Mai 18th, 2020

BALKAN-TOUR-BERICHT aus #159, 2013

Posted in artikel by Jan

ROTS – Tourtagebuch

I. Vierter November

Um die Wahrheit zu sagen, es begann nicht gut. Einige Auftritte wurden abgesagt. An anderen Abenden hatten wir noch keine Auftrittsmöglichkeiten aufgetan. Clubbesitzer wollten keine Band die eigene Rock- Songs in Englisch singt. Sie wollten Coverbands, die drei Stunden spielen wie vertraglich gebundene Leibeigene. Eben so, wie die meisten anderen Bands im Balkan es tun.  Aber da waren noch andere Probleme.

Die CDs waren noch nicht aus Belgrad angekommen. Wir waren uns nicht sicher ob sie Mitrovica noch rechtzeitig erreichen würden1. Und der Sänger war besessen von einer Frau aus dem Kosovo. Auf der Fahrt vom Flughafen nach Hause saß er auf dem Rücksitz und checkte zwanghaft sein Handy.
Beim Schlagzeuger zu Hause sagte der Sänger kaum ein Wort und wartete darauf, dass wir gingen, damit er allein auf sie warten konnte. Der Rest von uns ging in eine Bar und betrank sich. Wir redeten über die Band.

II. Wir sind aus dem Kosovo

Mitrovica ist eine ethnisch geteilte Stadt. Serben leben nördlich des Flusses, Kosovo- Albaner südlich, und die Mehrheit der Bewohner beider Seiten überquert nie die Grenze in der Stadtmitte. Unsere Band wurde hier geboren, jedoch ist der Bassist der Einzige Einheimische von uns. Der Sänger ist aus den Niederlanden, der Schlagzeuger aus Bosnien und ich bin aus Texas. Wir trafen uns als Lehrende an einer Schule für Rockmusik.

Vor dem Krieg hatte Mitrovica immer eine gute Rock-Szene, aber der Krieg tötete sie. Danach hörten die Leute mülligen Techno und Turbofolk, ein nationalistischer Bastard der überall im Balkan existiert. Die Rockschule wurde von lokalen Musikern konzipiert, um diesen Trend zu bekämpfen, und die Idee funktionierte. Chancenlose Kids von beiden Seiten des Flusses nutzten die Gelegenheit und nahmen Unterrichtsstunden bei Musikern, formierten Bands und begannen, die lokale Szene neu zu beleben.
Der Bassist und der Schlagzeuger kannten sich bereits, bevor ich sie traf. Sie hatten jahrelang beide in Mitrovicas einziger Punkband „Hosenfefer“ gespielt. Wir fingen an, zusammen Rock-Songs zu schreiben, beeinflusst von „proto-punks“ wie „MC5“. Ich mochte es, Songs für diese Band zu schreiben und, zum ersten mal seit Jahren, wieder auf der Bühne zu stehen. Wir hatten Spaß und wir arbeiteten viel.

Der Bassist verliebte sich in eine Niederländerin und zog in die Niederlande. Die Arbeit meiner Frau hielt uns zuerst im Kosovo, aber auch das änderte sich. Irgendwie schaffte es die Band, weiterzumachen. Wir e-mailten uns gegenseitig die Texte und Gitarrengriffe. Manchmal probten wir in Paaren – der Bassist und Sänger in Eindhoven, der Drummer und ich in Mitrovica. Wir tourten, nahmen auf und wurden besser.

Dies war die letzte Tour bevor ich das Kosovo verlassen habe. Meine Frau hatte bereits mit ihrer neuen Arbeit in Somaliland begonnen.2 Vorher sind wir in Griechenland, Bulgarien und Serbien aufgetreten, in Leposavic, Thessaloniki, Sofia, Negotin, Kladovo, Novi Sad und Belgrad. Und ein letztes Mal in Mitrovica, der Stadt, in der ich sechs Jahre meines Lebens verbrachte, einer Stadt, schrecklich kompliziert durch Politik und Intrigen, einer Stadt, die ich liebte.

