Dezember 31st, 2021

Campino (#203, 2020)

Posted in interview by Jan

Trust: Meine alte Chefin ist großer Toten Hosen Fan. Wie gehst du damit um, dass nicht wenige dich als Sexsymbol sehen?
Campino: Es wird immer seltsamer.
(aus unserem Interview)

„1977 ging es los, es war wie eine Revolution. Ziel und Richtung unbekannt, alles Alte wurde niedergerannt. Mit wehenden Fahnen werden wir untergehen, wir halten durch, wir warten noch, denn es ist noch nichts geschehen.“
(Vgl. Toten Hosen – Mit wehenden Fahnen, 1983)

Interview mit Campino

Campino ist immer noch mein Teenager-Punker-Held. Es verhält sich ja so: ich liebe die Hosen. Bis zu einer gewissen Zeit über alles und jeden Ton, bis inklusive der „Learning English I“ find ich alles total geil, beste Band der Welt. Aber es war eben dann nicht mehr alles geil und das bleibt bis heute so ambivalent. Aber sie sind weiterhin Soundtrack zu etwas rauen und sehr glorreichen Zeiten in meinem Leben, deshalb ist für mich einfach nur große Dankbarkeit da und völlig klar: ich gönne ihnen so von Herzen den ganzen Erfolg, ich find’s so toll, dass sie nie ihre Punk-Wurzeln vergessen haben (siehe Coverplatte Teil II), ich find’s klasse, dass sie sich für Pro Asyl und Oxfam immer noch stark machen (im Juni 2018 lief wieder eine Unterschriften-Aktion von den Hosen und Pro Asyl) und es ist toll, dass sie weiterhin sozialkritisch unterwegs sind (und eben nicht so abgefuckte Zyniker sind).

Im Wendekreis des Opels
Trotz aller Saufen-, Fußball- und Ficken-Songs waren sie eben auch ernst unterwegs UND konnten das auf einem hohen musikalischen Niveau machen, das zeichnet sie einfach aus. Campino beschrieb es mal in einem Interview mit der FAZ treffend, dort lautete die Frage an ihn: „Die öffentliche Debatte, ob ihr noch Punk seid oder es je wart, ob ihr euch politisch äußern solltet oder nicht, begleitet euch seit Jahrzehnten. Warum ist das bei den Ärzten nicht so?“, worauf Campino sagte: „Die Grundhaltung der meisten Ärzte-Lieder ist ironisch, wir hingegen meinen die Sachen öfter mal ganz ernst. Deshalb sind wir angreifbarer, deshalb gehen wir den Leuten auch auf den Sack“.

Darauf die FAZ: „Ist Ironie feige?“, dazu dann Campino: „Nein. Ich kenne beide Leben. Meine frühere Band ZK war die erste Gaga-Punk-Band in Deutschland. Ich fand das aber problematisch, den Clown zu geben, wenn ich mich nicht danach gefühlt habe. Da gab es draußen eine Straßenschlacht, dann kamen alle rein, und wir fingen mit unserem Witze-Set an. Das hat sich falsch angefühlt. Bei den Hosen haben wir dann die Grundverabredung getroffen, dass wir nur machen, wonach uns ist. Wenn wir dummes Zeug reden wollen, dann sind wir die Dümmsten von allen, mit dem „Eisgekühlten Bommerlunder“ und dem „Ficken, Bumsen, Blasen“ aus dem „Hofgarten“-Lied haben wir das bewiesen. Niemand anders singt so peinlich schlechte Texte. Aber wenn es ernst wird, dann sind wir auch vorneweg und hauen halt ein Lied wie „Willkommen in Deutschland“ raus“.

Die Nordsee schlägt dir ins Gesicht
Ehrlich fand ich auch das Statement in der Süddeutschen Zeitung. Campino wurde gefragt, ob es Dinge gibt, die er bereue, dazu folgende Antwort: „Jede Menge. `No regrets` ist das dümmste Statement der Welt. Nichts zu bereuen ist tragisch. Das fängt bei mir schon mit den Namen an: Campino, Die Toten Hosen. Wenn ich geahnt hätte, was die Zukunft bringt, hätte ich mir damit mehr Mühe gegeben“.

Wenn ihr helfen wollt, sprecht ein Gebet
Ich weiß, dass ich hier im Interview für viele „nicht kritisch genug“ bin. Man könnte Campino wahrscheinlich nie auflaufen lassen, der hat da einfach 40 Jahre Erfahrung – und ich „kann“ auch gar nicht so konfrontativ sein, wie es einige sicherlich hier von mir verlangen würden – weil ich will es ja auch nicht, weil ich die Hosen positiv sehe. Die Musik mag einem nicht mehr so zusagen, aber die Einstellung – Herz und Haltung – die gefällt mir weiterhin total.

Hohe Berge, weite Täler
Trust-Kollege Daniel schrieb in Trust #187 (2017) zur „Laune der Natur / Learning English Lesson 2“ in seiner Rezension: „Düsseldorf, BRD. 1989 kaufte ich mir im örtlichen RFT Die Toten Hosen – s/t 7“ auf dem DDR-Label Amiga. 8,10 Ost-Mark kostete das Teil, meine erste eigene Vinylscheibe überhaupt. Ich war zwölf Jahre alt. „Hier kommt Alex“ und „1000 gute Gründe“ waren unfassbar für mich, die ganze Platte eine absolute Offenbarung. Bis auf ein paar Songs von „Kreuzzug …“ und „Learning English 1“ habe ich seither keine drei Hosen-Songs mehr am Stück gehört. Ich kann es mir zwar beim besten Willen nicht vorstellen, aber wenn „Wannsee“ auch nur für einen Zwölfjährigen das ist, was „Hier kommt Alex“ für mich war – nämlich ein Eintrittstor in eine andere Welt, eine Welt ohne Hosen jedoch – dann hätte sich die Produktion dieser Platte schon gelohnt“.

Wenn man auf der Trust-Homepage unser online-Archiv nach der Band durchsucht, dann werden noch einige Rezensionen zu Hosen-Fotobildbänden und Song-Büchern von Dolf zu Tage gefördert, aber auch ein echter Schatz gehoben wie das Interview mit Stunde X (die in den 80ern von den Hosen gefördert wurden) von Al aus Trust #71 (1998) zu deren Reunion-Auftritt Ende der 90er in Düsseldorf. In der Anmerkung eins am Ende des Interviews gibt es weiterführende Hinweise zu Büchern und Filmen von bzw. über die Hosen, in der zweiten Anmerkung erwähne ich meine live-Erlebnisse mit der Band und in der letzten Anmerkung geht es kurz um meine „religiöse Erfahrung“ durch die Hosen und etwas zu der Tatsache, dass die Hosen von Anfang an „anti-zyklisch“ waren.

Kein Alkohol ist auch keine Lösung
Ich wollte ein zeitloses Interview mit meinem Punk-Hero machen, also kein Gespräch vor einem Gig oder an einem Presse-Tag, eben (auch) nicht gebunden in die Promo fürs neue Album. Und nach Begründung bei der JKP-Presseabteilung, was ich thematisch so vor hätte (Fan bis 1991, danach Ambivalenz, aber Campino immer mein Teenie-Punk-Idol und die Band ein riesen Türöffner zu UK-Punk und Punk überhaupt, einige Nerd-Fragen so wie „Nerd trifft Hero an der Theke mit 1-2 Bier“) ging das klar. Danke JKP und Campino! Es dauerte von der Zusage von Campino bis zum tatsächlichen Telefon-Interview-Termin dann einige Zeit, es passiert laut einem Interview von Campino in den „Kieler Nachrichten“ seit Jahren bei den Hosen eben so unglaublich viel und die Termine häufen sich. Ich bitte um Vergebung, dass ich nicht ALLES berücksichtigen kann. „Verschwende deine Zeit“ nun mit Campino, viel Vergnügen!

