Juni 22nd, 2020

Conta aus # 200, 2020

Posted in interview by Jan

Unversteckbarer Rumpel-Postpunk und Krawall ohne leere Parolen – Ein Interview mit CONTA

Es war Herbst. Und ein Abend, an dem ein Punk-Konzert in einer meiner Stammkonzertbuden stattfinden sollte. Ich hatte schlechte Laune, einen Kater vom Vorabend und in Anbetracht der Gesamtsituation der Welt keinen Bock auf irgendwas. Aber da noch Unterstützung gebraucht wurde und es ja schließlich auch meine Konzertgruppe war, die das veranstaltete, sagte ich zu vorbei zu kommen. Da schon jemand anderes Sound machte, blieb mir nur, die zahlreich erscheinenden Gäste mit unfreundlichem Gesicht an der Kasse am Eingang in Empfang zu nehmen. Immer in Warteposition darauf, Bemerkungen dazu, dass ich Lächeln oder gute Laune haben sollte, mit Prügel zu quittieren. Irgendwann kam dann einer meiner Konzertgruppenbuddys und empfahl mir, zumindest mal CONTA unten im Konzertkeller anzugucken. Er sei sich sicher, dass mir die gefallen würden.

Ich war erbost von dieser anmaßenden Idee, dass meine miese Laune durch so etwas schnödes wie live Musik durchbrochen werden könnte und saß kurze Zeit später endlich allein an der Kasse. Niemand nervte mehr mit Freundlichkeit oder Spenden für das Konzert. Alle waren im Keller, die Band fing grad an zu spielen und ich konnte endlich Schnaps trinken. Jedoch hörte ich nun den herrlich rumpeligen Postpunk und eine unglaubliche Stimme aus dem Keller, die meinen Fuß schon nach einigen Minuten unwillkürlich mitwippen ließen. Immer noch trotzig ging ich doch in den Keller und CONTA gefielen mir dann so richtig gut. Die hatten gar nicht vor mir gute Laune zu machen oder mir irgendwelche Parolen aufs Butterbrot zu schmieren oder von ihrem eigenen Weltschmerz zu berichten. Die machten da unten einfach ihr Ding, das mich sowohl musikalisch also auch inhaltlich überzeugte. Mich quasi da abholte wo ich stand.

Am nächsten Morgen hörte ich mir CONTA ohne todesmiese Laune und ausgeschlafen nochmal bei Bandcamp an. „Mädelhirntrauma“ heißt die Veröffentlichung dort. Es geht um Krawall. Statt um Liebe und Geld. Und es gefällt mir immer noch genauso gut wie an dem Abend. Damit auch andere meine Begeisterung teilen können, habe ich mit CONTA gesprochen. Über Krawall, Empathie, Szene und so. Aber lest selbst.

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„Alle von uns hätten ja auch vor 10/15 Jahren Bock gehabt, Musik zu machen. Und gekannt haben wir uns ja alle auch schon lange vor der Band. Das sind zum einen äußere Strukturen, aber zum anderen natürlich auch solche, die sich im eigenen Kopf festgesetzt haben, die lange dafür gesorgt haben, dass wir die Möglichkeit gar nicht ernsthaft in Erwägung gezogen haben.“

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Erzählt doch zunächst mal wie ihr zusammengefunden habt und wie eure ersten gemeinsamen Proberaumerlebnisse waren. Also woher kennt ihr euch und wie kam es dazu dass ihr eine Band wurdet?
Naja, wenn man es runterbrechen muss, gibt es uns aus dem gleichen Grund wie vermutlich die meisten Bands in der Geschichte von Bandgründungen. Zusammen Musik zu machen, war irgendwie ne Schnapsidee. Drei Viertel von uns haben während des Studiums in den gleichen Bars gearbeitet. Ein Viertel war dort Gast. Was nun irgendwie nach etwas zwischen Matheaufgabe und dem Beginn eines schlechten Witzes klingt. Befreundet waren wir natürlich auch, haben zum Teil auch einige Jahre zusammen in einer WG gewohnt.