Über diese Dinge sprachen wir. Die Orte an denen wir lebten und leben werden. Die Frauen, mit denen wir zusammen waren. Die nächsten Auftritte und die Songs, die wir aufnehmen werden. Und der Stand der Dinge im Kosovo, wo unsere Band geboren wurde.

III.

Wenn ich jetzt an Texas denke, denke ich an Tacos, Eier und Kartoffeln, eingewickelt in fettige Tortillas. Ich denke an rohe Muscheln und Bloody Marys, gewürzt mit Okraschoten. Ich denke an blaue Krebse und Vögel in der Bucht von Rockport. Ich denke an die Rodeoparade und den kleinen Rest von echtem Sumpfland, der im öffentlichen Park nicht weit von dem Zentrum der viertgrößten Stadt des Landes noch besteht.

Wenn ich an das Somaliland denke, denke ich an den Kamelmarkt in Hargeisa. Ich denke an über Tische gekrümmte Männer in Cafés, die langsam das Khat-Blatt kauen. Ich denke an meine Frau. Wenn ich an Kosovo denke, denke ich an den Zufall meines Lebens. Ich denke an unsere Band, die Mittel und Wege, wie wir miteinander auskommen und wie nicht, unsere sich ergänzenden Stärken und Schwächen. Ich denke an Schweinefleisch, Kohl, Kaymak und Turshi.3 Ich erinnere mich an Gespräche über die Zukunft, selbst unter Freunden delikate Unterhaltungen über Politik und weniger delikate über den Geruch unserer Füße und die Größe unserer Schisse.

Ich denke an Rakia und weiße EULEX Helikopter.4 Ich denke daran, wie es sich anfühlt von Stadt zu Stadt zu reisen, in kleinen Orten zu sein, wo Bands nur selten hinkommen. Kunst zu machen, Musik zu machen, zu unterhalten, eben so wie Musiker seit tausenden Jahren reisen und spielen. Ich denke daran, wie es gewesen wäre, auf der einen oder anderen Seite der erstarrten Trennung geboren zu sein, vielleicht Musik spielend, vielleicht nicht. Ich denke, welches Glück ich hatte auf der anderen Seite der Welt geboren zu sein, welches Glück ich hatte, dann im Kosovo leben zu können, in einer Zeit und einem Ort, anders als alle anderen Zeiten und Orte.

IV. Fünfter November
Am ersten Tag hatten wir eine schlechte und eine gute Probe. Dazwischen hatten wir ein ernstes Gespräch. Wir verwarfen alte Songs und fingen an, neue zu machen. Die CDs kamen aus Belgrad an, nicht verpackt und schlecht gedruckt, aber fertig. Es war keine Zeit für eine Dusche. Ich ging dreckig und müde ins Bett.

Am nächsten Tag wachte ich früh auf und postete unsere Tourdaten online. Zu jedem Datum nannte ich die Stadt und den Club, nicht jedoch den Namen des Landes. Kosovo als Land zu nennen verärgert und beleidigt Serben. Kosovo als Teil Serbiens zu bezeichnen verärgert und beleidigt Kosovo-Albaner. Es war schlicht unkomplizierter, die Länder nicht zu nennen, jede Stadt wie eine schwimmende Insel, eine „freie Stadt“ zu behandeln. So fühlten sie sich sowieso.  Am nächsten Morgen schrieb die Band zwei neue Songs und spielte jeden von ihnen viermal, das Auto wurde bepackt und es ging los Richtung Norden.

V. Sechster November
Die freie Stadt Leposavic liegt 27 km nördlich von Mitrovica. Es ist eine serbisch dominierte Stadt, umringt von kosovo-albanischen Enklaven. Graffitis an den Wänden der Straßen teilen dir mit, dass du das „Neue Serbien“ betreten hast.

