September 16th, 2019

Denovali Records aus #153, 2012

Posted in interview by Jan

Mögen keine Szenen – Denovali Records
Ein Label-Porträt

Da sitze ich nun und höre das neue Album des Dale Cooper Quartets mit Dictaphone – müsste eigentlich noch rezensiert werden, muss aber warten. So einfach runtermetern will man das ja auch nicht. Weil es doch nicht die dreißigste Metalcore-Platte des Monats ist, nicht die zehnte Sludge-Walze und (ich stehe ja zu meinen Vorlieben) die siebte komische Platte der Woche, die ihr hier nie vermutet hättet. Das Dale Cooper Quartet liegt irgendwo dazwischen. Hardcore ist es nicht. Metal auch nicht. Aber es kommt doch aus einem Nachbarkosmos, den Bohren & Der Club Of Gore einst erschlossen.

Und: Dieses Quartett veröffentlicht im hause Denovali – ein Name, der aufmerksamen Lesern und Leserinnen auf diesen Seiten vielleicht schon aufgefallen ist. Weil er regelmäßig hinter Rezensionen steht, vorzugsweise welchen aus den Sektoren Doom, Noise, Ambient, aber auch eine klassische Hardcore-Band darf mal dabei sein.

Und weil Denovali nicht nur unermüdlich immer wieder gute Musik ausgräbt und unters geneigte Volk verteilt, sondern auch immer mal wieder durch eine sympatische Label-Politik auffällt, die durchaus DIY ist, ohne dabei zum Moralisieren zu neigen, ist dieses Interview jetzt langsam fällig. Meine Interviewpartner legten Wert auf ungekürzten Abdruck in Frage-Antwort-Form. Dem will ich gern entsprechen. Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass wir die Kommunikation auf dem Email-Weg erledigten, meine Fragen beantwortete Timo von Denovali.

Ich müsste lügen, dass ich erst jetzt die Zeit gefunden habe, weil ich mal eine Veröffentlichungspause abwarten wollte, bis ich euch Fragen schicke, aber die scheint es so oder so auch gar nicht zu geben – trotz viel beschworener Krise auf dem Tonträgermarkt gab es nach eurer eigenen Schätzung bis Anfang 2011 ungefähr 85 Veröffentlichungen. Warum seid ihr so verdammt produktiv?
Erstmal vielen Dank für das Interview. Ja, wir sind mittlerweile bei Releasenummer 110. Ehrlicherweise hätten wir das bei Labelstart Anfang 2005 auch nicht gedacht. An sich sind wir eigentlich auch relativ zügig etwas wählerisch geworden bzw. wussten wir nach einem Jahr dann vielleicht eher, was wir möchten und was nicht. Nichtsdestotrotz sind wir konstant in Kontakt mit für uns interessanten Künstlern und entdecken auch immer wieder musikalischen Output, den wir unterstützenswert finden. Uns interessiert (vielleicht im Gegensatz zu vielen anderen Labels) auch nicht der Status eines Künstlers – sprich: ob schon eine gewisse Fanbasis vorhanden ist und ob schon Veröffentlichungen passiert sind.

