ging, um eine Professionalisierung des Vertriebs und natürlich will Broken Silence auch ein breiteres Publikum erreichen. Es gab Leute bei uns, die dafür waren, einfach um zu wachsen, aber es gab auch ein paar Leute, die dagegen waren, denn eigentlich haben wir keinen Bock drauf, das unsere Mucke bei Amazon landet oder bei Saturn. Wir haben auch keinen Bock, dass eine Platte jetzt 18,- kostet, weil Broken Silence da sonst so viel Geld rauszieht. Das sind dann so Punkte, an denen wir schon den Punk Rock-Weg gehen oder den DIY-Weg wählen mit dem Spielraum den wir haben.
Onni: Unsere Vertriebsstrukturen sind komplett Underground.

Wenn man sich in der Generation vor uns umguckt, z.B. im Sozialpädagogik-Bereich, dann gibt es ja schon eine Menge Leute, die sich ihre Antifa-Arbeit in eine reguläre Beschäftigung überführt haben, was ja als persönliche Lebensgestaltung auch völlig legitim ist. Das führt dann aber auf Dauer auch dazu, dass Leute Sachen nicht mehr umsonst machen, weil sie ja an anderer Stelle dafür bezahlt werden.

Onni: Ein Punkt, wo wir auch solche Linien ziehen, sind unsere Konzerte. Zumindest die Konzerte, die wir in der Alten Meierei machen, sind komplett abgekoppelt von unseren sonstigen Abrechnungen. Das machen wir ganz bewusst und auch, weil es natürlich eine Bedingung ist, dort Konzerte machen zu können. Als Linie, dass dort eben keine kommerziellen Gewinne erwirtschaftet werden, vertreten wir das auch 100%ig. Deswegen sind die Kassen, von unseren Konzerten und unserem Festival völlig separat.

Wir diskutierten anhand von lokalen und überregionalen Beispielen noch ein wenig weiter an diesem Punkt, wobei Morten seine Erfahrungen aus Katalonien ins Spiel brachte, wo in selbstverwalteten Strukturen deutlich häufiger als in Deutschland auch bezahlte Tätigkeiten zur Aufrechterhaltung des Betriebs existieren.
Ihr habt einen Schwerpunkt auf Streetpunk und vielleicht bisschen Hip Hop. Inwiefern ist das eine Nische, in der ihr euch bewegt und inwiefern spiegelt das wider, was ihr selbst an Musik hört?

Onni: Also, einerseits spiegelt das weitestgehend auch (zwar nicht bei allen im Kollektiv) den persönlichen Geschmack erst mal wider und ist eben auch nicht ganz zufällig. Die stilistische Ausrichtung ist eine Sache die wir mit übernommen haben, die wir aber auch selber vertreten. Das Netzwerk, von dem wir sprachen, ist nicht zufällig, sondern ist sehr stark angedockt an die Redskin-Szene, an RASH-Strukturen usw. Daraus ergibt sich der stilistische Fokus der Veröffentlichungen: Streetpunk, Hardcore, aber auch Hip Hop. Wir sprechen immer von „straßenkulturellen“ Gruppen oder Künstler_innen, wobei ich sagen würde, das Hip Hop-Ding ist eine Öffnung, die wir mit der neuen Generation vorgenommen haben. Wir sehen ja auch, dass in heutigen Jugendkulturen Rap eine deutlich größere Bedeutung hat als Oi! Punk. Es geht uns ja auch um das Politische, darum, Leute zu erreichen usw. Wenn wir das ernst nehmen, dass wir wirklich auch Jugendbewegung oder nachfolgende Generationen an politisierten Subkulturen mitdenken wollen, dann kommen wir gar nicht darum herum und zusätzlich trifft es auch noch den Geschmack von einigen von uns. In dieser Hinsicht sind Moscow Death Brigade für uns eine ideale Symbiose, weil die einerseits einen Punk-, Skinhead-, oder sonst was Background haben, aus dem Hardcore kommen, aber sich stilistisch total geöffnet haben und Hip Hop, und mittlerweile auch Techno-Einflüsse mit rein nehmen. Das funktioniert auch deshalb so gut, weil es eine Verbindung von Kulturen und Generationen schafft, wo man Altes mit Neuem so ein bisschen verbindet.
Natürlich spiegelt das Label unseren musikalischen Geschmack oder unsere Sozialisierung total wider, aber es ist auch kein Zufall, dass wir oft Projekte mit Leuten machen, die wir in politischer Hinsicht korrekt finden und die wir auf einer menschlichen Ebene schon kennen und dadurch ergeben sich Projekte. Und natürlich bewegt sich das aber auch wieder in diesem musikalischen Umfeld.