Uns gibt es jetzt etwas über drei Jahre. Alle von uns hatten immer schon Bock auf Musik, haben aber keine bzw. nicht unsere Instrumente gespielt vor der Band. Da hat auf jeden Fall auch eine Rolle gespielt, dass einem gewissermaßen Anbindung gefehlt hat, aber auch die Leute dazu. Was natürlich Quatsch ist, denn alle von uns hätten ja auch vor 10/15 Jahren Bock gehabt, Musik zu machen. Und gekannt haben wir uns ja alle auch schon lange vor der Band. Das sind zum einen äußere Strukturen, aber zum anderen natürlich auch solche, die sich im eigenen Kopf festgesetzt haben, die lange dafür gesorgt haben, dass wir die Möglichkeit gar nicht ernsthaft in Erwägung gezogen haben.

Da besteht schnell so eine fiese Wechselwirkung. Und dabei spielt auf jeden Fall Repräsentation eine Rolle, aber auch der Umgang mit und das gleichzeitig besondere Augenmerk auf Frauen* in der Musik. Wir haben uns lange einfach nicht getraut, uns das vielleicht auch nicht wirklich zugetraut. Ein Zusammenspiel aus der eigenen Anspruchshaltung, aber auch der äußeren Erwartungshaltung, der man sich aussetzt oder auch ausgesetzt fühlt. Wenn man dann plötzlich so alt ist, dass andere Menschen im gleichen Alter (und das sind in der Regel ja Typen gewesen) rund die Hälfte ihres Lebens in Bands spielen, schreckt das schnell ab. Dass wir uns da alle zusammen an der gleichen Stelle getroffen haben, hat da plötzlich ne Menge Druck rausgenommen.

Und dass wir dann einfach spontan zusammen rumprobiert haben, war cool. Es ging da mehr ums Machen an sich und weniger darum, worauf das hinausläuft. Bei und nach den ersten Proben waren wir immer super euphorisch und aufgedreht. Da ging es auch gar nicht um irgendwen sonst, nur um uns. Und alles, was wir gemacht haben, war immer gleich 100 % mehr als zuvor. Außerdem hatten wir einfach auch Glück, dass es auf einmal die Möglichkeit gab, einen Proberaum mitzubenutzen und uns Instrumente zu leihen. Vermutlich hätte keine von uns im stillen Kämmerchen versucht, ein Instrument zu lernen. Sowas ist ja auch schnell schwerfällig und frustrierend.

Was zusammen zu machen hat ne ganz andere Dynamik. Bei uns war das so, dass wir dann sofort zusammengebastelt haben, was man so als Ideen mitgebracht hat oder vielleicht vor Ort spontan ausprobiert wurde. Das war gerade am Anfang ein Heidenspaß. Wir haben aber auch total viel Support von Freund*innen bekommen. Hierbei unter anderem und insbesondere von Frauen, die sich total mitgefreut haben, dass wir plötzlich Musik machen. Konnte ja niemand mehr mit rechnen bis dahin, hat sich jedenfalls nicht angebahnt vorweg.

Auch Tinas andere Band SICKBAG, die sie ein paar Monate vor unserer Gründung gefragt hatten, ob sie sich vorstellen könnte, bei ihnen die Gitarre zu spielen, hat uns echt viel unterstützt. Die haben da quasi auch erst angefangen zu spielen, also auch direkt im Proberaum. Von Tina kam dann kurz darauf der Vorschlag, dass wir, also CONTA noch unbenannt, doch auch was zusammen machen könnten. Bass, Drums und Technik konnten wir netterweise dann erstmal mitnutzen, wenn wir drin waren. Und es war irgendwie nett, dass die Anderen im Raum auch keine Pros waren und man sich gemeinsam freuen konnte am erst mal Machen.

Auch die Proberaumnachbarschaft war da oft sehr lieb und hilfsbereit, wenn wir was gebraucht haben. Da gab es echt viel Unterstützung und positives Feedback. Auf der anderen Seite standen aber auch regelmäßig plötzlich wildfremde, oft komische Typen im Raum, „um sich das mal anzugucken“ oder sowas in der Art. Das hat über die Zeit glücklicherweise deutlich abgenommen. Wir waren sehr laut und rumpelig, verstecken ging also eh nicht. Das haben wir uns gewissermaßen beibehalten.

