Januar 26th, 2020

BANDISTA aus #150, 2011

Posted in artikel by Jan

„Für den Besuch Deutscher in die Türkei reicht bekanntlicherweise ein Personalausweis. Die BRD ist Exporthandelspartner No. 1, mit Schwerpunkt auf Waffenlieferungen für den Nato-Partner. Während Kapitalströme über alle Grenzen hinweg galoppieren und Waren transportiert werden, wird Menschen dagegen eine freie Einreise erschwert, verwehrt oder oftmals unmöglich gemacht. …Bei Zutritt in Schengenland bitte kulturelle und politische Identität abgeben!“

BANDISTA –Tour 2010

BANDISTA, ein 7 – köpfiges Musikkollektiv, gegründet 2006 in Istanbul, sieht seine Wurzeln in der kulturellen Vielfalt Anatoliens, betont aber eine Internationalistische Ausrichtung. Ihre Musik variiert von Balkan-Klezmer über Reggae und Dub bis hin zu Ska und AfroBeats, die aber immer mit einem anatolischen „ Touch „ – bedingt durch traditionelle Instrumente wie Bouzouki & Klarinette -, unterlegt ist. Die politischen Lyrics haben literarischen Charakter.

Jede Bandista-Show ist von einem situationistischen Experiment aus Wut und Verzückung geprägt, gleichwohl aber auch von kommunikativer Freundlichkeit gekennzeichnet. So sind sie eines der jüngeren Sprachrohre mit neuer Stimme oppositioneller Musik aus der Türkei, die bei Kundgebungen und Demonstrationen, bei Festivals und in Clubs – doch auch im politischen Kontext für eine grenzen- und klassenlosen Welt, eintritt und zu hören ist.

Vor diesem Hintergrund wurden Bandista erstmals zu 12 Shows in Deutschland und den Niederlanden eingeladen. Weitere Konzerte in Frankreich, Österreich und der BRD. haben sie durch befreundete Kontakte selbst organisiert.

Wer nun aber meint, ihre Einreise sei ohne Komplikationen verlaufen, wird hier eines besseren belehrt: Nach wochenlangem Bemühen und stetigen Forderungen zur Erfüllung neuer Auflagen( Nachweise durch Plakate, CD, Fotos, Blick auf die Hp, Krankenversicherung, sind die Musiker überhaupt Bandista?)war bis zum Tag ihrer Abreise am 27.4. nicht klar, ob sie Visa für die Einreise erhalten. Noch an selbigem Tag, wenige Stunden vor Abflug, mussten Gagennachweise und Verträge vorgelegt werden.
Dank allgemeiner Solidarität der VeranstalterInnen, der Einmischung von Ulla Jelpke/Die Linke-Bundestagsabgeordnete, Funkhaus Europa und einer Bochumer Rechtsanwältin, konnte mittels Fax und Fone die letzten Hindernisse aus dem Weg geräumt werden.

Der Weg war frei für ganz ausgezeichnete Konzerte und eine schöne Erfahrung des Schreiberlings, der als helfende Hand ihre Tournee unterstützt und sie begleitet hat. Angesichts 3,5 Millionen türkisch- und kurdischstämmiger Menschen in der BRD., und ein gemeinsames Kulturhauptstadt-Jahr 2010: Istanbul, Pecs/Ungarn und das Ruhrgebiet zugrunde gelegt, ist es eine politische Farce wie mit den Künstlern von Bandista seitens deutscher Behörden umgegangen worden ist. Vermutlich hat es für Behördenaugen mit dem „suspekten“ Namen Bandista und ihren politischen Inhalten zu tun oder sollten gar Flüchtlinge aus ihnen konstruiert werden, die sich das Recht heraus nehmen wollen einfach hierzubleiben?

Im Nachhinein hat es sich gelohnt nicht aufgegeben und um die Visa bis zum letzten Moment gekämpft zu haben. Pop-Größen aus der Türkei wie Sezen Aksu, Tarkan, Teoman oder Mustapha Sandal kennen diese restriktive Vorgehensweise wohl kaum.

Für den Besuch Deutscher in die Türkei reicht bekanntlicherweise ein Personalausweis. Die BRD. ist Exporthandelspartner No: 1, mit Schwerpunkt auf Waffenlieferungen für den Nato-Partner. Während Kapitalströme über alle Grenzen hinweg galoppieren und Waren transportiert werden, wird Menschen dagegen eine freie Einreise erschwert, verwehrt oder oftmals unmöglich gemacht. Um aber ein gleichberechtigtes, soziales und kulturelles Leben zu gewährleisten, müssen erwähnte Bedingungen dringlichst abgeschafft werden.