Hip Hop ist, wie ich merke, noch ein bisschen außen vor. Das ist irgendwie ja auch noch eine ganz andere Szene, auch wenn die heute sicherlich nicht mehr so separiert sind wie in den 90er oder 00er Jahren.

Morten: Also ich find Rap auch total geil. Zwar hab ich schon mit Oi! Punk angefangen, zwischendrin aber immer auch so Rap-Phasen gehabt und finde das immer noch geil. Ich glaube, es ist einfach noch schwieriger für uns, Projekte zu finden, die wir releasen können. Es ist leichter, Streetpunk oder Oi!-Bands zu finden als Rap-Projekte, die sich sowohl musikalisch als auch inhaltlich mit uns decken.

Weil man die suchen muss, oder weil man gar nicht so den Einblick in die Szene hat?

Beides! Genau! Also erstens, dass die vielleicht nicht in dem geschilderten Umfeld herumschwirren, und zweitens, andersherum, dass die uns vielleicht auch nicht so auf dem Schirm haben.
Onni: Viele Releases, die wir machen, ergeben sich wie gesagt automatisch, weil wir z.B. von der Band X aus Italien eben der erste Ansprechpartner in Deutschland sind, weil wir uns irgendwo getroffen haben innerhalb des Netzwerkes. Es gibt natürlich auch den Fall, dass wir eine gute Band finden und uns sagen, hey, die schreiben wir jetzt an. Aber meistens ist der Kontakt in irgendeiner Form schon da. Dieser Automatismus fehlt uns in anderen Stilbereichen noch, da müssen wir tatsächlich erst suchen. Zum Beispiel den Kontakt zu Moscow Death Brigade. Die kommen natürlich auch aus diesem Szene-Umfeld, in dem wir auch drin sind. Da haben wir die die „Hoods Up“-Ep, damals noch als Online-Release, entdeckt und dachten, das muss auf jeden Fall gepresst werden und das passt total gut zu Fire and Flames.
Morten: Das war eines der ersten Male, dass wir eine Band angeschrieben haben.
Onni: Unausgesprochen, oder vielleicht nur halb ausgesprochen ist bei Fire and Flames dieser RASH-Gedanke im weiteren Sinne, also politische Straßensubkultur zu pushen. In all den Szenen, in denen wir als Label angedockt sind, ist das aber in der Regel erst mal nur eine Randnotiz. Das ist in anderen Ländern zwar nicht ganz so, aber in Deutschland, wo es uns nun mal gibt, schon. Das ist ein bisschen der Auftrag, den wir übernommen haben, diese Idee auch lebendig zu halten. Sich nicht nur krampfhaft nach Neuem oder Sachen, die sich verkaufen lassen, umzugucken, sondern auch die Kultur, der wir ja selber total viel verdanken, am Leben zu erhalten und wieder weiterzugeben. Deshalb wird auch dieses Street-Punk usw.-Ding immer ein zentraler Aspekt von Fire and Flames bleiben. Wobei wir da zwar kein Alleinstellungsmerkmal haben, die Zahl der Labels, die diese Art von linksradikalen, antifaschistischen Oi!-Street-Punk überhaupt so explizit bedienen, ist aber überschaubar. Wir finden das sehr erhaltenswert.

Wie nehmt ihr die Altersstruktur in der Szene wahr? Punk Rock ist ja eine alte Szene, es kommt nicht mehr so viel nach, wie vielleicht noch vor 15 Jahren. Die Hip Hop-Szene ist wahrscheinlich deutlich jünger. Wie nehmt ihr das wahr? Und wie schlägt sich das in euren Veröffentlichungen nieder. Während andere Szenen mittlerweile komplett im Netz stattfinden ist das bei der dem physischen Tonträger verhafteten Punk-Szene ja nicht unbedingt der Fall.