Wann seid ihr mit CONTA das erste Mal aus dem Proberaum raus und auf die Bühne des nächsten AZ gestiegen? Gab es einen Anlass? Habt ihr bewusst einen Zeitpunkt ausgewählt? Oder wurdet ihr gefragt?
Für uns war das alles zunächst einmal ein großer Spaß, überhaupt was zu machen. Wir haben uns im Prinzip gar keine wirklichen Gedanken darüber gemacht, wo das so hinführt. Dass das so war, hat uns gerade am Anfang total gut getan. Wir haben dann so etwa nach nem Dreivierteljahr das erste Mal überlegt, dass wir ja auch mal ein Konzert spielen könnten. Wirklich sicher waren wir uns dabei noch lange nicht. Aber da wir regelmäßig auch mal Besuch da hatten, insbesondere von den anderen Bands, mit denen wir uns den Proberaum teilen, und da echt viel Zuspruch erfahren haben, war die Hemmschwelle nicht mehr ganz so groß.

Tina und Sammy haben dann irgendwann überlegt, ob sie gemeinsam eine große Geburtstagfeier planen und dafür einen Raum mieten. Dann kam auch schnell die Idee auf, dass man das mit einem Konzert mit allen Bands aus unserem Proberaum verbinden kann. Das wurde dann recht groß direkt, dafür war uns das Publikum natürlich ziemlich wohlgesonnen. Selbst Sammys Oma. ? Nach dem Konzert wurden wir relativ schnell und für uns verrückterweise auch echt oft von Konzertgruppen oder Veranstalter*innen in Münster gefragt, ob wir wieder Bock haben, zu spielen.

Wie waren dann die ersten Bühnenerfahrungen mit CONTA außerhalb des erweiterten Freund*innen – und Familienkreises für euch?
Aufregend, ziemlich aufregend. Als wir angefangen haben, waren wir ja alle um die Dreißig. Und bis dahin passiert ja verdammt viel im Leben, was einen irgendwie formt. Wenn man Glück hat, wächst man auch als Mensch, legt auch diverse Unsicherheiten ab. Wenn man Pech hat, langweilt man sich irgendwann selbst. Das ist nun natürlich recht eindimensional runtergebrochen. Und Herausforderungen begegnen einem im Leben ständig, aber es fordert einen schon ziemlich, plötzlich auf der Bühne zu stehen und so exponiert zu sein, während man was macht, bei dem man gar nicht so genau weiß, was man da tut.

Und ganz wegschieben ließen sich blöde Gedanken wie, dass man irgendwie das Alter verpasst hat, in dem man sowas eigentlich zum ersten Mal macht oder dass andere Leute einem da total viel voraus haben, dann auch nicht ganz. Man verbaselt ja auch echt viel, das ist stellenweise echt frustrierend. Im Großen und Ganzen hat es aber immer viel Spaß gemacht, Konzerte zu spielen. Und wir machen das ja auch nicht, um nen Pokal für Coolness zu gewinnen.

Was sind eure inhaltlichen Schwerpunkte? Bzw. worum geht es in euren Texten?
Die Texte schreibe ich, Mimo. Es geht im weiten Sinn eigentlich immer ums Sein und Beobachten. Als Momentaufnahmen, aber auch darüber hinaus. Also, wenn man mag. Ich persönlich tue mich schwer mit Eindeutigkeiten ohne Rahmung. Das liegt mir nicht textlich, weil das so statisch ist und ich selbst immer unterschiedliche Ebenen im Sinn hab, wenn ich was schreibe. Das merkt man aber nicht unbedingt, soll man auch gar nicht. Damit fühle ich mich deutlich wohler, weil das auch für den Rest der Band und Hörer*innen Raum für einen eigenen Bezug lässt.

Ich lasse Texte immer absegnen vom Rest, die sollen sich damit ja auch identifizieren können. Insgesamt sind die Texte meist eher abstrakt, reduziert und bildlich gehalten, also so, dass man sie durchaus unterschiedlich assoziieren kann. Im Prinzip geht es immer um subjektives Erleben, mal mit ernsterem Bezug, mal als Zuspitzung, gelegentlich auch für groben Unfug. Manchmal nutze ich Versatzstücke aus längeren Texten von mir, manches ergibt sich spontan im Proberaum. Ich persönlich schreibe nicht so gerne als Aufgabe zu einem bestimmten Thema, eher als Reflexion mit nem gewissen Abstraktionsgehalt.

