September 5th, 2019

ESCAPADO (#112, 2005)

Posted in interview by Thorsten

Machen wir uns nichts vor. Die meisten band interviews saugen einfach wie hölle. Ewig gleiches geplapper trifft als fast schon selbstschutzhafte reaktion auf die gelangweilte routine unmotivierter fragenkataloge. In jungen jahren – wenn man noch elan und pfeffer im arsch hat, wenn noch alles neu und unverbraucht scheint, wenn es noch spannendes von bröckel bis brooklyn zu entdecken gibt – mag man die qualität des eigenen tuns vielleicht noch vornehmlich am überbordenden persönlichen enthusiasmus messen. Im alter von fast 34 jahren allerdings wird der altbekannte enthusiasmus zunehmend zu einem sprichwörtlichen fremdwort. Die kicks werden weniger, die überraschungen bleiben aus. Man ergibt sich einer lethargischen routine, die ihre ganze hoffnung bestenfalls noch in ein nostalgisch geprägtes aufflackern vergangener energie setzt. Die welt will man schon lange niemandem mehr erklären, ganz davon zu schweigen, dass man sie sich auch nicht mehr erklärt haben möchte. Die parzellen sind abgesteckt, der acker bewirtschaftet. Dennoch kommt es hin und wieder vor, dass man auf eine platte stößt, die so dermaßen brennt, dass sie einen für kurze zeit jegliches erfahrungsschatz-dilemma vergessen lässt. An diesem seltenen punkt müsste es eigentlich sofort heißen INTERVIEW! Das problem ist nur, dass ich in den seltensten fällen noch etwas über die bands erfahren will, wohl wissend um die abzusehende phrasendrescherei, die am ende dabei herum kommt. Und wenn dann doch mal ein über die musik hinaus gehendes interesse da ist, dann beschränkt sich dies zumeist auf sehr spezifische und isolierte einzelpunkte. Paint it Black´s Dan Yemin zum beispiel würde ich fragen, wie er sich beim alt werden in der ´hardcore szene´ fühlt. Wie er es innerlich bewerkstelligt, noch künstlerischen esprit zu versprühen, wenn sein publikum mittlerweile 15 jahre jünger ist als er selbst. Ob er sich bei dem gefühl, dem selben emotionalen energie impuls nachzujagen, wie schon vor 10 jahren, nicht streckenweise desillusioniert auf einer bühne wieder findet. Hardcore im klassischen sinn verkörpert nun einmal eine jugendliche rebellion, eine eruption, die mit zunehmendem alter der erkenntnis weicht, dass auch diese subkultur im wesentlichen nur ein durchlauferhitzer auf dem weg zur staatlichen altersversorgung ist. Zu einem wirklich umfassenden interview würden diese verhungerten kleinthemen nicht wirklich taugen. Warum also dieses interview hier? Ehrlich gesagt weiß ich es nicht. Eine platte fiel zufällig in meine hände, ich war begeistert, es hat klick gemacht wie schon lange nicht mehr. Das hat mich auf sonderbare art und weise fasziniert. Und da war natürlich auch dieses gefühl von nostalgie. Loxiran, Yage, Rusty James, Grünenstrasse Bremen, die neunziger, konzerte im land unter mode. Mosh, hardcore, punk, aggression, frusttration, emotion, menschen mit dreadlocks und plattenkisten. Andre und Love Records, Markus und Per Koro, die ersten Trust artikel, Buntes Haus Celle, Hinterhaus Bahnhofstraße, Wohngemeinschaft Biermannstraße, Celler Loch, Kilgore Konzerte, mit Daniel und Axel zu HWM shows in die staaten fliegen, feiern bis in die nacht. „Verdammt, es ist noch nicht vorbei“, spricht eine stimme in meinem kopf. Das zumindest macht mich ´Hinter den Spiegeln´ glauben, denn Escapado stehen in genau dieser tradition. Wobei, vielleicht ist tradition auch das falsche wort, da Escapado dadurch eventuell in einen kontext gesetzt werden, den sie selbst so nicht wählen würden. Was ich eigentlich sagen will ist, dass die band mit ihrer musik eine ambivalente parallel atmosphäre zu meiner eigenen vergangenheit schafft, deren synapsen auch heute immer noch nicht gänzlich saturiert scheinen. Die plattenrezension zu ihrer cd aus dem letzten heft bringt das hoffentlich zum ausdruck:

„Wenn melancholie nicht weint sondern beißt, wenn wut nicht tobt sondern deliriert, wenn kraft nicht bolzt sondern wogt, wenn dynamik nicht rumst sondern explodiert, wenn gefühle nicht zuckerig verkleben sondern sich wie ein dicht gewebter teppich entfalten, wenn die faust zwar geballt, testosteron aber abstinent ist, wenn screamo zwar die spielart, überwältigende eigenständigkeit aber das resultat ist… dann, ja dann haben wir es mit einem extraordinären stück musik zu tun, welches, wie dieses hier, nur all zu selten seinen ursprung in deutschlands nördlichster aller nördlichen städte hat.“

Ob bei dem folgenden interview jetzt wirklich was ging, möchte ich nicht beurteilen. Ehrlich gesagt könnte ich es auch zu diesem zeitpunkt gar nicht, da mir noch die nötige distanz fehlt. Alles was ich weiß ist, dass aufgrund einiger passagen weitergehender diskussionsbedarf bestand oder auch immer noch besteht. Beim thema terrorismus zum beispiel fühle ich mich ein wenig missverstanden. Da habe ich auch ganz gut mit mir gerungen, ob hier vielleicht noch eine vertiefung angebracht wäre. Letztlich hätte das aber wohl zu weit geführt und insofern habe ich es dabei belassen, dass der eindruck entsteht, ich würde gewalt als mittel zur durchsetzung der eigenen ansichten generell begrüßen. Dem ist sicherlich in dieser absolutheit nicht so. Allerdings zähle ich auch nicht zu der sorte Hippie, die gewalt pauschal ablehnt. Wie bei so vielen dingen im leben, gibt es hier einfach keine absolutheit. Mir ging es sowieso weniger um die ´tat´ als solches, als vielmehr um die verwendung des begriffs und den rezipatorischen aspekt. Ich hätte anstelle des terrorismus auch den begriff des ´chaoten´ heranziehen können, oder besser noch das beispiel des ´extremismus´ gewählt. Denn was bitte macht die rein perspektivische verwendung solcher begriffe besser deutlich, als den protest gegen atomenergie als extremistisch zu bezeichnen, wo doch das eigentlich extremistische element eher dort angesiedelt ist, wo man unverantwortlich gefahrenstoffe schafft, deren „saubere“ entsorgung unmöglich ist. Je länger ich über all dies nachdenke, desto größer wird die leere in mir. Schlimmer noch, setzt die erkenntnis ein, dass es mir unglaublich schwer fällt, diese problematiken einfach und verständlich auf den punkt zu bringen. Die folge: Kopfschmerz, lang und andauernd. Das gefühl eines implodierenden magens als resigniertes resmüee blanker hilflosigkeit…
Wer diese oder andere punkte übrigens weiter diskutieren möchte, darf sich jederzeit ins Trust forum auf unserer website Fehler! Textmarke nicht definiert. begeben und dort seinen (dijon)senf unter der rubrik ´Trust Kritik´ zum besten geben. Menschen mit weniger sinn für trockenes, semi-depressives blabla und anderen politisch-perspektivischen schmonz, mögen in der zeit vielleicht lieber ´nen ordentlichen film gucken. Wenn ihr eurem geschmack also etwas gutes tun wollt, dann genehmigt euch unter der maxime ´Kommando Kammerflimmern´ ein buntes Potpourri folgender augenweiden:

GEMEINSCHAFTSPRAXIS DR. LIEBLING
-Dr. Fight Club
-Dr. Almost Famous
-Dr. Le Mepris
-Dr. Donnie Darko
-Dr. Million Dollar Hotel
-Dr. Wir können auch anders
-Dr. 25th Hour
-Dr. Gegen die Wand
-Dr. Betty Blue
-Dr. Cinema Paradiso

HIRNZELLENFORSCHUNGSZENTRUM DER UNI FRIESENWIESE
-Prof. Turkish Star Wars
-Prof. The Battle of Algiers
-Prof. Nekromantik 2
-Prof. El Topo
-Prof. Irreversible
-Prof. Black Gestapo
-Prof. Khooni Mahal
-Prof. Made in Britain
-Prof. Onibaba
-Prof. Doctor of Doom

Bevor hier allerdings der große heimkinoalarm ausbricht, mag man vielleicht doch noch das interview lesen, denn um nichts anderes sollte es an dieser stelle gehen…