Geradezu lächerlich klingt in diesem Diskurs eine letztlich von PolitikerInnen immer mehr entfachte & vorangetriebene sog. Integrationsdebatte.Heuchlerisch wird eine angeblich schwierige Integration von MigrantInnen in den Vordergrund gestellt. Ziele und Ausdruck deutscher Assimilationspolitik heißen dagegen eher: Bei Zutritt in Schengenland bitte kulturelle und politische Identität abgeben !

28.4./ 2..00 – Flughafen Hannover-Langenhagen
Als habe der Wind die Zeichen der Zeit erkannt, so landet der Flieger eine halbe Stunde früher als geplant. Dennoch betreten die Musiker, nach weiteren Befragungen durch die Einreisebehörden, als letzte der Passagiere das sog. freie Europa. Wir begrüßen und umarmen uns und fahren Richtung Bremen zum Schlafen in eine der schönsten Unterkünfte während der Tour. Erschöpft von dem turbulenten Vortag, aber voller Freude, fallen wir in die Betten.

Morgens lerne ich den Akkordeonisten, der in Frankreich lebt und per Zug einreist, kennen und wir frühstücken. Auch wird im Garten auf der Terrasse musiziert. Erste Gespräche über politische Utopien, kollektive Organisationsstruktur und unser gemeinsames soziales Experiment finden statt. Schnell wird deutlich, dass keine Grenze und Herkunft unsere Forderungen nach einem guten Ende und einer gerechteren Welt für Alle, trennen kann. Landlose in Brasilien,vom Staudammbau Vertriebene in Indien, Indigenas & ZapatistInnen Hand in Hand in Chiapas, RevolutionärInnen in Griechenland, Angry Brigades(70er) in England, InternationalistInnen aus Europa, Tupac Amaru in Peru, Bandistas aus der Türkei oder ganz aktuell Rotbehemdete in Thailand – Wir sind überall !(Zitat: Sub Marcos, EZLN)

28.4. Lagerhaus: Bremen
Tourbeginn, 1. Konzert. Wie immer freundliche Begrüßung durch Bekannte der Lagerhaus- Crew. Zum Gig erscheinen an die 100 BesucherInnen, viele türkischer oder kurdischer Herkunft. Auch mobilisiert durch Gülbahar Kültur (Hallo!) von Funkhaus Europa, Bremen, die Bandista auf einem ihrer nächsten Sampler mit türkischer Musik veröffentlicht.

Geboten wird ein symphatisches Konzert, bei dem die Band gegen Nationalismus ansingt und verdeutlicht, dass jeder Bandista-Song eine eigene Geschichte hat, die sich ebenfalls durch historische Rückgriffe Gehör verschafft. Klassiker aus dem Spanischen Bürgerkrieg in türkischer Version wie Ay Carmela/Ille de Rumba, bekannt auch von The EX und Luis Llach, sind zu hören. Bella Ciao, gestrickt aus eigenen Klängen, runden nach einigen Zugaben das Gesamtbild ab. Es folgen Diskussionen mit dem Publikum oder Kennenlernen, bis in den frühen Morgen. Später treffen wir die Eine oder den Anderen auf weiteren Konzerten wieder, eine Art Nachreisekultur scheint entstanden. Dann rufen erneut unsere Betten in dem fast einzigartig und künstlerisch gestalteten Apartement. Chapeau!

29.4. Gasthof Meuchefitz: Wendland
Frühstück und Aufräumen des Apartements gestalten unseren Vormittag. 300 km liegen bis in die Freie Republik Wendland, einer historisch umkämpften Region um Gorleben, die als Atommülllager an der Macht befindliche PolitikerInnen gegen breiten Widerstand genutzt & durchgesetzt wird, vor uns. Wir machen einen kurzen Zwischenstopp am Hamburger Flughafen, wo der Leadsänger von Bandista endlich ebenfalls zu uns stösst. Allgemeine Happyness und neuerliche Begrüßung.

