Dezember 3rd, 2019

BILDBLOG aus # 169, 2014

Posted in interview by Jan

TRUST: Eure Kritik an den Fehlern der freien Presse ist doch eigentlich am Ende auch nur die Forderung nach einem starken Kontroll-Staat, das wollt ihr also, die planwirtschaftliche, gleichgeschaltete, zensierte tugend- terroristische „PC“-Presse, Sozialismus, Untergang des Abendlandes etc. pp.!
BILDBLOG: Ganz genau.

Im Gespräch mit das BILDblog, dem Watchblog für deutsche Medien

Ich erwähnte schon mal die beste (Start-) Seite im Netz, den bildblog.de. Checkt den unbedingt mal aus. Ja, ich weiß, dass ihr alle nie niemals nicht die „Bild“ auch nur mit spitzen Fingern anfasst. Aber auch sonst lest ihr wirklich nie andere Publikationen aus dem Verlagshaus Axel Springer? Nie „Musikexpress“ oder „Metal Hammer“? Und von der Springer-Presse abgesehen, den die macht nach wie vor Fehler und ignoriert Ethik-Richtlinien, aber das machen leider eben viele andere Medien auch …und dieses über die „Bild“ hinausgehende Problem wird seit 2009 ebenfalls unter der genannten Web-Adresse publiziert. Einerseits passiert nach wie vor vieles zur „Bild“, andererseits aber eben auch Medienkritik darüber hinaus. Und das könnte euch ja dann doch am Ende interessieren, es sei denn, ihr lest wirklich nie, aber dann würdet ihr ja auch nicht diese Empfehlung von mir gerade lesen…

Wikipedia teilt uns mit, dass 2004 der BILDBlog von den Medien-Journalisten Stefan Niggemeier und Christoph Schultheis gegründet wurde. Ihr Ziel ist es, mit dem Watchblog kritische Aufklärung über die fehlerhafte Arbeit der Axel-Springer-Publikationen „Bild“, „Bild am Sonntag“ und bild.de zu leisten. Sie störten sich an der Tendenz, die „Bild“ als „lustiges Quatschblatt“ zu lesen. Wikipedia notiert: „Bildblog weist häufig Fehler in der Berichterstattung, ungenügend recherchierte Artikel und Schleichwerbung nach und macht auch auf Verstöße gegen den Pressekodex aufmerksam“.

2009 erweiterte der blog sein Themenfeld: unter dem Namen „Bildblog für alle“ und „Ein Watchblog für deutsche Medien“ erweitere man das Spektrum in Richtung allgemeiner Medienkritik auch von anderen Publikationen, das reichte von deutschsprachigen Zeitungen über Fernsehsender und Online-Medien bis hin zu Nachrichtenagenturen und der Bundeszentrale für politische Bildung… Man möchte aufklären, in dem man zeigt, was im Medienbetrieb falsch läuft.

Die Blog-Macher zu ihrer Agenda: „Es gibt viele Beispiele dafür, wie deutsche Medien ihrer Verantwortung nicht gerecht werden. Oft fehlt es schon an der schlichten Bereitschaft, eigene Fehler zu korrigieren. Sinkende Werbeerlöse und der Medienumbruch bedrohen gerade die Qualität: Die Verlockung wächst, mit Schleichwerbung die Einnahmen aufzupeppen; oft fehlt es an Geld oder Personal, um nicht nur Texte von Kollegen oder PR-Leuten abzuschreiben, sondern selbst zu recherchieren. Noch nie war es so leicht für Falschmeldungen, in kurzer Zeit weite Verbreitung zu finden. Was wir dagegen setzen wollen, ist Aufklärung. Wir glauben, dass es hilft, die Fehler und Abgründe öffentlich zu machen — die kleinen Pannen und die große Desinformation… Dabei geht es uns sowohl um bewusste Falschinformationen als auch um Fehler, die aus einem System entstehen, das vor allem auf Schnelligkeit, Aufmerksamkeit und geringe Produktionskosten aus ist“.

Die Arbeit der „Bild“ ist natürlich auch weiterhin unter Beobachtung, dazu BILDblog 2009: „Wir haben zwar den Eindruck, dass die Zahl der besonders krassen Lügengeschichten in „Bild“ seit einiger Zeit zurück gegangen ist; der neue Unterhaltungsschef scheint weniger auf erpresserische Methoden bei der Informationsbeschaffung zu setzen, und Bild.de ist nicht mehr ganz das Schleichwerbeportal, das es einmal war. Andererseits spricht wenig dafür, dass „Bild“ im Kern eine bessere Zeitung geworden wäre und plötzlich Respekt vor so abwegigen Dingen wie der Wahrheit oder den Persönlichkeitsrechten von Menschen entwickelt hätte… Den Namen BILDblog wollen wir beibehalten, weil er für die Art von unideologischer Medienkritik steht, die wir weiter pflegen wollen. Es ist zu befürchten, dass „Bild“ darin auch in Zukunft eine tragende Rolle spielen wird“.

Zu der Wirkung des BILDblogs heißt es auf Wikipedia, dass einige auf Bildblog enthüllte Ungereimtheiten in der Bild selbst korrigiert wurden. „Vor allem in kleinen Meldungen innerhalb der im Jahr 2006 wiedereingeführten Korrekturspalte auf Seite 2 der Zeitung wurden von Bildblog kritisierte Darstellungen im Nachhinein relativiert oder zurückgenommen. Ähnliche Korrekturen gab es auch in der Bild am Sonntag. In diesem Zusammenhang benannte Bild das Bildblog jedoch nie als Quelle. Häufiger werden von Bildblog auf Bild.de gefundene und veröffentlichte Fehler noch am selben Tag von der Onlineredaktion korrigiert. Da sich Bildblog deswegen als „externe Schlussredaktion“ missbraucht sah, schickten die Redakteure im April 2006 eine Rechnung über 45 Korrekturen an Bild.de. Den Brief beantwortete Bild.de nicht“.