Wir spielten in einer kleinen Zweiraumkneipe, die nach einem populären Cartoon- Charakter benannt ist, ein Platz, an dem wir schon oft gespielt haben. Es ist ein „OKer“ erster Halt an einem Dienstagabend. Wir kannten den Barkeeper, den Besitzer, den Mixer. Wir brachten unsere eigenen Mikrofone und Ständer mit– nichts von dem ist in der Bar vorhanden. Die kurvige junge Rothaarige, die hinter der Bar arbeitete, ist weitergezogen, aber es waren immer noch viele junge Leute und schöne Frauen da.
Mein Hund Lucy war zum zweiten mal mit uns auf Tour. Der Barkeeper in Leposavic gab ihr eine Schüssel Milch und die Hälfte seines Sandwiches. Schöne Frauen auf dem Barhocker neben mir streichelten ihre Ohren und sie schlief fast in meinen Armen ein. Ich brachte sie zurück ins Auto.
Wir bauten im hinteren Teil des Raumes auf, der so eng war, dass wir uns gegenseitig auf die Kabel und Setlisten traten, an den Ellbogen berührten und uns gegenseitig spürten, wie wir zur Musik vor- und zurücksprangen.

Die Bar war voll, als wir unseren Soundcheck beendeten, und es wurde noch voller. Leute tranken Bier an Tischen, die gegen die Mikrofonständer stießen.  Der Mixer sagte, dass der Gitarrenverstärker unseres Sängers zu laut ist.  „Wirklich?“ sagte unser Sänger. „Zu laut?” Das sagte er immer. Das ist es, was er sagt, kurz bevor wir anfangen. Wir stellten nur etwas leiser. Dann waren wir bereit, um anzufangen.

VI.
Wie in den meisten Orten im Balkan kommen die Leute in Leposavic zu Shows, um dabei zu sein, wenn etwas in der Stadt passiert, nicht wirklich, um Musik zu hören. An solchen Orten gibt es nicht viel Unterhaltung. Sie stellten sich alle an die Bar, so dass sich keiner bewegen konnte, oder standen am Rand der Bühne mit den Rücken zu uns und redeten über andere Dinge.  Am Ende der Show hatte ich eine Auseinandersetzung mit unserem Sänger. Danach habe ich in auf der Bühne geschubst. Um die Wahrheit zu sagen, die Tour startete nicht gut.

Wir fuhren zurück nach Mitrovica, um die Nacht dort zu verbringen und trafen uns dann wieder an der Musikschule. Ich warf ein Glas gegen die Wand. Wir sprachen über unsere Probleme.  Zur gleichen Zeit wurde in meinem Land ein neuer Präsident gewählt. Die Band trank eine Flasche Rakia und einige Biere, und wir wurden alles los, was uns auf den Herzen lag. Am nächsten Tag wachte ich auf und fühlte mich besser.

VII. Siebter November
Der Schlagzeuger und ich schliefen in einem kleinen Raum in einer Schule, wo sie Schlafkojen für Bands auf Tour hatten. Er stand aus dem Bett auf und redete, überwiegend Unsinniges, schwafelte, mit einer immer noch betrunkenen Morgenenergie. Wir stiegen in unsere Autos und fuhren los Richtung Griechenland.

Der Bassist, der ein Auto mit Kosovska Mitrovica serbischen Nummernschildern fuhr, fuhr in die entgegengesetzte Richtung, nordwärts. Du kannst kein Auto mit serbischen Kosovo-Nummernschildern durch kosovo-albanisch dominierte Gegenden im Kosovo fahren – der Süden. Du kannst kein Auto mit kosovarisch-albanischen Nummernschildern durch serbisch dominierte Gegenden im Kosovo fahren – der Norden. Das eine oder andere zu tun bedeutet, nach Ärger zu suchen. So ist es einfach im Kosovo dieser Tage. Das bedeutete, dass der Bassist und der Drummer einen Halbkreis durch den Balkan, um Kosovo herum, fahren mussten. Drei Stunden zusätzlich zu den sechs Stunden, die der direkte Weg dauert. Wir teilten uns auf, um uns zwei Länder weiter zu treffen.