Wir haben da keine feste Vorgehensweise, also erst Musik, dann Texte oder auch andersherum. Wenn wir gleichzeitig am Text und Instrumentalen basteln, ist mir persönlich immer wichtiger, dass die Stimme in irgendeiner Form Emotion greift und das als Ganzes funktioniert. Dann verzichte ich lieber auf mehr Text oder ganze Textpassagen und nutze Wiederholungen in Variation. Das sind dann oft auch Parts die wir zweistimmig singen.

Mimo, könntest du mal deinen Lieblingstext quasi als Beispiel nennen?
Vielleicht „Schichten“. Der Text ist total minimalistisch. „Schichten, Schichten, Schichten über Schichten. Schichten, Schichten, Schichten über Schichten. Die Wände gestrichen – bis der Putz von den Decken fällt. Die Zweifel gewichen. Was bleibt das ewig hält? Die Wände gestrichen – bis der Putz von den Decken fällt. Dem Zweifel gewichen. Es bleibt was ewig hält. Schichten, Schichten, Schichten über Schichten…“ Bei dem Song singen wir zweistimmig zum Teil. Dass ich von „Schichten“ singe und wir die „Schichten“ wiederholen und auch gesanglich übereinander legen, ist sowas wie ein kleines Monkding für mich. Das ist dann nicht nur der Text, sondern auch das wie und so eine Verschmelzung von Ebenen. Also der Inhaltlichen und der Gesanglichen.

Wie würdet ihr euch bzw. eure Band und die Mukke die ihr macht beschreiben? Und wie wollt ihr wahrgenommen werden?
Das war lange Zeit irgendwie eine Art rotes Tuch für uns, weil man sich selbst damit ja auch ein Label verpasst. Das haben wir zunächst als echt schwierig empfunden, wenn hier und da die Frage kam, beispielsweise für Konzertankündigungen. Aus einem Impuls heraus und weil ich einen wirklich dämlichen Humor habe, steht glaube ich immer noch „Menopausenpunk“ als Genre auf unserer FB-Seite. Wir machen ja schon auch Sachen mit viel Augenzwinkern. Und bei Unfug im Proberaum kommt dann auch spontaner Quatsch dabei rum. Das wollen wir uns auch nicht nehmen lassen. Wenn wir uns von Anfang an zu ernst genommen hätten, wäre es vermutlich gar nicht erst dazu gekommen, dass wir Musik machen. Als Genre läuft es wohl am ehesten auf Postpunk hinaus bei uns.

Wart ihr bevor ihr CONTA gegründet habt schon anderswie aktiv in der DIY Punk/Hardcore Szene?
Ne passiv, wir waren vorher ausschließlich Konzertbesucherinnen. Wir haben allerdings alle in irgendeiner Form Erfahrungen damit gemacht, dass die Szene früher deutlich exklusiver war. Das lässt sich sicher auch nicht komplett verallgemeinern und da besteht bestimmt auch eine Wechselwirkung, wenn man sich beispielsweise nicht so aufgehoben fühlt und sich eine gewisse Distanz bewahrt. Es geht auch nicht darum, dass die Szene komplett undurchlässig war. Aber sowas wie eine gewisse Szenementalität, mit ungeschriebenen Dresscodes und das Gefühl von aufgesetzter Coolness in vielfach männlich dominierten Räumen, haben uns oft abgeschreckt. Generell haben und hatten wir alle wenig Bock auf exklusive Strukturen, wobei „exklusiv“ da ja immer zwei Bedeutungsebenen hat. Und keine davon ist cool.

