Juni 13th, 2019

FARSIDE (#83, 2000)

Posted in interview by Thorsten

FARSIDE sind für mich schon immer eine der ganz großen Bands auf Revelation Records gewesen. Gegründet wurde die Band 1989 und ist also jetzt auch schon unglaubliche 11 Jahre alt. Als ich Anfang der 90er „Rochambeau“, die Debut-LP, zum ersten Mal gehört habe, war ich umgehauen von der Energie und der Intensität der kalifornischen Boys. EmoCore war noch nicht von nichtssagenden Texten und karrieresüchtigen Bands zu dem verkommen, was es heut meist ist. FARSIDE rockten wie Scheiße und das zudem auch noch mit einer (zweiten) Akustik-Gitarre. Textlich schon sehr persönlich, aber niemals ohne Message.

Aber vielleicht ist das auch nur ein sehr persönliches Ding von mir, in vielen FARSIDE-Texten (insbesondere von der ebengenannten „Rochambeau“) sehr viel Erlebtes und reale Emotionen meines Lebens wiederzufinden. Mein Gott, was hab ich schon zu FARSIDE-Platten geheult. „Rigged“ war dann eine kleine Enttäuschung für mich; die Akustik-Gitarre war weg und auch sonst fehlte mir der letztendliche Kick. Weißgott eine gute Platte, aber eben nicht genial. Neben einigen Sampler-Beiträgen und einer 7“ wurde es dann einige Jahre sehr ruhig um die Band, bis letztes Jahr „The Monroe Doctrine“ veröffentlicht wurde und irgendwie war dann alles wieder da: FARSIDE rocken wieder wie scheiße, schreiben phantastische Musik und Texte und holen sogar die Akustik-Gitarre wieder raus.

Folgendes Interview führte ich mit Gitarrist und (Zweit-)Sänger Kevin Murphy.

Mit wem haben wir es zu tun?
Kevin Murphy. Alter: 29. Gitarre und Gesang. Seit 1992 bei. Vorher habe ich z.B. bei 411, Headfirst u.a. gespielt.

Was machst Du sonst so, außer bei Farside zu spielen? Interessen, Beruf,…
Zur Zeit habe ich 2 Jobs, was bedeutet, daß ich 15 Stunden am Tag arbeite. Tagsüber überprüfe ich Bewerbungsunterlagen von Leuten, die sich bei Firmen bewerben – ein ziemlich lahmer Job. Abends kopiere ich Sachen für Arschlöcher, die sich darüber aufregen, wenn auf Ihrer Scheiß-Kopie ein Punkt ist, wo er nicht hingehört. Das ist allerdings zum Glück nur vorübergehend, bis ich mein Konto wieder halbwegs im Griff habe. Außerdem werde ich zur Zeit gerade von meiner Frau geschieden. Das ist eine traurige, aber letztlich doch gesunde Sache. Meine Interessen (ich komm mir vor wie auf einer Single-Party) sind: Punk Rock, Literatur und…das ist eigentlich alles. Kunst noch, denke ich.

Ach du Scheiße, 15 Stunden Arbeit am Tag hört sich nach Hölle an.
Es ist die Hölle. Ich bin ständig krank, weil ich quasi nicht schlafe. Aber das ist ja wie gesagt nur übergangsweise.

Was ist deiner Meinung nach der größte Unterschied zwischen FARSIDE 1990 und FARSIDE 2000?
Wir sind viel, viel besser in dem was wir machen, auch wenn wir aufgrund von Lebensumständen, die außerhalb unserer Kontrolle liegen, nicht ganz so sehr dabei sind wie früher. Außerdem war ich ja 1990 noch nicht in der Band, wahrscheinlich der Grund warum wir heute so viel besser sind, haha.

Welches waren denn die größten Veränderungen?
Wahrscheinlich die Besetzungswechsel. Als ich Rob Hayworth ersetzt habe, wurde FARSIDE etwas aggressiver und als Sean für Bryan kam, gab es für die ganze Band neue Energie.

Gibt es etwas das vor 10 Jahren sehr viel besser oder schlechter war?
Besser? Schwer zu sagen… Nein, ich glaube nichts. Wir sind regelmäßig getourt und hatten nicht so viele Schulden wie jetzt. Schlechter war, daß es damals viel mehr Gewalt bei den Konzerten gab. Seitdem wir 1995 mit SHADES APART gespielt hatten, hatten wir keine gewalttätigen Auseinandersetzungen mehr auf unseren Konzerten. Das ist schon sehr positiv.