Konzeptionell war meinerseits geplant,dass wir bei dieser Tour u.a. Halt an Orten politischer & lebendiger Widerstandskultur machen, um Bandista Einblicke zu verschaffen. Unterwegs nutzen wir die Gelegenheit, um zu diskutieren, bei Zwischenstopps sind alle um mein Wohl besorgt, kaufen mir Zigaretten (was ich nicht wirklich will) und fragen nach meinen Wünschen. Hinterfragt wird meinerseits die Losung von Mustapha Kemal, Gründer der modernen Türkei: NE MUTLU TÜRKYEM DIYENE (EinE JedeR ist stolz TürkIn zu sein).Es sei eine nationalistische Parole, die die kulturelle Existenz der Menschen aus Kurdistan und Armenien, die der Laasen und vieler anderer ausblende und verneine.

Die Geschichte der Türkei sei mit Blut geschrieben, nicht nur wegen dem armenischen Genocid, so ihre Antwort. Die Zeit vergeht im Fluge und ohne Probleme erreichen wir Meuchefitz, wo wir die netten VeranstalterInnen treffen. An Donnerstagen wird im Gasthof für viele BesucherInnen aus der Gegend gekocht, selbiger Tag fungiert auch als sozialer Treff, was sich abends bei dem Konzert bestätigt. Ich treffe alte FreundInnen seit Jahren wieder und wir lernen interessante Leute kennen. Ein weiterer Klassiker wie Guns of Brixton (ehemals The Clash, ebenso u.a. von Fermin Muguruza und Ma Valise gecovert) wird von Bandista in orientalischem Flair zum Besten gegeben.

Mein Lieblingssong zur Solidarität mit den seit Monaten in Ankara streikenden TEKEL-ArbeiterInnen (Tekel- türkisches Staatsmonopol für Tabak und Spirituosen), die Arbeitsplatzgarantie und angemessene Löhne fordern und die ferner kein Vertrauen mehr in die sie vertretenden Gewerkschaften haben und Funktionäre lieber laufen statt reden sehen, findet Einlaß in ihr Programm.Bandista hat erst kürzlich für die Streikenden in Ankara gespielt und die Musiker hoffen, dass sich die ArbeiterInnen in Zukunft selbst organisieren.Weil der Eintritt frei ist, werden während des Konzerts Töpfe und Hüte herumgereicht, die uns mit reichlich Spenden erreichen. Insgesamt ein fantastischer Abend mit tollem Konzert, leckerem Essen und vielen Gesprächen.

30.4. Alte Damenhandschuhfabrik: Leipzig
Lange Fahrt durch das Wendland, bevor wir die Autobahn erreichen. Danach 2 x Stau , bedingt durch allgemeine Unfähigkeit der Verkehrsteilnehmenden am Reißverschlußprinzip, bei Fahrbahnverengung, zu partizipieren. 18:00 sind wir in Leipzig.

Der Veranstalter, ebenfalls ein langjähriger politischer Weggefährte, ist an Magen-Darmgrippe erkrankt. Wir wechseln einige Worte, danach ward er nicht mehr gesehen und verbringt die Nacht in seinem Bus. Schade und Pech zugleich: Bandista ist eine seiner Lieblingsbands. Durch seine Anfrage und die von GenossInnen aus Mannheim, ist die Tour eigentlich erst entstanden. Am Abend kommen ca. 350 Gäste, die sich für das Programm interessieren. Um 20:00 wird ein spannender Film über die Banghra-Szene in London gezeigt, der sich substantiell im besonderen durch Interviews speist. Bevor Bandista spielen, ist Reggae einer afrikanischen Sängerin mit Soundsystem zu hören.

Persönlich mag ich Reggae sehr, dann aber eher ohne die religiöse Färbung von One Love und Jah-Rastafari-Habitus, die Widersprüche sind bekannt. Bei Bandista, die wieder ausgezeichnet ankommen, geht es vor der Bühne im Publikum heftig zur Sache. Die Musiker scheinen es bemerkt zu haben und spielen langsamere Tracks zur Beruhigung der Situation . Dennoch ziehen sich einige jüngere und körperlich kleinere Frauen nach hinten zurück.