Campino, mein Jugend-Punkrock-Hero, vielen Dank für deine Zeit für das Interview! Denkst du, man kann die Hosen verstehen, ohne ZK zu kennen? Ihr habt da ja so tolle Songs wie „Conrad“ und das Cover von „Heimweh“ gemacht.
Ja, ich glaube, man muss ZK nicht unbedingt kennen. Aber die Toten Hosen muss man ja auch nicht kennen! (lacht) Nichtsdestotrotz war das eine wirklich gute Zeit. Und ich finde, so schlapp die auch handwerklich waren und so amateurhaft, irgendwie hatte das Charme. Wenn ich mir heute so ansehe, was wir da probiert haben, war das schon ganz anständig und in Ordnung.

„Disco in Moskau“ war das erste „englische“ Cover von euch („Kriminaltango“ das allererste Cover), auf dem Beiheft der „Damenwahl“ hattet ihr geschrieben, dass man raten soll, warum ihr es eingedeutscht habt, ja warum eigentlich?
Ich kann mich an diese Fragestellung von damals nicht erinnern, aber Tatsache ist, dass wir das Lied von den Vibrators super fanden. Es ist eher eine Nummer aus der späteren Phase der Band, nachdem es bei ihnen schon ein/zwei Wechsel in der Besetzung gegeben hatte und die Platte hatte ursprünglich keine solche Beachtung erfahren wie die ersten beiden Alben. Uns hat die Übersetzung von dem Lied gefallen. Es enthielt eine andere Nuance und beschrieb noch ausführlicher, warum ausgerechnet das System hinter dem Eisernen Vorhang zusammenbricht. Wir sind damals auch recht schnell in Polen und Ungarn auf Tour gewesen, ich meine so 1984/1985 das erste Mal, und natürlich hat es uns unheimlich viel bedeutet, dieses Lied dort zu spielen. Rückblickend ist es ja fast „seherisch“ gewesen, wie das gegnerische System bezwungen würde – eben durch den Konsum und durch die Kauflust der Leute – es beschreibt also die Kommerzialisierung des Systems.

Ihr habt das auf jeden Fall supergeil gemacht, ich dachte jahrelang, das wäre von euch! Ähem ja. (lacht)
Das Original ist natürlich auch mega und war eine super Sache, aber die Vibrators haben sich sehr darüber gefreut, dass wir das gemacht haben. Wir haben ja viel mit ihnen gearbeitet, sie waren zum Beispiel auch mit uns auf Tour. Wie gesagt, das war eine Coverversion, die uns sehr am Herzen lag.

Eines der ersten eigenen Lieder auf Englisch war „Agent X“, das gefällt mir auch so super gut. Habt ihr das jemals live gespielt, weißt du das vielleicht noch?
Ich glaube nicht, dass wir das Stück mal live gespielt haben. Wir waren damit auch nicht so richtig glücklich. Es war ein Versuch und im Nachhinein betrachtet eigentlich in Ordnung zu der Zeit, aber wir waren nie bestrebt, das live zu spielen.

Ok, es kommen noch ein paar Nerd-Fragen, du sagst aber, wenn du irgendwas nicht beantworten willst, ja?
Es kann sein, dass ich mich an vieles nicht mehr erinnere, die Zeit, über die du sprichst, ist ja auch schon länger her und meistens waren wir irgendwie angetrunken. (lacht)

Würdest du dir wünschen, dass irgendwann mal eine Band die Hosen so konsequent würdigt wie ihr eure alten 77er Helden?
Das muss nicht sein. Ich habe nicht das Gefühl, dass man uns nicht genügend gewürdigt hätte oder so, ganz im Gegenteil. Wir haben ein Riesenstück vom Kuchen abbekommen, und es gibt auch Wichtigeres. Bei „Learning English“ hatten wir einfach Spaß daran, unsere alten Helden zu suchen, mit ihnen zu arbeiten oder ihre Lieder anderen Menschen vorzuspielen, das hatte nichts mit Gefälligkeit zu tun.

Manche sagen, dass ihr Ende der 80er den Soundtrack für die ganzen Schnauzbärte gemacht habt, die Zitronen haben sich damals mit einer radikalen Stiländerung von ihrem Publikum distanziert, ich fand das immer irgendwie cool, dass ihr eine Band „des Volkes“ geblieben seid … was denkst du dazu?
Bei uns war es so, dass irgendwann immer mehr Zuschauer gekommen sind und es von den kleinen Clubs in die größeren Hallen ging. Wenn ich mich an die ersten Locations erinnere, in denen wir gespielt haben – besetzte Häuser, irgendwelche Untergrund- Clubs und so weiter – zu solchen Auftritten ist der Otto Normalverbraucher halt nicht hingegangen, davor hatte der viel zu viel Schiss. Aber als wir dann in Jugendzentren spielten oder auch mal eine kleinere Stadthalle dabei war, haben sich auch andere Leute zu diesen Konzerten getraut und Schritt für Schritt sind wir einfach bekannter geworden. Dadurch sind immer mehr Menschen gekommen, auch wenn sie vielleicht sonst nichts mit Punk zu tun hatten, das Publikum hat sich einfach ganz anders durchmischt. Ich glaube, es gab auch eine Menge Eifersucht oder Argwohn innerhalb der Szene darüber.

Man hat versucht, uns zu diskreditieren, indem man gesagt hat „Naja, die Toten Hosen, das hören ja jetzt auch die Prolls…“, aber im Grunde ist das immer eine sehr dünne Linie. In den Tagen, wo wir mit ZK angefangen haben, Lieder wie „Dosenbier“ oder später mit den Hosen dann „Bis zum bitteren Ende“ zu singen, war es zum Beispiel noch völlig unüblich, über Alkohol zu reden und zu erklären, dass man mit dem Tag nichts besseres vor hat, als sich volllaufen zu lassen. Das war damals noch nicht Mainstream und eine wirkliche Provokation. Dann hat sich das in relativ kurzer Zeit geändert und ein Saufsong gehörte plötzlich in jedes Set einer Band im Rockbereich. Es ist also manchmal schwierig, im Nachhinein Lieder aus dem Kontext zu reißen.

Wir haben ja ganz oft auf das reagiert, was uns im täglichen Leben widerfahren ist, die Stücke sind nur Momentaufnahmen. Ein Lied wie „Hofgarten, ficken bumsen blasen“ war einfach nur ein ironischer Versuch zu beweisen „Uns ist hier nichts zu blöd, wir singen selbst so einen Quatsch“! Oder nimm „Eisgekühlter Bommerlunder“: die Dummheit der Zeilen haben wir sehr wohl begriffen, und das hat das Publikum damals auch getan und die Anspielung verstanden. Auch ein Lied wie „Opelgang“ war ursprünglich absolut ironisch gemeint! Wir haben uns lustig gemacht über diese Leute. Aber dann hat uns das Lied sozusagen selber überholt und wir fanden diese Opelfahrer und auch die Opel selber auf einmal kultig.

