Mai 25th, 2020

FINNLAND-PUNK-DOKUMENTARFILMER aus # 183, 2017

Posted in interview by Jan

Jyväskylän Meininki: A Punk Documentary

Irgendwie ist das hier eine Fortsetzung meines Finnland-Berichts von vor wenigen Heften (Trust #180). ‚Irgendwie‘ deshalb, weil das hier kein Bericht, sondern ein Interview werden soll und sich meine Textanteile nach diesen einleitenden Worten hier auf ein paar Interviewfragen beschränken werden. Und wer wird interviewt? Um das etwas ins Bild zu setzen, hier mal eben die Kurzversion wie’s dazu kam:

Ich hatte also auf dieser Lichtung seit einer Stunde gewartet. Einer der lokalen Punks in Jyväskylä (das liegt in Finnland) hatte mir tags zuvor in der Mitternachtsdämmerung gesagt, dass ich mich nur ruhig für 1-2 Stunden an einer Stelle aufhalten müsse und Tiere würden schon kommen und sich nach mir erkundigen. – Nix da. Kein Piep. War es naiv zu glauben, hier ein Idyll vorzufinden? Echt davon auszugehen, es würde hier schon ein Elch oder zumindest irgendein Wiesel aus seiner Deckung hervorkommen? Dass es – dann etwa noch bei Nacht – in Nordlichtern schimmernd (die lassen sich übrigens auch eher selten blicken) vor mir stehen würde und ich sagen würde: „Wow“? – Stattdessen: All mooses are dead. Scheinbar. In Brandenburg seien diese Tiere jetzt, erinnerte ich mich an eine belanglose Meldung einer Provinzzeitung einer Stadt an der Grenze zu Polen.

Ein SMS-Ton durchschnitt plötzlich die Stille, die nur hin und wieder durch das ganz ferne Röhren einer zweirädrigen Off-Road-Sportmaschine (die finnische Weite trägt!) sich grau in grau mit dem verbliebenen Tageslicht mischte. Es war Olli. Genau der Typ, der mir weismachen wollte, in Finnland gäbe es Tiere in ‚freier Wildbahn‘. Pah! Er schrieb: „Du wolltest doch wissen, wie das hier in der Stadt so mit Punk aussieht. Pass auf, es gibt da diesen Typen, Mikko, der arbeitet momentan an einer Dokumentation zu der ganzen Sache. Die kommt Mitte Oktober 2016 raus. Mit dem kannst Du dich endlos darüber unterhalten. Hier seine Nummer.“

Gesagt, getan. Wenige Tage später sitze ich mit Mikko im „Musta Kynnys“ in Jyväskylä, wir trinken teueres und schlechtes Bier, und unterhalten uns über seine Dokumentation, die er dabei ist zusammen mit einigen anderen über diese Stadt zu drehen. Ihr Name: „Jyväskylän Meininki: A Punk Documentary“. Damals (so im finnischen Spätsommer 2016) war das Teil noch nicht erschienen und ich habe von dem gesamten Abend natürlich nichts aufgenommen wegen feeling und so (typisch). Das Ganze haben wir also schön Ende 2016 (Wind in Deutschland – Winter in Finnland) über Mail nochmal gemacht. Die Dokumentation allerdings hatte ich bis dahin (in Finnisch mit englischen Untertiteln) bereits schon sehen können. Die alten Fragen veränderten sich nach diesem Seh- und Hörerlebnis natürlich nochmal und das Resultat könnt ihr jetzt hier nachlesen:

Hei Mikko! „Jyväskylän Meininki“ ist eine Punk-Dokumentation über eine Stadt in Mittelfinnland namens Jyväskylä. Lass uns vielleicht hier beginnen: Warum Jyväskylä? Warum eine Punk-Doku über genau diese Stadt?
Jyväskylä war aus vielerlei Gründen die naheliegende Wahl. Zuerst einmal war da meine eigene mittlerweile über 10 Jahre andauernde Verbindung zur Szene hier in Jyväskylä. Damit hatte ich von vornherein eine gewisse Nähe zum Thema und kannte bereits eine Menge Leute, die hier in die Szene involviert sind. Ich wusste, welche Interview-Fragen sich eignen würden und was wir über bestimmte Events oder über die Geschichte der Szene hier an Fragen stellen könnten, was ohne eine derart persönliche Verbindung dazu sonst vielleicht weniger der Fall gewesen wäre. Insofern war Jyväskylä die naheliegende und auch die einfachste Wahl für ein Dokumentationsthema, aber wir hatten eben auch die tiefe persönliche Verbindung dazu.