Unsere Groupie-Eckdaten (Alter, Beruf, Lieblingsfilme, Familienstand, sexuelle Vorlieben) sind:

Helge: 22 / Student / High Fidelity / Freundin / ja
Saep: 21 / Student / von Auf der Flucht bis Muxmäuschenstill / diffus / ja
Chris: 24 / Student / In weiter Ferne, so nah / Freundin / ja
Jan: 21 / Azubi / Das Weiße Rauschen / ledig / vorhanden
Lars: 27 / Student / Instrument / Freundin / ja

Obwohl unsere Musik laut und aggressiv ist, ist sie dennoch sexy, denn…:

ESC: …sie ist laut und aggressiv und dennoch sexy 🙂

Wir sind vielleicht nicht die beste Band der Welt, aber wir versuchen euch trotzdem davon zu überzeugen, dass es sich lohnt, uns Aufmerksamkeit zu schenken, denn…:

ESC: wir machen tierisch sexy Musik… hihi… Nein, im Ernst: Wir versuchen gar nicht erst, jemanden zu überzeugen. Wie sollte das denn auch funktionieren? Wie sollten wir das anstellen, ohne dass es gezwungen wirken würde?! Ist doch Blödsinn… und passt auch gar nicht zu uns. Wir versuchen schon ständig, unseren eigenen Ansprüchen gerecht zu werden. Wenn wir von unserer Musik selbst überzeugt sind, reicht uns das schon.

Ich hatte jetzt eigentlich erwartet, dass Ihr mir für die Aussage, dass Ihr nicht die beste Band der Welt seid, was hustet.

Erfolg definiert sich für uns dadurch…:

ESC: …dass wir das machen können, was wir wollen. Solange uns niemand vorschreibt, was wir in unseren Songs singen und spielen müssen. Erfolg kann auch ein Zwiespalt sein… denn er garantiert keine innere Zufriedenheit. Wenn das Zusammenspiel so läuft, dass wir uns alle darüber freuen, sind wir erfolgreich. Wenn unsere Musik den Leuten gefällt, ist das natürlich auch super, aber nicht unsere primäre Motivation. Wir sind in dieser Hinsicht sogar recht egozentrisch, da wir Musik hauptsächlich zur Selbstverwirklichung machen, sie der Auseinandersetzung mit uns selbst und unserer Umwelt dient und dabei auch viel von uns selbst preisgeben. Alles andere, wie zum Beispiel Musik zu machen, um die Erwartung anderer zu erfüllen, wäre für uns uninteressant, da es zwangsläufig unehrlich wird.

Ihr spielt Eure Musik nun aber nicht gerade im stillen Kämmerlein, sondern veröffentlicht Platten und tretet Live auf. Ein gewisses Mitteilungsbedürfnis gegenüber Dritten scheint also doch zu bestehen. Daher finde ich den Rückschluss, um noch einmal auf die ´Aufmerksamkeitsgeschichte´ zurückzukommen, nicht vermessen, dass auch Ihr ein Interesse daran habt, ein gewisses Spotlight auf Eure Aktivitäten zu lenken.

Lars: Sicherlich, aber das ist für mich kein Widerspruch. Die Frage ist halt nur, wie und unter welchen Umständen wird uns Aufmerksamkeit zuteil? Ein Konzert beispielsweise, bei dem alles super abläuft, wir uns in dem entsprechenden Laden, mit den Leuten, die uns sehen wollen und uns selber im Einklang fühlen, ist natürlich ein Erfolg, wenn man so will. Außerdem veröffentlichen wir unsere Musik ja auch und freuen uns natürlich, wenn wir positive Resonanz bekommen – wer würde das nicht?

Reich und berühmt (beispiel: Thursday) würden wir nur werden wollen, wenn…:

ESC: …Geld glücklich machen würde. Soweit denken wir aber auch gar nicht erst… Generell ist es halt immer wichtig, dass man als Band die Entscheidungen, die man zusammen trifft, sich selbst gegenüber rechtfertigen kann.

