Januar 19th, 2020

DIE FREMDEN aus #152, 2012

Posted in interview by Jan

DIE FREMDEN gründeten sich 1989 in Göttingen, 1993 erschien ihr Debüt mit dem vulliminösen Titel ‚Schmerz und warum Sinne und Sucht uns Zauber, Musik, Liebe und Tod lehrten die Fremden‘. 1994 zogen die Bandmitglieder nach Berlin. Ihr zweites Album ‚Dilemma‘ nahmen Die Fremden auf dem Landhaus der Ton Steine Scherben in Fresenhagen auf. Darüber hinaus hatten sie den Ruf eines äußerst intensiven Live Acts. Doch ihr Sound galt wohl als zu undefinierbar und so waren DIE FREMDEN für die Punkszene und dem Mainstream gleichermaßen zu wenig konform und tendierten daher zu einem Geheimtipp. Und in der Tat waren sie eine total außergewöhnliche Band.

Denn um sie mit anderen deutschen Bands zu vergleichen, würden wohl am ehesten noch Die Einstürzenden Neubauten, Can oder Ton Steine Scherben als Messlatte heranreichen. Doch selbst mit diesem Schuhbladensystem, wäre der Stil der Band nicht auf Anhieb erklärt. Um es in eigenen Worten zu fassen, zelebrierten DIE FREMDEN Tiefgang, Trance und Poesie und vermischten musikalisch die Energie des Punkrocks mit der psychedelischen Virtuosität der Kraut und Acidrockbands der 70er. Textlich pendelten sie zwischen einer gewissen, trostlosen Märchenromantik und dem Nihilismus der Punkrock-Attitüde.

Wie z.B. bei ‚Es wird kalt‘ – „Der Zwerg ist tot in einer Welt aus Masken, es kommt der Herbst und es wird kalt. Einsam wartet das Königskind auf das Ende der Martern. Angst vor dem Wahnsinn, Angst vor der Wahrheit, Angst vor dem Wagnis, Angst vor dem Ich. Erstarrt im Lebenskampf und es dauert immer noch so lang. Wer hört muss fühlen – friss oder stirb. Dem Junkie die Nadel, der Welt das Geld. Sparen auf die Zukunft, sparen mit dem Leben, sparen auf das Ende.“ Sehr treffend ist auch wie sie Gefühle umschreiben wie z.B. bei ‚Der Tanz‘ – „Manchmal wie verlaufen in der Sinnlosigkeit im
Endloslabyrinth, das keinen Ausweg weiß. Manchmal wie verdorrt in der Fruchtlosigkeit wie ein toter Baum, der keine Blüten treibt“.

Und wer kommt schon auf solch geniale Textpassagen wie „Der Kunde ist König im Land des Kaisers“, „Manche denken und ich bedanke mich dafür“ oder „In jeder Straße wohnen die Mörder“? Und fesselnd war auch die Art, wie Diva diese poetischen, apokalyptischen Texte mit einer absoluten Leidenschaft und Hingabe vortrug. Kurz vor Beginn der Arbeiten zu ihrem dritten Album, löste sich die Band im Sommer 1996 auf und hinterließen dabei eine Lücke die wenn überhaupt, dann nur von EA 80 ersetzt werden konnte. Am 14 Januar 2011 kehrten DIE FREMDEN erstmal für ein Konzert in der Berliner Supamolly zurück. Was natürlich einige Fragen aufwarf.

Unter MySpace heißt es: „Nach turbulenten Jahren löst sich die Band kurz vor Beginn der Arbeiten zum 3. Album im Sommer 1996 auf“. Was waren das für Turbulenzen, warum habt ihr euch aufgelöst?
Im Allgemeinen waren das der ewige Kampf allein gegen alle. Wir waren sieben Jahre lang unterwegs und sind dabei praktisch ununterbrochen gegen Wände gelaufen. Wir kamen einfach nicht durch. Irgendwann kehrte sich dann die ganze Energie gegen uns selbst und wir rannten auseinander.