Die Doku war auch, in einem weiteren Sinne, ein Versuch, etwas an die Leute in Jyväskylä zurückzugeben, an die Szene in und um diese Stadt, die mir über die Jahre dabei geholfen hat, mir über die Entwicklung meiner Überzeugungen und über meine positive Sicht auf die Welt klar zu werden. In gewisser Weise also ist das eine Art Testament für diese Leute hier. Und: Jyväkylä wurde auch, zumindest meiner Meinung nach, oft sträflich übergangen, wenn Du dir etwa die verschiedenen Dokumentationen anschaust, die bisher über die Geschichte des finnischen Punks gemacht worden sind. Trotz der Tatsache, dass diese Geschichte, oder zumindest Teile davon, von verschiedensten Filmschaffenden und Autoren erzählt worden ist, konnte ich dort in keiner dieser Arbeiten sehen, dass Jyväskylä mal eingehender Erwähnung gefunden hätte.

Das hat mich irritiert, denn es kommen ja eine ganze Reihe von Bands aus Jyväskylä, die nicht nur in dieser Region oder in Finnland Punk und Hardcore beeinflusst haben, sondern das eben auch weltweit getan haben. So war mir einfach klar, dass es da eine ganze Reihe nicht erzählter Geschichten gibt, und mir war auch wichtig, etwas für unsere Szene, unser „Team“ in Jyväskylä zu machen und das Ganze sich komplett um uns drehen zu lassen, um unsere Geschichte und unsere Musik, um unsere Leute und ihre Erfahrungen und Lebensansichten. Das ist im Grunde genommen der Kern unserer Film-story.

Was würdest du sagen, ist der größere Zweck oder Nutzen von „Jyväskylän Meininki“? Vielleicht auch der Nutzen für andere Punk communities in anderen Städten dieser Welt? Warum überhaupt Punk-Dokumentationen heute? Ist nicht alles erzählt? 😉
In der Tat ist der größere Nutzen dieser Dokumentation, als Katalysator zu fungieren innerhalb einer größeren kulturellen Revolution, um es mal poetisch auszudrücken. Seit Dekaden können wir sehen, dass Kunst außerhalb von geschäftsorientierten Maschinerien existieren kann, und zwar kompromisslos. Und oft ist das auch eine viel interessantere Kunst, eine die aus dem Willen oder der Notwendigkeit entspringt, sich selber auszudrücken, etwas zu kommunizieren, ohne dass ein finanzieller Aspekt irgendeine Rolle dabei spielt. In der Punkszene, wo Tonträger, Konzerte und Touren im Grunde standardmäßig auf DIY Basis organisiert werden, ist das natürlich nichts Neues.

Ich bin fest überzeugt, dass das bei Filmen genauso funktionieren kann. Und mir geht’s dabei um eine Wirklichkeit, in der der passive Anteil bei Kunstkonsumierenden schwindet und wir alle uns dafür engagieren, den Fortbestand von interessanter Musik, Kunst, Büchern und Filmen zu sichern, die eben von uns selbst gemacht sind, ohne, dass unsere Geschichten etwa von den Industrien erzählt werden. Ein großer Bestandteil der Arbeit, die wir seit dem Filmrelease getan haben, ist, zu versuchen, Leuten klar zu machen, dass wir das alles komplett selbst gemacht haben, gerade jetzt, wo Technologie es Dir erlaubt, einen Film im Grunde mit deinem Telefon und einem Laptop zu drehen. Daran ist überhaupt nichts Magisches. Das ist nicht für „gewisse Menschtypen“ reserviert. Wir alle können sowas tun und eine message verbreiten, ohne der Hilfe kommerziellen TVs oder monopolistischer Kinos oder sonstiger traditioneller Maschinerien. Und dieser Film (und auch dieses Interview) sind lebende Beispiele dafür, würde ich sagen.

Und nein, ich glaube nicht, dass alles schon erzählt wurde. 🙂 Sicher, diese Art von Punk-Dokus, sogar jene, die eine spezielle Stadtszene portraitieren, wurden zuvor bereits gemacht, aber wie ich eben bereits sagte: wir haben eine Menge unbesungener Vorbildfiguren und Geschichten, die nun erstmals auf Kamera festgehalten worden sind. Und auch, wenn die Dokumentation gewisse lang und breit bekannte Themen streift, wie etwa „Was ist Punk und was gibt es Dir?“, so hängt doch das Ergebnis und das, was Du davon mitnimmst, stets viel von der Perspektive der Person ab, der etwas passiert ist und die versucht das in Sprache umzusetzen. Selbst wenn also die Themen und Gefühle oft ähnlich sind, so sind doch die Antworten immer einmalig und individuell und haben dabei immer auch einen greifbaren und universellen Sinn für die Personen selbst.