Morten: Sowohl vor Ort als auch international haben wir schon gemerkt, dass die Redskin oder RASH-Szene stark gealtert ist. In Städten, die vor 10, 15 Jahren noch Hochburgen waren, sind heute vor allem noch die Älteren übrig. Da kommt eigentlich kaum Nachwuchs. Ein paar Ausnahmen gibt es, z.B. Montreal; die haben es geschafft, eine relativ vitale Szene zu entwickeln mit vielen jüngeren Leuten. Das kann man natürlich von gesellschaftlichen Entwicklungen nicht abkoppeln, wo andere Subkulturen plötzlich wichtiger geworden sind, vielleicht auch solche, in denen man sich einfacher, weil nihilistischer bewegen kann und zu konsumieren, die eher der Postmoderne entsprechen. Da haben viele eine Erneuerung verpasst. Wir haben natürlich auch gemerkt, dass Oi! oder Streetpunk-Konzerte in Kiel schon mal beliebter waren, dass viele jüngere Leute nicht mehr gekommen sind und dass man strugglen musste, 100 Leute für ein eigentlich total geiles Konzert zu mobilisieren. Z.B. als in der Meierei Newtown Neurotics und Attila auftraten und es sind dann nur 25-30 Leute gekommen und du weißt nicht warum – weil du die selbst total feierst und es total geil findest, dass sie da sind. Das ist dann sozusagen nicht mehr generationenübergreifend vermittelt worden. Und damit komme ich wieder zu lokalen Arbeit. Ich habe das Gefühl, dass wir das gerade wieder ein bisschen aufgebrochen haben dadurch, dass wir einfach total präsent sind, dass wir diesen Laden haben als Anlaufstelle und dadurch, dass es gerade eine neue Politisierung jüngerer Leute gibt, z.B eine Antifa-Jugend oder auch wieder viel mehr jüngere Leute, die zu Demos gehen, die sich wieder mehr mit Sachen auseinandersetzen. Und auch wieder Subkultur und Punk wieder geiler finden. Da dienen unsere Konzerte als Ankerpunkt. Letztes Jahr, vielleicht auch schon vorletztes Jahr war auf unserem Festival zu sehen, dass wieder vermehrt jüngere Leute im Pogo waren. Das gilt nicht nur für uns, sondern für alle Konzerte im letzten Jahr und auch bei anderen Konzertgruppen. Da können gesellschaftliche Trends unterlaufen werden dadurch, dass man lokal eine solche Arbeit macht. Irgendwie schafft man es eben doch wieder.
Onni: Grundsätzlich hasse ich ja diese gemeinsam alternden, nostalgischen Punkkonzerte, wo nichts mehr da ist, wo einfach Ü40 Leute, zu denen ich ja mittlerweile auch fast gehöre, noch mal zusammenkommen und die alten Lieder hören, wo eigentlich nichts mehr bleibt und wo sich niemand so richtig was zu sagen hat, außer über die erste Platte dieser Band zu labern. Ich finde, solche Reunions machen nur dann Sinn, wenn es wirklich oder auch für Leute ist, die eben nicht die Gelegenheit hatten, die vor 30 Jahren zu sehen. Und dann macht es auf einmal Sinn, wenn da was weitergegeben wird, wenn Generationen zusammenkommen und irgendwas weiterlebt. Und das funktioniert bei uns zur Zeit dadurch, dass wir irgendwie stilistisch übergreifend sind und diese verschiedenen Pfeiler haben von Laden, Konzert, Label usw. Da bringen wir dann einiges zusammen, was zufällig nicht zusammenfinden würde.

Welche Rolle spielt Online euren Releases in der Vermarktung? LPs sind ja doch noch eine spezielle Form von Ware und Kulturgut, für CDs gilt das nicht in gleicher Weise, die sind ja doch eher ein Wegwerfprodukt. Wie nehmt ihr das wahr?

Morten: Wenn ich so überlege, wenn wir so an Ständen stehen: Wer sind denn überhaupt die Leute, die LPs kaufen? Das sind ja meistens auch nicht die 16-jährigen, das sind eher die Ü28-Ü35jährigen, die dann dort durchblättern und die größeren Stapel LPs kaufen. Gerade bei Vinyl-Kauf lässt sich so eine Altersstruktur ganz gut ablesen.