Es sei natürlich noch folgendes gesagt: die blog-Macher sind nicht die ersten, die feststellen, dass „Bild“ alles unternimmt, insbesondere journalistische Ethik-Grenz- Überschreitungen, um Auflage zu machen. Glücklicherweise bietet der blog in seinem Webshop die großen Klassiker zur Kritik der „Bild“ zum auffrischen an. Die nun genannten drei Bücher habe ich selber und kann sie euch natürlich nur ans Herz lesen. Da wäre zum einen natürlich der Roman „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ von Heinrich Böll. Er verfasste 1974 die Geschichte, wie die ZEITUNG die bürgerliche Existenz einer jungen Frau vernichtet. Die „Bild“ heißt in dem Roman eben die ZEITUNG.

Böll schrieb: „Personen und Handlung dieser Erzählung sind frei erfunden. Sollten sich bei der Schilderung gewisser journalistischer Praktiken Ähnlichkeiten mit den Praktiken der „Bild“-Zeitung ergeben haben, so sind diese Ähnlichkeiten weder beabsichtigt noch zufällig, sondern unvermeidlich.“ Der Name Günter Wallraff muss im Kontext zur historischen Kritik an der „Bild“ natürlich auch fallen. In „Der Aufmacher“ beschreibt Wallraff, wie er 1977 undercover als „Hans Esser“ in der Hannoveraner „Bild“-Redaktion gearbeitet hat. Er legt die Methoden offen, mit denen die „Bild“ Meinung machte und Tatsachen verfälscht wurden. Zwei Jahre später publizierte Wallraff das Buch „Zeugen der Anklage“, in dem er darlegt, wie ihm „Bild“ nach der Veröffentlichung von „Der Aufmacher“ zugesetzt hat. Wallraff formulierte es so: „Dieses Buch handelt von der Willkür einer Macht, die jeglicher demokratischen Kontrolle entzogen ist. Es zeigt, wie Menschen in der alltäglichen Lügengeschichte verhöhnt werden. Und es zeigt, wie Menschen von BILD in den Tod getrieben werden.“

Und als dritter Klassiker zur historischen Kritik der Bild, dieses Mal mit neuerem Pubilkationsdatum, existiert der 2008 erschienene „Gossenreport“ von Gerhard Henschel. Die Kurzbeschreibung beim bekannten Online-Verkaufshaus teilt zum Inhalt mit: „Was heute in der „BILD“-Zeitung steht, steht morgen überall. Vielleicht ist es an der Zeit, sich mal genauer anzuschauen, was sie da eigentlich schreibt. Gerhard Henschel hat genau das getan und allerhand Würdeloses und Rüdes gefunden“. Im Shop des BILDblogs erfährt man, dass Henschel „Titanic“- und „taz“-Autor ist und er auch Verfasser des legendären Artikels über die erfundene missglückte Penis-Verlängerung von „Bild“-Chef Kai Diekmann war.

Ihr erinnert euch, wie diese Satire 2002 ausging, wenn nicht, hier die Auffrischung (aus einem Artikel im Manager Magazin): „Im Streit um eine Satire der „Tageszeitung“ (taz) über „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann hat das Berliner Landgericht die Zahlung eines Schmerzensgelds an den Journalisten abgelehnt. Die taz dürfe jedoch die frei erfundene Behauptung nicht wiederholen, Diekmann habe sich einer Operation zur Penisverlängerung unterzogen, teilte sein Anwalt Peter Raue am Dienstag mit. Ansonsten drohe der Zeitung aus Berlin eine hohe Geldstrafe“.

Henschel deckt in seinem „Gossenreport“ die „Betriebsgeheimnisse der Bild-Zeitung“ auf, die tägliche Ruchlosigkeit, Sexfixiertheit und Verlogenheit der Zeitung und er beschreibt, wie viele vermeintlich seriöse Menschen sich mit dieser „Sexualklatschkloake“ einlassen. Was ich nicht kenne, aber sicher auch toll und auch im blog-Webshop erhältlich ist: die Diplomarbeit „BILD-Zeitung und Persönlichkeitsschutz“ von Martina Minzberg. Sie untersucht, „wie „Bild“ in den 90er Jahren mit Persönlichkeitsrechten umging — mit vernichtendem Ergebnis: So sei die „Neigung zur Vorverurteilung“ ungebrochen. „Bild“ betreibe ein reges Geschäft mit dem Tod, insbesondere dem Freitod von Menschen. Und gezeigt habe sich „eine Unerschütterliche Selbstsicherheit bei der Verletzung von Persönlichkeits– und Ehrenrechten und ein völlig sorgloser Umgang mit der Wahrheit“.

Es gibt ja auch diese vier bekannten Statements zur „Bild“: „Zum Regieren brauche ich BILD, BamS und Glotze“ vom Ex-Kanzler Schröder. Dann die Aussage von Springer-Vorstandschef Matthias Döpfner: „Wer mit der Bild-Zeitung im Aufzug nach oben fährt, der fährt auch mit ihr im Aufzug nach unten.“ Und natürlich den Max Goldt-Klassiker: „Diese Zeitung ist ein Organ der Niedertracht. Es ist falsch, sie zu lesen. Jemand, der zu dieser Zeitung beiträgt, ist gesellschaftlich absolut inakzeptabel. Es wäre verfehlt, zu einem ihrer Redakteure freundlich oder auch nur höflich zu sein. Man muss so unfreundlich zu ihnen sein, wie es das Gesetz gerade noch zulässt. Es sind schlechte Menschen, die Falsches tun.“

Und dann noch von „Wir sind Helden“: „Die BILD-Zeitung ist kein augenzwinkernd zu betrachtendes Trash-Kulturgut und kein harmloses „Guilty Pleasure” für wohl-frisierte Aufstreber, keine witzige soziale Referenz und kein Lifestyle-Zitat. Und schon gar nicht ist die Bild-Zeitung das, als was ihr sie verkaufen wollt: Hass-geliebtes, aber weitestgehend harmloses Inventar eines eigentlich viel schlaueren Deutschlands. Die Bildzeitung ist ein gefährliches politisches Instrument – nicht nur ein stark vergrößerndes Fernrohr in den Abgrund, sondern ein bösartiges Wesen, das Deutschland nicht beschreibt, sondern macht. Mit einer Agenda“.