Die Dokumentation heisst „Jyväskylän Meininki“, benannt nach einem Songtitel der HC/Punk-Band „Delta Force II“. Wie würdest Du den Titel am besten übersetzen? Was macht den Liedtext so passend für die story der Doku? Kannst Du vielleicht, für Leute die kein Finnisch können, etwas dazu sagen worum’s im Song geht?
Ach ja, darüber haben wir uns ja schon mal unterhalten als wir uns getroffen haben! Dieser „meininki“-Part des Titels lässt sich nicht wirklich gut übersetzen, weil es nicht so wirklich Entsprechungen dafür zu geben scheint (zumindest eine würde mir einfallen), aber im Grunde genommen ist „meininki“ die Atmosphäre, die Du fühlst, wenn Du auf ein Konzert gehst, wo alle nur eine gute Zeit haben und sich Null scheren um irgendwas, außer um die Musik und ihr Bedürfnis, die eigene Begeisterung dafür durch Umherspringen, Umsichschlagen und gegenseitiges Aneinandergeraten auszudrücken. Das wäre ein gutes „meininki“. All diese Ruppigkeit und dieses positive Durcheinander, was Du bei einem guten Konzert erlebst. Es kann für andere Leute aber auch eine ganze Reihe von anderen Dingen bedeuten, mir kam das nur als erstes in den Sinn. Es ist auch eine Art abstrakter Begriff selbst im Finnischen, wie mir jetzt auffällt!

Der Song hingegen ist ein übersetztes Cover des Songs „New York Crew“ der amerikanischen Hardcore-Band „Judge“ aus den 80ern. Die Events und Themen in den lyrics wurden nur verändert und entsprechend auf die Szene in Jyväskylä umgemünzt. Der Song wurde hier schnell zu unserem Szenehit, als es veröffentlicht wurde [Mai 2007; deltaforce2.bandcamp.com/album/s-t-aka-syphony-for-the-good-booze-bad-heavy-metal-lp] und ich erinnere mich daran, wie verdammt kraftvoll das war, da bei den vollen Konzerten im „Ilokivi“ [Konzertort auf dem Unigelände in Jyväskylä] mitzusingen. Es kam also ganz natürlich, den Song sowohl im Titel der Doku als auch für den Soundtrack zu verwenden.

Die Doku ist eine DIY-Produktion. Wie hat das eure Arbeit konkret beeinflusst? Wie viele Leute waren bei der Produktion eingespannt? Und wie habt ihr euch organisiert und koordiniert, um alles auf die Reihe zu bekommen? Und wie seid ihr überhaupt an die (finanziellen) Mittel und das notwendige Equipment gekommen?
Der DIY-Aspekt hat tatsächlich bei jedem Teil der Produktion eine Rolle gespielt: wir mussten uns mit dem Equipment befassen, das wir aus unserem Zirkel von Freunden geliehen hatten, was z.B. auch mal bedeutete mit beschissenen Kameras zu filmen und nicht das richtige Lichtequipment zu haben usw. Wir hatten aber von vornherein die Einstellung, dass diese technischen Handicaps nicht das Problem sind, solange wir es schaffen, die Leute authentisch, so wie sie sind, zu portraitieren. Mit dem Arbeitsprozess sind unsere „Wir-machen-einen-Film-Ambitionen“ dann erwacht und von Zeit zu Zeit haben wir tatsächlich den Anspruch gehabt, von einem ganz bestimmten Winkel aus zu drehen mit ausreichend Licht und gutem Sound. Wenn das aber mal nicht möglich war, haben wir einfach gesagt „fuck it“ und haben es trotzdem einfach so durchgezogen.

Wir waren im Grunde ein Team von 5 Leuten, ich und 4 Leute an den Kameras. Unsere Aufgaben waren nicht wirklich fest verteilt, aber im Wesentlichen hab ich mich um die Logistik gekümmert, den Zeitplan und das Schreiben der Interviews, das Planen unserer Arbeitsabläufe, die Leute zu informieren, dass wir einen Film drehen und Ähnliches, während der Rest der Crew sich mehr um die technische Seite des Ganzen gekümmert hat, heisst: Drehen, Tonaufnahmen und das Editing des Films. Alles funktionierte aber als gemeinsames Projekt, denn alle wollten, dass der Film zustande kommt und deshalb haben sich auch alle darum gekümmert, dass es läuft. Alles lief als gemeinsame Anstrengung und wir waren einfach darauf fixiert diesen Film hinzubekommen. So haben einfach alle gemacht, was zu tun war. Manchmal hat die Technik-Crew auch mehr an der Planung gearbeitet oder an „direktorischen“ Entscheidungen, manchmal habe ich hingegen die Kamera gehalten oder den Rekorder. Es spielte für uns einfach keine Rolle, solange wir den Kram fertig bekämen würden.