Man ist vielleicht ja auch schon mit dem Auto da, und kann die Platten dann vielleicht auch besser nach Hause tragen.

Morten: … und hat mehr Geld… Natürlich. Dass muss man ja auch sagen: Wenn 15jährige Musik streamen können ohne Ende und sich nicht mehr `ne Platte für 15 oder 20 Mark bestellen müssen, ohne zu wissen, was dahinter steckt, passt das natürlich besser in die Lebensrealität.
Onni: Promo geht natürlich ohne Internet gar nicht, jedes Release kündigen wir als erstes im Internet an und wird auch darüber vertrieben usw. Wir schalten zwar auch noch Anzeigen in Fanzines, das ist uns schon ein Anliegen, das machen ja auch nicht mehr alle, aber der Hauptteil der Werbung läuft übers Internet und ist natürlich der schnellste Weg und erreicht auch am meisten. Beim Vertrieb von Digitalmusik sind wir eher am Anfang, ich persönlich habe da überhaupt keinen Bezug zu. Zwar hör ich mir natürlich Sachen an, um einen Eindruck von einer Band zu bekommen, aber eigentlich hasse ich es zu streamen, weil ich dann nicht den gleichen Bezug zur Musik aufbauen kann. Das klingt zwar platt und abgedroschen, ist aber einfach meine Erfahrung. Deshalb bin ich da persönlich nicht so hinterher. Aber andere hier sehen natürlich schon, dass das `ne totale Relevanz hat, weil es mittlerweile die übliche Art ist, Musik kennenzulernen und zu konsumieren. Wir fangen deshalb mittlerweile auch an, unsere Releases auf Spotify rauszuhauen. Umsatzmäßig hat das überhaupt keinen Stellenwert, das ist auch nicht das Kalkül dahinter, sondern dass wir die Musik verfügbar machen wollen gerade für Leute, die eine Band einfach mal kennen lernen wollen. Kommerziell betrachtet hat das eher einen Werbeeffekt, wir hoffen darauf, dass die Leute das Album dann wirklich bestellen. Unser Schwerpunkt liegt also deutlich auf den physischen Tonträgern, wobei sich das sicherlich zwangsweise in den nächsten Jahren ändern wird.

Andere Szenen sind ja da schon komplett raus, dort gibt es dann ja gar keine CDs mehr. Ihr habt aber immerhin noch die Hälfte von dem MDB-Album auf CD gepresst. Ich finde erstaunlich, dass es überhaupt noch so viele Käufer_innen für CDs gibt (außer, wenn man auf ein Konzert geht und sich die CD dann besser in die Tasche stecken kann).

Onni: Das habe ich auch gedacht bis ich hier angefangen habe und nur die Konsumentenperspektive kannte. Ich selber kauf mir keine CDs und hab es auch nie ernsthaft getan, es sei denn, sie wurden mir zugeschmissen oder ich habe sie irgendwo günstig geschossen. Aber hier habe ich festgestellt, dass es wirklich Leute gibt, die sich festgelegt haben auf das Format CD und das wahrscheinlich auch den Rest ihres Lebens machen werden. Die haben vor 15, 20 Jahren angefangen auf das praktische Format CD zurückzugreifen. Es ist wirklich so, dass es manchmal Bestellungen gibt, wo Leute 10 CDs bestellen.
Morten: Über die wir uns dann auch sehr freuen.
Onni: Genau! Mittlerweile finde ich die CD dann auch – ich neige dazu, das, was nicht angesagt ist, sympathischer zu finden. Mittlerweile hab ich wirklich `ne Sympathie für die CD und für Leute, die auch CDs kaufen, weil mir der Vinyl-Hype total auf die Nerven geht. Ich habe angefangen Vinyl zu kaufen und zu hören, als es das totgesagte Medium war und 25 Jahre später ist das das geile neue Ding und dadurch bin ich von der Haltung her quasi zum CD Käufer geworden und hab Lust zu sagen: „Ich kauf jetzt CDs! Scheiß auf Vinyl!“

Sehe ich ähnlich, aber dann müssten sich die Preisstrukturen ändern.
Wie entscheidet ihr, ob euch die Haltung einer Band zusagt? Ich habe einerseits das Gefühl, gerade der Streetpunk-Szene und dem RASH- und Oi!-Bereich ist Haltung total wichtig – weil man sich auch abgrenzen muss und weil daneben vielleicht auch schon ein Abgrund in Richtung Grauzone ist. Andererseits kann man aber ja auch nicht ausschließlich Liedtexte heranziehen um zu sagen, dieses oder jenes finde ich jetzt von der politischen Aussage her gut. Wie entscheidet, ob ihr mit Leuten zusammenarbeiten wollt?