Wenn wir sehen, dass jemand unsere CD bei Ebay verhökert, dann macht uns das…:

ESC: …nichts aus. 🙂

Das Gefühl vor Publikum auf der Bühne zu stehen ist…:

ESC: …bei jedem von uns verschieden. Jan empfindet es zum Beispiel manchmal als ein Gefühl von Nacktheit und des Ausgeliefertseins, was ihm aber, nachdem er sich nach ein paar Minuten daran gewöhnt hat, verdammt viel Spaß macht! Für Saep ist es hingegen eher ein Gefühl, das einem alles um sich herum völlig egal erscheinen lässt, da in diesem Moment nur noch die Musik zählt, sobald man die anfängliche Nervosität überwunden hat. Generell ist das Gefühl meistens gut und es bringt einen immer wieder dazu, weiterzumachen. Jedes Konzert ist auch anders. Manche sind großartig, manche auch scheiße, aber es ist immer eine Erfahrung, die einen weiterbringt.

Lässt sich pauschal sagen, welche Faktoren zu einem scheiß Konzert führen und wer primär dafür verantwortlich ist? (Band, Publikum etc)

Lars: Schlechte Laune innerhalb der Band, „Tough Guys“, mieses Essen und/oder miese Pennplätze… Solche Sachen sind schon mal ziemlich schlechte Grundvoraussetzungen. Ansonsten ist es schwer zu sagen, was wie und warum dazu geführt hat, dass ein Konzert scheisse war. Ich persönlich hab z.B. auch kein Problem damit, 300 km zu fahren und nur vor 10 Leuten zu spielen, wenn alles andere stimmt, und ist auch schon vorgekommen, dass wir nicht alle den gleichen Eindruck von einem Konzert mitnehmen.
Chris: Essen und miese Pennplätze sind mir egal. Ich gehe nicht auf die Bühne um an das Danach, oder an das Davor zu denken. Es zählt nur das hier und jetzt. Für einen tollen Moment müssen dann alle Dinge passen für einen schlechten nicht mal einer….

Zugaben bei Konzerten sind für uns…:

ESC: …allgemein ein Zeichen für ein gutes Konzert, bzw. sollten sie es sein. Sie sind okay, solang sie nicht zur puren Show werden. Wir spielen eher selten Zugaben. Kommt halt echt auch auf das Konzert und die Stimmung an. Meistens spielen wir sowieso nicht länger als dreißig bis vierzig Minuten.

Groupies sind ein sehr seltsames Phänomen, weil…:

ESC: Sind mit „Groupies“ die Band selbst gemeint oder deren Groupies??

Ich meine hier Leute – männlich und weiblich – die einfach ständig DA sind, weil Ihr eine Band seid und somit auch irgendwie in einem wie auch immer gearteten Rampenlicht steht.

Lars: Gibt’s das? Kann ich nicht nachvollziehen… ist halt einfach nicht meine Welt. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass solche Leute bei unseren Konzerten auftauchen.

Wenn wir bei einem Konzert die Catering-Wahl zwischen einem Burger King Country-Burger – oder einem McDonalds Veggie-Burger Menü hätten, dann…:

ESC: …ist da auf jedenfall etwas sehr schiefgelaufen.

Als Band bilden wir eine homogene Einheit, die zwar Kompromisse eingeht, aber dennoch Grenzen nicht überschreiten würde, die…:

ESC: Wir sind Gott sei Dank keine homogene Einheit. Wir sind alle völlig verschiedene Menschen. Grenzen, die wir nicht überschreiten würden, wären wohl die Anwendung von Gewalt in jeglicher Hinsicht und uns in irgendeiner Form über irgendein anderes Lebewesen stellen.

Die homogene Einheit war auf die Band als solches bezogen und nicht auf die Individuen in ihr. Eine Band ist doch zwangsläufig ein künstlerischer Kompromiss, da, wie Du ja auch sagst, Individualismus niemals homogen sein kann. Wäret Ihr als Band nicht homogen, würdet Ihr doch klingen wie Arsch auf Eimer. Ich hoffe, dass macht mein Satzfragment deutlicher und entlockt Dir noch eine Aussage zu geschäftlichen und künstlerischen Grenzen.