Als der Sänger und ich jedoch in Pristina ankamen, blinkten die Warnleuchten unseres Armaturenbretts5. Wir brachten das Auto zu einem Mechaniker und sein Computer sagte, dass der vierte Zylinder nicht funktioniert. Der Sänger und ich gingen die Straße runter und tranken Espressos und grünen Tee in einem zu hippen Café an der Ecke dieser dreckigen Schnellstraße. Ein Platz, wie es ihn überall im Kosovo gibt, übertrieben, frivol und unseriös, eine Nachahmung cooler europäischer Stile und in jeglicher Hinsicht ohne Bezug zu seiner Umgebung. Wir redeten nicht über die Geschehnisse der letzten Nacht. Jetzt schien alles besser zu sein. Seelenloser Jazz und Weihnachtslieder wurden gespielt. Der Hund schlief unter dem Tisch, durcheinander und müde.

Die Serben fuhren durch Mazedonien, und wir trafen uns auf der EU-Seite der Grenze. Der griechische Zollbeamte guckte nicht mal kurz auf unser Auto, das voll war mit Instrumenten, der Hund schlafend in meinem Schoß. Er winkte uns durch, belästigt von unserer Anwesenheit, Zigarette zwischen seinen Fingern, grau werdender Schnurrbart vergilbt durch Tabak.

In Thessaloniki regnete es stark, als wir versuchten rückwärts in unmöglich kleine Parkbuchten, die keine wirklichen Parkbuchten waren, hineinzufahren. Zwei Häuser weiter konnte ich lautstarke Demonstranten durch die Straßen marschieren sehen. Es war der zweite Tag des Nationalstreiks gegen die neuen Sparmaßnahmen. In Athen demonstrierten tausende Lehrer, Taxifahrer und Journalisten. Aber im Norden des Landes half uns der Sänger der „Voodoo Healers“, unsere Sachen aufzubauen und soundcheckte drei Mikros durch zwei winzigkleine Lautsprecher. Dann nahm er uns mit eine Tür weiter zu Tzatziki, gegrilltem Feta-Käse, Salat and Schweinefleisch.

Wir nahmen noch drei Flaschen Retsina mit und gingen zurück zum Club. An diesem Tag wurde in der USA der Status Quo in der Politik fortgeführt. An diesem Tag setzte sich die Wut aufgrund der politischen Spannungen in Griechenland fort. An diesem Tag tat unsere Band das Gleiche wie gestern, aber es fühlte sich irgendwie besser an.

Der Regen hielt Leute davon ab zu kommen oder es war der Protest oder der frühe Wintereinbruch, oder eben nur ein Mittwochabend, aber es war mir egal. Ein betrunkener Deutscher tanzte und taumelte durch den Raum. Eine Handvoll Normalos saß an der Bar und nickte mit ihren Köpfen zum Takt der Musik. Wir verdienten viel weniger Geld als in der Nacht zuvor und es waren viel weniger Leute da, aber alle waren engagiert bei jedem Song dabei. Das ist alles, was man verlangen kann, wirklich.

VIII.
Fleisch. Es beginnt in Mitrovica.  Der Schlagzeuger brachte ein frisch geschlachtetes junges halbes Schwein aus seinem Dorf in Bosnien mit. Wir zerlegten es in kleine Teile und kochten einen Eintopf mit Olivenöl, Zwiebeln und Knoblauch. Wir aßen es mit eingelegten grünen Tomaten und Rakia. Jeden Abend kochten wir zwei Töpfe und aßen beide auf.