Das endete dann darin, dass wir uns selber solche Karren gekauft haben! Dass wir vom eigenen Song überholt wurden, ist häufiger passiert. Aber wie gesagt, auf einer Strecke von jetzt bald 40 Jahren hat sich einfach alles geändert. Erstmal sind wir von jungen Teenagern jetzt zu Leuten im 50-Plus-Alter geworden, wenn wir nach vorne gucken, sehen wir sozusagen schon fast die Rente. Und dann hat sich das ganze System geändert: Osten, Westen, der Eiserne Vorhang, das ist inzwischen alles vorbei. Europa hat sich neu sortiert. Es ist letztendlich in diesen Jahren eine irre gesellschaftliche Veränderung entstanden. Und deshalb ist es sehr, sehr schwer, die Maßstäbe von heute anzusetzen auf das, was wir damals gemacht haben.

Stimmt es eigentlich, dass du in einem Blindbier-Test im TV Kölsch nicht von Altbier unterscheiden konntest? Ich meine, das als Kind mal im Fernsehen gesehen zu haben…
Du hast Recht, dass ich mal bei einem Bier-Test war, da ging es aber um drei Sorten. Die Kölsch-Biere hab ich komischerweise herausschmecken können. Aber tatsächlich konnte ich dann die Pils-Biere nicht von den Altbieren unterscheiden. Man hat mir damals zehn Glas Bier hingestellt, Kölsch, Pils und Alt gemischt und ich sollte dann raten, was ich trinke, mit verbundenen Augen. Ich lege dir noch heute nahe: mach das mal mit deinen Kumpels! Du wirst erstaunt sein, wie hoch die Fehlerquote dabei ist. Das ist irgendwie schon irre, wie sehr das Auge mitentscheidet, wie sehr einem was schmeckt oder nicht!

Die Unterschiede sind marginal. Kölsch kann man allein wegen des Kohlensäuregehalts ein bisschen unterscheiden, weil das ein bisschen anders perlt. Aber rein geschmacklich sind sich die Biere viel ähnlicher als man denkt. Und es gibt, glaube ich, niemanden, der Typsorten voneinander unterscheiden könnte. Damit haben die mich damals ganz gut veräppelt, aber mich beruhigt, dass sie das auch schon mal mit den Köbissen gemacht haben, also mit den Kellnern, die in der Altstadt arbeiten, und die haben’s auch alle nicht geschnallt. Es ist schwierig!

Einer meiner absoluten Lieblingssongs von euch ist „1000 gute Gründe“, aber ich liebe auch „Testbild“. Ich finde den so super krass vom Text her, dafür, dass ihr Düsseldorf so liebt, ist der Text ja ganz schön verzweifelt oder war das mehr so in diesem „Clockwork Orange“-Setting der Platte damals?
Ich bin mir nicht sicher, wie ich die Frage verstehen soll. Glaubst du, dass wir in Düsseldorf alle im Paradies wohnen oder worauf willst du hinaus?

Nein, ich wollte nur wissen, ob du noch weißt, wie „Testbild“ damals entstanden ist?
Ja, klar. Um das mal vorneweg zu schicken: Düsseldorf hat natürlich immer probiert, sich als Messestadt und Modestadt darzustellen, aber natürlich gibt es hier auch ganz krasse Arbeiterviertel, es ist nicht nur glamourös hier. Die Kids wussten auch immer, was scheiße ist. Damals gab’s im Fernsehen drei Programme, es sei denn, du hattest Glück, weil du auch noch einen holländischen Sender reingekriegt hast. Das war’s dann auch schon. Und ab ein Uhr nachts war dann immer das Testbild zu sehen.

Darum geht’s halt – dass man immer vor der Glotze hängt, bis wirklich gar nichts mehr läuft. Aber das war völlig normal, wir in Düsseldorf kannten es gar nicht anders. Wir hatten ziemlich früh, vielleicht als erste Stadt, eine sehr eigenständige Szene. Von Mittagspause, die angefangen haben, deutsch zu singen, Male, S.Y.P.H…. Die Parolen „Zurück zum Beton“ oder „Wir sind die Türken von morgen“ waren immer auch schon politisch und immer auch schon heftig, insofern hatte ich einfach direkt vor meiner Haustür sehr viele Vorbilder, Einflüsse oder Mitstreiter, wie auch immer du das nennen willst. Wenn man an jedem Wochenende mit irgendwem von Mittagspause oder Male an einem Flipper steht, dann kommt man auch in denselben Duktus rein und in das Vokabular wahrscheinlich auch.

Und ich liebe dann noch total „Mit wehenden Fahnen“. Bei einem Konzert 1986 in Köln widmest du den Song der „Spex und allen anderen, die das nicht mehr cool finden“, was meintest du eigentlich damit? Ihr wart dann noch Punk-Fans, als die 77-er Bewegung schon hinüber war, habt ihr das antizyklisch gesehen…
Ja, das sowieso. Vielleicht war es auch gar keine Absicht, aber so ist es immer gewesen: Entweder waren wir zu früh – wie bei „Hip Hop Bommi Bop“ – oder irgendwie zu spät. Jedenfalls waren wir nie im Timing. Mit der Spex war das so eine Sache. Es ist ja immer dasselbe Spiel: Leute entdecken was, und weil sie die Ersten sind, behaupten sie, das ist jetzt das Allergenialste auf der Welt und erzählen das ihren Kumpels, und wenn die es dann glauben, sind es dieselben Leute, die sagen „Ach, inzwischen ist das aber doof“.

Bei der Spex war es genauso: Eine längere Zeit waren wir eine Lieblingsband von denen, wir waren ständig auf den Covern der Zeitungen und hatten große Berichte. Irgendwann wurden wir ihnen dann auch zu berühmt und wahrscheinlich haben die sich deshalb von uns abgewendet, aber auch generell für sich selbst entschieden, dass Punkrock jetzt „nicht mehr so die Sache“ ist. In den ersten Ausgaben haben sie sehr positiv über Punk berichtet, sich da selbst mit reingezogen in die Szene, und sich dann aber davon gelöst. Wahrscheinlich waren wir in deren Augen noch so ein bisschen „die ewig Gestrigen“, die nicht wegkommen vom Fleck, und dementsprechend hat sich unser Verhältnis halt verschlechtert. Ich war damals nicht Profi genug, um so was einfach wegzustecken.

Mir hat es immer was bedeutet. Ich hab mit vielen Journalisten Streitgespräche darüber geführt oder war enttäuscht, wenn sich jemand auf einmal gegen uns gewendet hat, besonders wenn der vorher zum Beispiel mit uns auf Tournee war, durch Ungarn oder Polen etwa. Man hat sich in der Zeit mit einem Typen angefreundet, der für diese oder jene Zeitung geschrieben hat – und ein Jahr später fängt der dann auf einmal an, gegen dich zu arbeiten. Das ist zwar legitim, aber für mich ist es schwer gewesen, das zu verstehen.

Ich habe dann gedacht, „Entweder ist man jetzt miteinander befreundet oder nicht, und warum sagt der mir das nicht ins Gesicht, was er da schreibt?“ Das war ein Lernprozess. Es hat ein bisschen gedauert, zu verstehen, dass es schwierig ist, mit Journalisten eine Freundschaft anzufangen und wenn man das tut, dann sollte man sich miteinander einigen, dass man besser nicht über Musik spricht, also dass man versucht, Beruf und Freundschaft zu trennen.

Was zum Glück geblieben ist, ist eure Mischung aus ernsten und hedonistischen Texten, das hat mir eh immer so gut gefallen bei euch und das finde ich so toll, dass ihr weiterhin sozialkritisch unterwegs seid und Herz und Haltung bewahrt habt, eben nicht nur Fun, aber auch nicht nur Ernst, zwischen „Bis zum bitteren Ende“ und „Krieg im Spielzeugland“! Also, ihr wart ja nie Fun-Punk…
Du hast das ganz gut auf den Punkt gebracht. Ich war drei Jahre lang bei ZK, mit denen wir wirklich versucht hatten, uns von den klassischen klischeehaften Haltungen abzugrenzen. Deshalb sind wir damals in eine Art Gaga-Richtung gegangen mit Vorbildern wie Johnny Moped, der, so wie er sich gab, sowieso ein ganz großer Held war.