Morten: Wie gesagt, kommen viele unserer Releases eher durch Begegnung zu Stande. Wir kennen die Leute meist schon irgendwie und können die schon ein bisschen mehr als oberflächlich einschätzen. Also kein anonymer Kontakt, wo uns Leute die Musik schicken und wir lesen dann nur die Lyrics. Oftmals kommt man auch über das Politische ins Gespräch. Das ist dann ein einfacher Fall, weil da weiß man, das sind Genossen und Genossinnen, denen kann man im Zweifel auch vertrauen. Bei den Promosachen, die uns zugeschickt werden, sind es für mich so Buzzwords wie „Anti-Fascist“ o.ä., wo ich noch ein zweites Mal drauf gucke. Und dann höre ich mir die Musik an, lese die Lyrics und schaue, ob es irgendwelche Bindeglieder, kennen Bekannte von uns die vielleicht? Ich gucke dann noch, was man noch im Internet über die findet und so puzzelt sich dann zwar kein ganz vollständiges Bild zusammen, aber man bekommt zumindest eine Einschätzung. Oft ist es aber eher so wie bei Malatesta z.B. Mit denen hatten wir zuvor schon Konzerte gemacht und die wirklich kennen gelernt und so war es für uns auch keine Frage, ob wir mit denen eine Platte machen wollen.
Onni: Es ist ja nicht so, dass wir nur den einen Typus an Band haben. Wenn man sich das politisch anguckt ist das, was alle Bands verbindet, ein antifaschistisches Selbstverständnis und dass alle irgendwo in der Linken zu verorten sind. Aber da decken wir tatsächlich fast alle Nuancen ab. Das geht von einer Band, die sich gar nicht explizit als politisch versteht wie MDB (aber durchaus politische Werte nach Außen vertritt und eben auch aus dem antifaschistischen Selbstschutz einer Subkultur kommt) bis hin zu Bands mit einer explizit politischen Programmatik wie z.B. aktuell Urban Vietcong, die eine eindeutig kommunistische Band sind. Da gibt es eine große Bandbreite und teilweise auch politische Widersprüche, die wir aber innerhalb dieses kulturpolitischen Projekts sehr, sehr gerne aushalten und hier auch eher Brücken schlagen wollen als zu trennen. Die idealtypische Band für uns ist eine, die eine klare politische Haltung und auch eine politische Programmatik vertritt, die richtig gute Musik macht und liebenswürdige Menschen sind. Und sich bestenfalls noch irgendwo innerhalb unseres Netzwerkes bewegt, wo wir denen schon mal begegnet sind. Es muss aber nicht jede Band jedes dieser Merkmale erfüllen. Es gibt auch Bands, mit denen haben wir gar nicht so enge persönliche Bindungen, wobei dann aber die anderen Sachen eher zutreffen. Und wir haben natürlich auch schon Bands gemacht, die jetzt nicht ausschließlich politische Texte haben, wo wir aber wissen, dass die sich unser Label bewusst ausgesucht haben, weil ihnen wichtig ist, sich damit zu positionieren. Und das finde ich ebenso sympathisch.

Ein bisschen ketzerisch gefragt: Hilft euch da eure internationalistische politische Einstellung, weil man sich dann gar nicht so sehr in diesem deutschen Szene Klein-Klein sowohl musikalisch als auch politisch bewegt? Hilft das dann auch, über Differenzen hinwegzusehen oder die gar nicht erst zu suchen, weil man dort dann nicht so tief drinsteckt?

