Juni 25th, 2019

Chicks on Speed (#121, 2006)

Posted in interview by Jan

CHICKS ON SPEED: On Speed, Spex and other Non-Essentials

Im Rahmen der c/o Pop lud die Intro die Elektrosensation Chicks on Speed, halb Performance Art Projekt, halb Band, ein und ich ergriff die Gelegenheit beim Schopf Melissa Logan, Gründungsmitglied der Band und des gleichnamigen Labels zu interviewen. Auch wenn ihre Choreographien einstudiert wirken, ist Stagnation ein Fremdwort für die Frauen. An diesem Abend sind ebenfalls auf der Bühne zu bewundern: Alex Leslie-Murray, ebenfalls Gründungsmitglied der Gruppe, die mich auf Grund ihrer Marschiertanztechnik an Johanna Fateman von Le Tigre erinnert, und Anat, Neuzugang der trotz einem Kampf ähnelnden Auseinandersetzungen mit dem DVD-Player herzlich vom Publikum angenommen wird, da sie auch obwohl sie ihre Sticks verlegt hat es sich nicht nehmen lässt mit voller Wucht auf die Standtom einzuschlagen.

Neben altbekanntem Liedern geben die Chicks auch ein neues Stück zum Besten, das sich mit der Myspace-Kultur auseinandersetzt und die Schattenseiten des Internetkonzerns aufdeckt. Bierernst bleiben die Drei dann aber auch nicht: „Wir sind aber auch da, weil eben jeder da ist“ Myspace, yourspace, whose space is it? Für die nächsten Seiten erstmal der Melissas, die trotz niedlichem Akzent sehr eloquent und so gar nicht „it’s all so awwwesome“-mäßig rüberkommt.

Ihr habt mal gesagt, dass zu 50% bei Kunst entscheidend ist, für wen man sie betreibt. Für wen macht ihr eure Kunst?
Schwierige Frage, unsere Zuschauer sind nicht so wie die der anderen. Als wir vor den Red Hot Chilli Peppers gespielt haben, gab es viele Leute, die nichts damit anfangen konnten. Wir sind kein Massenprodukt. Wir dachten wir seien ziemlich accessible, aber nein!
Auch was euer Design angeht, stellt ihr den Konsumenten vor eine Herausforderung. Alles ist sehr chaotisch und nicht dem Funktionalismus unterworfen. Seht ihr das als Botschaft, die Leute sollen mal for sich selber denken anstatt nach vorgefertigten Mustern?
Ja, Informationen muss man entdecken, sie werden nicht geliefert. Mit wickipedia und all dem ist es nicht mehr schwer Informationen zu bekommen.
Man weiß nur nicht ob die dann stimmen.
Das weiß man nie. Wir haben öfters ganz verschiedene Sachen in Interviews erzählt, weil es geschrieben ist, denken die Leute es sei echt. Es könnte ja auch seien, dass wir uns gar nicht gegenüber sitzen. Du oder Ich oder jemand anderes können einfach deinen Namen benutzen und irgendwas schreiben und die Leute würden es für wahr halten, nur weil es geschrieben ist.
Was haltet ihr von der Intro, auf deren Veranstaltung ihr heute spielt?
Interessanterweise halte ich Intro für das wichtigste Musikmagazin in Deutschland. Deutschland ist kein interessanter Markt für uns. Wir sind viel bekannter und verkaufen viel mehr in anderen europäischen Ländern und auch in Amerika. Ich darf eigentlich die Spex nicht kritisieren, da mein Mann meinte dafür müsste ich erst mal eine Ausgabe von vorne bis hinten durchlesen, bevor ich darüber etwas sagen kann, aber das halte ich nicht aus. Die ist etwas dem Rolling Stone ähnlich obwohl es ganz anders angefangen hat ist es zu einem total langweiligen Magazin geworden und das ist schon schade für den Musikjournalismus. In England macht es manchmal Spaß the Enemy zu lesen, weil es so übertrieben ist und dadurch wieder witzig, aber diese Ernsthaftigkeit und Glorifizierung vierköpfiger Boybands kann ich echt nicht ausstehen.
Ihr seid ja gegen das Elitäre in der Kunst, ist das bei Musikmagazinen nicht auch der Reiz?
Es ist schwierig davon wegzukommen, aber im Rock ist das eine andere Geschichte. Es hat mehr mit Handwerklichkeit zu tun, und diese zu brechen, also verschiedene Traditionen zu brechen, wie die Klischees von Weiblichkeit in der Musik. Diese Klischees davon Frontfrau mit einer Backing Band zu seien nutzen wir auch aus, und brechen sie, die Hierarchie einer Frontperson, dadurch das wir demokratisch arbeiten und in einer Reihe stehen. Aber das haben andere vor uns auch gemacht. Es ist interessant sich nach verschiedenen Modellen umzuschauen um herauszufinden für was man steht und gegen was man ist.
Wie denkt ihr über den Marktwert in der Kunst und der Musik, das Konzertpreise danach berechnet werden, etc.?
In der Musik ist es viel gleicher und demokratischer als in der Kunst. In der Musik hat es etwas Ehrlicheres weil es da Leute gibt die viel Geld investieren und die planen strategisch. Die Industrie ist ernster als der Kunstmarkt, da es klarer zu sehen ist was man rein steckt und was rauskommt, wenngleich hier auch Monopole entstehen, aber in der Kunst weiß man, dass es Kuratoren und Sammler gibt die bestimmten bekannten Journalisten etwas zahlen, damit sie über etwas schreiben und den Marktpreis in einer kurzen zeit hoch drücken. Das der in so kurzer Zeit so extrem steigt ist unehrlicher, weil viel weniger involviert sind, die zu viel Kontrolle haben.
Wie teilt ihre eure Arbeit ein, was steht im Vordergrund, Musik, Kunst oder das Label?
Chicks on Speed Records ist in München angesiedelt in der Lindwurmstrasse und dort schuften andere, wir sind mehr die A&Rs obwohl es vieren von uns gehört. Wir haben jetzt zum Beispiel Girl Monsters herausgebracht. Das hat Alex konzipiert und zusammengestellt mit Hilfe von Anat,
Alex (am Computer sitzend): Und Anat