Aber auch The Damned, nicht was den Speed anging, aber die thematischen Inhalte. Das war ja auch eine ziemliche Chaos-Band, die sich nicht so politisch gegeben hat wie zum Beispiel The Clash, die Pistols, Stiff Little Fingers, sondern die etwas mehr den chaotischeren Weg gegangen ist. ZK war immer der Versuch, diese ganze Sache zu persiflieren, da waren für uns auch Anti-Bullen-Lieder zu ernsthaft, mit sowas haben wir uns gar nicht abgegeben.

Dann hab ich aber irgendwann gemerkt, wie schwierig das ist, in so einer Witzband zu sein. Du musstest immer gut drauf sein – auch wenn draußen grad eine Straßenschlacht war und du zehn Minuten später dann auf die Bühne gehen sollst, während der ganze Raum voller Aggro war! Das passte nicht für mich. Deshalb haben wir dann gesagt, dass für die „neue Band“, also, als wir dann die Toten Hosen gegründet haben, völlig klar sein muss, dass wir uns so benehmen, wie wir uns gerade fühlen! Wenn wir albern sein wollen, dann sind wir albern. Und wenn’s was Ernstes gibt, dann ziehen wir es auch durch.

Aber wir lassen uns nicht mehr in eine Schablone pressen, was das angeht. In der Hinsicht hab ich wirklich großen Respekt vor den Ärzten, die ja ihre ganze Karriere lang, mit wenigen Ausnahmen, in dieser Fun-Schiene geblieben sind. Auch auf der Bühne mit ihren Gags. Ich kann mir vorstellen, wie schwer das ist, immer den gutgelaunten Komiker zu geben. Das ist ein harter Job.

Warum habt ihr eigentlich so einen schleichenden Stilwechsel ab der „Kauf mich“ eingeschlagen, ich finde schon, dass es dann eher Rock mit ein bisschen Punk wurde. Manche reden ja auch davon, dass ihr heute zu Schlagermusik wurdet, das sagte ja auch euer früherer Produzent in einer älteren Doku. Es ist etwas ambivalent für mich als Fan, weil: „Bis zum bitteren Ende“ ist so geil, aber von „Zehn kleine Jägermeister“ war ich damals etwas enttäuscht, auch wenn ich mich wirklich über euren Erfolg von ganzem Herzen freue. Oder auch „Verschwende deine Zeit“ versus „Tage wie diese“. Was denkst du zu so was, findest du es blöd, dass einige Fans nur an den alten Songs hängen oder ist es dir egal? Muss es dir egal sein?
Ich fang mal bei der einen Sache an, die du erwähnt hast, und zwar bei Jon Caffery. Ich liebe den Typ unheimlich. Als wir uns voneinander getrennt haben, war es so, dass wir als Band irgendwie das Gefühl hatten, dass wir so ein bisschen in einer Sackgasse sind. Da gab’s dann nur zwei Möglichkeiten: entweder man schmeißt sich selber gegenseitig raus – was nicht in Betracht kam, wir wollten ja als Band zusammen bleiben.

Deshalb haben wir versucht, die anderen Umstände in Frage zu stellen, einfach mal über andere Techniken andere Wege zu gehen. Und ich glaube, der Schritt hat uns insgesamt gutgetan. Aber natürlich haben Jon und wir uns immer geschworen „wir bleiben zusammen, durch dick und dünn“. Dass wir mit jemand anderem gearbeitet haben, war nicht einfach für Jon. Deshalb kann ich auch seinen Blickwinkel völlig verstehen und es ist in Ordnung, was er sagt.

Aber er kennt uns so gut, dass er wissen müsste, es ging nicht darum, uns für oder gegen eine kommerzielle Richtung zu entscheiden, sondern ich mochte es immer, meine Nase auch mal in Sachen reinzustecken, von denen ich überhaupt keine Ahnung hatte. So wie wir auch „Hip Hop Bommi Bop“ gemacht haben, nur weil wir Freddy Love, also Fab 5 Freddy, damals begegnet sind. Es war einfach so: er war da, ein guter Typ, also dachten wir uns „lass’ irgendwas machen, scheißegal!“ (lacht)

Oder wie wir letztendlich auch in anderen Genres herumstöbern, zum Beispiel mit den Roten Rosen deutschen Schlager durch den Fleischwolf drehen und einfach nur „so schnell wie’s geht“ spielen – solche Ausflüge haben auch immer mal wieder gute Momente hervorgebracht, aber natürlich entstehen daraus auch mal schlechtere Sachen. Wir sind sicherlich nicht anders als eine Sportmannschaft, die mal eine gute Saison hat und mal eine schlechte. Es ist ja sowieso schwer, über Musik zu streiten, oder? Der eine findet dieses gut, der andere jenes…

Was ich wirklich mit allerbestem Wissen und Gewissen sagen kann ist, dass wir uns immer Mühe gegeben haben. Natürlich erinnere ich mich auch an Alben, wo der eine oder andere von uns privat total den Stress hatte, Riesenprobleme zuhause, Auseinandersetzungen mit Frau und Kind, solche Sachen, und trotzdem versuchst du, nach außen den Laden zusammenzuhalten und bringst dann irgendwas raus, in der Hoffnung, dass es trotzdem ok ist. Rückblickend, wenn wir das hören, denken wir dann manchmal schon „Mann, da hatten wir keine gute Phase. Da waren wir total abgelenkt und das hört man auch. Wir haben es nicht so abgeklopft auf Qualität wie sonst“. Ja, solche Gedanken gibt es.

Es gibt meiner Meinung nach zwei Extreme. Wenn du dir jetzt zum Beispiel David Bowie nimmst, der hat sich auf jedem Album immer wieder komplett neu erfunden und ist komplett andere Wege gegangen und war nachher auch quasi Opfer seines eigenen Rufs.

Irgendwann dachte er, er müsse sich ständig verändern, sonst wären die Leute enttäuscht, das würde von ihm erwartet… und dann hat er zwischenzeitig eine unglaubliche Scheiße abgeliefert! Das Gegenbeispiel wären dann Gruppen wie AC/DC und die Ramones, die machen immer nur dasselbe, es sind überhaupt gar keine Einflüsse von außen zu hören. Selbst in hundert Jahren wäre ein Ramones Stück noch ein Ramones-Stück und AC/DC wird auch in hundert Jahren immer noch wie AC/DC klingen. Das ist teilweise sensationell, aber es ist auch ein ganz schmaler Grat zum völligen Blödsinn.

Ich fand enttäuschend, als ich gelesen habe, dass Angus Young, den ich total schätze und der für mich der wahrscheinlich beste Gitarrist der Welt ist und eigentlich alles darf, sagt, er hört sich andere Bands eigentlich gar nicht mehr an, dass er das nicht braucht, dass das für ihn jetzt nicht so relevant sei. Das fand ich schade, dass er nicht neugierig auf Musik bleibt! Und auch nicht neugierig auf andere Formen, seine Sachen mit anderen Stilen zu vermischen.