DIY bedeutete auch, dass wir oft experimentieren mussten, weil keine*r von uns zuvor einen Film gemacht oder darin irgendeine Ausbildung hatte. So war der modus operandi zumeist: „guess – fail – try again – get it somewhat right“. Aber nur so lernst Du und wir haben eine Menge während dieses Prozesses gelernt. Eine der wichtigsten war, zu lernen, dass wir uns koordinieren und organisieren müssen, wovon wir, gerade am Beginn der Arbeit, noch wenig wussten. Zum Glück haben wir das aber schnell auf die Reihe bekommen, hatten aber am Anfang noch nicht so wirklich eine Idee davon, wie wir vorgehen sollten, keinen Plot, keine Struktur, kein Plan nach dem wir uns hätten richten können. Es gab nur die sprudelnde Motivation „Lasst uns einen Film machen!“ Ich persönlich dachte zu Beginn, dass wir etwa 1-2 Monate Dreh, 1 Monat editing und dann Premiere hätten. 4 Monate Arbeit vielleicht. Ich hatte keine Ahnung, dass uns das Projekt nahezu 2 Jahre in Beschlag nehmen würde, von den ersten Treffen bis zum Release der Doku!

Ein Großteil unserer Geldressourcen kam aus Crowdfunding. Leute konnten uns finanziell unterstützen, indem sie T-Shirts zur Doku pre-ordern konnten sowie DVDs und Tickets für die Premiere. Das brachte uns etwa 4000 Eiro ein, glaube ich. Es war effektiv und ich kann das Leuten nur so weiterempfehlen, die einen DIY-Film auf die Beine stellen wollen. Es gibt bei crowdfounding einfach eine Menge verschiedener Optionen und Formate, die Du da nutzen kannst. Viele Länder haben ja auch ihre eigenen crowdfunding-Plattformen (Finnland hat Mesenaatti.me), viele sind auch international (Kickstarter, Indiegogo, Gofundme etc.). Und: es bindet dich nicht fest auf bestimmte funders und deren Interessen. Wir haben auch zwei zusätzliche Förderungen bekommen, insgesamt 2000 Euro, sodass die gesamten Produktionskosten irgendwo bei 6000 Euro gelegen haben. Das bekommst Du aber auch billiger hin, gerade wenn Du dich entscheidest, den Film selbst zu schneiden und keinen professionellen editor hinzuziehst, was wir allerdings gemacht haben.

Ich schätze, ihr musstet die Zahl der interviewten Leute und portraitierten Bands beschränken. Wie seid ihr da vorgegangen? Welche Kriterien waren dafür entscheidend? Gibt es vielleicht eine Band oder eine Person, die Du in der Doku vermisst? Gab es evt. sogar Bands oder Personen, die nicht interviewt werden wollten?
Nein, die Zahl der Interviews haben wir nicht wirklich beschränkt, es sind ja immerhin 33 sessions geworden, in denen Bands oder Einzelpersonen befragt worden sind. Erst als unser editor das Material bekam und er sagte „Ok, und was kürzen wir hiervon jetzt?“, da wurde uns klar, dass tatsächlich nicht alles, was wir aufgenommen hatten, in der Doku landen konnte. Zumindest nicht in einer Art und Weise, in der die Struktur des ganzen Films noch irgendwie koherent gewesen wäre. Wir mussten also schauen, was raus und was drinnen bleiben sollte, und da war unser editor Sasu eine unschätzbar große Hilfe gewesen, gerade weil er der einzige von uns ist, der tatsächlich eine Filmschule besucht hat, etwas über die Strukturierung von Filmen weiß und wie ein Erzählbogen funktionieren kann. Er hat viel von seinen eigenen Vorstellungen in den Film gebracht und hat viele Male ohne das Skript gearbeitet, das ich vorher einmal entworfen hatte. Das hat dann super funktioniert.

Bei der Wahl, was raus und was drinnen bleiben sollte, haben wir uns, glaube ich, hauptsächlich auf 3 Dinge konzentriert: Hat die story einen link zu Jyväskylä? Trägt die Episode zur Kontinuität der Erzählung und des Films bei? Und: spiegelt die Episode irgendeine Art von Gefühl, das auch wir teilen können? Der Film sollte sich ganz und gar um Jyväskylä drehen, einfach sein und – hoffentlich – auch interessant. Und er sollte das Gefühl der hiesigen Szene transportieren. Das waren die Kriterien.
Und klar, es gibt tonnenweise Material, das rausgekürzt werden musste und das ich im Film vermisse! Ich hätte z.B. sehr gerne die Episode drin gehabt, die wir mit Tomi Marjamäki gedreht haben, den Bassisten von Rattus.