Lars: Insofern ist es natürlich auch so, dass die „Grenzen“, von denen du sprichst, bei jedem von uns ein klein wenig anders verlaufen… vermute ich mal, denn wir waren noch nie in einer Situation, wo wir untereinander geschäftliche oder künstlerische Kompromisse wirklich aushandeln mussten. In beiden Fällen ist es aber zum Glück so, dass wir einfach grundsätzlich einen Standpunkt haben, und der ist, dass wir uns von niemandem reinreden lassen. Das schafft uns die Freiheit, das machen zu können, was wir wirklich wollen – nämlich unsere Musik, so selbstverständlich das jetzt klingen mag. Alles was darüber hinaus geht muss dann gegebenenfalls konkret entschieden werden. Persönlich würde ich unsere Musik nicht zu Werbezwecken verkaufen, ich würde immer darauf Wert legen, mit Menschen zusammenzuarbeiten, die ich kenne und denen ich vertraue, und ich will auf keinen Fall für etwas vereinnahmt werden, hinter dem ich nicht stehe – also ich will informiert werden wenn und warum jemand Songs von uns auf nen Sampler packen will, ich will wissen, ob ein Konzert von uns ein Solikonzert ist und dann vor allem zu welchem Zweck.

Unser Aktionsradius als Band stößt dort an Grenzen, wo…:

ESC: …wir unsere Kompetenzen überschreiten würden. Wir unterstützen gerne Aktionen mit beispielsweise Solisampler- Beiträgen oder Konzerten, aber wenn wir gar nicht mehr wissen, worum es eigentlich genau geht, oder wenn wir innerhalb der Band zu verschiedene Meinungen zu einem Thema haben, dann lassen wir es lieber. Wir können bei Aktionen als Band nur etwas bewirken, wenn wir auch alle (zumindest mehr oder weniger) davon überzeugt sind.

Unserer Kreativität wäre die emotionale Grundlage entzogen, wenn…:

ESC: …wir uns nur noch mit Musik beschäftigen würden.

Interviews halten wie in der Regel für…:

ESC: …eine Herausforderung…hihi… naja, kommt auf die Fragen an.

Ist ein Interview, abgesehen von etwaigen intellektuellen Herausforderungen nicht auch immer ein willkommenes Ego Bonbon?

Lars: Ich weiss nicht so recht… ich hab schon so viele richtig schlechte Interviews gelesen, da helfen selbst die tollsten Antworten nicht viel. Wenn ich den Eindruck bekomme, dass jemand sich überhaupt nicht mit dem Grund, warum er oder sie idealerweise ein Interview mit Escapado machen will – nämlich der Musik, den Texten, etc – auseinandergesetzt hat, würde ich mich eher verarscht fühlen.

Die absolut dämlichste Interviewfrage, die es gibt, ist…:

ESC: …“Warum sind eure Texte nicht auf Englisch?!“

Fanzines verlieren ihre Existenzberechtigung, wenn…:

ESC: …sie nicht mehr aus Leidenschaft, sondern aus reiner Routine entstehen. Wie alles im Leben halt, was einem wichtig ist.

Würdet Ihr einem solchen Fanzine ein Interview geben? Einigen Schandmäulern zufolge, seid ihr nämlich gerade dabei.

Lars: Soetwas – also z.B. ob ein Heft nun meiner Fanzinedefinition entspricht oder nicht – liegt halt immer auch etwas im Auge des Betrachters. Ich persönlich würde ein Interview nur dann ablehnen, wenn ich das Gefühl hätte, dass wir als Band für irgendetwas herhalten sollen, was wir einfach nicht sind – meint, es ist mir schon wichtig zu wissen, warum eine mir unbekannte Publikation – deren Motivation ich nicht von vornherein einschätzen kann – ein Interview mit Escapado will.

Kommunikation ist für uns als Band selbst in unabhängigen Strukturen mehr oder weniger unilateral, weil…:

ESC: …gerade die Hardliner in der Punk / Hardcore-Szene dazu neigen, eine engstirnige, zu einseitige Sicht der Dinge zu parolisieren. Dieser Teil der Punk / Hardcore- Szene ist auf keinen Fall unabhängig. Es wird so sehr auf “political correctness“ geachtet und diese so sehr übertrieben, dass es schwer ist, überhaupt noch Dinge klar zu sehen und das Richtige vom vermeintlich Falschen zu unterscheiden. Dies führt nicht gerade zu einer besseren Verständigung, im Gegenteil. Unilaterale Kommunikation kann innerhalb einer Gesellschaft, die immer aus verschiedenen Parteien bestehen wird, einfach nicht funktionieren.

Wenn Leute wie Martin Büsser oder andere alt eingesessene und ergraute ´Szene-Größen´ behaupten, dass Punk tot sei, dann halten wir das für…:

Lars: …hat Martin Büsser das je behauptet?! Er hat mal geschrieben, dass Hardcore in gewisser Hinsicht tot ist… was in eben dieser Hinsicht vielleicht sogar stimmt.