Später frage ich eine Mitveranstalterin, was sie vom Punkrock-Pogo bei dieser Art von Musik halte und sie erklärt, das sei in Leipzig normal. Als „normales“ Auftreten begreifen wir aber eher die Rücksichtnahme aller Beteiligten, die ein kollektives Tanzvergnügen ermöglicht. Zur Nacht sind wir in einem Internationalen Gästehaus untergebracht, der netteVermieter wohnt nebenan. Kurz bevor wir zu Bett gehen wollen, schellt ein Paar und meint, sie seien ebenfalls Gäste. Kurzum wird der Vermieter zu Rate gezogen, erklärt aber, das Paar habe die Buchung nicht bestätigt. Da ein Bandistero wegen der verbliebenen Instrumente, und da manche Figuren ihre Hände nicht bei sich behalten können, im Bus schläft, bieten wir dem Paar ein Doppelbett an. Diesem freundlichen Angebot wollen sie aber morgens um 4:00 nicht folgen und ziehen weiter….

1.5. Myfest: Berlin
Auf der Fahrt nach Berlin, wo 2 Konzerte geplant sind, reden wir über die Ermordung des armenischen Schriftstellers und Verlegers Hrant Dink in Istanbul vor einigen Jahren. Allgemeine Fassungslosigkeit und Wut über die Tat zweier Jugendlicher aus der Karadeniz-Region (Schwarzes Meer: Trabson, Samson, Ordu, Rize) klingt an, einhergehend mit der Information, dass viele Menschen aus dieser Gegend eine ultra-nationalistische Einstellung teilen und dementsprechend fanatisch agieren und bereit seien politische Gegner zu töten. Immerhin seien die Täter schnell gefasst worden, im Gegensatz zu der Ermordung von Serdar Somuncu mittels Autobombe, Musa Anter (kurdischer Politiker) oder vieler anderer bis heute Verschwundener, die Drahtzieher für diese Verbrechen blieben aber zumeist im Dunkeln und ungestraft.

Um 18:00 steigt das 1. Konzert vor 600 Leuten auf der Bühne am Bullenwinkel. Viele türkische FreundInnen der Band sind zugegen und singen lauthals Texte wie Haydi Barakata/Allaz Barricadas-Spanischer Bürgerkrieg/ mit. Kreuzberg ist rappelvoll, kaum ein Durchkommen in den Menschenmassen, wir benötigen fast eine halbe Stunde zur 2 .Bühne von Djane Ipek am Heinrichplatz, wo der 2. Gig um 23:00 mit 3.000 feiernden Leuten einher geht.

Hier treffe ich endlich Freunde & Companeros, die begeistert erzählen, dass der geplante Nazi-Aufmarsch am Prenzlauer Berg keine 100 Meter weit gekommen ist. Auch die Bullen seien insgesamt deeskalierend aufgetreten, von einem seit langer Zeit wieder „ befriedeten „1. Mai ist die Rede. Bandista spielen u.a. Benim Annem Cumartesi, ein Lied, das an die Samstagsmütter am Galatasaray – Liceum in Beyoglu/Istanbul und die Mütter der Plaza de Mayo in Buenos Aires erinnert, die seit vielen Jahren und Jahrzehnten Aufklärung über das Schicksal und Verschwindenlassen ihrer Angehörigen fordern. Wir schlafen in einer WG in einem ehemaligen Fabrikgebäude, der Küchenbereich ist allein so unglaublich groß, wie die gesamte Wohnung der meisten Menschen.

2.5. Zwischenfall: Bochum
Kurze Nacht, 550 km vor uns, aber wir kommen ohne Stau gut durch, sind aber ziemlich müde. Compania Bataclan-Bassistin La Sabin Bassani und Comrade F. zeigen sich für das Catering verantwortlich und bekochen uns köstlich. Das Konzert ist mässig besucht, wohl auch vor dem Hintergrund ereignisreicher Tage zuvor: Tanz in den Mai, 1.Mai-Aktionen auf der Straße, Euro-Mayday in Dortmund. Bandista spielt mittelprächtig. Das Publikum, zumeist türkisch-kurdischer Abstammung, scheint wie festgenagelt, will lieber, wie nach dem Konzert gesehen, diskutieren. Diesem Bedürfnis stellt sich die Band, räumt aber auch ein, nicht so schnell und kraftvoll wie vorher gespielt zu haben. Wie sollte sie denn auch nach diesen anstrengenden und von 1000 Einflüssen geprägten Tagen anders sein können? Wie symphatisch, ehrlich, zwangfrei und offen in Selbstkritik gemachte Aussage doch klingt. Und: Weil der Mensch ein Mensch ist, ist er noch lange keine Maschine, bitte sehr!
BigUp an sie!