Ich mag die Band sehr und ich glaube die gehören zu denen, die tatsächlich eine Spur hinterlassen haben und die weltweite Entwicklung von Hardcore und Punk beeinflusst haben. Leider war das Interview eines der ersten, die wir gedreht haben und ich hatte absolut keine Ahnung, was ich fragen sollte, um die Antworten irgendwie relevant für das Thema des Films zu bekommen. Unser Gespräch lief dadurch etwas außerhalb des eigentlichen Doku-Themas und wir konnten am Ende einfach keinen Weg finden, Tomis story in die story der Doku zu integrieren. Das ist sehr Schade gewesen, aber ich schätze Du musst eine Menge deiner darlings aufgeben, wenn Du einen Film zusammenschneiden willst.
Das einzige Mal, dass eine Person Nein zu einem Interview gesagt hat, war, als Vote Vasko unsere Anfrage abgelehnt hatte.

Vote ist nicht nur ein eminent wichtiger Teil der Geschichte Jyväskyläs, sondern auch von Hardcore und Punk weltweit, würde ich sagen. Er war derjenige, der eine Menge der frühen Klassikerplatten des finnischsprachigen Punks und Hardcores rausgebracht hat, einschließlich nicht nur der „Kytät on natsisikoja“ [###] 7inch Split von „Kaaos“ und „Cagders“ (aus denen später „Riistetyt“ hervorging). Das hat er alles über sein DIY-Label und seinen Punkrock-Mailorder „P.Tuotanto“ gemacht, was er bis heute immer noch betreibt seit nahezu 4 Dekaden! Vote hat auch sein ganzes bisheriges Leben in Jyväskylä gelebt (glaube ich) und hat die meisten der Punk-Shows in Jyväskylä in den 90ern organisiert. Es war eigentlich von Anfang an klar, dass er einen Platz in der Doku finden sollte. Leider war das nicht die Auffassung von Vote und er wollte nicht vor eine Kamera treten.

Er hatte nichts gegen die Idee der Doku einzuwenden und hat, soweit ich das beurteilen kann, unser Unterfangen jederzeit voll unterstützt. Er hatte einfach kein großes Interesse daran, sein eigenes Schaffen vor der Kamera noch einmal auszubreiten. Glücklicherweise haben wir Vote dann aber doch in die Doku bekommen, indem wir Leute gebeten haben, einfach ihre Erinnerungen an Vote zu schildern und zu teilen und haben dann auch noch eine Reihe cooler Fotos des jungen Vote für die Doku zur Verfügung bekommen!

Gibt es denn auch weitere Interviews, die Dir stark in Erinnerung geblieben sind? vielleicht ein spezieller Ort, wo ihr gedreht habt? Eine spezielle Band, Person oder story?
Ja. Wir haben die Leute entscheiden lassen, wo sie das Interview machen wollen. Das führte manchmal zu sehr romantischen Ideen, wo gedreht werden sollte. Das waren dann meist auch die Orte, bei denen wir von der rein technischen Seite her dachten „Oh fuck…“. Eine davon war die Session, die wir mit „The Escapist“ gedreht haben auf dem Dach vom „Tanssisali Lutakko“ [der größte lokale, alternative Konzertort]. Es war großartig auf dieses Dach zu steigen und den coolen Ausblick über Jyväskylä um uns herum zu haben. Als wir aber den Rekorder anmachten, dämmerte uns schnell, dass es ein riesen Problem mit dem Sound geben wird.

Wir haben es dann trotzdem gemacht, weil es einfach ein großartiger Ort war, und am Ende war es sogar okay (nur ein paar Passagen mussten wir skippen aufgrund des Winds, aber sonst nichts Gravierendes). Das Gefühl von uns allen, im schönen Spätsommer da oben zu stehen, genau das zu tun, was wir wollen, genau so wie wir uns das vorgestellt haben, ich glaube das wird ein Gefühl sein, an das ich mich immer sehr stark erinnern werde.

Die Dokumentation holt sehr verschiedene Charaktere vor die Kamera (Punks, Fanziner, OrganisatorInnen, Bands, AktivistInnen, PolizistInnen, etc.). Ich schätze auch hier musstet ihr kürzen. Was gehört hier zu deiner liebsten Anekdote, die es nicht in die Doku geschafft hat?
Eine Sache fällt mir ein, aber das ist nicht wirklich eine Anekdote. Ein komplettes Interview musste tatsächlich doch rausgeschnitten werden, was ich doch sehr schade fand. Während des Drehs habe ich einen großartigen Mann kennengelernt mit Namen Juice Kokora, den ich vorher überhaupt nicht kannte, der aber vor allem in den 80ern eine große Rolle in der Jyväskyläer Szene gespielt hat, durch die Bands in denen er gespielt hat, durch die Shows die er organisiert hat und dadurch, dass er so eine Art „all-around good guy“ für die Szene war. Viele Leute, die wir zum ersten Teil der Doku befragt haben, erinnerten sich sehr lebhaft an Juice.