Melissa: Ja, mit Hilfe von Anat habe ich gesagt. Sie haben 62 Bands, hauptsächlich weibliche, zusammengestellt auf 3 CDs, das kommt im September heraus. Das ist eine sehr wichtige Compilation für uns, da es eine Art Anthologie und geschichtliche Zusammenstellung ist, die es vorher so noch nicht gab, mit New Wave Bands. Wir haben öfters Coverversionen von Leuten, die uns sehr beeinflusst haben gemacht um diese Verknüpfung aufzuzeigen. Das hat Leute wie Peaches und Scream Club beinhaltet, die sich wiederum auf andere beziehen. Das Label hat sich verändert, weil da jetzt Leute wie Kevin Blechdom oder Angie Reed drauf sind. Am Anfang war es nur eine Plattform für uns, um unsere eigenen Sachen zu veröffentlichen. Dadurch haben wir Leute getroffen wo es wichtig war, dass sie auch so eine Plattform bekommen, so haben wir auch die Arbeit an andere abgegeben, das schaffen wir zeitlich gar nicht, diese neuen Künstler alle zu betreuen. Wir haben das früher gemacht und es macht auch Spaß, Briefe schreiben und so etwas, aber leider ist das nicht mehr möglich.
Würdest du sagen ihr seid eine Art neue Generation von Band, da es euch möglich ist zu kooperieren obwohl ihr alle in verschiedenen Städten wohnt, die Internet-Generation sozusagen?
Ich finde es sehr weiblich so zu arbeiten, aus dem Koffer überall ein Büro aufbauen zu können ob das jetzt im Hotelzimmer oder Flughafen ist. Die Technologie macht es eben auch möglich an solchen Orten aufnehmen zu können. Mehr und mehr Frauen entscheiden sich so zu leben.
Was sind andere Projekte in denen du gerade involviert bist?
Anat ist zur Zeit mit uns unterwegs und Kiki ist gerade nicht dabei, das heißt wir tauschen jetzt mehr und mehr aus. Dann haben wir noch eine Band, die 3-15 Mitglieder hat. Es hat mit Performance und Theater zu tun. Ich mache das mit wechselnden Leuten.
99cents kennt jeder während Press the Space Bar nicht viele kennen, lasst ihr bewusst einige Projekte mehr im öffentlichen Vordergrund laufen als andere?
Nein, das passiert einfach. Nach 99cents und auch während der Arbeit daran hatten wir Ideen für andere Sachen die nicht so logisch, kontrolliert und studiomäßig produziert sein sollten. Mit Geräuschen und Christian Vogel der sehr experimentelle Musik macht
Seid ihr genauso chaotisch wie euer Artwork?
Wenn man so viel rumreist lernt man schnell organisiert zu sein, da es nicht anders geht.
Ihr wolltet ja anfangs gar nicht mit Instrumenten auftreten, wie kam der Wandel?
Wir wollten zuerst einfach nur auf unseren Minidiscgeräten auf Start drücken und alles Playback machen, das hat auch ein paar Mal geklappt, ist aber sehr schnell zu langweilig geworden. Es ist eine Herausforderung mit so wenig wie möglich eine große Show zu machen. Wir haben dann immer wieder verschiedene Sachen ausprobiert, mit Papierkleidern und Pappinstrumenten. Man macht es zehnmal und dann möchte man etwas anderes machen. So hat sich das entwickelt.
Fühlst du dich geehrt wenn Bands wie Lesbians on Ecstasy sich auf euch beziehen?
Ich finde es toll und fühle mich geschmeichelt.
Mit dem Namen spielt ihr ja in gewisser Weise auch an die Verbindung zwischen Drogen und der Elektroszne an. Was hältst du davon?
Musik und Drogen, diese Verbindung sieht man stark an der Clubkultur. Man spielt auf Raves und das ganze Publikum ist irgendwo drauf, meistens Ecstasy. Am Anfang fanden wir das witzig aber jetzt wo die Nebeneffekte nach und nach besser erforscht werden, es ist ja nicht nachgewiesen aber man trifft auf Leute, die mehr und mehr gehirngeschädigt sind. Sie haben ein schlechtes Gedächtnis und ich finde es auch erschreckend, dass es so wenige Veröffentlichungen darüber gibt, was da eigentlich alles kaputt geht. Es ist immer noch besser als Heroin oder Kokain.