Unsere einzige Rechtfertigung ist eigentlich unser subjektiver Qualitätsanspruch – ob das, was wir machen, anderen gefällt, war immer sekundär. Derzeit haben wir in etwa einen ungeplanten Rhythmus von drei Veröffentlichungen pro Monat – das ist arbeitstechnisch allerdings unser absolutes Limit.
Gerade lief das vierte Swingfest, sozusagen das Festival zum Label, zu dem, wie in der taz zu lesen war, erstmals mehr als 400 Leute kamen. Das schien mir fast ein bisschen wenig angesichts des Line-ups mit Bands wie Sunn o))) und Bohren. Seid ihr zufrieden?
Es waren schon mehr als 400 Besucher (ansonsten wären wir jetzt pleite). Ich meine, an allen drei Tagen jeweils gut über 600 – der Sonntag war (sicherlich aufgrund der Feiertagssituation) am besten besucht. Ja, wir sind sehr zufrieden. Wir haben endlich die perfekten Räumlichkeiten gefunden, und das Feedback der Besucher (an sich natürlich das wichtigste Element) war durchweg positiv. Ich bin kein großer Festivalgänger und mir fehlen größtenteils Vergleichswerte – dennoch bin ich immer wieder erstaunt welches extreme Musikinteresse die Swingfest-Gänger mitbringen. Es gibt kein nerviges Gesäusel während der Auftritte, und fast jeder Festivalbesucher schaut sich – trotz der Unterschiedlichkeit der musikalischen Darbietung – jeden Künstler an. Vor fünf Jahren hätten wir es für völlig utopisch gehalten, dass aufgrund solch eines eigentlich recht sperrigen Programms so viele Leute aus verschiedensten Ländern anreisen.
So ganz kommt man ja beim Thema Labels um die Ökonomie nicht herum. Ich habe schon gelesen, dass ihr mit der Musikindustrie möglichst wenig zu tun haben wollt und dass ihr Denovali mittlerweile als „prekären Vollzeitjob“ betreibt, wie die taz es formulierte. Wieviel wirtschaftliche Kalkulation ringt ihr euch ab?
Das ist ein Thema bei dem man an sich weit ausholen müsste. Man könnte sich jetzt stumpf über all die typischen Stereotypen der Musikindustrie auslassen. Ich halte das für müßig – das sind Dinge die unser Wirken eigentlich gar nicht so richtig tangieren. Zudem handeln ehrlicherweise die meisten Independent Labels nicht anders als große Plattenfirmen. Musiklabels egal welchen Genres und egal welcher Couleur verfolgen bewusst oder unbewusst eine bestimmte Linie, die ein bestimmtes Image transportieren soll. Ob das nun die typischen Werbemechanismen der großen Plattenfirmen sind oder eben das DIY-Image inklusive selbst erstelltem Siebdruckcover, kopiertem Textblatt und durchgestrichenem Barcode.

Unter dem Strich bedient jeder die Erwartungen seiner Interessenten – der eine offensichtlicher, der andere subtiler. Wir bedienen dann bei dem Spielchen vielleicht einfach die Leute, die Interesse an etwas kunstorientierteren Artworks, Verpackungen und musikalischen Extremen haben. Gut kalkulieren müssen wir natürlich auch – aber da wir eigentlich einen recht stabilen Anteil an sehr loyalen Labelfans haben, sind wir zumindest meistens in der Lage einen Großteil der hohen Presskosten zügig zu decken. Dennoch gibt’s hier und da Releases, die wirklich schwierig und nur langfristig zu finanzieren sind.
Ich kann mir schon vorstellen, dass ihr lieber über Musik redet. Tun wir. Die erste Band, die ihr gemacht habt, war so eine klassische Hardcore-Band, um nicht Emo zu sagen. Über die letzten fünf Jahre habt ihr – so kommt es mir vor – im Kleinen (also als Label) nachvollzogen, was an den Rändern von Heavy Metal in Sachen Öffnung zu experimentelleren Stilrichtungen gelaufen ist. D‘ accord?
Wir sind in der Anfangszeit ja eher in das Label reingerutscht. Wir hatten irgendwann die Idee, dass man neben Konzerten ja vielleicht auch kleine Veröffentlichungen machen könnte. Durch die Konzerte und einige Internetkontakte hatten wir eine Anbindung zur DIY Szene – dementsprechend bewegten sich die ersten zwei, drei Cdr und regulären Veröffentlichungen in dem genannten musikalischen Spektrum. Unser privates musikalisches Interesse war eigentlich schon immer recht breit gestreut. Thomas lebte lange Jahre im elektronischen Bereich – meine musikalische Sozialisation war eher gitarrenlastig – ich hab’ mich eigentlich aber auch schon immer mit vielen verschiedenen anderen musikalischen Ausprägungen beschäftigt – das konnte intelligenten Hardcore genauso beinhalten wie Klassik oder Jazz.