Es sind also sehr viele Aspekte, die man bei dem Themen „Kritik an der „Bild“ und anderen Medien durch den BILDblog“ anreißen kann, natürlich zu viele, um sie alle in diesem Interview zu bereden, wie zum Beispiel die „Bild-Leser-Reporter“-Aktion des BILDblogs von vor einigen Jahren, bei der die blog-Leser aufgefordert wurden, den Chefredakteur der „Bild“-Zeitung zu fotografieren. Man würde – so sagten es Kritiker – die „Bild“ mit Bild-Methoden kritisieren wollen, was – zugegebenermaßen – ja genau der Witz sein sollte…

Auch konnten wir nicht auf die Kampagnen gegen die „Bild“ eingehen, wie den legendären TV-Spot mit Anke Engelke und Christoph Maria Herbst und dem Slogan „Jede Lüge braucht einen Mutigen, der sie zählt“ und von der „Bild“ selber („Bild“ lügt…). Abschließend die beliebten Statistik-Daten zum watchblog: täglich visitieren ihn 40 000 Besucher. Die online-Publikationsweise wird so begründet: „Keine andere Publikationsform macht es so leicht, eine große Öffentlichkeit aktuell zu informieren — sowohl technisch als auch finanziell“.

Die Finanzierung geschieht durch eine Mischung aus Werbe-Anzeigen, einem flatrate-Button am Ende der Beiträge und natürlich Spenden. Dabei betonen die Macher: „Hinter BILDblog stehen keine Unternehmen, Parteien oder Organisationen, sondern die Leute, die für BILDblog.de schreiben. Die viel Zeit und Herzblut in dieses Projekt investieren und ihre Miete bezahlen müssen. Wir sind kein gemeinnütziger Verein, das heißt: Wir können keine Spendenquittungen ausstellen.“

Es gibt vier redaktionelle Mitarbeiter: Ronnie Grob, Lukas Heinser, Torsten Kleinz und Stefan Niggemeier. Verantwortlich für den Blog ist Mats Schönauer, mit dem ich auch dieses Interview führte.

Ich möchte mit augenzwinkerndem Blick an die mitlesenden Zine-Kollegen noch folgendes vorausschicken: es stimmt, ich rede gerne viel und lese mich selber natürlich am liebsten, klar. Ja, die Einleitung ist ziemlich lang. Da sind aber auch viele Zitate von der Web-Seite des Bildblogs drin und anderes, nicht von mir stammendes Geschreibe.

Und ja, die Fragen sind manchmal länger als die Antworten. Bitte nehmt aber auch hier zumindest zur Kenntnis, dass die Länge der Fragen manchmal darin begründet liegt, dass ich Aussagen zitiere, wenn diese weiterhin zutreffen, gibt es nicht viel mehr dazu zu sagen. Mir gefallen die knackigen Antworten. Ach, was soll der Geiz: ich bin Fan, mir fiel einiges ein und hier ist das Resultat.

***

Hi Mats, danke für deine Zeit für dieses Interview. Erstmal möchte ich vorausschicken, dass ich seit vielen Jahren totaler Fan von euch bin und euch täglich als Startseite immer gerne begrüße. Als sanfter Start und Auflockerungsfrage: wann wird denn der Bildblog von Axel Spinger gekauft?
Sobald die „Pleite-Griechen“ ihre Inseln verkauft haben, Mallorca zum 17. Bundesland erklärt wurde und aus Katzen Benzin gemacht wird. Ein Weilchen dürfte es also noch dauern.

Ihr habt euch ja als „unabhängiges, journalistisches Internetangebot“ in euren ersten knapp fünf Jahren (2004 – 2009) ausschließlich mit der „Bild“, „Bild am Sonntag“ und bild.de auseinandergesetzt, seit 2009 dann mit der gesamten deutschsprachigen Presse- und Medienlandschaft und darunter befindet sich natürlich weiterhin auch das bekannte Boulevardblatt. Euren Namen habt ihr nicht geändert, ihr habt das so begründet: „Den Namen BILDblog wollen wir beibehalten, weil er für die Art von unideologischer Medienkritik steht, die wir weiter pflegen wollen. Es ist zu befürchten, dass „Bild“ darin auch in Zukunft eine tragende Rolle spielen wird“. Ich denke mir trotzdem, ob es nicht immer „schlecht“ ist, wenn man sich nach einer Opposition zu etwas benennt? Beispiel Antifa, natürlich sehr gute Sache, der Antifaschismus, aber wäre es nicht besser, sich „für Gleichheit“ o.ä. zu nennen. Oder seid ihr als „Marke“ nun zu etabliert, um sich immer noch Gedanken über eine Namensänderung zu machen?
Ja, ich glaube schon, dass sich die „Marke“ in den zehn Jahren ganz gut etabliert hat. Und nach wie vor spielen die „Bild“-Medien bei uns eine tragende Rolle, eben weil sie so oft und so massiv gegen journalistische Regeln verstoßen. Insofern finde ich den Namen – auch wenn ich Deine Position nachvollziehen kann – in unserem Fall immer noch genau richtig.