Seit einiger Zeit wird das Thema „die Punk/Hardcore Szene könnte diverser sein“ diskutiert bzw. langsam wird hier und da realisiert wie homogen der Haufen ist, der da oft zusammensteht. Auch Feminismus ist ein Thema geworden. Es gibt Konzertgruppen, die keine Konzerte mehr veranstalten, wenn nur weiße cis-Typen auf der Bühne stehen würden, es entsteht sogar der Eindruck, dass es langsam kritisch gesehen wird, wenn nur Kerle an so nem Abend anwesend bzw. sichtbar sind. Wie seht ihr diese Dinge und wie seht ihr insgesamt die Entwicklung von Feminismus in der Szene? Und: Habt ihr schon mal das Gefühl gehabt als „Feigenblatt“ herhalten zu müssen, bzw. „nur“ eingeladen worden zu sein weil ihr eine all women Band seid?
Schon. Auch das hat natürlich zwei Seiten. Wir haben und hatten wahnsinnig viel Glück, dass sich viel bewegt, auch in der Zeit seitdem es uns gibt. Strukturell finden wir das auch alle total wichtig und freuen uns darüber. Insbesondere in der DIY-Szene passiert viel, mehr und mehr auch durch Frauen* selbst initiiert. Als wir angefangen haben zu spielen, hat sich der Blick da nochmal deutlich geschärft dafür. Auch bei den Konzerten, die wir selbst besuchen. Wir haben uns noch vor drei Jahren bei unseren Anfängen im Proberaum über ein Festival unterhalten, auf dem eine einzige Band gespielt hat, die nicht ausschließlich aus Typen bestand. Während die also gespielt haben, wurden so Buddyfotos vom kompletten Lineup geschossen, ohne die besagte Band.

Dass das währenddessen niemandem aufgefallen und aufgestoßen ist, fanden wir alle echt ärgerlich. Aber um nochmal auf die zwei Seiten zurückzukommen. Wir haben aus den unterschiedlichsten Gründen meist nur kleine, abgesteckte Zeitfenster für die Band. Das betrifft so Sachen wie Aufnehmen oder auch Booking, aber oft auch Proben. Dafür, dass das so ist, fliegt uns wahnsinnig viel zu. Was ein großer Luxus ist und das ist uns absolut bewusst. Dieses Jahr haben wir 12 Konzerte gespielt, wirklich mehr hätten wir terminlich gar nicht hinbekommen, obwohl wir natürlich Bock hatten.

Wir wissen das sehr zu schätzen, dass wir Konzertanfragen bekommen und viele Leute uns unterstützen. Und wir spielen auch echt gerne in DIY-Kontexten. Trotzdem schwingt das besagte Feigenblatt schon auch mal irgendwie mit. Wir sind echt froh, wenn sich strukturell etwas ändert. Das natürlich nicht nur für uns und daran wollen wir auch Teil haben. Im schlechtesten Fall toppen wir trotzdem zwischendurch als Genre „female fronted“ mit „all women“.

Was findet ihr problematisch daran als „female fronted“ angekündigt zu werden?
Es ist zwar gut Präsenz zu zeigen. Also beispielsweise, zu sagen, ich bin eine Frau* und ich singe. Gleichzeitig ist das aber eben auch wieder die Hervorhebung des anders Seins.

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„Es ist halt nicht cool als Frau der Referenzjoker im Ärmel von männlicher Selbstdefinition zu sein. Auch nicht für selbstgelabelte Feministen. Auch Komplimente, die andere Frauen* marginalisieren, sind nicht cool. Uns begegnen da immer wieder schräge Sachen. Z.B. „dein Gesang ist cool, weil er nicht so schrill ist, wie bei anderen Sängerinnen“

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Was muss passieren, damit mehr nicht männliche Personen an Punk teilhaben können? Was wäre aus eurer Sicht notwendig damit nicht präsente Gruppen und Personen Zutritt bekommen? Was können die nun mehrmals benannten weißen cis-Typen tun? Pro feministische Shirts tragen und andere Männer die ihr Shirt ausziehen verhauen oder doch was anderes?
Grundsätzlich geht es ja erstmal darum, was in den Köpfen von Menschen passiert und letztlich um Empathie. Also wie gehe ich mit Menschen um, wie viel Raum nehme ich mir und wieviel gebe oder nehme ich anderen ausgehend von mir selbst. Wo wir direkt bei den vielbesagten Privilegien sind. Es geht um Strukturen und Macht und Repräsentation ist da ein wichtiger Faktor. Lassen wir jetzt mal Arschlöcher im weiten Sinn außen vor. Dann geht es auch darum, ob die „No […]ismen“ der Szene reine Parolen sind oder man sich selbst und sein Handeln zu diesen immer wieder in Beziehung setzt und dies reflektiert. Und manchmal gibt es da auch keine dogmatischen Antworten drauf.