Ob er nun gesagt hat, dass Punk oder Hardcore tot sei, halte ich bei unserer Betrachtung für absolut nebensächlich, da es so oder so eine einschätzende Anmaßung ist, die lediglich auf seiner persönlichen Entwicklung basiert und zum aktuellen Tagesgeschehen keinerlei Bezug hat. Oder glaubt ihr, dass ´Der Rat der Weisen´ in den letzten 10 Jahren mal ein JUZI von innen gesehen hat? OK, das war jetzt eher sinnbildlich gemeint, denn ich kann ja nicht beurteilen, wer wann in welchem JUZI war. Es irritiert mich nur immer ein wenig, wie gerade ältere Semester gerne mit der These hausieren gehen, dass die Rebellion ihrer Jugend über die Jahre keine neuen Aktivisten gezeugt hätte. Davon abgesehen würde mich aber schon interessieren, warum ihr seinen Abgesang auf Hardcore stützt. Müssten nicht gerade Euch, dem aktiven Teil der sich ständig erneuernden Underground Szene, solche Statements die Haare zu berge stehen lassen?

Lars: Hm. Jeder soll seine Meinung zu einem gegebenen Thema haben dürfen, und wenn Menschen ihre Haltung so gut begründen können wie in meinen Augen z.B. Büsser, dann ist das doch absolut ok. Punk/HC/whatever ist schliesslich keine Religion, bzw sollte es doch lieber nicht sein, finde ich. Abgesehen von all dem hab ich eine persönliche Definition von Punk und HC, die sich womöglich nicht mit der von anderen Leuten deckt, nicht mal unbedingt mit der der vier anderen Jungs in der Band. Mit sehr vielem von dem, was sich momentan (oder immer noch) Punk und HC nennt, hab ich absolut nichts zu tun und will es auch nicht haben.
Saep: Ich hab auch schon Sachen von Martin Büsser gelesen, fand sie allerdings eher belanglos. Mir ist es ehrlich gesagt scheißegal, was irgend so`n „alter szenenhase“ sagt. Ich denk über den ganzen Kram nicht nach. Ich mach einfach das, was ich liebe. Wie andere das später definieren, oder in welche Schublade sie es stecken, interessiert mich nicht. Genau wie diese ganzen Loxiran-Vergleiche und so Sachen. Sicher habe ich großen Respekt diesen Bands gegenüber, aber als wir zum Beispiel das erste Mal mit Loxiran verglichen wurden, da kannte ich die Band noch nicht mal, ganz zu schweigen von Lebensreform. Und andere Bands wie z.B. Age oder Acme, mit denen wir wohl auch öfters verglichen werden, kenne ich bis heute nicht. So, und ob Hardcore jetzt tot ist oder nicht, dazu möchte ich gern einfach sagen, dass es immer noch Menschen gibt, die das, was sie machen, mit sehr viel Liebe und Hingabe machen. Ich denk, es ist noch nicht alles verloren, auch wenn es traurig ist, dass immer mehr selbstverwaltete Zentren dichtmachen müssen und Ärger mit Polizei, Ordnungsämtern usw. mittlerweile an der Tagesordung ist und sowas sehr viel Kraft erfordert. Im moment sieht es nicht gerade so aus, als ob das viele Menschen interessieren würde, was auch wieder mit der Demoralisierung der heutigen Jugendlichen und der ganzen übrigen Gesellschaft zu tun hat. Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit und Respekt sind nicht gerade Schlagwörter unserer Generation. Viele stumpfen ab. Das ist traurig, aber ich bin mir sicher, dass sich das irgendwann auch wieder ändern wird. Daran glaub ich nach wie vor fest. Meiner Meinung nach ist es daher auch wichtig, etwas Licht in das Ganze zu bringen, und nicht alles immer nur negativ zu sehen, denn das bringt uns im Endeffekt auch nicht weiter… Trotz aller Enttäuschungen sind nämlich noch lange nicht alle so drauf! Und ich muss sagen, dass ich gerade auch durch Escapado in letzter Zeit so viele dermaßen nette und aufrichtige Menschen kennengelernt habe!! Schön, dass es euch gibt!