Auf Tour versprachen uns Clubbesitzer und freundliche Musiker Betten und Essen. Das bedeutete mehr Fleisch, überall. Eine große Platte in der Mitte des Tisches, überhäuft mit Cevapcici, Würsten, Heißem vom Grill oder kalter Meza: gesalzenem, getrocknetem und lang gereiftem Fleisch.6 Dicke Scheiben vom Schinken, mit verschiedenen Namen, marmoriert durch Fett. Styroporbehälter voll mit Lammfleisch.
Der Hund wartet ungeduldig auf die Knochen, Reste, die uns aus den betrunkenen Händen fallen.
Dieser Ort war bekannt für sein gebratenes Lamm. Ein anderer für die kleinen gebratenen Stücke Fett vom Schwein, genannt „Tabak“. Ein weiterer Ort für seine dünnen Würstchen, gefüllt halb mit Wild und halb mit Ziege. Wir arrangierten Touren um ein spezielles Restaurant, genannt „Augenbraue“. Zarte Stücke Fleisch in einem Nest aus in Essig eingelegtem Kohl, gelöffelt aus Lehmpötten. Süß-klebriger Kaymak auf Brot und mit Fleisch gefüllte Paprika. Kohlblätter ummanteln Reisbällchen, Gewürze und … Fleisch. Vegetarier auf Tour, nehmt euch in Acht! Ich war mal wie ihr, vor Jahren, bevor ich in das Kosovo gezogen bin.

IX. Achter November
In Sofia eröffneten unsere Freunde vom „Daily Noise Club” mit einem perfekt lauten Set. Backstage gab es Bourbon- und Wodkaflaschen. Wir nutzten das aus. Das Publikum ging mit bei jedem Stück. Die neuen Songs klangen stark und die alten klangen neu. Es war die bisher beste Show, im besten Club.
Am Ende des Konzerts guckte ich wie jede Nacht in unser Auto. Lucy lag eingerollt da und schlief. Ich bin mir nicht sicher, ob es eine gute Idee war, einen Straßenhund aus dem Kosovo zu adoptieren und mit auf Tour zu nehmen. Zuallererst war ich mir nicht sicher, ob es eine gute Idee war, in das Kosovo zu ziehen. Ich war mir nicht sicher, ob es eine gute Idee war, in einer Band zu spielen. Ich bin mit nicht sicher über viele meiner Entscheidungen.

X. Neunter November
Wir schliefen in der Wohnung des Sängers des „Daily Noise Clubs“, auf Sofas und Kissen, auf dem Boden, zwei in einem Bett. Nach zwei Jahren als Nichtraucher startete ich das Experiment, in der einen oder anderen Nacht ein paar Zigaretten zu rauchen. Aber an diesem Morgen rauchte ich ein paar, um mich hinter dem Steuer wachhalten zu können. Ich hatte es mir selbst noch nicht eingestanden, dass ich wieder angefangen hatte zu rauchen.

Wir fuhren langsam durch Bulgarien, versuchten die notorisch korrupte Polizei zu meiden. Die Serben überquerten die Grenze nach Serbien mit serbischen Nummernschildern, aber mein Auto hatte Nummernschilder einer internationalen Organisation, die im Kosovo arbeitet. Mein Reisepass war mit kosovarischen Einreisestempeln voll, ein Dorn im Auge eines jeden serbischen Grenzbeamten, der nicht akzeptiert, dass dieser Stempel ein legitimes Land repräsentiert. In solchen Momenten liebten es die Grenzbeamten, mir Probleme zu bereiten.

Was tun Sie im Kosovo? Wozu benötigen Sie die ganze Ausrüstung? Haben Sie eine Versicherung? Ihre Autopapiere? Die Bevollmächtung, dass Sie dieses Auto fahren dürfen? Das von einer legitimen Autorität ihrer Gemeinde gestempelte Bestandsverzeichnis Ihrer Ausrüstung? Das Gesundheitszeugnis Ihres Hundes? Die Impfbescheinigung gegen Tollwut? Öffnen Sie den Kofferraum! Zeigen sie mir Ihre Gitarren (Ich spiele selbst ein wenig.). Was für eine Art von Musik spielen Sie? Wo fahren Sie hin? Wo kommen Sie her? Sie arbeiten im Kosovo?