Bei Beschwerden über Artikel in den Zeitungen kann man sich an den Presserat wenden oder direkt klagen.
Klagen dürfte in vielen Fällen eher schwierig sein, weil in der Regel nur die Betroffenen selbst juristisch dagegen vorgehen können, gerade bei Verletzungen des Persönlichkeitsrechts. Beim Presserat beschweren kann sich aber jeder.

Ich hörte mal in einem Vortrag zum Presserat vor einigen Jahren, dass es erstaunlicherweise eben nicht die „Bild“ ist, die am meisten Rügen einsteckt, sondern der „Schwarzwälder Bote“. Das fand ich überraschend. Ist das immer noch der Fall, deckt sich das auch mit eurer Arbeit?
Ich hab‘ noch mal im Archiv des Presserats nachgeschaut. Der „Schwarzwälder Bote“ hat in den vergangenen 28 Jahren genau eine Rüge bekommen. Die „Bild“-Medien in der gleichen Zeit über 150, so viele wie kein anderes Medium. Das deckt sich dann auch schon eher mit unseren Erfahrungen.

Ich hatte den Deutschen Presserat in der Trust-Ausgabe # 143 von 2010 zu dem Thema Trennung von Redaktion und Anzeigen im Musikjournalismus interviewt. In dem Bereich Musikjournalismus tauchen bei euch auch keine Beschwerden oder kritische Hinweise auf, ist das vielleicht deswegen, weil es in anderen Bereichen wie dem Auto- oder Reise-Journalismus noch viel viel mehr „brennt“? Gibt es Bereiche im Journalismus, in dem der ganze Advertorials-PR-als-Artikel-Wahnsinn am krassesten ausgeprägt ist?
Die Ressorts „Auto“ und „Reise“ sind tatsächlich schon eine Liga für sich, auch „Mode“ und „Medizin“ sind – vor allem in Frauenzeitschriften – eher anfällig für solche Geschichten. Aus dem Musikjournalismus haben wir so gut wie keine Fälle dieser Art, auch generell geht es nur selten um Musik. Mir fällt da aus jüngster Zeit nur die übergeigte Diskussion zum ESC-Song von Cascada ein, in der die Medien – allen voran die „Bild am Sonntag“ – großen „Plagiatsalarm!“ ausgelöst hatten (Fehlalarm, wie sich später herausstellte), aber Hinweise zu heimlicher PR bekommen wir so gut wie nie. Woran das liegt, kann ich mir aber auch nicht wirklich erklären. Aber wenn Dir mal was auffällt, schick uns gerne einen Hinweis!

Eure Aufgabe ist die Dokumentation sachlicher Fehler und bewusst Irreführendes in den Berichterstattungen, dazu die Aufdeckung von Persönlichkeitsrechtsverletzungen und anderen journalistischen Unzulänglichkeiten. Als Leser kann man sich bei euch mit „sachdienlichen Hinweisen“ melden, also wenn einem in in den Print-online-Hörfunk-TV-Medien etwas verdächtiges aufgefallen ist. Könnt ihr sagen, was ihr selber am häufigsten feststellt und was am meisten von außen moniert wird? Der Verdacht auf Schleichwerbung ist sicher ganz oben?
Nein, ich glaube, dass Verletzungen gegen Persönlichkeitsrechte am häufigsten vorkommen. Zum Beispiel ist es ja zu einer Selbstverständlichkeit geworden, dass nach Unglücken oder Straftaten innerhalb von wenigen Stunden Fotos der Opfer und Täter präsentiert werden, oft einfach irgendwo aus dem Internet geklaut, manchmal ganze Klickstrecken voll davon. Auf solche Verstöße werden wir auch sehr oft hingewiesen, aber über vieles davon können wir gar nicht schreiben, weil sich unter anderem nur schwer überprüfen lässt, ob nicht vielleicht doch ein Angehöriger der Veröffentlichung zugestimmt hat. Und oft ist es ohnehin am besten, wenn man die Betroffenen einfach in Ruhe lässt. Neben solchen offensichtlichen Verstößen gibt es oft Hinweise zu Fehlern, die mir gar nicht aufgefallen wären, weil ich mich in dem Themengebiet überhaupt nicht auskenne. Aber wir haben ja zum Glück viele schlaue Leser, die mit den unterschiedlichsten Fachbereichen zu tun haben uns jeden Tag mit nützlichen Tipps versorgen.

Melden sich bei euch auch mal Mitarbeiter der Medien, über die ihr kritisch berichtet oder ist zu viel Angst da, den Job zu verlieren?
Du meinst, dass sich Journalisten über Missstände im eigenen Haus beschweren? Ja, das kommt vor.

Bei der „Bild“ prüfen die doch sicher öfters eure Seite?
Ich denke schon. Wenn wir besonders offensichtliche oder peinliche Fehler aufdecken, dauert es auch meist nicht lange, bis die entsprechenden Online-Artikel korrigiert oder gelöscht werden.

Und ist das emotionale Gleichgewicht oder besser die Schwankung selbigen nicht auch ein nicht zu unterschätzendes Problem als blog-Schreiber? Einerseits legt man sich selber schnell direkt mit den ganz großen der Branche an, dazu braucht man ja doch eine gewisse mentale Konstitution.
… oder gute Argumente.