Kultursponsoring à la Eastpack-Resistance-Tour oder Volkswagen Bandsupport finden wir…:

ESC: …widersprüchlich. Letztendlich stellt sich die Frage, wem so etwas am meisten nützt. Den Bands oder den Firmen?! Bei Musik sollte es doch hauptsächlich um Musik gehen, oder?! Den Firmen geht es hingegen eher um Zielgruppenerweitung oder –festigung. Sollte jede Band für sich entscheiden, ob sie diesen Support in Anspruch nehmen.

Das klingt sehr liberal. Ich neige bei dem Thema eher zu drastischeren Ausdrucksformen. Fräulein Eastpack und 11pm werden sich an die ein oder andere Kolumne erinnern.

In der fortschreitenden Konsumentenakzeptanz kostenpflichtiger Musikdownloads im Internet sehen wir…:

ESC: …die logische Konsequenz der kapitalistisch geprägten Musikindustrie, den baldigen Tod der CD (was weniger schlimm wäre) aber leider auch die Zukunft. Wer so blöd ist, soll sich den Scheiß doch runterladen! Wer das nicht will, auch okay! Es geht auch anders. Wer braucht schon die Musikindustrie? Musiker bestimmt nicht.

Das Schlimmste, was dem Musikuntergrund je passiert ist, ist…:

ESC: …für uns nicht wirklich zu beurteilen.

Warum nicht? Bewegt Ihr Euch etwa nicht in unabhängigen Strukturen und nehmt Dinge wahr, die Euch komplett gegen den Strich gehen? Fundamentale Dinge, die ihren Ursprung in bestimmten grundlegenden Missständen haben?
Lars: Sicher gibt es Dinge, die einem auf die Nerven gehen. Aber wir setzen uns da bestimmt nicht so Szenepolizei-mäßig zusammen um gemeinsam heraus zu finden, was denn das schlimmste sei. Aber wenn wir schon bei „grundlegenden Missständen“ sind: Menschen, die sich gegenseitig nicht fair behandeln, nicht bereit sind, sich gegenseitig zu respektieren, die sich Urteile anmaßen, ohne sich zu kennen und ohne einen Dialog zu suchen, die dumm sind und sich doch für die schlauesten halten… die Liste könnte endlos so weitergehen. Hinter Problemen stehen immer Menschen oder solche, die’s gern wären oder sich mal bemühen sollten, welche zu werden… wie auch immer.

Slogans wie „ECO FIGHT – GO VEGAN“, oder „STRAIGHT EDGE – IF YOU´RE NOT NOW YOU NEVER WERE“, machen uns…:

ESC: …wahrscheinlich auch nicht zu militanten Veganern und / oder Straight Edgern… Was sollen solche Slogans schon großartig bewirken? Sollten sich diejenigen, die sie bringen, vielleicht mal überlegen.

Antiamerikanismus ist…:

ESC: …was für NPD-Wähler.

Terrorismus ist lediglich eine perspektivische Betrachtungsebene, einzig und allein ermöglicht durch…:

ESC: …?!?…ist Terrorismus lediglich eine perspektivische Betrachtungsebene? Können und wollen wir nicht beurteilen, schon gar nicht auf so einer vage formulierten Grundlage.

Ausgehend davon, dass sich Aktivisten sicherlich niemals selbst als Terroristen bezeichnen würden, sondern dies, pauschal formuliert, dem Gegner überlassen, ist das keineswegs eine vage Aussage. Mit Blick auf die 70er Jahre in Deutschland lässt sich doch sagen, dass man nur von Terrorismus sprach und spricht, weil, so platt das auch klingen mag, die Revolution gescheitert ist. Insofern verkommt die Begrifflichkeit des Terrorismus doch zu nichts weiter, als einer oktruyierten perspektivischen Betrachtungsebene des ´Siegers´ und seiner Medienhoheit. Macht es das jetzt deutlicher?