Ich denke, der Fakt dass wir beide keine Szenen mögen, ist ein Hauptgrund dafür, dass man via Denovali eine Klassikformation mit Piano und Streichern wie Les Fragments De La Nuit neben instrumentalem Metal á la Omega Massif finden kann. Die Beobachtung dass wir uns an den Rändern des Metal (wie es in der taz stand) austoben, kann ich nicht wirklich teilen. Wir haben beide keinerlei keine Affinität zu klassischem Metal oder gewollten Abwandlungen dessen, und das Labelprogramm beinhaltet ja alles von Jazz über Elektronica hin zu Ambient oder Drone. Wenn es denn eines Stempels bedarf, würde ich sagen, dass der überwiegende Teil der Denovali Künstler eine negative Grundstimmung in sich vereint. Das liegt wohl daran, dass die Gemütslage der beiden Labelbetreiber nicht kompatibel zu den Wombats, Beatsteaks oder Kooks ist.
Wenn ich das richtig verstehe, bildet sich sowas dann aus einer Mischung aus Privatinteressen und den existierenden Kontakten zu Bands ab. Wieviel „kuratorische“ Arbeit steckt in eurem Programm? Was euch gefällt, erscheint? Ihr hört ja bestimmt auch Sachen, die aus dem immerhin etwas größeren Denovali-Kosmos, wie er bis jetzt existiert, herausfallen, oder? Sprich: Käme da ein junger Mann mit akustischer Gitarre und sänge euch von Feldern, Wäldern und Wiesen – und euch gefiele das, würdet ihr das rausbringen?
Prinzipiell ist der Denovali Kosmos ja schon sehr weit abgesteckt. Haupteinflussfaktor, ob etwas erscheint, ist der Geschmack von Thomas und mir. Da spielt es keine Rolle ob wir denken dass sich der jeweilige Künstler verkauft oder nicht. Wenn es sich nicht verkauft, haben wir vielleicht einfach unseren Job falsch gemacht. Gerade in Zeiten des Internets gibt’s für jedwede Art von Kunst Leute mit Interesse, die man auch irgendwie erreichen kann – und wenn es nur 100 sind, pressen wir einfach nur 100 Platten. Ein gutes Beispiel ist unser Freund N aus Dortmund. Aus unserer Sicht macht er eine super Platte nach der anderen und wir sind stolz, die zu veröffentlichen – da ihm aber vielleicht der Hype wie um Nadja fehlt oder er wie Sunn keine Mönchskutte im Schrank hat, ist die Auflage konstant bei 100 Stück.

Zurück zu deiner Frage: Ein gutes Beispiel – wir mögen beide keine Singer + Songwriter Musik, dementsprechend wird es das via Denovali nicht geben. Generell bin ich vielen Musikstilen gegenüber sehr intolerant beziehungsweise fehlt mir bei sehr vielen Künstlern einfach die Authentizität.
Dem Gelästere über das Internet steht ihr angenehm distanziert, entspannt, differenziert gegenüber. Ich las in einem Interview den Satz von euch: „Und für das Melken der Menschen, die eben die neuerlangte Freiheit nicht möchten, hat die Musikindustrie weiterhin goldene Esel wie Klingeltöne, Rock am Ring oder Lena Meyer-Landrut parat stehen. Also an allen Fronten alles paletti und generell gibt es wichtigere Dinge.“ Sehe ich auch so. Welche sind das für euch?
Exakt. Wir können die Fragen zu „MP3 umsonst – ja oder nein?“, „Kulturflatrate – die Option der Zukunft?“, „Wie steht ihr zum Niedergang der Musikindustrie?“ oder „Creative Commons – der Weg aus der Krise?“ nicht mehr hören. Zum Glück führen wir nicht so viele Interviews. Was wichtiger ist? Na ja, das hat dann nicht zwingend mit dem Label oder Musik zu tun. Und wenn ich mich jetzt hier über politische oder soziale Missstände auf der Welt ausließe, würde das vielleicht den Rahmen sprengen.
Noch eher eine Nebenbeifrage: Wie hängt ihr mit Golden Antenna zusammen – oder ist das nur die gleiche Promo-Abteilung?
Einen direkten Zusammenhang zwischen Golden Antenna und Denovali gibt es nicht – also der Timo von Golden Antenna ist nicht der Timo von Denovali. Unser Freund Magnus erledigt die Promoarbeit für beide Labels. Darüber hinaus teilen wir mit Timo von Golden Antenna sicherlich recht viele Ansichten in Sachen Labelarbeit, respektieren was er macht und verstehen uns auch fernab der Musik gut.

Interview: Stone

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