1996 – 2011 ist eine lange Zeit. Was habt ihr all die Jahre gemacht?
H.C. ist Arzt und spielt mit seiner Freundin in der Band Plastic Zouzou. Snorre ist jahrelang erfolgreich mit Klezmer Bands wie Di Grine Kuzine und diversen anderen Musikern über die Kontinente getourt. Diva ist Toningenieur und hat sein kleines Studio. Wolf hat mit seiner Band Schwarz zwei CDs veröffentlicht und 2007 Radio Utopie gegründet. Wir sind alle in Berlin geblieben.

Nach rund 15 Jahren habt ihr im Januar dieses Jahres wieder ein paar Konzerte gespielt, auf wie vielen Bühnen seid ihr gestanden und was hat euch dazu bewegt?
Genau genommen haben wir nur ein einziges gespielt bisher und werden im Laufe des Jahres, im Rahmen eines Filmprojektes, ein weiteres geben. Der Anlass war wie folgt: Diva kam am Abend des 5.Januar 2009 auf die Idee, er müsste Wolf mal anrufen, damit wir uns alle treffen. Einen Tag nach dem Anruf fanden sie übrigens den alten Gitarristen der Stooges, Ron Asheton, tot in seinem Haus. Wolf und H.C. hatten sich, nach der Schulzeit, 1987 auf einem Iggy Pop Konzert wieder getroffen. Die Stooges hatten sich 2002 nach fast 20 Jahren wieder zusammen getan. Wir trafen uns am 7.Mai 2009 und sahen uns zum ersten Mal seit 13 Jahren wieder. Es war alles wie immer. Es hat dann nochmal bis zum 14.Januar 2011 gedauert, bis wir das Konzert gegeben haben. Es kamen Leute aus diversen Städten angereist.

Und wie war es? Habt ihr wieder Blut geleckt? Können wir mit weiteren Gigs von euch rechnen oder noch besser auf euer langersehntes dritten Album hoffen?
Die Hütte bebte und alle waren zufrieden. Das dritte Album ist ein Rätsel, was wir noch lösen müssen. Aber unmöglich ist nichts. Es kommt eben auf uns an.

In welche Richtung wird es gehen und feilt ihr auch schon an ein paar neueren Songs?
Wir haben mehrere Songs, die nach dem „Dilemma“-Album ab 1995 entstanden sind, nie oder auf kleinen Samplern veröffentlicht wurden und dennoch fest im Programm waren. Sie zählen auch zu unseren Lieblingsstücken, die wir auch beim Konzert im Januar gespielt haben. Die Richtung der Songs sind wir. Mehr kann man dazu nicht sagen. Zwei der Songs, „Besessen“ und „Zauberin“ hat Wolf mit Schwarz in seiner Version veröffentlicht.

Diva: Deine Texte sind auf der einen Seite hochpoetisch und auf der anderen Seite auch total schlagkräftig. Wer hat dich beim Texte schreiben beeinflusst?
Diva: Das Leben als Solches.

Bei ‚Alcohol‘ oder überhaupt in einigen eurer Texten umschreibt Ihr die Gesichter der Sucht ziemlich genau, war euer Umfeld stark davon geprägt?
Ja.

Und was ist aus Stefan B. geworden, dem ihr den Text von ‚Alcohol‘ gewidmet habt?
Wolf: Den habe ich seit 16 Jahren nicht mehr gesehen.

Euch eilt der Ruf voraus, als die Ton Steine Scherben der 90er, inwieweit seht ihr euch darin wieder? Und wie war es in Fresenhagen mit dem späten Ton Steine Scherben Gitarrist Dirk Schlömer eure zweite Platte ‚Dilemma‘ aufzunehmen?
Es war eine der irrsten Erfahrungen überhaupt, die wir so nie ganz beschreiben können. Inmitten der abgeschiedenen Landschaft haben wir praktisch in einem Billiardraum aufgenommen, ohne Trennwand zum Mischpult. Rio war zu der Zeit gerade unterwegs auf Tour. Morgens riefen manchmal irgendwelche Fans an. Es war alles sehr intensiv. Manche Sachen haben wir zehn-, zwanzig Mal zusammen eingespielt.

Was die Herangehensweise angeht, oder gerade den Sound – damals waren eigentlich alle Produktionen schon auf CDs ausgerichtet – hätten wir sicherlich vieles Besser machen können. Das Highlight für uns dort war die Aufnahme des Saxophons von Gunter Hampel und die anschliessende Feier mit Ton Steine Scherben-Gitarrist Lanrue. Das war so richtig ein bisschen Musikgeschichte und wir mittendrin.