Wie gesagt: das sind die beiden Extreme. Wir als Tote Hosen haben immer versucht, uns zu bewegen. Offensichtlich hat man es in den ersten Jahren nicht gemerkt! (lacht) Da waren die Entwicklungsschritte eben gegen Null, aber irgendwann hat’s dann „klick“ gemacht und wir sind seitdem immer auf der Suche nach Experimenten. Immer. Auch wenn wir jetzt hier unsere Sachen `akustisch` spielen, da haben wir dann ein halbes Jahr Spaß dran und dann werfen wir die lapidar gesagt wieder weg und legen wieder los wie immer. Außerdem: dieses Punkrock-Gefühl, was immer beschrieben wird, habe ich auch immer noch im entsprechenden Umfeld.

Wenn uns danach gewesen ist, uns auszutoben, sind wir halt wieder ins SO 36 gefahren und haben da gespielt – oder in der Markthalle oder sonst wo. Es braucht ja nicht viel dafür, um so ein Gefühl hervorzuholen. Letztendlich sind auch unsere Wohnzimmer- Touren immer irgendwie eine Art, Punk auszuleben, weil das halt null professionell ist, weil man nie weiß, wo man da eigentlich auftritt, mit was für Leuten und so. Daraus haben wir immer sehr viel Kraft geschöpft.

Auf der anderen Seite haben wir verstanden, dass es irgendwann professioneller wird und dass man merkt: wenn man Karten für mehr als fünf Mark oder Euro verkauft, dass die Leute auch was erwarten. Dass die sich teilweise ihr Ticket ein Jahr im Voraus holen! Und dann ist es einfach blöd, wenn du an dem Abend dann spielst und sagst „Ja, sorry, wir haben gestern eine Party, wir können heut’ nicht mehr richtig“. Irgendwann versuchst du, diesem Anspruch gerecht zu werden und macht dann Kompromisse. Mal gelingt das besser, mal gelingt das schlechter. Ich kann niemandem irgendwie böse sein, wenn der dann sagt „ Tote Hosen, das ist für mich jetzt zu mainstreamig“. Ich glaube, wir sind einen deutlichen Schritt gefälliger geworden als früher und gleichzeitig ist auch die Gesellschaft ein bisschen rockiger geworden, Gottseidank.

Also, Tony Marshall hört man jetzt nicht mehr in der Fußball- Halbzeit, sondern da wird dann von Pennywise die „Bro Hymn“ gespielt, solche Songs sind auch im Radioprogramm angekommen und so wurden harte Gitarren quasi in das Tagesprogramm reinkatapultiert, das darf man nicht vergessen. Es ist ja inzwischen sowieso schwer, über „den“ Mainstream zu reden, den gibt es ja nicht mehr, es gibt tausende von Mainstreams, verschiedene Richtungen… Ich glaube, Rockmusik ist ein Teil davon und das ist heutzutage doch eine sehr konservative Angelegenheit, wenn wir ehrlich sind.

Ok, unsere Zeit ist eigentlich schon um, wie toll, dass du so ausführlich antwortest, das freut mich sehr, kann ich vielleicht doch noch einige Fragen stellen?
Ja, logisch.

Super! Was ich immer mal wissen wollte: auf eurer genialen live 1987 Platte gibt es vor „Eisgekühlter Bommerlunder“ deine Ansage „Allright everybody in the Ömby, jetzt muss mal langsam die Message rüber kommen“ – was ist eine Ömby?
(lacht) Die Ömby? Das ist ein Sprachfehler, der entsteht, wenn man sich seine Ansagen vorher nicht überlegt. Zeitüberbrückung.

Alles klar! Eure Band-Crew-Gruft liegt auf dem Düsseldorfer Südfriedhof, ist das eigentlich derselbe Friedhof, den ihr in „Ehrenmann“ erwähnt, von wegen der Textzeile „Kürzlich verstorben liegt er auf dem Südfriedhof“?
Tatsächlich ist das derselbe Friedhof, aber ich hätte, als wir das Lied früher gespielt haben, nicht gedacht, dass wir uns irgendwann mal dazu entschließen würden, da unsere Endstation hinzuverlegen. Davon war damals nie die Rede. Es gibt ja auch den Nordfriedhof, aber ich weiß nicht warum: aus irgendeinem Grund sind die Leute, die ich kannte, alle auf dem Südfriedhof beerdigt worden. Bei meinem Bruder in der Klasse war ein Junge, der war fünfzehn als er an Leukämie gestorben ist und der wurde auch schon auf den Südfriedhof gebracht. Irgendwie ist das bei mir einfach immer das Bild gewesen für einen Friedhof, von daher war es immer der Südfriedhof.

Vielen Dank auch nochmal für deine tolle „Echo“- Rede, ich fand die echt voll super. Das einzige, wo ich ganz kurz zucken musste, war, dass mir plötzlich eure Version von „Guantanamera“ mit „I saw a cunt in the mirror“ einfiel, da überkam mich kurz ein Hauch von „Fremdschämen“, ich mein’s überhaupt nicht böse, ähem.
Wofür haste dich denn jetzt geschämt, für „Cunt in the mirror“ oder für mich? (lacht)

Nein nein, mir fiel nur das Lied ein, als du in der Rede meintest „Frauenfeindlichkeit ist nicht ok“ – Die Frage ist nur: kann man nicht sagen, dass die Hosen auch ganz früher einen Hauch von „grenzwertig“ waren in Bezug auf Frauen? Ihr führtet ja zum Beispiel auch Strichlisten auf Tour, wer wie bei den weiblichen Fans punkten konnte. (lacht)
Das sehe ich anders. Wir waren in ganz vielen Bereichen unkorrekt, im Ganzen aber nicht bewusst „frauenfeindlich“. Nein, wir haben alles ins Lächerliche gezogen – uns selbst mit eingenommen. Gelebt haben wir das definitiv nicht, Groupies in der Band, das war ein No-Go! Man hatte keine Groupies. Das ist ja ein riesen Unterschied, ob du auf Augenhöhe vögelst oder ob du da quasi „den Abschleppdienst vor dem Herren“ spielst, weil du einfach nur ein Idol bist. Das lief bei uns anders.

Als wir die „Sex-Liga“ hatten, hatten wir noch gar keine Fans! (lacht) Aber lass mich dazu noch was sagen: du hast natürlich total Recht mit diesem „Cunt in the mirror“. Das ist ein Lied, für das es, wenn wir das heute rausbringen würden, ganz anderes Gegenfeuer geben würde! Aber auch da ist die Frage, wie weit sich die Gesellschaft verändert hat. Welche Form von Humor, welche Form von Übergriffigkeiten gehen zu weit? Ein Lied wie „Cunt in the mirror“ oder auch „Ficken bumsen blasen“, also „Hofgarten“, das würde heute sicherlich auf ganz andere Kritik stoßen!

Aber ich würde mal behaupten: wir als Tote Hosen, im Alter von 19/20 Jahren würden es vermutlich trotzdem heute genauso raushauen. Letzter Gedanke dazu: Ich weiß nicht, ob du das jemals gesehen hast, aber es gab dieses Tourposter… Darauf war ganz groß geschrieben „ROSWITHA KOMMT…“ und dann ganz klein „nicht. Dafür aber Die Toten Hosen…“ – und darauf abgebildet war eine nackte Frau.  Wir sind dafür damals schon von Frauenbewegungen, Frauengruppen etc. dermaßen angemacht worden!

Die Plakate wurden runtergerissen, es gab Protestkundgebungen, was weiß ich – auf der Tour hatten wir dann teils 23 protestierende Frauen vor der Tür und ungefähr zwanzig zahlende Gäste beim Konzert. Wir hatten eigentlich auch damals eher den „Sexy“-Leser verarschen wollen, halt so den „Schmuddelblatt-Typ“ und es ging uns gar nicht um die Frauen, aber trotzdem waren die damals schon in ihrer Ehre verletzt. Ich glaube, wenn du provozierst, ist es einfach so, dass du immer wieder auch an solche Grenzen stößt und dich der Diskussion stellen musst.