Glaubst du, daß es FARSIDE im Jahr 2010 auch noch geben wird?
Oh Gott, ich hoffe nicht. Dann wären wir wohl genauso lächerlich wie die MISFITS oder die SEX PISTOLS (oder THE VARUKERS; SUBHUMANS, DAMNED, VANDALS,…)

Wie sieht eine typische FARSIDE Probe aus?
Ein Haufen alberner alter Männer, der schlechte Metal-Cover spielt und sehr selten irgend etwas Anständiges auf die Reihe kriegt. Wir proben in einem Büroraum im 1. Stock eines Boot-Ladens.

Ist der geschäftliche Aspekt einer Band für euch wichtig? Ich frage mich das nur, weil ihr ja auf einem Label seid, das inzwischen ziemlich groß geworden ist und ein gewisser Zack de la Rocha ja auch mal Gitarre bei euch gespielt hat. Seine neue Band (RAGE AGAINST…) ist ja auch recht populär. Habt ihr irgendwelche Ambitionen, Rock-Stars zu werden?
Es wär schon geil, wenn wir mit unserer Musik Karriere machen könnten, aber wir haben schon immer unseren Kram selber gemacht, und das macht es ziemlich unmöglich Rock-Stars zu werden. Der geschäftliche Aspekt ist insofern für uns wichtig, als daß wir keinen Bock haben abgezogen zu werden. Gleichzeitig versuchen wir aber nicht, soviel Geld wie nur irgendwie möglich aus der ganzen Sache zu ziehen. Ein Blick auf unsere Konten beweist das. Es ist schon wirklich traurig.

Tatsächlich? Ich bin immer davon ausgegangen, daß man als Band-Mitglied von so einem „großen“ Label wie Revelation noch so ein paar Mark nebenbei macht…
Ich glaube, daß viele Leute, die Größe von Revelation falsch einschätzen. So groß sind die gar nicht, sie haben einfach nur einen ziemlich großen und guten Ruf. Victory und Jade Tree sind wirklich große Labels, Revelation ist so mittelgroß. Wir haben für Dinge wie Aufnahmen, Merchandise und Touren mehr ausgegeben, als wir eigentlich sollten. Das ist ein Grund für die Schulden. Außerdem bin ich etwas skeptisch darüber, wie Revelation die „Bezahlung“ seiner Bands regelt. Wir haben als Band nie Kohle von Revelation bekommen. Wir haben schon tausendmal mit ihnen darüber gesprochen. Sie wollen, daß wir auf Tour gehen, geben uns aber kein Geld dafür. Wir müßten unsere Jobs aufgeben, aber wir sollen wir laufende Rechnungen bezahlen, wenn wir kein Einkommen haben? Wenn du 19 bist und mit 8 stinkenden Crust Punks zusammenwohnst mag das möglich sein, aber wenn du eine Familie zu ernähren und Kredite abzubezahlen hast, dann sieht die Sache verdammt anders aus. Das alles ist, wie ich schon gesagt habe, ziemlich traurig.

FARSIDE ist meines Erachtens eine Band, die textlich eher die persönliche-private Ebene behandelt. Obwohl ich denke, daß das wichtig ist, denke ich auch, daß Hardcore sehr viel mehr bedeuten kann. Was bedeutet es für dich, mit FARSIDE Dinge auszudrücken. Siehst du euch als eine Band, die „etwas zu sagen“ hat? Siehst du euch vielleicht als eine „politische Band“, was auch immer das bedeuten mag?
Definitiv nein! Politik sollte von Politikern gemacht werden. Wenn Bands etwas zu sagen haben, werde ich Ihnen auf jeden Fall zuhören und vielleicht auch ihre Meinung teilen; aber gleichzeitig bin ich mir immer bewußt, daß diese Leute weder intelligenter, informierter noch in einer anderen Machtposition sind als ich.