Andererseits könnte auch „wunderbar“ eine gewisse Paranoia genährt werden, das man bei den Hinweisen von außen denkt, dass es vielleicht nur der gute alte Ablenkungstrick, gesteuert aus dem „Herzen der Bestie“, sind…
Paranoia würde ich nicht sagen. Nur eine gewisse Grundskepsis, die sich in diesem Job aber mit der Zeit vermutlich automatisch einstellt. Wir bemühen uns, allen Hinweisen so gründlich nachzugehen, dass wir früher oder später merken sollten, ob da irgendeine Taktik hinter steckt – das ist in meiner BILDblog-Zeit aber noch nie vorgekommen. Soweit ich weiß.

Stefan Niggemeier ist einer der Bildblog-Gründer; er ging zum Spiegel, dort ist er jetzt nicht mehr, er publiziert aber regelmäßig bei der „FAZ“ und natürlich bei euch. Und ihr verlinkt ja auch regelmäßig zu seinen oft tollen Betrachtungen auf seiner Homepage. Also könnte man denken, dass sich eine ehrliche und professionelle Kritik an den Medien doch irgendwie „lohnt“, hat sich der Spiegel und die New York Times mit Stellenangeboten schon gemeldet?
Nein, bei mir nicht. Aber ich merke schon, dass viele Journalisten Medienkritik als etwas Gutes ansehen und nicht dieses „Nestbeschmutzer“-Denken haben, das ja oft damit assoziiert wird. Wenn ich also einem Medium als freier Journalist einen Artikel anbiete, ist es nicht so, dass die sagen: „Nee, von dir wollen wir nichts, du hast uns ja schon mal kritisiert“. Eher im Gegenteil.

Genauso wie Hacker irgendwann als Sicherheitsexperten bei dem früher gerne gehackten Unternehmen eine Stelle angeboten bekommen… Da kriegt ihr ja sicher bald auch ein Angebot von der „Bild“, gut, wahrscheinlich hört ihr jeden Tag so ein Witz?
Zumindest würde es eine Extraschippe Überzeugungskraft brauchen, ausgerechnet uns auf die dunkle Seite zu holen. Oder dachtest Du eher an eine hauseigene Wir-machen-unseren-Journalismus-jetzt-sauber-Kommission? Nein, so weit ginge wohl nicht mal die „Selbstironie“ von Kai Diekmann.

Was ich total klasse bei euch finde ist, dass ihr wirklich breit im Internet als Quasi-Meta-Blog-Maschine für alles kritische rund um die Medien dient, man entdeckt dadurch auch viele neue Seiten, zum Beispiel habe ich den „Postillion“ erst durch euch so richtig schätzen gelernt.
Das liegt am feinen Gespür von Ronnie Grob, der jeden Morgen eine wunderbare Linkliste zusammenstellt. Viele Seiten hab ich auch erst durch ihn kennengelernt.

Ihr postet ab und an ja auch mal lustig-kuriose Links zu „leichteren“ Themen in der „Sechs vor neun“-Rubrik, noch mal anknüpfend an einige Fragen vorher: Musik-affin seid ihr nicht oder, weil nie was (leichtes) aus dem Bereich kommt…
Dazu kann ich nicht viel sagen, weil ich die Auswahl nicht treffe. Aber wenn Du mal was Interessantes findest, das im besten Fall noch was mit Medien zu tun hat, immer gerne her damit! Am besten an 6vor9@bildblog.de.

Wie sieht der Alltag bei euch im Berliner Reaktionsbüro aus? Da gab es ja doch auch mal das Büro in Bochum, ich meine mich zu erinnern, dass das mal im Impressum stand?
Ja, das war, als Lukas Heinser noch die BILDblog-Herrschaft innehatte, der lebt nämlich in Bochum. Als ich dann Anfang des Jahres übernommen habe, ging’s zurück zu den BILDblog-Wurzeln, weil ich von Dortmund (wo ich studiert habe) nach Berlin gezogen bin. Der Alltag sieht im Grunde so aus, dass ich alles mögliche lese und sichte, Hinweisen nachgehe, Sachen recherchiere und schreibe. Wir lesen unsere Texte immer gegenseitig, also es geht in der Regel nichts raus, ohne dass nochmal jemand drüber gelesen hat. Momentan arbeite ich noch hauptsächlich von zu Hause aus, aber das Büro ist in Planung.

Ich habe einige Kritiken euch gegenüber etwas zugespitzt … Was wäre da jeweils
eure Antwort? Ihr seid doch auch nur Kopfjäger im Internet und keine publizistische Avantgarde, ihr führt die ganz Großen der Journalismus-Branche doch nur deshalb vor, weil ihr dort nicht gelandet seid, darum geht es doch, aus Frust dann andere fertig machen!
Ein niedlicher Gedanke, argumentativ aber eher wackelig, weil meines Wissens nach jeder BILDblog-Mitarbeiter auch schon für „die ganz Großen der Journalismus-Branche“ gearbeitet hat (auch schon vor BILDblog) oder es immer noch tut. Und „Kopfjäger“ und „fertig machen“ trifft aus meiner Sicht auch nicht zu, denn wir versuchen ja schon, nicht persönlich zu werden und nennen die Namen der Autoren, über die wir schreiben, nur bei besonders schlimmen Vergehen oder dann, wenn sie sich und ihre Meinung ohnehin ständig und lauthals in die Öffentlichkeit drängen.

Henryk Broder bezeichnete einen der BILDblog-Gründer mal als „Kommissar Erbsenzähler“, in Broders Artikel hieß es dann resümierend: „Denn BILDblog ist die kleine Laus im Pelz des großen Muttertiers. Was für eine beglückende Koexistenz“.
So viel zum Thema Autoren, die sich und ihre Meinung …

Diese Kritik an euch als die peniblen Besserwisser kommt sicher oft, so nach dem Motto „Ja seid ihr denn perfekt und macht nie Fehler“?!
Besser wissen ist gewissermaßen ja unser Job (den wir im Übrigen nicht tun müssten, wenn die Journalisten es von vornherein selbst besser wüssten), also finde ich das schon okay. „Erbsenzähler“ trifft es aber aus meiner Sicht weniger, denn wir bemühen uns schon, solche Mini-Fehler (zum Beispiel falsche Altersangaben), bei denen möglicherweise noch offensichtlich ist, dass sie nicht mit Absicht passiert sind, nicht zu hoch zu hängen – wenn wir sie überhaupt aufgreifen. Und: Selbstverständlich machen wir Fehler, wir haben aber auch nie das Gegenteil behauptet.