Und was für Musik läuft sonst so in euern Gemächern?
Bei H.C. ist und war es Lou Reed. Bei Snorre ist es in den letzten Jahren sehr viel Folklore und schnelle Instrumentalmusik. Diva hört eigentlich ständig Musik, nämlich die er abmischt. Wolf hört Gitarrenmusik und Sphärensounds wie auf Blue Mars. Wir haben alle die großen Gitarrenbands gehört, angefangen von Stones, Led Zeppelin, bis hin zu Stooges, AC/DC. Einmal spielten wir zusammen mit Wayne Kramer von MC5. Darüber freuten wir uns an die Decke.

Ton Steine Scherben wurde ja gerne als ‚Politband‘ abgestempelt, was sie so aber nicht waren, weil sie viel mehr Facetten zu bedienen wussten. Ich persönlich fand immer ihr schwarzes Album als das herausstechendste. Welches Album oder welche Songs sagten euch am meisten zu?
Das war bei uns sehr unterschiedlich. Das Schwarze Album war ohne Zweifel das Grübelndste, das mit viel Zeit und ohne den Druck der Berliner Straßen im Gepäck. Wir haben auf dem Dilemma-Album „Wo sind wir jetzt“ aus dem letzten Album gecovert. Meistens ist es aber der erste Song, den man von einer Band hört und mag, der sich einfach einprägt. Und das ist bei vielen der erste Titel vom Album „Keine Macht für Niemand“ gewesen, nämlich „Wir müssen hier raus“.

Die Texte von DIE FREMDEN waren meist recht melancholisch und düster. Irgendwie habe ich den Eindruck, das ihr heute entspannter und gelassener seid bzw. mehr in einem inneren Frieden lebt als damals? Lege ich damit richtig? Würdet ihr heute noch ähnliche Texte schreiben wie früher?
Als wir uns nach 14 Jahren zum ersten Mal wieder getroffen haben, war es ungefähr so, als wären wir alle nur einmal um den Block gegangen. Das Gleiche im Übungsraum. Diva sprach es wie folgt aus: „Verdammt, das klingt ja genau wie früher.“ Was wir da gemacht haben, entsprang einer nicht zubetonierten oder begradeten Quelle. Wir ließen einfach die Ideen strömen, ließen das Langweilige und Banale weg und dachten es nachher dann trotzdem nicht zu Tode. In der heutigen Zeit eigentlich undenkbar. Aber es steht zu befürchten, daß, wenn wir noch einmal Texte schreiben, es ganz genauso machen würden.

Wolf: Du schreibst unter deinem bürgerlichen Namen Daniel Neun als Medienberichterstatter bei Radio Utopie (www.radio-utopie.de). Erzähl uns mal, was es mit dieser Internetseite auf sich hat?
Wolf: Hmmm. Also, im Grunde ist das eine lange Geschichte, die nicht hier und jetzt vollumfänglich erläutert werden kann. Es ist ein Geheimnis, versteckt in einem Rätsel, in einem Enigma versteckt. Was ich konkret mache, ist, den ganzen Tag Regierung, Banken, Konzerne, Militärs, Spione und alle Ausbeuter der Menschheit so gut es kann vom Grundgesetz zu verscheuchen und bis zur Ära der Kreativdemokratie durchzuhalten. Dann habe ich vor, meine und unsere und überhaupt jede gute Musik über Radio Utopie zu vertreiben und zu verbreiten. Außerdem will ich irgendwann Milliardär irgendeiner Luftwährung werden und in 100 Jahren als einflussreicher, mysteriöser Medienmogul „Bürger 9“ [1] eines Tages „Rosebud“ hauchen und dann dahinwelken.

Welche politischen Spannungen und Konflikte beschäftigen dich derzeit am meisten? – Oder wie würdest du den Zeitabschnitt beschreiben indem wir uns befinden?
Postimperialismus, Digitale Epoche, Übergang in das Wissenszeitalter und der kreativen Gesellschaftsformen.