Als wir letztens in New York waren haben wir gemerkt, dass Koks wieder so richtig im Kommen ist. Manche Leute gehen gar nicht mehr vor die Tür weil sie keine Lust haben irgendwo hinzugehen wo alle drauf sind und nach zehn die ganze Party nur ständig auf die Toilette rennt. Vielleicht denke ich jetzt so darüber, da ich Mutter geworden bin, aber man sieht die Effekte jetzt auch immer deutlicher, wenn den Leuten die Zähne ausfallen. Neulich haben uns Stagetypen von der Bühne gerissen, die waren auch auf Koks. Autofahrer flippen aus und haben keine Kontrolle mehr darüber wie es ihnen geht, das ist alles verbunden mit Drogen. Es ist schon schlimm wenn man das alles so mitbekommt.
Fühlt ihr euch trotzdem noch wohl vor so einem Publikum zu spielen?
Menschen müssen auch in ihren Spaß haben, und bis zu einer gewissen Grenze ist es okay, aber wenn es zur Sucht übergeht ist es echt eklig, und das sieht man oft. Leute die das brauchen um Spaß zu haben müssen ziemlich verklemmt sein. Manche Produzenten kiffen ziemlich viel um in Stimmung zu kommen aber das ist echt nicht nötig.
Wie lange braucht ihr um die Videoinstallationen zu den Songs zu machen?
Neulich haben wir eine tolle Arbeitsweise entwickelt. Während wir das Stück aufgenommen haben, mit Joe in Barcelona hat er unsere Maschinen, Pedale und Verstärker alle in einem Kreis in einem Raum aufgebaut und 4-5 fünf verschieden Mikrofone zur Aufnahme. Während er grob geschnitten hat sind wir auf’s Dach gegangen haben uns ausgezogen und ein Musikvideo für das Lied gemacht. Weil wir in verschiedenen Ländern leben versuchen wir effizient zu arbeiten und alles so gut es geht zusammenzulegen.

Interview: Alva Dittrich

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