März 17th, 2007

DRI (#97, 12-2002)

Posted in interview by andreas

Nähert man sich dem bielefelder AJZ so stechen einem die Gegensätze der näheren Umgebung des Kultclubs ins Auge. Auf der einen Seite ein von aussen abgefucktes Gebäude, in dem sich nach wie vor legendäre Bands aus dem Bereich Punkrock die Klinke in die Hand geben, auf der anderen Seite der Strasse, geben sich Omas und Hausfrauen die Klinke des Supermarktes LIDL in die Hand. Allerdings mit einem dem Ziel um sich mit Lebensmittel einzudecken. Praktisch allein deswegen, da sich dadurch excellente Parkmöglichkeiten ergeben.

Zwei versprengte Punkrockgestalten der mittleren Generation lassen uns `rein ins AJZ, da wo wenige Stunden später D.R.I. im Rahmen ihrer „20 years anniversary Tour 2002“ auftreten sollten. Vom Tourmanager geführt, finde ich Kurt Brecht, die Stimme der Band aus San Francisco am Merchandising Stand.

1992 hatte ich D.R.I. zum letzten Male live erlebt.n Auf dem Weg vom Stand, den Kurt erst verlässt, als der Tourmanager ihm versichert aufzupassen und am Platz zu bleiben, zum Interviewplatz im Obergeschoss, fällt mir auf, dass Brecht sehr ruhig und introvertriert in der Defensive bleibt, was sich im Laufe unseres Gespräches ändern sollte.

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Kurt, dein Name hört sich ziemlich deutsch an. Hast du hier Verwandtschaft?

Kurt: Ja, stimmt. Meine Urgrosseltern sind deutsch, trotzdem habe ich auf Tour keine Zeit Besuche zu machen. Wir haben eigentlich für nix anderes Zeit als zu spielen, um dann zur nächsten Show zu fahren.

Die meisten Leute kennen dich als Sänger, aber du bist auch Schriftsteller. Erzähl uns doch `mal wie dein Buch „Notes from the nest“ entstand!

Kurt: Als wir die Band D.R.I. starteten bestand unser Leben quasi aus einer Tour nach der anderen mit kurzen Unterbrechungen, um eine Scheibe aufzunehmen oder einen kurzen Urlaub zu machen. In den frühen Tagen wurden wir aber auch sehr schlecht bezahlt und wir hatten eigentlich keine Möglichkeit nach Rückkehr von Touren uns ernsthaft um einen Job zu kümmern.

Wir mussten auf eigene Faust nach Schlafplätzen suchen-auf der Couch von Freunden zum Beispiel. Ich war es schliesslich leid im Auto oder auf dem Sofa eines Freundes zu übernachten, so fand ich diesen Baum und machte mir eines schönes Nest, eine wunderbar natürliche Umgebung, hoch über dem Boden, der voller Diebe und Halunken unsicher war, die zu diesem Zeitpunkt im Park lebten und das auch immer noch tun. So blieb ich dort. Nach der nächsten Tour ging es uns finanziell besser und ich lebte dann in dem Haus eines Freundes in Oakland. So ging ich nicht wieder zum Leben an die Stelle dieses Nestes, wohl zum Anschauen und Besuchen, wenn ich in der Nähe von San Francisco bin.

War das Schreiben des Buches „Notes from the nest“, so eine Art verarbeiten und verstehen dieser Lebensperiode?

Kurt: Noch bevor „Notes from the nest“ herauskam, hatte ich ein Buch mit Texten, Zeichnungen und Photographien von mir, dass ich auf Tour verkaufte und konnte mir so ein Polster für meinen Lebensunterhalt sparen. Nachdem ich die Geschichte „Notes from the nest“ vielen verschiedenen Leuten erzählt habe und das gut ankam, entschied ich mich die Geschichte dieser Baumhaustage zu publizieren.

Das war in der Umsetzung nicht schwer, denn ich hatte so eine Art Tagebuch geführt, so musste ich alles nur zusammen tun und es in die richtige zeitliche Reihenfolge setzen. Letzen Endes war die Publikation eine Hilfe in Zeiten ohne Geld auszukommen. Vorher gab es Zeiten, in denen ich gehungert habe und aussah wie ein Skelett.

Wo wohnst du momentan?

Kurt: Nicht mehr im Baumhaus. Habe mir eine Ranch mit grossem Besitz in Texas gekauft. Die Behausung war allerdings, als ich sie mir gekauft habe nicht bewohnbar, habe die schreinerarbeiten selbst getätigt und die Gebäude wohnfähig umgebaut. Ziemlich abgelegen, ohne Nachbarn wohne ich zusammen mit meinem Sohn und meiner Frau.

Textlich habt ihr Witz-Songs wie „Tone Deaf“ aber auch kritische Lieder wie „Gun Control“ im Programm, machen deiner Menung nach diese unterschiedlichen Richtungen die Würze der D.R.I. Lyrics aus?

Kurt: Die Lyrics für „Gun Control“ hat Spike geschrieben, was ein gutes Beispiel dafür ist, dass wir auf Platten nie angeben, wer für was verantwortlich ist. Es geht um das politische Thema der Möglichkeit der Verschärfung des Waffengesetzes, für das wir einstehen. Bei „Tone deaf“ nehme ich mich selbst auf den Arm und beschreibe meine Unfähigkeit zu singen. Deshalb schreie ich den kompletten Text auch. Obwohl wir auch viele politische Songs haben, nehmen wir uns nicht bierernst und das, so glaube ich, macht die Würze unserer Texte aus.

Was steckt hinter der Bedeutung des „laufenden Mannes“, eueres Logos?