Onni: Das vereinfacht das natürlich. Wenn ich, angenommen, mit einigen Bands jede Woche auf einem Treffen sitzen würde und permanent politische Dissense ausfechten müsste, weil die einfach einer anderen politischen Linie angehören, würde ich sie vielleicht auch irgendwann nerviger und unsympathischer finden und hätte dann vielleicht auch keinen Bock mit denen eine Platte zu machen. Über die Distanz ist das natürlich „Aushaltbarer“, aber auch wiederum befruchtender, weil man gerade auch in diesem Szene Klein-Klein – lokal, regional, in dem man sich meist bewegt, gerade dadurch noch einmal eine gewisse Distanz gewinnen kann. Das ist ja nicht nur negativ.

Ihr macht ja relativ viel auf Facebook und das ist dann auch der Ort, wo ihr euch als Label politisch äußert. Wie organisiert ihr, was ihr dort macht? Oder ist das dann die Person, die gerade am Rechner sitzt? Dort ist ja vielleicht schon Abstimmung notwendig, oder? Seid ihr euch so in allem einig, dass dort jede_r freie Hand hat?

Morten: Vorweg: Eigentlich haben wir gar keinen Bock, so übermäßig präsent auf Facebook zu sein. Wir kommen aber gar nicht umhin, dort eine Präsenz zu haben. Das macht mich manchmal auch fertig, wie schnell das immer alles geht und wie sehr du dranbleiben und wie viele Posts du machen musst, damit das irgendwer sieht und wie wenig Leute das teilweise sehen und keine_n interessiert es wirklich. Ich finde es auch total nervig, sich immer daran messen zu lassen, wie viele Likes mein gefühlt total wichtiger Post jetzt (nur 3!) hat. Gleichzeitig verfalle ich oftmals in genau eine solche Haltung. Ich versuche dann immer, daraus den gesellschaftlichen Stand abzuleiten. Das ist einer der Widersprüche, die wir auch aushalten – auf Facebook zu gehen (man kennt die ganze Kritik, die ist berechtigt und so). Wir schalten da auch teilweise bezahlte Werbeanzeigen um irgendwie mithalten zu können und uns auszuweiten. Das ist vielleicht so ein Keim von Professionalität, den wir uns da einreden. Aber wir machen das nur bei Neuveröffentlichungen, manchmal bei Klamotten, aber vor allem bei CDs und Vinyl. Das sind wir eben auch einer Band schuldig, das fällt unter Promotion oder Marketing – und unter dieser Prämisse kann man das auch aushalten, so einer Firma wie Facebook Geld zu geben. Das Daily-Facebook-Life ist eher wenig abgesprochen oder koordiniert, das sind eher die zwei Personen, die das machen. Und es geht schon darum, was wichtig ist, was jemand gerade im Kopf hat gerade drüber stolpert, was man teilen sollte. Abgesprochen werden eher Posts zu neuen Releases, da werden dann Fotos gemacht und auch mehr Arbeit reingesteckt. Alles andere ist eher spontan und natürlich auch ein Vertrauensvorschuss innerhalb des Kollektivs. Und da gab es auch noch nie die Situation, dass wer gesagt hat: „Ey, was hast du denn da geschrieben. Was sollte das?“
Onni: 2x gab’s das!
Morten: Ja?
Onni: Unsere tägliche Präsenz, wenn man alle Kanäle betrachtet, ist auf Facebook sicherlich am größten und da haben wir auch den höchsten explizit politischen Output. Das hat sich wahrscheinlich dadurch ergeben, dass FB das relevanteste soziale Medium war, als wir mit Fire and Flames angefangen haben. Das hat zwischenzeitlich ja abgenommen, deswegen ist es auch nicht mehr zeitgemäß. Natürlich, und das ist ja die ganze Scheiße, die an Social Media dranhängt, ist es uns aber auch wichtig, dort die verschiedenen Etiketten, die man uns politisch aufkleben kann, zu konkretisieren. Wir versuchen auch nicht beliebig zu sein, in dem, was wir über Facebook raushauen, sondern vor allem erst mal ein Gespür zu schaffen bei den Leuten, die uns, aus welchen Gründen auch immer, dort folgen, dass Politik eben mehr ist, als ein T-Shirt mit einem mehr oder weniger politischen Aufdruck, sondern, dass da vor allem Organisierung und auch eine Praxis dranhängt. Das heißt, wir verbreiten ja selten irgendwelche Bilder, wo ein politischer Spruch draufsteht, sondern wir versuchen, uns eher zu beziehen auf konkrete politische Mobilisierungen, die wir richtig finden, auf politische Projekte, die wir unterstützenswert finden usw. Wir versuchen also eher, konkrete politische Statements zu machen und da ist sicherlich der Vorteil, dass wir nicht alles absprechen. Das funktioniert auch deswegen, weil wir alle eine langjährige gemeinsame Erfahrung politischer Organisierung haben, wo wir viele Standpunkte teilen oder uns auch einfach einschätzen können. Bei der Fülle an Posts gab es tatsächlich mal ein oder zwei Sachen, wo ich dann mal abgemahnt wurde, dass das jetzt aber ein bisschen zu weit ging. Passiert! Und ist Vorteil und Nachteil zugleich von so scheiß Kanälen. Morten hat das ja eh vergessen, deswegen ist der Schaden auf solchen Kanälen ja auch geringer. Ich denke, wenn wir wirklich als Fire and Flames-Kollektiv irgendwas Dringendes zu sagen hätten, dann würden wir das auch noch mal auf anderen Wegen verbreiten und dann würde wahrscheinlich auch unser Name darunter stehen. Das haben wir auch ein paar Mal gemacht aber da ist dann Fire and Flames in der Regel nicht die erste Struktur, sondern da sind wir auch angebunden an unsere politischen Strukturen.