Einige nannten ihn gar den „Godfather of Jyväskylä punk“. Ich wollte Juice also unbedingt in der Doku haben, was sich als gar nicht mal so einfach herausstellte. Ich sage das jetzt mit nichts als Zuneigung und Respekt und im besten Sinne, aber Juice hatte in gewisser Weise ein sehr hartes „rock ’n‘ roll“-Leben, würde ich sagen, und ich glaube das hat dazu geführt, dass er heute ein bisschen ein Einzelgänger ist, jemand, der nicht viel vor die Tür geht und irgendwie auch Probleme damit hat, sich mit anderen zu unterhalten. Gerade mit Leuten, die er nicht kennt und gerade wenn dann auch noch Kameras involviert sind. Ich musste ihn nicht zwingen mitzumachen oder so, aber es gab im Vorfeld ein paar Diskussionen, warum es wichtig ist, dass er dabei ist, bevor er dann zugesagt hat.

Wir haben mit ihm am Ufer des Tourujoki gedreht [ein kleiner Fluss, der zwei der größeren Seen um Jyväskylä miteinander verbindet] an einem Tag im Frühherbst. Das setting war fantastisch und ich mochte wirklich die Atmosphäre und Juice’s Austrahlung. Er war verdammt nervös und hat nach fast jeder Frage gesagt, dass er sich nicht wohl fühle, aber irgendwie dachte ich, dass es großartig ist, diesen Hünen (der er nun mal ist) filmen zu können als eine nervöse Legende, die Probleme damit hat über sich selbst zu sprechen. Tatsächlich haben wir das später noch ein zweites Mal gedreht in seiner Wohnung, um vielleicht noch etwas tiefergehende Fragen und Themen behandeln zu können. Später hätten wir dann beide sessions zusammengeschnitten.

Aber, wie es dann so kam, fanden wir einfach keinen Weg, die story von Juice geeignet mit dem restlichen plot der Doku und dem limit von 1 Stunde Film zu verknüpfen. Es war traurig, das so einfach verschwinden zu sehen. Gerade weil ich dachte, dass wir etwas sehr Einzigartiges eingefangen hatten als wir Juice interviewt hatten. Ich hätte es geliebt, das Material mit ihm zu verwenden, wenn die Chronologie und Abfolge des Films das erlaubt hätte. Aber, glücklicherweise, wird es DVD Extras geben für solche Art Sachen!

Wie bist Du eigentlich zu deinem eigenen Fragekatelog gekommen? Es ist interessant, dass es in der Doku nie eine Frage zu hören gibt. Alles ist komplett zentriert um die Bands oder Personen, die da vor der Kamera sprechen. Die gestellten Fragen können nur aus dem Kontext der Antworten erschlossen werden (was nebenbei bemerkt hervorragend funktioniert!). Aber: Wie seid ihr auf die Idee gekommen, genau so und nicht anders eine Geschichte über Punk in Jyväskylä zu erzählen?
Von Beginn an war recht klar, dass wir keine Erzählfigur haben werden oder selbst darin zu hören oder zu sehen sein werden. Es ist wie Du sagst: die Bands und Personen sollten im Fokus stehen. Wir wollten einfach uns selbst komplett zurücknehmen und eine relaxte, natürliche Atmosphäre schaffen von guten Freunden, die sich gemeinsam erinnern. Das war nicht schwer zu bewerkstelligen. Alles, was wir getan haben, bevor die Kameras angingen, war kurz die Interview-Methode zu erklären (keine hörbaren oder lesbaren Fragen) und die Leute haben das von gleichauf verstanden.

Ich habe immer eine Liste von Fragen vor jedem Interview an die zu interviewenden Leute rausgeschickt und gesagt, dass das kein striktes Frage-Antwort-Formular sein soll, sondern vielleicht nur eine lose Struktur von Dingen, über die wir sprechen könnten. Sehr oft kamen die Fragen erst zum Schluss, als Ergebnis sozusagen zu dem, was eine interviewte Person sagte, als Ergebnis von Frage und Antwort, wie in einer richtigen Konversation. Ich bin zufrieden mit diesen Ergebnissen und bin froh, dass Du das ähnlich siehst!