3.5. Waggonhalle: Marburg
Ausgeruht befahren wir eine nur relativ kurze Strecke nach Marburg. Schöner Veranstaltungsort, Sozio-Kulturelles Zentrum mit Restaurant und Schlafmöglichkeiten incl. Küche direkt im Nebenhaus. Wir lernen nette VeranstalterInnen kennen und haben genügend Zeit im Büro unsere Mails zu checken oder zu telefonieren. Mit mir machen sich auch die Hombres auf den Weg in die Stadt, um Handykarten für den Kontakt in alle Welt zu kaufen.

Marburg, ein wenig mit konservativem Stallgeruch und mit Sitz verschiedener Burschenschaften behaftet, offeriert auf den 2 Blick eine lebendige Subkultur anhand vieler politischer Parolen im Uni-Bereich. Dementsprechend klappt es auch mit dem Konzert, das Publikum ist begeistert. Bandista gibt einen weiteren Klassiker namens Yan Babilon zum Besten. Freunde aus Frankfurt, vom Cafe Trauma und Patchanka-Booking kommen auch und wir sitzen bis 2:00 in der Küche und diskutieren über die Entwicklung und Möglichkeiten kultureller Einmischung von Unten und Politik überhaupt.

4.5. Bahnhof: Ottersberg
Die Mär geht um von den legendären Konzerten in Ottersberg . Sitz einer Kunsthochschule,
in der Nähe von Bremen. Bestes Publikum und mir bekannte und goldige VeranstalterInnen. Das Konzert vor recht vielen BesucherInnen findet im Bahnhof dieses kleinen Ortes statt. Ein Haus, in dem an die 20 BewohnerInnen mit ihren Kindern leben. Leckeres Catering wird vom ansässigen Kulturzusammenhang gebracht. Homecooking für unsere Teller.

Bandista hängen wie immer ihre rot-schwarzen Logos auf. Gemeinsam wird im Plenum über die Playlist diskutiert. Große Party bis spät in die Nacht und der grüneAmtskittel vorfährt. 2 Frauen, die sich eine Bandista-CD für zu Hause mitgenommen haben, fragen nach der Begrifflichkeit : Copyleft, die vom Cover ins Auge springt. Üblich sei doch wohl Copyright.

Um dem Üblichen kapitalistischer Prägung und Profitmaximierung, etwas Unübliches entgegenzusetzen, geben Bandista ihre Musik zum Kopieren und ohne Androhung von Kriminalisierung frei. In der Hoffnung, dass ihre politischen Lyrics, wenn auch in türkisch, so doch als internationale Widerstandslieder erkennbar, von vielen gehört werden und die Musik nicht in Vergessenheit gerät. Wie aufmerksam, dass die Frauen nachgefragt haben. Kam nur in Ottersberg vor.Wir schlafen in einem weiteren unglaublich großen Haus einer Freundin der VeranstalterInnen.

5.5. Bevrijdings-Festivals: Wageningen & Den Bosch / NL
Am 4. und 5. Mai feiern die Niederlande die Befreiung vom Faschismus. Traditionell finden in mehreren Städten Defilees ehemaliger Anti-FaschistInnen, Gedenkveranstaltungen zu den Gräueltaten und in Erinnerung ermorderter Nazi-Gegner sowie Festivals statt. Um 13:30 steht Bandista pünktlich (ein neuerliches BigUp angesichts der Tourdisziplin!) in Wageningen auf der Bühne und begrüßt das 1500 bis 2000- köpfige Publikum mit dem Statement:Wir freuen uns an einem historischen Tag wie diesem für euch spielen zu können. Wir selbst leben in einem Land mit ähnlicher Vergangenheit, aber auch Gegenwart, denn unsere Verfassung ist noch immer die einer Militärregierung (bezogen auf den Putsch 1971 und 1980) Ihre Musik kommt erneut gut an, wieder treffe ich gute Bekannte. 15 Minuten mehr Bandista-Live als geplant, da sich die nachfolgende Band verspätet.

CDs gehen für niederländische Verhältnisse reichlich über den Tisch. Nach einer Stärkung verlassen wir den Ort des Geschehens, haben aber Probleme mit dem Tourbus durch die Menschenmassen zu gelangen. Doch alle sind freundlich, lassen uns durch und manchmal sehen wir eine erhobene Faust zum Gruße oder der Verabschiedung.