Eure Kritik an den Fehlern der freien Presse ist doch eigentlich am Ende auch nur die Forderung nach einem starken Kontroll-Staat, das wollt ihr also, die planwirtschaftliche gleichgeschaltete zensierte tugend- terroristische „PC“-Presse, Sozialismus, Untergang des Abendlandes etc. pp.!
Ganz genau.

Die „Bild“ funktioniert mit einem „Gebräu aus Sex, Gewalt und Tierliebe“, so las ich im Netz, das ist eine hübsche Charakterisierung. Aber ist es nicht auch so, dass alle Medien sich verkaufen müssen, also Leser-Zuschauer-Zuhörer brauchen und dafür sehr viel und noch darüber hinaus für tun? Ich hörte als Student der Politikwissenschaften mal einen Vortrag des Chef-Auslandskorrespondenten einer angesehen Nachrichtensendung aus den Öffentlich-Rechtlichen und dieser sagte ganz klar, dass auch „die Guten“ in der Realität verkaufen müssen und das sich eben als Mittel zu diesem Ziel immer herausstellte, was Quote bringt: Tränen, Titten, Tiere. Insofern ist es schon richtig, dass ihr euch auf alle Medien konzentriert, aber die „Bild“ immer als besonders schlecht hervorzuheben, das ist unfair, denn die Jagd nach Auflage mit einhergehenden Überschreitungen ist eben ein zentrales Merkmal der Medien, auch ihr definiert euch nach Klickzahlen, Glashaus, Steine werfen etc. pp.!
Dass alle es so machen, macht es ja nicht weniger falsch. Natürlich geht es immer um Klicks und Quoten, und natürlich wissen die Journalisten, welche billigen und grenzwertigen Mittel es dafür gibt, aber da unterscheidet es eben bessere von schlechteren Medien, wie sorgsam sie mit solchen Mitteln umgehen. Und die „Bild“- Zeitung verstößt besonders oft und besonders skrupellos gegen journalistische Grundstätze und ist dabei noch besonders kritikresistent, insofern finde ich es nicht nur okay, sondern auch notwendig, sie als besonders schlecht hervorzuheben.

Kommen wir zu den konkreten Fragen zur „Bild“: Vor einigen Jahren wurde eure Arbeit durch den deutschen Staatsphilosophen Jürgen Habermas „geadelt“, er nannte euren Blog als ein Beispiel einer Gegenöffentlichkeit im Netz. So viel Lob von oben, da kann nicht mehr viel kommen oder?
Stimmt. Der Papst vielleicht noch, aber dann wird’s schon eng.

Ihr hattet nie das Gefühl, irgendwie dann doch die „Bild“ bekannter zu machen, also dass ihr zum Beispiel für mehr Klickzahlen bei denen sorgt, was dann mehr Anzeigenverkäufe bedeuten könnte für Springer?
So etwas lässt sich leider nicht vermeiden, schon allein aus dem Grund, dass wir unsere Aussagen ja mit Links zu den Originalartikeln belegen wollen.

Hat euch die Dimension des Zwistes von Wulf mit der Bild überrascht, trotz aller professioneller Erfahrung, es war ja auch wieder eine Machtdemonstration des „Bild“-Chefs.
Das war in der Tat ein ungewöhnlicher Fall, den die „Bild“-Zeitung sehr geschickt für sich genutzt hat. Überrascht hat mich an der Geschichte vieles, aber das betrifft nicht nur „Bild“, sondern auch Wulff und die anderen Medien.

Ihr habt nie mal überlegt – das ist ja auch so eine alte Phantasie – mal eine Art „Bild“ von links zu machen? Ein schönes Coffee-Table-Hochglanz-Buch, mit den besten Beiträgen von euch?
Ja, solche Ideen gab’s auf jeden Fall, aber irgendwas kommt dann ja doch immer dazwischen …

Was mich bei der „Bild“ doch immer aufs neue leider fasziniert, sind die Kolumnen von „Gossen-Goethe“ Franz Josef Wagner. Er hat wegen seiner ihm eigenen Beschränktheit einen Trash-Kult-Faktor (in der Punkszene), es gibt Buttons mit seinem Kolumnen-Header-Foto. Somit ist diese „Popkultur-Trash-Variante“-Haltung, eben die „Bild“ ironisch lustig zu nehmen, ja eigentlich genau die Attitüde, die ihr mit dem BILDblog ursprünglich verhindern wolltet. Wobei ein Lachen über etwas menschenverachtendes ja nicht immer „falsch“ ist? (ich denke da an einen gewissen Charlie Chaplin-Film, ohne irgendetwas hier gleichsetzen zu wollen!). Was denkt ihr zu FJW? Und darf man über seine Feinde nicht auch lachen?
Also erst mal: Franz Josef Wagner ist definitiv ein Spezialfall und wird bei uns auch als solcher behandelt. Diesen Irrsinn kann man einfach nicht jedes Mal ausführlich auseinandernehmen. Oft bleibt einem da auch nichts anderes übrig, als zu lachen – was im Übrigen nicht nur für Wagner gilt. Und solange dieser Irrsinn im Bereich der Meinungsäußerung bleibt und nicht gegen das Gesetz oder journalistische Regeln verstößt, finde ich eine ironische oder lustige Auseinandersetzung damit auch total in Ordnung. Man muss aber immer im Hinterkopf behalten – und in unserem Fall auch von Zeit zu Zeit darauf hinweisen – was solche Artikel anrichten können, auch (oder: gerade) wenn sie so irre sind. Ich glaube aber auch, dass diese ironische Kultisierung oft von vergleichsweise medienkompetenten Leuten betrieben wird, die sich der ernsthaften Ebene dieser Kultisierung durchaus bewusst sind.