Es ist sehr spannend, dass ihr einen Polizisten interviewt habt. War es einfach an ihn heranzukommen und mit ihm sprechen zu können? Wie lief das Interview ‚behind the scenes‘? Die Episode ist im Film eher kurz. Gab es mehr worüber ihr gesprochen habt?
Ja das war nicht schwer. Er war eigentlich auch ein wirklich cooler Typ, hatte ich den Eindruck! Meine A.C.A.B.-Mentalität ist nicht mehr so stark ausgeprägt, wie das vielleicht mal vor ein paar Jahren der Fall gewesen ist, wenngleich mir klar ist, dass die Polizei nach wie vor eine Institution ist zu der jede*r eine kritische Haltung haben sollte und das auch aus sehr gutem Grund. Die Episode mit dem Polizisten ist kurz, weil wir, wie bei jedem Interview, schauen mussten wie wir das alles zusammenführen, wie die Episoden miteinander funktionieren usw. und deshalb musste viel Material einfach raus, dass nicht wirklich konsequent der story folgte.

Wir konnten nicht einfach alle guten Anekdoten aneinanderheften. Mit dem Polizisten sprachen wir viel über die „Reclaim the Streets“-Party, die hier jeden Sommer als Protest gegen die jährliche Neste Rally in unserer Stadt stattfindet. Es war sehr spannend Einblicke zu gewinnen, wie sich diese ganze Sache aus der Perspektive eines Polizisten darstellt. Es fühlte sich nicht so an als würde er mit uns als Repräsentant der Jyväskyläer Polizei sprechen, sondern als er selbst, wenn er uns erzählte, dass die Party zwar illegal ist und er aus seiner Sicht die Protest-Party daher nicht gutheißen kann, er aber total nachvollziehen kann, warum ein solcher Protest existiert und er auch immer in einer Welt leben möchte, in der Leute die Möglichkeit haben in einer solchen Art und Weise zu protestieren.

Er hat dann auch viel darüber erzählt, dass er kein Problem mit Punks im Generellen hat oder mit Leuten die ihn und seine KollegInnen ‚Schweine‘ oder ‚Bastards‘ nennen. Er sei der Überzeugung, dass die Macht und die Möglichkeit diejenigen zu kritisieren, die in Besitz von Macht und Kontrolle sind, immer den Leuten überlassen werden sollte. Nun, ich weiß, dass einige das vielleicht nur als eine Art kalkuliertes Promo-Statement der Polizei lesen werden, aber es fühlte sich eher so an als versuchte er einfach seine persönliche Meinung als Mensch zum Ausdruck zu bringen.

Er hat dann auch darüber gesprochen, wie angepisst er damals als Viertklässler war, als er eine Dead Kennedys Platte zum Vorspielen in die Schule mitbrachte und sein Lehrer die nicht spielen wollte, was eine coole Anekdote ist, wie ich finde! Aber ich glaube das Lustigste passierte erst nach dem Interview, nachdem wir die Kameras ausgemacht hatten (wie das immer so ist): Als wir uns zum Abschied die Hand gaben und unser Dankeschön austauschten, machte er ein rätselndes Gesicht und sagte: „Mir war nicht klar, dass es Punk als so große Sache wirklich noch gibt. Ich finde es ist beeindruckend, dass Leute das immer noch hören und spielen, denn ich meine, sein wir ehrlich, die Musik war doch schon immer furchtbar!“ 😀

Du hast bereits angedeutet, dass es auf der DVD specials und extras geben wird (auch mit englischen Untertiteln wie der gesamte Film). Wie sieht der Plan für die Fertigstellung der DVD aus und wie wird das ganze Ding aussehen?
Der Plan ist, dass die DVD Anfang 2017 erscheint. Wahrscheinlich werden wir etwas zwischen 300-500 Kopien pressen, obwohl wir das noch nicht wirklich entschieden haben. „Anfang 2017“ ist auch eine sehr dehnbare Angabe, jetzt, wo ich das schreibe (Dezember 2016), weil wir uns wirklich darum bemühen wollen, dass wir mit den specials genauso zufrieden sein können wie mit dem Film auch. Und wie beim Film, haben wir nur eine grobe Vorstellung wie es werden soll und alle Zeitpläne etc. ergeben sich, während wir daran arbeiten. Ich würde sagen Februar, spätestens März, ist irgendwie realistisch für den Release der DVD. Wir halten die Leute aber via Facebook auf dem Laufenden und geben Bescheid, wenn wir mehr wissen!