Sie tun ihre Arbeit mit variierendem Einsatz, variierender Besorgnis, variierendem Misstrauen, Selbsthass, Eigennutz, Nationalismus, mit Gier, Langeweile, Detailverliebtheit, Ambition und mit variierender Beachtung und Befolgung der Gesetze. Ich schätze, das Gleiche kann man auch über mich sagen.

XII. Neunter bis elfter November
Dennoch überquerten wir die Grenze einfacher, als jeder von uns dachte, und tauschten unser bulgarisches Geld gegen die Dinar der anderen Seite. Negotin und Kladowo waren die nächsten zwei Städte auf dem Plan. Mickey betreibt den „Cinema Club“ in Negotin, die Art von kleinem, feinen Club, in der ich es liebe zu spielen. Ein Club, wo keine Band vor Mitternacht anfangen sollte zu spielen, wo eine Platte mit Fleisch und Brot auf uns wartete, wo 20 Leute sich anfühlen wie ein volles Haus und ein volles Haus war genug für uns, um uns weiter machen zu lassen. Die Leute vom „Fusion Club“ in Kladovo sind alle freundlich und großzügig, arbeiten hart, um eine Szene irgendwelcher Art am Leben zu erhalten, in einem komfortablen Raum aus Ziegelsteinen in einem Kulturzentrum, wie man es in jedem Stadtzentrum im ehemaligen Jugoslawien finden konnte. Sie arbeiten wie Professionelle. Während des Soundchecks und der Shows spielten wir oft unsere neuen Songs, um bald eine neue Platte mit „Radule“ machen zu können.

XIII.
Sliva (serbisch) – Pflaume
Sliva (bulgarisch) – Muschi
Karam (serbisch) – ficken
Karam (bulgarisch) – fahren
Svirka (serbisch) – Auftritt
Svirka (bulgarisch) – Oralsex/ blowjob

(Man sollte also vorsichtig sein, wenn man einem bulgarischen Polizisten erklärt, man sei bereits spät dran für den Auftritt.)

Duvaj (bosnisch, umgangssprachlich) – blasen, pusten: im Zusammenhang mit „Gras rauchen“ oder „Oralsex/blowjob” .

XIV. Zwölfter bis vierzehnter November
In der Nacht, bevor wir ins Studio gingen, hatte ich eine schreckliches Gespräch mit meiner Frau, wütend und anklagend.  Die Band, der Hund, unsere Gitarren, das Keyboard und die zwei Verstärker quetschten sich am nächsten Morgen in ein Auto und fuhren nördlich über die „Donau“, wo die hügelige Landschaft sich auflöst in einer flachen Ebene, nur unterbrochen von den Erdhügeln der Erdhörnchen, zu einem kleinen Landhaus ohne Internet, von wo es unmöglich war, auch nur in die Nähe von Somaliland eine Telefonverbindung herzustellen.

XV.
Unsere erste Nacht in der Vojvodina war genau so, wie ich die letzte, die wir hier waren, in Erinnerung hatte.7 Wir bauten schnell auf, fingen an aufzunehmen und hatten bereits mehr als die Hälfte der Platte im Kasten, als wir zu müde, stoned und betrunken waren, um fortzufahren.

Radules kleines Studio ist von allen Seiten umgeben von flachen, grünen Wiesen, Gewächshäusern und bescheidenen Landhäusern. Das Erdgeschoss teilt sich zur Hälfte in Wohnbereich und Studio auf. Wir schliefen in der Wohnung im Obergeschoss. Am Morgen wachte ich früh auf, nach Nikotin verlangend, das Haus war gefüllt vom Schnarchen, während draußen der Hahn frohlockte und Lucy und Radules Hund vorbeifahrende Fahrradfahrer und sich gegenseitig anbellten. Geräusche von weit weg.

