April 30th, 2020

Craig Finn aus # 200, 2020

Posted in interview by Jan

Craig Finn ist ein erwachsener Mann. Statt einer krumpligen Umarmung, wie es bei jüngeren Musikern üblich ist, reicht Craig einem zur Begrüßung altmodisch die Hand. Er ist gut gelaunt, obwohl der Soundcheck länger als geplant dauerte. „Gestern waren wir in Amsterdam und ich freute mich auf Tour zu sein. Ich saß an einem Kanal und trank Kaffee. Trotzdem musste ich mir in diesem Moment selber sagen, welch ein Glück ich habe, so etwas tun zu können“, erzählt Craig, als unser Interview fast vorbei ist und wirkt plötzlich nicht wie ein Sänger, „der Band mit den meisten Fantattoos, die nicht aus einem Punkrock/Hardcore- oder Metalkontext kommt“, (womit er recht haben könnte) sondern wie jemand, den der Job zum ersten Mal ins Ausland führt.

Es gibt Bands, die funktionieren immer, unabhängig von Alter, Lebensumstände oder Stimmungslage. „The Weakerthans“ gehören dazu, „Chamberlain“, Springsteen immer noch, „Muff Potter“ sowieso. Und eben „The Hold Steady“ und je älter ich werde Finns Solowerk, dem häufig kleine Kurzgeschichten, verpackt in Musik, zugrunde liegen. Als ich Craig sage, dass ich mir manchmal wünsche, in einem seiner Lieder zu leben, muss er lachen. Es wäre in der Tat ein sehr anstrengendes Leben, so scheinen Finns Figuren in einemfort zu scheitern.

„Bei meiner Band The Hold Steady schreibe ich Texte, zu einer Musik, die sehr groß, fast schon aufgeblasen und definitiv laut ist, darum müssen die Geschichten groß sein. Menschen werden erschossen oder noch schlimmeres passiert. Auf meinen Soloalben kommen zwar auch Verbrechen vor, aber alles ist kleiner gehalten. Die Charaktere halten sich nicht immer an die Gesetze, versuchen aber, das Richtige zu tun. Sie treffen nicht viele falsche Entscheidungen, haben aber trotzdem eine harte Zeit und versuchen den Kopf über Wasser zu halten.“

Exemplarisch steht hierfür das Lied „Grant at Galena“, aus dem der Albumtitel „I need a new war“, Finns aktuellem Album, entnommen ist. Finn bedient sich häufig popkulturelle, politische und manchmal gar biblische Querverweise in seinen Texten. Als Nichtamerikaner oder zumindest jemand, der englisch nicht als Muttersprache spricht, kann das manchmal anstrengend sein. Vielleicht ist das ein Grund, warum sowohl „The Hold Steady“ als auch Finns Solosachen bei Kritikern hierzulande euphorisch bis wohlwollend besprochen werden, das große Interesse und vor allem der Erfolg ausbleiben. „Vielleicht haben wir nicht die richtigen Melodien und die Texte sind zu lang?“, fragt Finn, nur um anschließend hinzuzufügen: „Ich bezweifle, dass wir überhaupt einen kommerziellen Sound in uns haben“, und meint wohl seine Hauptband, als auch seine Backing Band „The Uptown Controlers“, mit denen Craig zum ersten Mal in Europa unterwegs ist. Wer sich allerdings in diesem schnelllebigen Zeitalter die Zeit nimmt, was viel zu selten vorkommt, sich mit Finns Bands und seinen Texten auseinanderzusetzen, lernt nicht nur, die Lieder und die Geschichten, die darin erzählt werden, besser zu verstehen, sondern findet vielleicht sogar neue Lieblingsbands oder lernt zumindest etwas über Geschichte. Auf allen Alben gibt es Querverweise in eine alte Punk- und Hardcoreszene, zu Schauspieler und Filmen und jede Menge Rock’n’roll Geschichten, aber eben auch historisches.

Ulysses Grant war der 18. Präsident der Vereinigten Staaten. Zuvor war er Offizier in der Armee und eine Zeit lang, vor dem Ausbruch des Bürgerkriegs, arbeitslos. Diese Zeit, immerhin sieben Jahre, verbrachte er in Galena und wusste nichts mit sich anzufangen, er trank zu viel, hatte Schulden und drohte als gebrochener Mann zu enden. Bis Abraham Lincoln ihn zum Hauptbefehlshaber über die Unionsarmee machte, die die Konföderierten schließlich besiegten. Heute gilt er als amerikanischer Held. Doch all das dient Finn nur als Metapher. „In dem Song geht es nicht um Ulysses Grant, sondern um einen Typen, den ich aus Minnesota kenne, der eine schwere Zeit hatte. Er konnte seine Miete nicht bezahlen, der Strom wurde ihm abgestellt, das Auto weggenommen. Und dann gibt es da diesen Präsidenten Grant, der sieben Jahre einfach von der Rolle war, Geldschulden hatte und zu viel getrunken hat. Kein moderner Präsident hatte jemals so eine Phase, vergiss jetzt mal Trump, aber Bill Clinton oder Barak Obama, da gab es nur eine Richtung. Sieben Jahre ist eine lange Zeit. Das fand ich faszinierend, als Ansatz mich der Person zu nähern, verbunden mit der Hoffnung, dass es sich bei meinem Bekannten um eine Phase handelt, die vorbeigeht.“