Vielleicht direkt daran anschließend: meine alte Chefin ist großer Toten Hosen Fan. Wie gehst du damit um, dass nicht wenige dich als Sexsymbol sehen?
Es wird immer seltsamer.

Alles klar, sehr gut! (lacht) Ich komme ja ursprünglich aus Leverkusen, aber da habt ihr trotz Nachbarschaft zu Düsseldorf nie gespielt oder?
Nein, daran könnte ich mich jetzt auch nicht erinnern. Das hat aber auch sicher damit zu tun, dass es in Düsseldorf, Köln oder auch Oberhausen unheimlich viele Clubs gab, woanders war irgendwie nicht so viel los und die ganzen Kids sind eher dorthin gefahren, um sich ihre Portion Punkrock abzuholen. Da hat Leverkusen keine Rolle gespielt. Und nachher war es meiner Meinung auch so, dass Leverkusen ein bisschen unglücklich liegt. Die ganzen Tourneen der großen Künstler, auch heute, gehen in die Arenen, entweder hier bei uns in Düsseldorf oder halt in Köln, das Angebot der Spielstätten liegt ein bisschen ungünstig für Leverkusen, sodass man da dauernd dran vorbeifährt. Aber ich glaub, da sind wir keine Ausnahme von der Regel, oder?

Sag mal, dieses Bordell kurz vor dem Düsseldorfer Hautbahnhof, das man aus dem Zugfenster sieht, war das eigentlich schon immer da?
Das kann ich dir nicht sagen. Seitdem ich Zug fahre und aus dem Fenster gucke, steht das da. Aber ich habe wirklich von der Bordellgeschichte Düsseldorfs nicht so viel Ahnung. Ich glaube, die Stadt spielt im Rotlichtmilieu nicht so eine große Rolle. Es gibt das Haus da am Bahndamm und ein paar andere Sachen, zum Beispiel „edelmäßigere“ Etablissements an der Rethelstraße, aber generell ist hier nicht viel los. Du wohnst ja jetzt in Frankfurt, dagegen backt Düsseldorf kleine Brötchen. Ich kann dir dazu nicht mehr sagen. Aber der Bahndamm ist ja komischerweise überall verschrien oder irgendwie ein Ort, wo solche Läden am ehesten zu finden sind.

Wenn du das Düsseldorf Ende der 70er mit dem von heute vergleichst, was hat sich geändert, was ist vielleicht geblieben?
Na ja, also der Puff ist schon mal geblieben. (lacht) Aber letztendlich würde ich sagen, Düsseldorf hat sich zum Besseren entwickelt. Im Hafen hat sich tierisch viel getan, was Kneipen und so weiter angeht, aber es macht ja eh keinen Sinn, an Altem festzuhalten. Stichwort „Ratinger Hof“, das war ja immer mein absoluter Lieblingsladen, und ich war sehr traurig, als man den dann restauriert und dann noch ein Stockwerk drübergebaut hat, der ist überhaupt nicht mehr wiederzuerkennen. Das finde ich natürlich für mich selber schade, aber alles in allem gehört das dazu, hmh…

Genau, ihr kommt ja aus der Ratinger Hof-Zeit, aber das AK 47 in Düsseldorf war nie so eure Hood, oder? Dann wiederum gibt es ein Foto von eurem verstorbenen Roadie Bollock auf deren Memorial-Seite.
Was heißt „nicht unsere Hood“? Also eigentlich war es VOLL unsere Hood, weil unser Proberaum keine 300 Meter von dem Laden entfernt war und das viele Jahre lang. Wir haben auch selber da ein- oder zwei Mal gespielt, soweit ich mich erinnere, also auf der Kiefernstraße. Ich bin da auch öfter gewesen. Die haben eine Zeit lang ganz coole Bands spielen lassen. Ich weiß gar nicht, was da heute los ist, da blick ich nicht mehr durch, aber eine Zeit lang waren wir da hin und wieder. Für uns gab es zwei wichtige Straßen, die Kiefern- und die Theodorstraße, die andere große besetzte Straße in Düsseldorf. Unser Drummer Wölli hat da auch ein Jahrzehnt lang gewohnt. Die Kiefern- und die Theodor-Straße, das waren sozusagen „Brüderstraßen“, letztendlich war das so eine Szene, die sich da untereinander sehr gut kannte.

War eigentlich der tolle Song „Glückspiraten“ auf der „Kreuzzug ins Glück“ autobiografisch?
Ja. Lustigerweise gibt es nicht viele davon, aber bei DEM weiß ich’s. Das Schreiben hat sechs Minuten gedauert. Ich bin mit den anderen Skifahren gewesen in Tirol und es gab keinen Schnee, das weiß ich noch. Wir haben uns irgendwie besoffen – naja , wir haben uns jeden Abend irgendwie besoffen (lacht), aber da bin ich aufgewacht und hab den nachts um drei oder so einfach an meinem Nachttischchen geschrieben, ich wusste sofort, worum es geht. Im Grunde genommen brauchte ich ja nur das zusammenzuziehen, was mein Vater mir immer gesagt hat und schon war das Lied fertig. Das ging superschnell. Im Anschluss habe ich noch einen anderen Song gemacht, der es auch auf die Platte geschafft hat, aber ich weiß nicht mehr, welcher das war. In der Nacht habe ich zwei Lieder geschrieben, das kam auch nicht so oft vor. Es klingt schon irgendwie wie ein dümmliches Klischee: man wacht auf und schreibt einen Text – aber bei dem Song ist es so gewesen.

Super, weil wir den Song in unserer Clique so lieben und jeder denkt, dass der über die eigenen Eltern geschrieben wäre, danke nochmal für diesen Song.
Gerne. Es sind ja auch „typische“ Standards.

Ihr habt u.a. durch die beiden englischen Coverplatten viele eurer Jugendidole getroffen, gab’s da auch mal herbe Enttäuschungen, dass die eben nicht so nett waren, wie man dachte? Ihr wart Vorband von AC/DC, wie waren die so drauf? Und es gibt ja die Geschichte von einem aus eurer Crew, der sich sein Ramones-Tattoo hat überstechen lassen, aus Enttäuschung, wie sehr die hinter der Bühne nicht kommunizierten, das fand ich stark. War das damals wirklich ein Schock für euch, backstage bei den Ramones zu sein?
Also, zu den Ramones muss man sagen – das sieht man ja an den Tätowierungen– Kiki hat sie abgöttisch geliebt! Und du kannst ja nur von jemandem enttäuscht werden, wenn der für dich dein Ein und Alles ist. Ich weiß, dass Kiki Joey Ramone nach wie vor so verehrt wie am ersten Tag, denn Joey war wirklich ein Top-Typ! Auch CJ war sensationell und Dee Dee war ein unheimlich netter Kerl, das heißt die Jungs im Einzelnen waren sehr in Ordnung.

Aber die waren halt untereinander unheimlich verzankt und zerstritten. Das war für Kiki eine Enttäuschung: allein schon der Name „Ramones“ – das war wie eine Familie – und dann siehst du, dass das alles gar nicht stimmt, sondern, dass es nur noch darum ging, die Kohle einzufahren. Johnny und Joey haben ja überhaupt nicht mehr miteinander gesprochen und waren in Hotels in verschiedenen Stockwerken untergebracht. Das hat ihn sehr belastet damals. Verständlicherweise. Zu AC/DC kann ich dir zu deiner Beruhigung sagen: sie wirkten miteinander sehr nett, soweit ich das erlebt habe, und auch zu uns waren sie immer schwerstens in Ordnung!