Müsst ihr, wenn ihr als Kollektiv nach Außen geht dann aufpassen, mit wem ihr zusammenarbeitet, im Vorfeld recherchieren usw.? Gerade im Streetpunk oder Oi!-Bereich ist ja auch manchmal der Abgrund recht nah. Gerade bei Kooperationen auf Festivals z.B.

Onni: Das ist ein stetiger Aushandlungsprozess, wo wir da die Grenzen setzen. Es gibt Sachen, die sind eine sichere Bank, weil sie sich auf unserem abgesteckten Terrain befinden. Da ist es ganz klar, weil wir alle Bands kennen und die Veranstalter usw. Es gibt aber auch Sachen, auf die lassen wir uns auch bewusst ein, weil wir eine Tendenz in der RASH-Szene sehen, erwachsen aus dieser Grauzonen-Debatte, die sich für unser Verständnis von politischer Arbeit manchmal zu sehr abgrenzt und damit jeglichen Kontakt zu nicht explizit linksradikalen Teilen der Szene verliert. Damit ist nicht die Abgrenzung zu rechten Tendenzen gemeint, die ist ja völlig selbstverständlich und auch völlig berechtigt, weil es so viel Dreck gibt. Das kann für ein Projekt wie Fire and Flames nicht der Ansatz sein. Das ist auch generell nicht mein politischer Ansatz, das deckt sich dann auch mit der kulturpolitischen Seite. Und da ist es dann eine Abwägungssache, wenn wir auf größere Festivals gehen, wo wir nicht jede Band total geil finden oder auch politische Kritikpunkte sehen usw. Wenn für uns dann die progressiven und sympathischen Elemente überwiegen, machen wir das. Wenn für uns das aber eher einen unsympathischen allgemeinen Charakter kriegt, wo die Atmosphäre scheiße ist, wo die Veranstalter_innen Idioten sind, dann machen wir das natürlich nicht und haben auch nicht viel zu gewinnen, wenn wir maximal ein Feigenblatt sind.

Kannst du das konkreter machen?