Denn es geht hierbei ja nicht in erster Linie ums Recht haben oder eh auf der guten Seite stehen. Deshalb kann man den Leuten auch nicht einfach den Kategorischen Imperativ um die Ohren knallen, wenn sie bereits daran scheitern, sich ins Gegenüber hineinzuversetzen. Das ist ein ständiger Prozess und da hilft es auch nicht, wenn man nur die Szenecodes auswendig gelernt hat. Beispielsweise, wenn die besagten cis-Typen zwar feministische Shirts wie so eine goldene Rüstung tragen, aber das gleichzeitig nutzen, um sich selbst zu inszenieren und nicht primär, weil ihnen am marginalisierten Gegenüber gelegen ist. Dann geht es natürlich wieder um Macht und Machtdemonstration. Und diese Kombination kann einfach viele Gesichter haben.

Rückversicherung bei Frauen* oder Berücksichtigung von Frauen* sollte nicht an erster Stelle dem eigenen Standing dienen. So im Sinne von, „nun sagt ihr doch mal als Frauen, hab ich recht“ oder „ich hab recht, ich kenn mich nämlich bestens aus in der Materie Feminismus oder was auch immer“. Es ist halt nicht cool als Frau der Referenzjoker im Ärmel von männlicher Selbstdefinition zu sein. Auch nicht für selbstgelabelte Feministen. Auch Komplimente, die andere Frauen* marginalisieren, sind nicht cool. Uns begegnen da immer wieder schräge Sachen. Z.B. „dein Gesang ist cool, weil er nicht so schrill ist, wie bei anderen Sängerinnen“. Da wurde dann einfach etwas ganz grundlegend nicht verstanden.

Wir freuen uns über alle die Bock darauf haben, Teilhabe zu ermöglichen. Zielsetzung sollte aber der Wandel im Kopf genauso wie der Struktur sein und nicht Interessen, die primär mit der eigenen Person als Typ zusammenhängen. Wer sich jetzt denkt, ich hab aber keinen Bock so einer von diesen cis-Typ zu sein, sollte sich fragen, ob es ihm um die Zuschreibung geht oder darum, wer er ist.

Wie sind eure Erfahrungen mit Rezensionen, Bewertungen, Rückmeldungen zu euren Auftritten und eurer Mukke?
Bisher war alles weitgehend nett. Wir warten ja immer ein bisschen darauf, dass mal was richtig Fieses kommt. Allein aus stochastischen Erwägungen. Und das hier ist ja auch das erste Mal, dass wir sowas wie ein Interview geben. Wir sind alle nicht so Fan von diesem Drumherum, das verleiht allem so schnell eine gewisse Schwere bzw. baut in irgendeiner Form Druck auf. So, dass man sich dann doch noch 5 bis 10 Mal fragen könnte, ist das so richtig, gut, gut genug, klar formuliert, vermittelt, wie rübergebracht etc. was man da tut. Wir sind ja alle nicht mehr 20 und da hat man glücklicherweise auch ein paar Jährchen hinter sich, in denen man in vielen Bereichen auch ein gesundes Selbstverständnis und so eine Gelassenheit aufgebaut hat.

Was Kreatives zu machen, sorgt allerdings immer auch dafür, dass man plötzlich fragiler ist. Wir versuchen da nicht zu selbstkritisch zu sein und uns dabei selbst nicht allzu ernst zu nehmen. Das gelingt mal besser, mal schlechter. Wenn wir hier und da rumpeln, dann ist das halt so. Und es muss/kann/sollte auch nicht jede*r alles mögen, was wir machen. Ist ja auch nichts Erstrebenswertes. Dadurch, dass wir ja immer noch nichts veröffentlicht haben (mit Ausnahme von dieser einen, ja gar nicht so repräsentativen Aufnahme), gab es bisher kaum Rezensionen. Wenn Leute unsere Musik mögen und was mit dem was wir tun anfangen können, ist das natürlich super und wir freuen uns.