Nach Den Bosch ist es nur ein Katzensprung. Ca. 15.000 Menschen vor der Bühne. Boban Markovic Orkestar spielt als wir ankommen. Dann ist Diggy Dex an der Reihe, um 21:40 Bandista, später folgt Babylon Circus. Nach dem Gig erzählen mir die Comrades, es sei der Eindruck entstanden, dass trotz riesiger Bühne und bester Technik kaum jemand aus dem Publikum ihr Anliegen, ihre politischen Lieder verstanden habe, außer einigen türkischen Gleichgesinnten, die aus Amsterdam angereist seien. So ganz will ich diese Einschätzung nicht teilen, denn an der Bühnenseite, wo ich stand, wurde allerseits getanzt. Vielleicht lag es aber auch an der Sprachbarriere, der relativ späten Auftrittszeit und vielfachem Alkoholkonsum und einem zumeist jugendlichem Publikum.

Dennoch werden sich Einzelne später im Zuge einer möglichen politischen Sozialisation an Hayri Barikata erinnern, wer weiß? Ein kleiner Anstoß des Ärgernisses dann doch eher, dass sich die Stage-Crew von Babylon Circus(Nightliner-Produktion) unser warmes Essen, deutlich als für Bandista gekennzeichnet, angeeignet hat und nicht mehr herausgeben will. Stattdessen sind wir zum Hotel und in dessen Nähe noch bei einem türkischen Imbiss essen gegangen. Am nächsten Morgen sollte die längste Strecke während der gesamten Tour auf uns warten.

6.5. FranzK: Reutlingen
Bedingt durch weitere interessante Gespräche, selbstgemachter Musik und Gesang während der Fahrt, sind wir überpünktlich, 600 km liegen hinter uns. Es scheint als seien wir geflogen. FranzK: ehemals Cafe Nepomuk, ein Zentrum mit politischer und kultureller Ausrichtung, erst kürzlich umgebaut und in strahlendem Glanz erscheinend. Herzliche Begrüßung. Heute spielt Bandista mit Bettina Schelker (Liedermacherin aus der Schwiez) und Chumbawamba. Die Zeit des Soundchecks heißt für mich ausruhen und eine Mütze Schlaf. Das Konzert ist gut besucht.

Von Bettina Schelker höre ich nur 2 Songs, dann folgt eine Portion Chumbawamba: A-Capella-Gesang mit akustischer Gitarre und Akkordeon, wie immer politisch und eingängig, schöne Melodien , aber deutlich mehr durch Kabarett-Anteile, die das Publikum einbezieht und welches oft lacht, geprägt. Die Zeiten von Agit-Prop mit direkter optischer Konfrontation jedoch scheinen vorbei. Meine Lieblingsalben bleiben deshalb Never Mind The Ballots, Pictures of Starving Children….und Sportchestra mit 101 kritischen Liedern zum Sportgeschehen. Allein die Idee, ein solches Album zu veröffentlichen, ist fast unglaublich, auch wenn Boff Whalley heute selbst dazu schreibt, diese Scheibe sei „ dahingerotzt „! Kaum eine Band in den 80er Jahren hat so herausragende und analytische Texte geschrieben wie Chumbawamba ihrerseits damals.

Am üppigen Merchandise-Stand von Bettina und Chumba, wo wir mit unser Bandista-CD ein wenig untergehen, findet sich auch ein Buch von Boff Whalley, Sänger & Gitarrist der Band, mit dem Titel: Anmerkungen zu Chumbawamba und mehr, erschienen im Verlag Edition AV, welches ich gekauft und darüber hinaus noch empfehlen möchte. Natürlich kommen Chumbawamba beim Publikum bestens an, Zugabe: Homophobia, und als Bandista um 23:30 endlich auf der Bühne stehen, sind die meisten schon auf dem Weg nach Hause. Wie schade, ihnen nicht einmal 5 Minuten eingeräumt zu haben, um ihre Musik zu mögen oder auch nicht.

Dem Programmablauf zufolge war Bandista am Schluß eher kontraproduktiv. Die geblieben sind, fanden ihr Vergnügen, wie überall. Insgesamt aber ein feiner Abend.