Lars: Ok, verstehe. Demnach wäre die korrekte Antwort auf deine Frage „…Machtverhältnisse.“ Allerdings möchte ich mal stark bezweifeln, dass Terrorismus aufgrund solcher begrifflichen Ambivalenzen eigentlich gar nicht existiert. Kalkulierter „politischer Befreiungskampf“ kann in seinen Auswirkungen auf das Recht eines jeden Menschen auf Würde, Freiheit und körperliche Unversehrtheit ebenso terroristisch sein wie kalkulierte Staatsgewalt, und das nicht nur aufgrund der Reaktion eines Staates auf unliebsame „Aktivisten“. Also nein, Terrorismus ist für mich absolut nicht nur eine perspektivische Betrachtungsebene, und wenn z.B. Selbstmordattentäter zu Aktivisten verklärt werden – sowas kommt ja erschreckend häufig vor, leider auch in linken Zusammenhängen – dann fällt mir dazu echt nix mehr ein.
Chris: Terror ist scheiße – eine andere Meinung kann, will ich da nicht akzeptieren – wenn ich lese „Terrorismus ist lediglich eine perspektivische Betrachtungsebene, einzig und allein ermöglicht durch…“ könnte ich kotzen… Natürlich ist es eine Betrachtungsebene – eine handvoll Menschen, die eine Masse in Angst und Ungewissheit versetzt. Wer gibt ihnen das Recht? Der Zweck heiligt die Mittel um gesellschaftliche Ordnungen zu verändern??

Politisierte Songinhalte rufen bei uns immer so ein Gefühl des…:

ESC: Politisierte Songinhalte rufen bei uns nicht immer automatisch ein bestimmtes Grundgefühl hervor. Wir mögen auch politische Songtexte, sofern sie nicht zu parolisiert sind. Es kommt halt immer darauf an, wie und warum jemand politische Inhalte in Songs verarbeitet.

Linkspolitische Ausdrucksformen und Lebensweisen werden solange ihr Nischendasein nicht überwinden können, wie…:

ESC: Warum sollten sie das nicht können? Bzw, warum sollten wir in der Lage sein, zu irgendwelchen Sachverhalten eine Problemlösung anzubieten? Da hat jeder von uns sicher eine individuelle Meinung zu, aber wir würden uns da nichts auf die Agenda schreiben oder so. Außer vielleicht, dass wir es blöd finden, wenn Leute auf Teufel komm raus auf ihren Positionen verharren und keine Diskussion mehr zulassen… wenn es so zu eigentlich unnötigen Rivalitäten kommt und es scheint, dass sich diese Leute lieber untereinander in die Haare kriegen statt aufeinander zuzugehen und miteinander zu reden. Auch wenn das jetzt sehr vereinfacht ausgedrückt ist und sicher nicht allen Konflikten gerecht werden kann.

Handys sind…:

ESC: …vieles… und vor allem überall.

“Der Trend zum Zweithandy“ (neulich im Radio aufgeschnappt) ist…

Lars: …bei mir noch nicht angekommen.
Chris: verdammt, fällt das Handy als Statussymbol weg?? – wie soll ich mich jetzt profilieren? Naja, es gibt ja noch die netten Klingeltöne im Abo zu 4,99…

Das derzeit hirnrissigste beispiel für pervertierte populärkultur ist…:

Jan: Die derzeitige Popkultur ist nicht pervers, d.h. krankhaft von der Norm abweichend, denn sie ist, wie das Wort Popkultur impliziert, populär und somit „normal“. Das heißt aber nicht, dass sie nicht „hirnrissig“ ist. Das Konsumbedürfnis, das jeder Mensch zu einem gewissen Grad hat, wird z. B. von Seiten der Musikindustrie kapitalistisch ausgenutzt. Das bedeutet, die Qualität des größten Teils der „Mainstream-Musik“ ist logischerweise sehr schlecht, weil Künstler nicht gefördert, sondern regelrecht ausgequetscht werden, um einen möglichst hohen Absatz zu erreichen. Das ist ein Teufelskreis, denn die meisten Menschen unterliegen einem starken Anpassungszwang, der den Kreis der „Mainstream-Konsumenten“ immer mehr vergrößert und somit eine vielfältige und qualitativ hochwertige Musiklandschaft verhindert.

Mit Avril Lavigne oder Jennifer Lopez würden wir nur zusammen auftreten, wenn…

ESC: … sie uns nett fragen, vor dem Konzert mit uns ´ne Runde kickern, und wir Spritkohle, veganes / vegetarisches Essen und Pennplätze zugesichert bekommen.

Die Filme Fight Club und Donnie Darko halten wir für…

ESC: …sehenswert / unterhaltsam / etc… Jeder von uns hat da sicherlich seine eigene Meinung zu diesen Filmen. Vielen Dank für das Interview!

©Worte: Kommando Friesische Wiese
©Montage: Andre Viagrafik
©Photos u.a. Jana Janicki

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