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„Darauf, den Soundtrack für die größten Egos des Abends zu spielen, haben wir natürlich keinen Bock und das sagen wir in den Fällen auch. In der Regel sind die Leute aber nett zueinander und achten auf sich, so wie es sein sollte. Was cool ist. Dennoch hat das auch viel damit zu tun, dass es ein neues Bewusstsein dafür gibt.“

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Wie erlebt ihr das Publikum und den Pogo bei live Auftritten?
Zunächst einmal ist es natürlich cool, wenn die Leute nicht vier Meter entfernt, starr mit versteinerter Miene rumstehen. Deshalb freuen wir uns über Bewegung im Publikum. Ellenbogenmentalität hingegen ist immer und überall scheiße. Wenn ein paar Leute abgehen, der Rest aber nicht so, greift das natürlich auch Raum. Solange die Leute da aufeinander achten und sowas weiterhin als gemeinsame Interaktion verstanden wird, sind wir damit aber völlig fein. Schwierig wird’s, wenn offenkundig ist, dass eine kleine Runde (oft Mackertypen mit Testoschub, die sich ihr Ego groß gesoffen haben) gerade Bock auf aggressive Rudelbildung hat. So nach dem Motto „direkt vor der Bühne, das ist jetzt unser Revier“.

Dann gibt’s da natürlich auch die Variante ohne Rudel, also ein einziges, vermeintlich besonders großes Ego. Meist ist dann auch schnell klar, dass wer dabei gerade spielt auch noch relativ zweitrangig ist. Das kommt aber tatsächlich eher selten vor bei unseren Konzerten. Darauf, den Soundtrack für die größten Egos des Abends zu spielen, haben wir natürlich keinen Bock und das sagen wir in den Fällen auch. In der Regel sind die Leute aber nett zueinander und achten auf sich, so wie es sein sollte. Was cool ist. Dennoch hat das auch viel damit zu tun, dass es ein neues Bewusstsein dafür gibt. Als wir angefangen haben zu spielen, hatten wir natürlich auch Gespräche darüber, wie wir damit umgehen, wenn wir mit sexistischem Bullshit konfrontiert werden, so im Sinne von „Brace yourself“.

Interessanterweise begegnet uns sowas meist nicht während der Konzerte, eher drum herum. Also nach dem Konzert, wenn man angequatscht wird oder wir hören das über andere Leute, die uns das dann erzählen. Da reicht die Palette über Komplimente mit diesem gönnerhaften Unterton bis hin zu echt widerlichen Sachen.

Als ich euch gefragt habe ob ihr Lust auf ein Interview habt, habt ihr gleich mit Fragen, mit denen ihr anscheinend des Öfteren konfrontiert seid, gekontert…Ich hatte den Eindruck ihr könntet ein Bullshit-Bingo daraus basteln. Mögt ihr diese nochmal aufführen? Vielleicht regt das die/den eine/n oder andere/n an, eigenen Denk- und Verhaltensweisen zu reflektieren?
Hier eine kleine ungefilterte Auswahl: Ist wer von euch lesbisch? – Was macht ihr, wenn ihr schwanger werdet? – Warum spielt ihr in ner Band/Punk? – Ist wer die Freundin von [Platzhalter]? – Ach, ihr seid die Band? Oder wenn Typen sowas sagen wie: Für ne Frau ganz gut etc., ohne das zu reflektieren. Eigentlich jede Frage, die ansonsten keinem männlich definierten Musiker gestellt würde. Und so traurig es auch ist, selbst das auch noch aufführen zu müssen: Richtig ätzend sind im Prinzip alle Fragen und Anmerkungen, die in irgendeiner Form mit Sexualisierung zu tun haben.

Wo kann mensch euch demnächst sehen? Wo eure Mukke hören?
Im Moment steht noch nichts an. Bestimmt bald wieder. Wir haben gerade ein paar Songs aufgenommen und wenn die dann fertig sind, hier: https://conta1.bandcamp.com/releases

Gibt es irgendetwas, das ihr noch loswerden wollt?
Neee, wir haben jetzt echt viel gesagt. Das reicht erstmal. Bzw. danke! ?

(sabrina)

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