Es gibt immer diese Meldungen, dass „Bild“ das am meist-zitierte Blatt der Republik ist, das trägt die Zeitung auch selber gerne wie eine Monstranz vor sich her… Aber kann das nicht auch nur heißen – ähnlich wie bei dem akademischen Zitat-Rekorden – dass sie unglaublich viel falsches schreibt, was dann eben viel zitiert wird, um darüber zu berichten?
Auf jeden Fall. Vor zehn Jahren hieß es auf der Startseite von BILDblog: „Was heute in der ‚Bild‘-Zeitung steht, steht morgen überall.“ Das gilt auch heute noch. Die Medien (auch die sogenannten seriösen) befällt jedes Mal ein unerklärlicher Nachplapperreflex, wenn „Bild“ irgendwas berichtet. Und sie können dabei noch so oft auf die Nase fallen, „Bild“ kann ihnen noch so oft irgendeinen Quatsch andrehen – sie lassen es einfach nicht sein.

Beliebt ist ja auch immer die „sportliche Halbverteidigung“ der Bild: „Der Sportteil ist aber so unglaublich gut“, dazu habt ihr vieles kritisches geschrieben, könnt ihr uns das nochmal gerafft wiedergeben, was eure Empirie dazu sagt?
Es stimmt vermutlich, dass „Bild“ in der Sportszene gut vernetzt ist und darum auch früh und exklusiv an Informationen kommt. Grundsätzlich gilt aber auch für den Sportteil: Hauptsache, es knallt. Dafür werden dann auch mal Tatsachen verdreht oder überspitzt; es kommen die gleichen fragwürdigen Methoden zum Einsatz wie im Rest der Zeitung. Was mir immer stark auffällt und worauf wir auch oft hingewiesen haben, ist, wie heftig die Sportredaktion zuschlägt, wenn ein Fußballverein schlecht gespielt hat. Da werden die „Trottel“ und „Versager“ bei der „Bild“-Benotung gleich kollektiv mit Sechsen bestraft und tagelang als „Schlaffis“ und „Sauhaufen“ bezeichnet. Dabei hatte die Redaktion nach dem Suizid von Robert Enke gerade diesbezüglich Besserung gelobt.

Hat die Bild nicht doch irgendwelche positiven Aspekte, vielleicht als antifaschistisches Bollwerk der deutschen Publizistik? „Tagesspiegel.de“ schrieb zu einer Ausstellung, die sich mit Springers Verhältnis zu Juden beschäftigte, einerseits: „Jubelnde „Bild“- Schlagzeilen über israelische Militärsiege spiegeln deutlich die Reaktionslinie wider, die der Verleger Axel Cäsar Springer über Jahre und Jahrzehnte hinweg konsequent durchgesetzt hatte. Dass die Schau ihm deshalb eine „visionäre Färbung“ zuschreibt und ihm nachsagt, er sehe sich als der Erlöser des deutschen und des israelischen Volkes, das ist doch etwas dick aufgetragen. Zum Mythos Springer passt es natürlich“. Andererseits wurde in dem Artikel auch geschrieben: „Ebenso schwammig bleibt Springers Motivation, sich persönlich und finanziell für ein positives deutsch-jüdisches Verhältnis einzusetzen“. In den Unternehmensgrundsätzen von Axel Springer steht ja auch: „Das Herbeiführen einer Aussöhnung zwischen Juden und Deutschen, hierzu gehört auch die Unterstützung der Lebensrechte des israelischen Volkes“. Das ist doch gut!?
Klar! Aber ein anderer Unternehmensgrundsatz (der aber vermutlich nirgends aufgeschrieben ist) lautet auch, dass andere Völker bei jeder Gelegenheit niedergemacht werden. Vor allem die „Bild“-Zeitung hetzt mit Vorliebe gegen die „Pleite-Griechen“ oder Sinti und Roma und liefert damit genau denen Munition, die immer gleich den Untergang des Abendlandes herbei schreien.

Auf eurem Blog findet sich der zweiteilige Ratgeber „Hilfe, ich bin in BILD!“, in dem ihr erklärt, was man sagen kann, bevor der „Bild“-Mitarbeiter überhaupt die ersten Zeilen zu Papier gebracht hat. Ihr empfehlt dort u.a. die Strategie der Autorisierung: „Lassen Sie sich – wenn möglich, noch bevor Sie „Bild“ Auskunft geben – zusichern, dass das Interview oder zumindest alle wörtlichen Zitate vor der Veröffentlichung von Ihnen autorisiert werden“. Ist das aber nicht eigentlich genau das, was sonst von euch presse-rechtlich angeprangert wird? Wenn Politiker beispielsweise in der „taz“ Interviews nachträglich „autorisieren“, also im Sinne von „alles umstellen“, dann findet ihr das ja auch nicht richtig, geht es euch also eher ums richtige Maßhalten bei der Autorisierung?
Bei der Frage streiten sich die Geister. Im Pressekodex heißt es: „Ein Wortlautinterview ist auf jeden Fall journalistisch korrekt, wenn es das Gesagte richtig wiedergibt.“ Eine Autorisierung ist demnach nicht zwingend vorgeschrieben. Ich persönlich finde die Empfehlungen des Deutschen Journalisten Verbandes praktikabler. Der sagt: Autorisierung grundsätzlich okay. Aber: „Nachträgliche Änderungen des Interviewten, die die Authentizität des Interviews oder einen wesentlichen Aussagengehalt konterkarieren, können von der Redaktion abgelehnt werden. Die Redaktion versucht argumentativ, Einvernehmen mit dem Interviewpartner herzustellen. Gelingt dies nicht, sollte sie auf den Abdruck des Interviews verzichten. Sie behält sich vor, dies öffentlich zu machen.“ Das klingt fair, finde ich.