Was soll das bedeuten? Klar, die meisten Politiker sind in anderen Machtpositionen als du, aber glaubst du wirklich, daß sie informierter geschweige denn intelligenter sind als du?
Hmmm, schlechte Wortwahl, würde ich sagen. Ganz offensichtlich ist der/die durchschnittliche amerikanische PolitikerIn nicht besser als der/die durchschnittliche Nicht-PolitkerIn. Ein Blick auf Alan Keyes beweist wohl meinen kleinen verbalen Ausrutscher. Es geht mir nur darum, daß Politik von solchen Menschen gemacht werden sollte, die verstehen wie das „System“ arbeitet und gewisse Erfahrung damit haben. Ich wünschte nur sie würden dieses System nutzen, um den Menschen zu helfen und nicht sich selbst.
Musik ist für mich eine Kunstform und Kunst kann natürlich benutzt werden, um Meinungen auszudrücken. Ich glaube allerdings fest an den emotionalen Wert von Kunst. „Kontroverse“ oder „politisch-aktuelle“ Texte zu schreiben würde diesen emotionalen Wert entwerten.

Das seh ich aber sehr anders. Punkrock kann so viel mehr bedeuten (daß er es in den meisten Fällen nicht tut, ist ein ganz anderes Problem). Ich stimme mit dir überein, daß Punkrock Musik einen hohen emotionalen Wert hat. Gleichzeitig finde ich es aber schwer, den emotionalen und den politischen Wert von Dingen deutlich auseinanderzuhalten. Idealerweise sehe ich Punkrock gern als eine Art „Gegen-Kultur“ (was ihn im Übrigen so sehr von anderen Musikarten unterscheidet) in der es möglich ist, von anderen und mit bzw. durch andere Leute, Dinge zu lernen. Gerade wenn ich mir das bei mir persönlich angucke und realisiere, wie sehr ich mich durch Punkrock (sei es die Musik, der „Lifestyle“ oder die Texte) verändert habe, merke ich doch, daß Punkrock sehr viel mehr beinhalten kann als „nur“ den emotionalen Wert, den du erwähnst. Hmm, kannst du mir noch folgen? Was denkst du?
Oh, ich stimme voll mit dir überein. Es gab einige Bands, die einen maßgeblichen Einfluß auf mein Leben hatten: Crass, Youth Of Today (ist das nicht irgendwie traurig?), Dead Kennedys, Crucifix, Operation Ivy, The Minutemen, etc. Aber das kommt selten vor. Nur sehr wenige PunkrockerInnen sind intelligent genug, um tatsächlich Aussagen zu treffen (seien es politische oder andere) die sozusagen „hieb- und stichfest“ sind. D Boon konnte das, EARTH CRISIS können es nicht. Dann ist es einfach nur platt und ein Ausdruck jugendlicher Verunsicherung und undifferenzierter Wut. Wenn jemand politisch motiviert ist, dann gibt es bestimmt bessere Wege, sich auszudrücken und etwas zu bewegen als in einer Punkrock-Band zu spielen. Außerdem denke ich, daß die Sachen, die eine Band tatsächlich macht viel politischer sind als ihre Texte es je sein können. FUGAZI sind das offensichtlichste Beispiel, aber auch CHUMBAWAMBA sind in meinen Augen eine Band, die wahrscheinlich mehr bewegt hat als irgendwer, der ihnen Sellout vorwirft. Und das ganz einfach, weil sie ihre Ideale leben. Ihre Texte sind ja nun wirklich nicht politisch, aber so wie sie ihre „Business“ betreiben, das hat für mich viel mit „Gegenkultur“ und Punk zu tun.

Was stört dich zur Zeit am meisten an der US-amerikanischen Gesellschaft?
Die große Lüge, daß es uns wirtschaftlich so gut geht. Den oberen 15% mag es besser gehen, aber für uns andere 85% ist es seit Jahren sehr schlecht. Das wird nur meistens nicht erwähnt. Uns wird immer erzählt, daß die Arbeitslosigkeit so niedrig ist wie noch nie, aber das ist sie nur, weil so viele Leute Teilzeit arbeiten. Das ist Scheiße, weil es zu wenig Geld bringt, aber es macht den Eindruck, als ob es keine Unterstützung für die Leute geben müßte, die halt weniger Glück haben, weil sie ja selbst schuld sind, wenn sie keine Arbeit haben. Die Steuern werden dann eben für andere Dinge benutzt.

Und was gefällt dir zur Zeit am besten an der US-amerikanischen Gesellschaft?
Eigenartig, wie schnell mir das einfällt, was mich am meisten stört und mir nichts einfällt, was mir gefällt. Wahrscheinlich eine Folge des „Negativen Trainings“… Wie dem auch sei, ich denke, es sind die Freiheiten, die wir immer noch hier haben. So viele Leute beschweren sich darüber, wie unfrei sie sind, dabei haben wir eine Menge Freiheiten. Die letzten WTO Proteste haben das deutlich gezeigt.