Kurt: Es bedeutet „Slam Dancing“, „Moshing“, „Circle Pit“. Mein Bruder Eric, der Urschlagzeuger von D.R.I. und ich waren zusammen in einer Kunsthochschule in Houston, als die Band sich formierte. Eins unserer Studienaufgaben, war ein Strassenverkehrszeichen zu entwickeln. Seine Idee war es ein Verbotszeichen mit dem durchgestrichenen „Running man“ als Verbotszeichen gegen „Pogodancing“ für Clubs zu entwickeln.

Wir entschieden uns dafür, dieses Zeichen nicht für D.R.I. sondern für unsere Plattenfirma „Rotten Records“ zu benutzen, als Rückseite unserer Cd`s. Später begannen wir dann doch es auf D.R.I. T-Shirts zu drucken, plötzlich landete es auf unseren Plattencovern und wurde so etwas wie das D.R.I. Symbol schlechthin.

Ich finde es nach wie vor ziemlich unglaublich, dass ihr momentan ohne Plattendeal dasteht. Was denkst du darüber?

Kurt: Ich denke die Plattenindustrie sucht nach jungen, lukrativ auszuschlachtenden Bands, die sich 1.000.000-fach verkaufen lassen und D.R.I. hat deren Meinung nach den kommerziellen Zenitpunkt überschritten. Sie wollen halt kein Risiko eingehen. Nur was sie nicht erkannt haben ist, dass wir eine „hard working Band“ sind und waren. Wir canceln keine Touren, promoten die Alben und geben live alles.

Wenn es so kommen sollte, bringen wir bald unser eigenes Album heraus und ich hoffe, dass es gut einschlägt und die Plattenfirmen kommen auf uns zu, um es uns abzukaufen. Dann werden wir sagen „Fuck you“ und uns die ganze Kohle selber `reinschieben! Letzten Endes scheitert es beim Aufnehmen + Promoten eines eventuellen neuem D.R.I. Albums nur am Geld, das wir nicht haben. Uns geht es ziemlich auf die Nerven, von Plattenfirmen ausgenommen zu werden. Mittlerweile hat es sich auf Tour so eingespielt, dass ich den Merchandising selbst mache und T-Shirts verkaufe. Live auf der Bühne wird vom Publikum viel altes Zeug gewünscht, das wir selbstverständlich auch spielen. Wir wollen alle nicht zurück in ein reguläres Arbeitsverhältnis mit einem Boss, der einem erzählt, was man zu tun hat.

Mit welchem Line-Up sind D.R.I. 2002 unterwegs?

Kurt: Rob Rampy am Schlagzeug, seit 12 Jahren an der Schiessbude, am Bass der „neue“ Mann, Herold O., seit 2 oder 3 Jahren dabei. Er ist ein bekannter Fotograf aus San Francisco und hat bereits für Slayer, Exodus und Metallica Plattenphotos geschossen. Er war vorher Bass Technician und Fotograf für uns. Spike Cassidy an der Gitarre und ich an den Vox.

Siehst du dich selber eher als Musiker oder als Schriftsteller?

Kurt: Ich denke ich bin Schriftsteller, der das Glück hat und die Möglichkeit seine Zeilen herauszuschreien, das ist alles. Ich bin kein grosser Performer, wie es unser Bassmann Harold O. sein will, der die grossen Festivals mit 20 000 Leuten vor der Stage auf denen wir spielen, dazu benutzt, um seine Rock`n Roll Lifestyle Phantasien auszuleben. Ich finde das eher erschreckend, vor so vielen Menschen zu spielen und finde eher die kleinen Club-Shows, wo die älteren Gründungsmitglieder von D.R.I. sich in die Augen sehen können, wir ziehen die kleineren Shows den Riesigen vor.

Wann erscheint dein nächstes Buch?

Kurt: Brecht: Ich versuche erstmal meine vier alten Bücher neu zu veröffentlichen und noch nicht ein Mal das kann ich mir finanziell erlauben. Nur eins von den vieren zu veröffentlichen würde mich über 10.000 $ kosten, Geld das mir leider nicht zur Verfügung steht. Als nächstes würde ich gerne eine D.R.I.-Biographie veröffentlichen, mit Photos und Zeichnungen, bereits herausgegeben habe ich so etwas wie Spoken Word Cd`s, Spoken Word ist der falsche Ausdruck , es ist halt meine Stimme und ich lese das komplette Buch, diese Cd`s kann ich kostengünstig nach Auftrag brennen und dann verschicken.

Deine last words:

Checkt unsere Homepage: dirtyrottenimbeciles.com. Spike ist dafür verantwortlich und sie beinhaltet Infos über uns, D.R.I. Tattoos, alte Flyer, Tourdates, Mp3`s, insgesamt richtig cool gestaltet. Meine Homepage ist: www.dirtyrottenpress.com, dort findet ihr all` meine Bücher und andere Merchandising Artikel, die man sonst nirgendwo finden kann.

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Der langhaarige D.R.I. Shouter hatte gesprochen. Die komplette Interviewatmosphäre war sehr entspannt und ruhig und mir war schon in den ersten Minuten des Gespräches klar, dass ich es eben nicht mit einem aufgeblasenen, zugekoksten Rockstar zu tun habe, sondern mit einem erfahrenen, ehrlichen Künstler, der schon aus der Hand in den Mund und in einem Baumhaus gelebt hatte. Zur Realisierung seiner Ideen fehlen ihm und seiner Band D.R.I. eigentlich nur die Kohle. Auf dem Heimweg mit dem Auto werden dann die Boxen bei „Thrashhard“ nochmal bis aufs äusserste strapaziert, erst ein Blitzgerät erinnert mich daran, dass Geschwindigkeit mit D.R.I. nicht kompartibel sind.

Interview: Robin Kruska

Links (2015):
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