Hattet ihr eigentlich viele gerichtliche Auseinandersetzungen oder Abmahnung mit bzw. von Springer?
Es gab ganz am Anfang mal ein paar kleinere Streitigkeiten (aber nicht mit Springer, so weit ich weiß) und dann eine größere mit der „Welt“, aber ich persönlich habe noch nichts dergleichen mitbekommen.

Lustigerweise gab es ja auch Gelegenheiten, bei denen der Bildblog die „Bild“ sogar verteidigt, welche waren das?
Ich kann mich an kein konkretes Beispiel erinnern (ehrlich nicht), aber es gibt natürlich auch Momente, in denen „Bild“ sich mal zurückhält. Es kommt auch häufiger vor, dass Artikel korrigiert werden, manchmal sogar nicht heimlich.

Was für ein Bild (sic!) habt ihr in all den Jahren von den Schreibern der „Bild“ gewonnen?
Ein konkretes Bild habe ich da nicht vor Augen, aber man muss glaube ich schon verdammt sensationsgeil, herzlos und abgestumpft sein, um das auf Dauer mitzumachen, ohne sich vor sich selbst zu ekeln.

Vielleicht ist es ja doch alles ein „mentales Problem“, wie es Boris Becker früher
immer hatte, also ein Problem der Eitelkeit, sowohl bei Bild-Leuten als auch bei den anderen Journalisten?
Journalismus ist ein sehr eitles Berufsfeld, auf jeden Fall. Das macht ihn manchmal erst so richtig spannend, aber hin und wieder führt es eben auch zu Problemen, zum Beispiel wenn es darum geht, einen Fehler einzugestehen und zu korrigieren. Damit tun sich Qualitätsmedien aber mindestens genauso schwer.

Das komische ist ja immer, dass das Handwerk der „Bild“ (die Titel) auch in „seriösen“ Journalistenschulen gelobt wird, das ist doch schizophren: einerseits fahren die „Bild“-Redakteure seit Jahrzehnten die derbsten Manöver, nur um Auflage zu steigern, dann aber bewundert man die insgeheim doch, spielt da der Neid mit rein, dass ein Bild-Schreiber über zehn Millionen Leser hat?
Nein, ich glaube nicht, dass Neid da eine Rolle spielt. Anerkennung doch schon eher. Sachverhalte knackig auf den Punkt bringen zu können, ist ja auch eine gute Eigenschaft, gerade bei Journalisten. Solange man nicht übers Ziel hinausschießt. Wenn die Wahrheit verdreht wird, wenn Zitate entstellt werden oder wenn Menschen entwürdigende Spitznamen bekommen, bloß, um eine flotte Überschrift zu haben, ist das in den meisten Fällen nicht in Ordnung.

Abschließend noch mal eine Frage zur emotionalen Disposition eines BILDblog- Schreibers: Ist es nicht frustrierend, dass „Bild“ trotz jahrzehntealter Aufklärung immer noch funktioniert? Trotz der vielfach dokumentierten Doppel-Moral- Standards: Da gibt es den leidenschaftlichen Papst-Berichterstatter Andreas Englisch, die totale Befürwortung konservativer Familien-Werte, ich denke da an die Kolumnen von Peter Hahne in der „Bild am Sonntag“, und all das passiert in einem Blatt voll mit Anzeigen von Telefon-Sex-Nummern… Ihr macht eine super Sache, kritisiert das richtige und tretet ein für guten Journalismus, der abseits der Rendite steht, eure Mission finde ich super.
Danke!

Immerhin arbeitet ihr euch täglich durch tiefe mediale Sümpfe, immer mit dem edlen Ziel der Aufklärung. Das wird durch viele Leser honoriert – in der Marktwirtschaft ist Anerkennung aber auch immer sehr stark an die „Mehrwert“-Maxime gekoppelt. Auch wenn man persönlich das falsch findet, es nagt ja dann doch an einem, dass man „heroisch“ für den echten richtigen Qualitätsjournalismus einsteht, ziemlich viel Mist aufdeckt, aber dankt es einem jemand finanziell, nein. Das ist doch frustrierend.
Manchmal schon. Aber das ist ja auch ein grundsätzliches Problem für Blogs bzw.
(Online-)Medien. Bisher haben wir immer gerade genug Geld zusammenbekommen, dass ich meine Miete bezahlen konnte. Für die Zukunft müssen wir uns da was überlegen – eine Paywall oder Ähnliches wird es bei uns aber nicht geben.

Plus: der Gegner ist personell und vom Budget her schon so unendlich größer. Wie schafft ihr es, euren Enthusiasmus, eure Überzeugung für euer kritische und freie Presse nicht zu verlieren bei dem „daily bullshit“?
Ehrlich gesagt: keine Ahnung. Ich habe einfach das Gefühl, dass wir für eine gute Sache kämpfen und merke häufig, dass wir mit unserer Arbeit etwas bewirken können. Und das ist, auch wenn es superkitschig klingt, meistens Motivation genug.

Ich danke euch für das Gespräch.

***

Interview: Jan Röhlk
Kontakt: bildblog.de

Both comments and pings are currently closed. RSS 2.0