7.5. JUZ: Mannheim
Heimspiel bei den MitinitiatorInnen der Bandista-Tour. Auch dabei Guts Pie Earshot, alte Bekannte. Dementsprechend groß die Freude, sich nach mehr als 10 Jahren wieder getroffen zu haben. Ein Hombre von BubamaraBeats ist am frühen Abend ein wenig nervös, ob die Veranstaltung genug Anklang fände.

Durch früher gemachte Erfahrungen vor Ort, meinem persönlichen Gefühl und vielfältigen Mobilisierungsstrukturen seitens der Bubamaras widerspreche ich, denn: bei Anpfiff um 22:00 sind an die 300 Mitwirkende vor der Bühne, auch einige Menschen mit türkisch-kurdischem Hintergrund, die sich insgesamt aber während der Tour rar gemacht haben. Bandista steuern heute wieder ihren Soli-Song für den vor einiger Zeit in Athen erschossenen Alex im Rembetiko- und Sirtaki-Style bei. Einer aus dem Publikum springt auf die Bühne und tanzt in den klassischen Bewegungsabläufen mit. Stimmung ist prima. Guts Pie Earshot in 2er-Besetzung mit Chello & Drums lassen es später auch nochmals krachen.

8.5. Ringlokschuppen: Mülheim/Ruhr
Tag der Befreiung vom Faschismus und ein Knallbonbonprogramm während der traditionellen Funkhaus Europa-Jahresparty: Ohrbooten, BalkanBeatBox, Katzenjammer und viele andere. Wir sind gegen 13:30 in Mülheim, der Soundcheck steht an. Danach verabschiedet sich Bandista und fährt ins Hotel. Im Radio bekomme ich LIVE den Abstieg des VfL Bochum, nach dem 0:3 gegen Hannover 96, mit. Von einer Katastrophe und Kampf ums Überleben ist die Rede.

Wie widerwärtig dieser Sprachduktus doch daher kommt: Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung haben täglich Kämpfe zu führen, damit sie satt werden, Zugang zu sauberem Trinkwasser finden oder Medikamente bezahlen können, um nicht an heilbaren Krankheiten zu sterben. Klimaveränderungen mit bis heute kaum einschätzbaren, langfristigen Folgen, der Tod von Flüchtlingen im Mittelmeer vor der Festung Europa, Sozialabbau in reicher Metropole gleichen Namens, ausgeweitete Überwachungs – und Kontrollmechanismen, alltäglicher Rassismus, Abschiebungen in Krisengebiete, Hunger und Perspektivlosigkeit, Nazi-Terror, Neo-liberale Politik sowie die Kälte der Menschen untereinander, sind u.a. Ausdruck katastrophaler Verhältnisse. Eine schallende Ohrfeige in das Gesicht all derer, die davon betroffen sind. Fußball-Millionarios in diesen Zusammenhang von Katastrophenszenarios und Überlebenskämpfen zu stellen, ist ungeheuerlich und entspricht populistischem Boulevard-Journalismus.

An die 3.000 BesucherInnen kommen zur Funkhaus Europa-Party. Die Konzerte finden in 2 Hallen statt, Bandista spielen vor 1.500 und hinterlassen abermals einen tollen Eindruck.
Dann nehmen wir Abschied, umarmen und herzen uns. Den Rest der Tour handhaben sie selbst. Am nächsten Tag erhalte ich eine SMS: Comrade, es ist seltsam ohne dich! In Istanbul stünden ihre Türen immer für mich offen! Für sie bei mir auch…

Fazit:
Allerbeste Erfahrung meinerseits mit herzlichen, intelligenten, libertären und solidarischen Menschen aus Bandistan. Ein großes BigUp an die Musiker für die schöne Zeit.

Vielen Dank ebenso an: alle VeranstalterInnen, die BesucherInnen der Konzerte, Peter für einen verlässlichen Tourbus, Funkhaus Europa: Köln und Bremen, Guts Pie Earshot, Bettina Schelker und Chumbawamba und all die, die den Kampf um die Visavergabe sowie die Konzerte qua Öffentlichkeit überhaupt, unterstützt haben. Fahrt nach Istanbul und lernt diese kulturelle und politische Metropole in ihrer Vielfältigkeit kennen, es lohnt sich! Wie besprochen, steht ein 2. Streich mit Bandista in 2011 bevor.

Solidarische Grüße: Heval Botan

www.tayfabandista.org www.bo-alternativ.de/bataclan www.opzzz.org

Both comments and pings are currently closed. RSS 2.0