Im TRUST wurde das Thema Finanzkrise über mehrere Ausgaben behandelt u.a. von Reiner Roth (Mitglied des Rhein-Main-Bündnisses 500 Euro-Eckregelsatz und Autor des Buches „Nebensache Mensch Arbeitslosigkeit in Deutschland“. Von der linken Polit-Zeitschrift Wildcat und von  Sylvia Bayram die das Buch „Globalisierung Macht Krise“ veröffentlichte. Erläutere doch mal deinen Eindruck über die Finanzkrise und wo denkst du wird diese hinführen?
In den Zusammenbruch des Weltkapitalismus alias „Globalisierung“. Dazu folgendes: Marx hat zwei Grundfehler. 1.: Nicht das Sein bestimmt ausschließlich das Bewusstsein, sondern das Bewusstsein ist das Einzige, was das Sein verändern kann. Was soll denn das Sein sonst verändern? Das Wetter?
2.: Die fundamentale Macht des Kapitals begründet sich in seinem Privileg der Selbstvermehrung, also dem Privileg neues Kapital zu erfinden, zu „schöpfen“. Das Geldschöpfungsmonopol der Finanzorganisationen, der Banken, ist der Schlüssel der Macht des Kapitals.

Das Privateigentum an Produktionsmitteln ist nur ein Nebenschauplatz und dazu als Analyse vollkommen überholt. Ich schreibe Dir gerade an einem Produktionsmittel. Ich arbeite und produziere täglich damit, wie Hunderttausende Musiker, Autoren, Grafiker, Techniker, Programmierer weltweit auch. Dieses Produktionsmittel heisst Computer und wir wollen das behalten und ganz bestimmt nicht vergesellschaften. Trotzdem und gerade deshalb sind wir die Arbeiter, die Macher, das Proletariat, das Kreative Proletariat des 21.Jahrhunderts. Und wir werden es prägen.

Ich glaube besonders als kritischer Medienberichterstatter bewegt man sich oft im Spagat zwischen der politischen Hoffnung und der Ohnmacht, welcher Gefühlszustand ist in deiner Seele stärker ausgeprägt?
Zuversicht. Hoffnung ist irrelevant. Ohnmacht gibt es nur, wenn man ohnmächtig ist.

Welche Art von Musik (oder welche Bands) gibt es auf Radio Utopie zu hören?
Nur noch Bands und Künstler, die sich von den Ausbeutern in der Industrie verabschiedet haben und ihre Musik nicht den Verwertungsgesellschaften wie der 1934 vom Goebbels-Ministerium als Stagma gegründeten Gema in den Rachen werfen.

***

ALCOHOL
Manchmal ist es soweit und die Gedanken erdrücken mich
Das graue Fenster erstickt das Dämmerlicht
Nichts kann mein Zimmer füllen und den Kopf mir leeren
Jeder Ton ein Kreischen kann mein Zittern spüren
Nur du kannst mich retten deine sanfte Umarmung
Du wartest schon auf mich

Meine zweite Seele sie kann nichts mehr quälen
Kein Mensch kann mich warnen vor deinen süßen Armen
Sie können nicht verstehen dein Vergessen ist schön
Will nicht mehr an mich denken nicht wissen wer ich bin
Wir sehen uns täglich und du bist der der mich wirklich kennt
Ich rede mehr mit dir als mit irgendeinem Mensch
Brauch ich Geselligkeit bist du dabei

Nimmst mir jede Hemmung erschlägst mir die Zeit
Es gibt keinen Spaß mehr ohne dich du lässt mich nicht mehr los
Machst mich zum Herdentier und ich danke dir dafür
Brauch dich für alle Gefühle und davon gibt´s nicht mehr viele
Denk auch dann noch an dich wenn ich dich mal vergessen will

Manchmal träum ich davon ganz klar zu sein
Zu denken zu lachen endlich aufzuwachen
Aus deinem dumpfen trüben Schein
Vielleicht schaffen wir es gemeinsam
Dann sind wir nicht mehr so einsam

Zerbrechen unsere Mauern
Denn sonst ist es irgendwann zu spät
Ich habe dich erkannt
Hast mir die Seele verbrannt
Dein Glück war eine Lüge
Denn umsonst und schön ist nur der Tod

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Interview: Bela

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