Onni: Das letzte was wir gemacht haben, war das Back to Future-Festival in Sachsen. Das ist ein DIY-Festival mitten auf dem platten Land. Das stand in der Vergangenheit wegen einiger Bands, die dort gespielt haben, bei teilweise auch engen Genoss_innen durchaus in der Kritik und wurde teilweise auch ein bisschen der Grauzone zugeordnet. Wir sind dort durch Zufall vor einigen Jahren das erste Mal gelandet mit einem Stand. Da haben wir uns das Lineup angeguckt und gesagt, die guten Bands mit einer korrekten politischen Message überwiegen dort eigentlich und dann gibt es da so ein, zwei Ausfälle, die wir auch für kritikwürdig halten. Trotzdem wissen wir natürlich auch, dass andere Leute andere Grenzen ziehen, weil sie andere politische Selbstverständnisse haben usw. Das können wir dann auch akzeptieren und sind trotzdem dort hingefahren und haben in der Gesamtabwägung festgestellt: Wenn irgendwo auf dem platten Land in Sachsen ein Punkfestival stattfindet, wo meinetwegen auch nur 50% explizit linke Bands auftreten, dann ist das für diese Region erst mal ein totaler Gewinn und ein kulturelles Angebot, was dort auch Kräfteverhältnisse verbessern kann. Deswegen würden wir das als politisch progressiv einordnen, selbst wenn da vielleicht auch eine Band dabei ist, die ätzende sexistische Texte hat oder eine Band, die stumpfen, unpolitischen Oi! im plattesten Sinne macht. Dann spielt die dann eben dort auch, ist dann aber nur ein Bruchteil davon. Wenn das aber eben ein bis zwei von fünfzig Bands sind, dann wird dadurch der Charakter der Gesamtveranstaltung nicht runtergerissen und wir unterstützen das. Wenn dieses Verhältnis nicht stimmen würde, würden wir nicht hinfahren.
Morten: Es ist eine generelle Frage, wie man politische Aushandlungsprozesse handhabt. Wenn du sagst, ok, das könnte Widersprüche geben, dann ist es für mich nicht die richtige Antwort, sich daraus zurückzuziehen. Genau so wäre es ja auch eine Aufgabe, progressive Leute vor Ort zu unterstützen, im Zweifel um dort wieder eine Mehrheit zu werden oder politische Ausfälle auch zu isolieren im Rahmen so eines Festivals. Ich sehe das schon so, dass wir als Fire and Flames dort dann nicht nur einen Verkaufsstand haben. Wenn Fire and Flames auf so einem Festival steht, dann bedeutet das, dass ein linksradikaler Mailorder auf so einem Festival steht und dann muss man natürlich diese Rolle auch spielen und dort mit intervenieren – ohne das jetzt größer zu machen als es ist. Das kann aber natürlich vor Ort ein Faktor werden.

Führt das dann auch mal zu Anfeindungen innerhalb der Szene oder habt ihr es bislang nur positiv wahrgenommen, wenn ihr auf ein Festival gegangen seid, obwohl ihr nicht mit allem 100 % einverstanden seid?

Onni: Zu Anfeindungen nicht, wir haben in solidarischen Gesprächen aber immer wieder mal die Frage gestellt bekommen, warum habt ihr denn noch was mit der und der Band am Laufen, wenn die doch das und das gemacht haben, oder: „Warum wart ihr auf den Festivals? Das wurde dann aber auf Augenhöhe diskutiert und dann haben wir dargelegt, warum wir was machen und entweder konnte man überzeugen oder eben nicht.
Auf den Festivals selbst ist es ein paar wenige Male vorgekommen, dass unpolitische Trottel sich an der Antifa-Beflaggung gestört haben. Das finden wir erst einmal positiv, dass die das wahrnehmen und denken: Gut, dass wir hier waren. Oftmals sind das dann aber auch eher Nonsense-Gespräche, weil die Leute ja auch nicht unbedingt mehr nüchtern sind. Aber wir kommen mit den Leuten ins Gespräch und haben meist auch die Punkte auf unserer Seite, weil die Vorstellungen, die es auch in Punk-Kreisen von „der Antifa“ gibt oftmals total absurd und nicht besonders klug politisch begründet sind. Auch aus Interesse an der eigenen Subkultur finde ich es manchmal ganz spannend, da mal nachzufragen. Es gibt aber auch dieses „cool, dass ihr da seid!“ und das kommt dann von Leuten, mit denen wir auf einer Wellenlänge sind und die es richtig finden, dass das auch mal präsentiert wird, letztendlich stellvertretend für alle Linksradikalen, die dort nicht mit einem Stand unterwegs sind.

Ganz zum Schluss: Mit wem würdet ihr gerne oder hättet gerne mal als es sie noch gab eine Platte gemacht?

Morten: Kortatu!
Onni: Sehr gute Antwort, das wäre geil. Wir haben aber auch ganz viele Bands schon gemacht. […] Blaggers! Die wären zu ihren aktiven Zeiten sicherlich eine super Fire and Flames-Band gewesen.

Danke schön!

Interview: Thorsten Harbeke

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