Erleichterung macht sich breit!
Ich habe mit Angus Young ein bisschen mehr zu tun gehabt, weil wir damals mehrere Pressekonferenzen zusammen gegeben haben. Die Band kam auch schon mal zu uns in die Garderobe und wir haben mit denen geklönt und so. Sie waren also durch und durch so „Aussie-mäßig“ in Ordnung. Richtig gute Typen, soweit man das sagen kann. Wir hatten einen Fahrer, der hieß Günther, und Günther war auch Fahrer von AC/DC. Deshalb gab’s immer mal wieder gemeinsame Verbindungen und Geschichten. Günther hat mit Angus Young, der ja mit einer Holländerin zusammen ist, –immer gemeinsam Caravan-Urlaub gemacht und musste die immer durch Jugoslawien fahren im Sommer. Die haben in ganz normalen Camps übernachtet, so bescheuerten Wohnmobil- Camps am Meer. Sagenhaft, sehr in Ordnung.

Warum klappte das eigentlich in den 90ern nicht, dass die Mighty Mighty Bosstones „Eisgekühlter Bommerlunder“ auf einer Platte covern wollten? Da ist ja auf der Platte sogar eine Ansage auf Deutsch, dass „Rechtsanwälte und Plattenbosse das verhindert hätten“?
Keine Ahnung! Wir sind ja mit den Mighty Mighty Bosstones wirklich befreundet gewesen, also bis zum heutigen Tag. Man hat sich vielleicht ein bisschen aus den Augen verloren, aber wir haben viel miteinander gemacht, und wir würden denen NIEMALS irgendwie in die Quere kommen… Also, entweder war das ein Witz, sie haben’s nicht richtig verstanden oder die Problematik lag ganz woanders. Aber das hat bestimmt nichts mit uns zu tun, also mit denen sind wir völlig im Grünen.

Nochmal vielen Dank für deine Zeit, echt Wahnsinn, ich feiere jetzt zweimal Geburtstag.
Wie gesagt: Gar kein Problem.

Ihr hattet das so schön in einem Newsletter formuliert, dass wir momentan „alle auf Sicht fahren“. Bei euch passiert seit Jahren so unglaublich viel, es gab den Doku-Film über eure Tour 2018, das Hosen-Bier kam, es gab live-Platten von eurem Tourabschluss-Gig in Düsseldorf und von dem Gig im S036, das Akustik-Album ist raus, die Akustik-Tour war geplant und jetzt kommt bald dein Buch Ende des Jahres, das aber keine Autobiografie ist, oder? Kannst du irgendwie sagen, wie die Zukunft der Hosen aussehen wird?
Überhaupt nicht, schon gar nicht jetzt in dieser Zeit, wo man gar nicht weiß, wann Rockkonzerte überhaupt wieder zugesagt werden. Ich denke, das gehört zu den letzten Dingen, die überhaupt wieder freigegeben werden. Ich halte es auch nicht für unrealistisch, dass wir das vielleicht auch erst 2022 erleben werden. Also wer weiß, was da noch auf uns zukommt. Was uns persönlich angeht: da gab es nie einen Masterplan und wird es auch nicht geben. Es ist auch noch zu früh, um zu sagen, wie das Buch konkret aussehen wird, weil ich noch mittendrin stecke. Es ist aber keine klassische Autobiographie. So etwas würde ich nicht schreiben wollen.

Patrick Orth von eurer Firma meinte mal in einem Interview, dass du seit Jahrzehnten Tagebuch schreibst?
Das ist richtig. Das Tagebuch ist für mich eine gute Sache, weil ich mich an vieles sonst nicht erinnern würde, aber letztendlich gab’s dieses Buch einfach nur, weil ich die Saison von Liverpool begleiten wollte. Irgendwie hatte ich es im Urin, so von wegen „Dieses Jahr wird’s was mit der Meisterschaft“! Dann hab ich einfach jedes Liverpool-Spiel, bei dem ich war, ganz genau aufgeschrieben, Anfang dieser Saison war ich zum Beispiel in New York und habe dann einfach skizziert, wo ich das Spiel guckte, auch mit wem und was sonst noch interessant war und so hatte ich meine Spielberichte. Das war die Idee des Buches und dann musste ich aber erklären, warum ich jetzt ausgerechnet Liverpool gut finde und schon steckte ich in der Geschichte meiner Familie. Das wird auch beschrieben, aber es geht wie gesagt nicht um eine Autobiografie.

Ich dachte nur, weil du bald 60 wirst und da ist ja diese Zeile in „Das Wort zum Sonntag“ von wegen „Wir sind noch keine 60 und wir sind auch nicht nah dran und erst dann werden wir erzählen, was früher einmal war“, das würde ja beinahe passen.
Ja, vielleicht sollte ich das Veröffentlichungsdatum noch ein bisschen verschieben, das wär eine Idee, da hast du schon Recht.

Ok, meine abschließende Frage: einer meiner absoluten Hosen-Lieblingssongs ist echt „1000 gute Gründe“, für mich ist das in der gleichen Kategorie wie meine absolute Lieblings band AC/DC. Weißt du noch, warum ihr den damals gemacht habt?
Hmh… Ich kann mich grob an die Zeit erinnern, aber ehrlich gesagt: das ist die Art Lied, das einer Punkband halt einfällt, wenn sie gemeinsam rumhängt und ein Stück schreibt. Es war sicherlich eine Reaktion auf diese ganzen Aufnäher wie „Stolz darauf, ein Deutscher zu sein“ und Skinhead-Typen von früher. Das gab es ja Anfang der 80er ganz stark, auch viele Auseinandersetzungen, viele Schlägereien. Wir haben damals mit Bands wie The Adicts und Peter and the Test Tube Babies gespielt und hatten auch damals ziemliches Fascho-Potential im Publikum und an diesen gemeinschaftlichen Abenden hat’s hier und da dann auch mal richtig böse geknallt.

Außerdem sind die Skinheads auch so zu uns gekommen, in Nürnberg und sonstwo. Wenn es irgendwo Jugendhäuser gab, waren die der einzige Treffpunkt für die ganze Jugend im Ort und dann waren sie natürlich alle da, die Hippies, Punks, Mods und die Skins – und da hat’s halt dauernd geknallt und wir tourten damals noch ohne Security. Wir waren dann relativ oft in die Prügeleien verwickelt. Insofern sind uns die Rechtsaußentypen schon gehörig auf den Keks gegangen. Wahrscheinlich war das mit ein Grund, warum wir das Lied geschrieben haben.

Wirklich jetzt die letzte Frage, danke nochmal sehr für deine Zeit, hast du am Ende noch Grüße an unsere Leser vom Trust?
Ich wollte jetzt fast sagen „Bleibt, wie ihr seid“, aber nee… (lacht) Bleibt NICHT, wie ihr seid. Man muss nix erzwingen. Lasst es einfach laufen. Das ist der Spruch: Lasst es laufen!

Alles klar, nochmal echt vielen Dank!
Ja, mein Lieber, mach’s gut, ne? Bye, tschö.