Moment. Was meinst du mit „Negativem Training“?
Eine entscheidende Sache an Punkrock ist wohl, daß er sich sehr mit dem Falschen und Schlechten in der Welt beschäftigt. Niemals hört man von schönen Sachen, es sei denn von jämmerlichen Emo-Bands, die über Mädchen singen (Ich möchte hier FARSIDE ganz explizit ausklammern, weil unsere Songs über Mädchen nicht fröhlich sind, haha). Ich denke, daß die Punkrock-Kultur mich sehr trainiert hat, immer und überall die schlechten und negativen Dinge zu sehen. Das ist nicht unbedingt schlecht, sondern erstmal nur eine Feststellung.

O.K., zurück zum WTO-Protest in Seattle. Was ist mit der massiven Polizeigewalt gegen die Demonstranten? War das nicht ein Versuch, die genommene Freiheit zu unterdrücken?
Hier geht es glaub ich eher um den typischen amerikanischen Polizei-Geist – die Menschen sind deine Feinde, zerstör ihre Möglichkeit sich zu widersetzen und stell erst dann Fragen. Ich glaube nicht, daß es darum ging, Freiheit zu unterdrücken, sondern der Grund vielmehr ist, daß Bullen eben scheiße sind. Ich bin kein Anhänger der Theorie, daß die Polizei ein Werkzeug ist, um die Reichen zu schützen und die Armen zu unterstützen. Ich glaube einfach, daß ganz normale Polizisten (und das schließt auch die mit ein, die in den Wachen, die Entscheidungen fällen), Menschen sind, die es lieben Macht zu haben und diese auszunutzen. Scheiß-Menschen eben. Ich kenne übrigens einen Haufen Punker, die in diesem Sinne großartige Bullen abgeben würden…

Let´s talk about sex, baby… nein, mal ehrlich. Sexualität ist offensichtlich etwas, das in unseren Gesellschaften sehr präsent ist, sei es im Fernsehen, in der Werbung oder einfach nur in den Gesprächsthemen der Menschen. Glaubst du, daß es möglich ist, daß Menschen ihre „eigene“ Sexualität finden bzw. selbst entscheiden können, wie wichtig Sexualität ihnen ist, oder sind das notgedrungen immer nur Spiegelbilder dessen, was um sie herum passiert?
Ich denke, daß es möglich ist. Dennoch aber unwahrscheinlich. Die amerikanische Gesellschaft ist sehr repressiv was Sexualität betrifft. Ein gutes Beispiel ist BLOCKBUSTER Videos, eine gigantische christlich-betriebene Videotheken-Kette, die Sex-Szenen aus Videos schneidet, die sie verleihen, gleichzeitig aber Filme wie NEKROMANTIK oder DEAD ALIVE als Director´s Cut anbieten. Die Botschaft ist, daß Sex eine sehr schlechte Sache ist, es aber auf der anderen Seite o.k. ist, Menschen zu vergewaltigen, zu töten oder zu zerstückeln. Schon komisch irgendwie.

Was bedeutet Sexualität denn für dich?
So viele verschiedene Sachen, daß es mir unmöglich ist, Dir darauf einfach zu antworten. Das ist so ungefähr die Frage danach, wie es ist zu leben.

O.K., danke für das Interview.

Diskographie
Demo 1990 (später ge-remixed und als „Scrap“ wiederveröffentlicht)
„Keep My Soul Awake“ 7″ (Crisis records)
„Rochambeau“ LP (Revelation Records)
„Rigged“ LP (Revelation Records)
„Scrap“ LP (Comida Records)
„Land Of Greed, World Of Need“ EMBRACE Tribut-Sampler LP (Trustkill Records)
„In Flight Program“ Label-Sampler CD (Revelation Records)
„The Spandex Experiment“ Sampler LP (Double Duece Records)
„Farside“ 7″ (Revelation Records)
„Violent World“ MISFITS Tribut Sampler LP (Caroline Records)
„God Money“ movie Soundtrack (V2 Records)
„The Monroe Doctrine“ LP (Revelation Records)
(plus evtl. einige Sampler aus dem Hause Revelation von denen die Band aber nichts weiß)

Interview/Text: Jobst

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