Auf der DVD wird sich dann (neben dem Film natürlich) ein making-of unserer 5er-Gruppe finden, ein feature von der Premiere der Dokumentation [ vom 15. Oktober 2016 im Lutakko, Jyväskylä], Filmmaterial von unseren Trips zu Festivals in Finnland auf denen wir gedreht haben und Material aus den Frage-Antwort-sessions, die sich daran anschlossen, ein bloober reel (natürlich!) und auch ein Haufen rausgeschnittenes Material des Films. Alles gemacht mit derselben Motivation wie der Film selbst und alles untertitelt!

Du warst selbst Schlagzeuger in einer Band aus Jyväskylä („Antiklimax“), die aber keine Erwähnung in der Doku findet, obwohl ihr unter denen wart, die außerhalb mal getourt sind (Berlin, Halle, Leipzig). War von Anfang klar, dass deine eigene Band keinen slot in der Doku bekommen wird?
Ja, das war eine bewusste Entscheidung, auch wenn es da lustige stories zu erzählen gegeben hätte. Ich dachte daran, aber es fühlte sich dann doch mehr wie ein Egotrip an und das wollte ich einfach nicht. Mir war klar, dass wir nicht jede Band portraitieren konnten, die jemals Punk in Jyväskylä gemacht hat, deshalb fielen meine Bands einfach auch in diese Kategorie. Es tat der Sache keinen Abbruch, dass meine Bands fehlten und das entsprach auch mehr unserer Idee, die Filmmachenden aus dem Film selbst komplett rauszulassen.

Auch wenn meine Bands darin keine Erwähnung finden, gibt mir das Einiges, meine Leute zu hören, wie sie über die events und Orte sprechen, zu denen ich einen sehr engen Bezug habe. Z.B. die Passage in der Doku, die sich mit den Vororten von Jyväskylä befasst. Die Szenen und kleineren Städte im Umkreis von Jyväskylä stehen mir persönlich sehr nahe, weil Freunde und ich da viele Shows organisiert haben und ich finde das dann immer prima, wenn andere sich an diese Shows erinnern. Das wiederum sollte dann einfach in die Doku, auch wenn wir da persönlich sehr eng involviert waren, aber die „Vorortszene“ war viel viel entscheidender für Leute, die dort aufwuchsen, als irgendeine spezielle Band. Dennoch wollte ich keine allzu direkte Verbindung zu meiner Person im Film schaffen, weshalb ich z.B. Leute beim Dreh darum gebeten habe, ihre Erzählungen etwas offener und allgemeiner zu halten. Das waren die einzigen Male wo ich Leuten tatsächlich als director etwas „vorgeschrieben“ habe.

Seit dem 15. Oktober 2016 ist die Dokumentation draußen, wenn auch noch ohne DVD. Wie sehen die nächsten Pläne für „Jyväskylän Meininki“ aus? Ich habe gehört ihr plant auch Vorführungen in Estland? Wäre es nicht auch möglich, die Dokumentation noch an anderen Orten zu zeigen?
Ja, es gibt Gespräche über eine Vorführung in Estland und wir schauen auch, ob es in Deutschland eine Möglichkeit gäbe, den Film zu zeigen! Es gibt auch Gespräche darüber, dass wir ihn in Los Angeles zeigen, was alles auch nicht so schwer zu bewerkstelligen ist, auch wenn sich das vielleicht nach riesigen Sachen anhört für manche. Wir haben eine untertitelte Version des Films als HD-Datei, die wir elektronisch an Leute verschicken können, die dann vor Ort die Vorführung organisieren in einer Bar, einem Squat oder irgendeinem anderen geeigneten Ort. Alles was die OrganisatorInnen brauchen ist ein Laptop, eine Projektionsfläche und einen Projektor und voilà!

Die Vorführungen in Finnland und außerhalb (wenn ich die Filmfestivals mal rausrechne) wurden genauso gemacht, wie DIY Punk-Shows überall auf der Welt, und weil Punk eine weltweite Verschwörung von Leuten ist, die anderen Leuten helfen, sind wir recht zuversichtlich, dass wir Menschen finden, die uns dabei helfen wollen, den Film und seine message bekannt zu machen! Wer will, kann uns unter jyvaskylanmeininki@gmail.com kontaktieren und wir bekommen das hin.

Vielen Dank für das Interview. Wir hoffen alle, die interessiert sind, bekommen eine Chance den Film zu sehen und wir hoffen, er gefällt! Go in peace and make the most of your life the way you see it fit!
Das kann ich nur zurückgeben. Vielen Dank, Mikko, für all die detaillierten Antworten!

Interview: Benni h. (benni@truetrash.com)
Kontakt zu Mikko und zur Film-Crew: jyvaskylanmeininki@gmail.com
Internetseite der Doku: www.facebook.com/jyvaskylanmeininki

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