Der Titel „Grant at Galena“, oder die daraus entnommene Textzeile „I need a new war“, könnte in den täglichen Sprachgebrauch übernommen werden, stelle ich fest, sobald es jemanden nicht gut geht und zu versauern droht, nur um diese Person mit diesen Worten aufzufordern, aus seinem Loch zu kommen. In der Tat scheint es so was im Englischen bereits zu geben. „Es ist schon ein schwarzhumoriges Sprichwort. Auch in der Wirtschaft gibt es einen sieben Jahres Zyklus mit Auf- und Abschwung. Es ist also auch ein kleiner politischer Seitenhieb. Und auch eine amerikanische Sache, weil jeder unbeliebte Präsident einen Krieg anfangen kann, um die Wirtschaft anzukurbeln. Es ist so gesehen ein düsterer Kommentar zur Weltlage. Aber hauptsächlich habe ich wirklich damit Grants Zeit in Galena gemeint.“

Bei einem weiteren Song vom Album, „A Bathtube in the kitchen“ muss ich dauernd an die Beastie Boys Biografie denken, weil die drei Musiker dort ihr Apartment mit eben jener Badewanne in der Küche beschreiben. „Das war früher eine gewöhnliche Sache. Das Buch ist toll, ich habe es auch gelesen. Ich erinnere mich, dass sie das schrieben. Viele alte Apartments in New York, vor allem im East Village hatten eine Badewanne in der Küche. Das verschwand fast vollständig, als die Gegend immer teurer wurde. Die reichen Leute wollten so was nicht haben. Es wurde sogar in der Wanne der Abwasch gemacht. Als ich im Jahr 2000 nach New York gezogen bin, gab es diese Zimmer noch, aber jetzt sind die fast vollständig verschwunden.“

In diesem Fall dienen der Songtitel und die Beschreibung allerdings nur um Ort und Zeit in der das Lied spielt zu definieren. Ansonsten kommt der Charakter der Geschichte nicht in der großen Stadt zu Recht. Eine der besten Zeilen auf dem Album lautet: „People moving into big cities spend so much time trying to turn it into their tiny town.” Wer will, kann das natürlich als Kritik an einer weltweit umgreifenden Gentrifizierung sehen. Auf einer Metaebene stimmt das vielleicht sogar, aber der eigentliche Hintergrund sieht anders aus. „Ich bin ja auch aus einer Kleinstadt nach New York gezogen, bin aber oft auf Tour, wenn ich aber zuhause bin, dann gehe ich einkaufen, was trinken, aber alles in meiner direkten Nachbarschaft. Bobby von The Hold Steady besitzt eine Bar die Lake Street heißt. Das ist eine große Straße in Minneapolis und jeder aus Minneapolis und in New York lebt geht eben in diese Bar, die jemanden gehört, der aus Minneapolis stammt. Das meinte ich damit.“

Angekündigt wurde „I need a new war“, als Abschluss einer Trilogie. Aber was soll nun kommen? „Ich bin mir nicht ganz sicher. Auf jeden Fall wird es mehr von Hold Steady geben, ich habe weiter Texte geschrieben, weiß aber noch nicht, wann ich ein Album rausbringen werde. Ich möchte ein paar Sachen anders machen.“ Was verrät Finn an dieser Stelle aber noch nicht, vielleicht weil er es selber noch nicht weiß. Jedenfalls wird er weiterhin Musik machen, weil Craig sich als rastlos beschreiben würde: „Ich mache viel Musik, The Hold Steady haben sieben Alben gemacht und ich noch mal vier eigene. Wir gehen auf Tour, spiele die kleinen Shows Europa. Ich finde es toll, Musik zu machen und mich künstlerisch auszudrücken.“ Mittlerweile sind zumindest für UK und Australien Konzerte von „The Hold Steady“ angekündigt.

Meine ursprüngliche Idee für dieses Gespräch war übrigens, kein Interview im klassischen Sinn zu führen, sondern zusammen mit Craig eine, auf seinen Liedern basierende, Kurzgeschichte zu schreiben. Ich bin mir nicht sicher, ob das funktioniert hätte, hatte eh zu wenig Zeit, mich ausführlich mit der Idee auseinanderzusetzen. Trotzdem berichte ich Craig davon und frage ihn, ob er glaubt, dass wir das hinbekommen hätten: „Ich glaube, es ist möglich. Aber es müsste ein paar große Sprünge geben, um alles zu verbinden. Wir können das beim nächsten Mal probieren, aber es ist ein ziemlich ambitioniertes Projekt.“

Text: Claas Reiners

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