Anmerkungen:

1. „Dirty Pictures“: es gibt viel Dokumentationsmaterial, also Filme und Bücher, über und von den Hosen und ich kenne nicht alles. Persönlich empfehle ich sehr ihren Dokumentationsfilm „Drei Akkorde für ein Halleluja“ von 1989 (ich schätze, dass es natürlich eine Anspielung auf den guten alten Bud Spencer-Klassiker „Vier Fäuste für ein Halleluja“ ist). Dort gibt es viele geile Szenen, zum Beispiel Campino´s super Interviewstatement, als es um die Hosen-Beteiligung an dem Stahlarbeiter-Streik in Duisburg-Rheinhausen 1989 ging, ich tippte es so ab:

„Wir sind nicht die Klischee-Vertreter von den Jungs und ich glaube, auch eine Menge Arbeiter haben Schwierigkeiten mit uns, ja, die sagen sich innerlich „Wat sind dat denn für welche, die haben doch nie hier hinter gestanden, hinter der Brennmaschine oder so“ – und das stimmt! Die Frage nach der Zukunft von Rheinhausen oder so, das ist ne Frage, die stellste tausend Politikern oder so, ich persönlich glaube, dass diese Stadt keine Zukunft hat, weil, sagen wir, der Osten, der würde sich unheimlich freuen über dieses Beispiel, das ist das übelste Beispiel von Kapitalismus, was man hier so durchziehen kann. Vielleicht kann man das nur in NRW verstehen, in der ganzen Republik kapiert man nicht, was hier abläuft. Die Leute identifizieren sich mit ihrer Zeche, mit ihrem Werk; was auch immer hier im Ruhrpott los ist, die sind an ihren Werkzeugen mehr als an den Titten von ihrer Ollen, verstehste, das ist irgendwie ein Stück Leben, was du denen wegnimmst, wo sich jeder Tierschützer drüber aufregt, wenn du ner Katze irgendwie nen Experiment oder ne Spritze gibst, also hier passiert ne inhumane Schweinerei irgendwie, da gibt es gar keine Diskussion“.

Man sieht in dieser Doku auch ihre alte Roadcrew um die Roadies Bollock und Dr. Faust (RIP, Dr. Fausts Restaurant in Wanne-Eickel besuchte ich mal 2000, hatte leider schon zu). Auf MTV gab es auch mal die 16-teilige Sendereihe „Friss oder stirb“ (2005), hier wurde man auch Zeuge einer ZK-Reunion im Hosen-Proberaum. Dann haben wir da noch den spannenden Film „Nichts als die Wahrheit – 30 Jahre Tote Hosen“ (2012), der auch schon im Fernsehen lief (Campino scheint der Bandchef zu sein…).

An Büchern gefällt mir sehr gut der Bildband „Ewig währt am längsten. Die Toten Hosen in Farbe und Schwarz- Weiß“ (2002) und das Buch „Am Anfang war der Lärm“ (2014). 2018 erschien der wirklich schöne Foto-Bildband „ZK – DIE TOTEN HOSEN: die frühen Jahre 1980 – 1983“, da gab es auch dieses wunderschöne Foto von Campino, wie er gerade Johnny Thunders hört und geile Bilder beider Bands aus dem Rheinland. Der Doku-Film „Weil du nur einmal lebst“ (2019) ist auch spannend, alldieweil mein Herz wirklich an der „Drei Akkorde“-Doku hängt, denn sie waren da zwar schon groß und füllten ne 1000er Halle, aber eben noch nicht die 10 000er Arenen wie heute und alleine die Auftritte von ihrem Fahrer Dr. Faust, aber auch von der Band selber im Interview im Stadion, das ist so göttlichst!

Genau wie alle Ansagen auf der 1987 live LP kann ich die Doku beinahe fehlerfrei nachsprechen. Das „Thees Uhlmann über Die Toten Hosen“-Buch (2019) ist partiell ganz lustig, wahrscheinlich bin ich nur neidisch, weil Thees die 1988 sah, da war ich leider zu jung für.

2. Toten Hosen live: bislang habe ich sie circa vier Mal gesehen, die Premiere war spät, 1997 auf dem „Warped Tour“-Festival in der Pampa von NRW (angekündigt als „Die Rheinpiraten“) und dann 2001 in der Köln-Arena. Kurze Zeit später spielten sie auch als Vorband von AC/DC im Müngersdorfer Stadion in Köln, wir waren aber zu spät wegen draußen Bier trinken und bekamen nur noch ihren letzten Song mit, eine Coverversion von „Dicke“ von Westernhagen, gemünzt auf die Domstadt („Ich bin froh, dass ich kein Kölner bin“). Wie geil ist es bitte, ein ganzes Stadion so charmant zu beleidigen, grandios! Ende der 90er war ich auf einer Anti-Castor-Demo in Münster, dort liefen auch die Toten Hosen mit. Als The Boys/ The Yobs um Weihnachten 2001 in Düsseldorf spielten, kamen die Hosen für Zugaben auch auf die Bühne, das war so super! Ich finde das souveräne Understatement immer so toll bei ihnen: „scheiß“ Bandname, aber live dann Vollgas. Und die Hosen waren eben auch der Soundtrack zu meinen geilsten Urlaub ever, 1997 nach dem Abi fuhren wir mit der Clique aus der Schule mit dem Zug nach Pamplona, Barcelona und Lloret de Mar und wir hörten das 1000ste Konzert als Radiomitschnitt- Tape und die ersten Rote Rosen-Platte (insbesondere „Halbstark“) wirklich fast jeden Tag für drei Wochen.

3. Religiöse Erfahrung durch die Toten Hosen: es ist beinahe unmöglich, im Rheinland aufzuwachsen ohne mit den Hosen Punk-sozialisiert zu werden. Wobei: ich weiß nicht genau, wie es heute als zwölfjähriger dort in Leverkusen ist, aber bei mir 1990 mit zwölf Jahren war es so. Zum ersten Male hörte ich die Band 1990: auf einer Fete in Leverkusen-Waldsiedlung lief der Song „All die ganzen Jahre“ und ich verliebte mich sofort. Etwas später, inzwischen kannte ich einige Ami-Punk/ HC-Bands durch meine ältere Schwester, kam dann der echte Schlüsselmoment: ein Kumpel und ich wurden von der Mutter des Kumpels vom Tennis-Training abgeholt (Yeah, Punk as Fuck!). Er legte im Auto die Kassette mit der „Learning English Lesson I“ in das Tape-Deck, die Platte war gerade erschienen. Als die letzten Töne vom Intro zu Ende waren – „And now listen carefully“ – und dann „Blitzkrieg Bop“ kam – war es wirklich um mich geschehen, wie als ob ein Blitz in mich fuhr, ja, es war eine quasi-religiöse Erfahrung! Ich besorgte mir schnell das Hosen-Material aus den 80ern, bei Gott, war das alles schön!

Was mir noch zum Ende hin wichtig ist: die Hosen waren immer antizyklisch, Campino sagte es selber so mal in einem Interview, dass sie 1982 immer noch Punk-Fans waren, obwohl es da für viele längst vorbei und uncool war. Die Hosen haben immer, auch und gerade nachdem die 77er Punk-Explosion hinüber war, ihre Idole, die Lurkers, Boys, UK Subs, TV Smith, Johnny Thunders, die Ramones und Co. nicht vergessen, ihre Songs gecovert, ihnen Konzerte besorgt, Platten auf ihrem Label veröffentlicht, sie bleiben Fans dieser Bands, finden die auch als Typen gut und behalten sie in Erinnerung. Ich finde so was immer so toll, diese Treue und dieses Versprechen – „Im Punk vergessen wir euch nicht“ -. Und diese Haltung von den Toten Hosen, die sie seit Jahrzehnten ununterbrochen durchziehen – eben einerseits sich selber treu zu sein und andererseits sich weiterzuentwickeln und offen zu bleiben – das könnte mein Jahrgang von den Hosen wirklich lernen und ich finde, wir sollten das auch. „Schönen Gruß und auf Wiedersehen“!

Text/Interview: Jan Röhlk
Kontakt: dietotenhosen.de

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