Sein Studio selbst ist ein L-förmiger Raum um die Toningenieurkabine herum gebaut. Radule hat immer ein Schlagzeug und ein Verstärkerset bereit, so dass wir nur ein paar weitere Dinge aufbauen mussten, bevor wir starten konnten. Wir fünf und die Ausrüstung füllten den gesamten Platz aus und wir waren auf allen Seiten umgeben von der Geschichte seines Lebens, die Geschichte von so viel Punkrock in der Region: Die Wände sind gepflastert mit Konzertpostern, Girlie-Kalendern, Comic-Strips, Aufklebern von Bands und gegen Faschismus, T-Shirts, Backstage-Pässen, Zeichnungen, Bildern und Briefen von Freunden, Setlisten, Ausschnitten aus Zeitungen, Büstenhaltern, einem großen Bild von Tito und Fotos von Radule und „Atheist Rap“. Seine Band spielt seit 23 Jahren exzellenten, sozial bewussten Punkrock.
Wir nahmen auf in einer Art kleinem Museum, aber das Thema dieser Musik ist weit davon entfernt tot zu sein, der Museumsbesitzer schreibt immer noch ihre Geschichte, und das Leben dieser Musik überspannt unsere Lebenszeit.

Aber jemand anderes wird darüber später schreiben. Sei dabei richtig und falsch, sag gute und schlechte Dinge über die Vergangenheit, diese Musik und unsere Intentionen. Denn nachdem wir unsere Leben mit dem Versuch verbracht haben, durch das Schreiben, Aufnehmen und Spielen von Songs eine Art von kleiner Kontrolle über unsere Lebensumstände zu erlangen, wird die Interpretation unserer Bemühungen irgendwann nicht mehr in unseren Händen liegen.

XVI.
Hier sind die Geschichten unserer Leben. Der Sänger wurde in den Niederlanden geboren, das jüngste Kind einer riesigen Familie. Der jüngste Bruder eines Saxophonspielers, er schrieb und spielte mit dem namhaftesten Rockstar der Niederlande. Seine Mutter starb früh. Er wuchs auf, spielte Gitarre und schrieb Songs mit verschiedenen namhaften regionalen Bands, aber vor einiger Zeit fiel ihm auf, dass das, was er wollte, in den Niederlanden gar nicht existiert. Im Kosovo traf er eine Frau und reiste von da an gelegentlich in den Balkan, aus Gründen, die mit der Band nichts zu tun haben.

Der Schlagzeuger wuchs auf in einer kleinen Stadt im Osten Bosniens. Als der Krieg kam, ging sein Vater los, um zu kämpfen. Der Schlagzeuger war jung, als er in die lokale Sägemühle arbeiten ging, wo er sich in die Hand schnitt, die seitdem teilweise gelähmt blieb. Er spielte Schlagzeug, indem er sich mit Klebeband die Sticks wie Keile an die Finger wickelte, wobei die Sticks gegen die Finger schlugen und diese lila und schwarz wurden. Er half, die Rock-Schule in Mitrovica zu gründen. Er traf eine ausländische Frau und seit Kurzem stellt er sich vor, dass es möglich sein könnte, weit weg zu leben.
Der Bassist wuchs auf in Kosovska Mitrovica, Jugoslavien. Wie ich lernte er Bass spielen nicht, weil er das Instrument liebte, sondern weil eine Band einen Bassisten braucht. Während er an der Rock-Schule arbeitete, lernte er eine ausländische Frau kennen und zog wegen ihr später in die Niederlande. Er ließ seine Heimatstadt und die Kompliziertheit Kosovos hinter sich, um an einem neuen Ort mit eigenen Herausforderungen zu leben.

Als ich ein Kind war, spielte ich Klavier in Blues Bars in Austin. Später lernte ich noch Bass und meine Band zog von San Antonio nach Milwaukee, bevor ich einer Frau zurück nach Texas folgte. Dennoch konnte ich niemals wirklich sagen, wo ich bleiben sollte. Jede Geschichte über mich ist gleich: Ich weiß nicht, ob ich irgendwo hingehören sollte oder nicht. Ob ich könnte. Ob es von Bedeutung ist. Ich traf meine zweite Frau in Texas und folgte ihr in das Kosovo und sechs Jahre später scheint es in Ordnung zu sein, woanders hinzugehen, irgendwohin, aber nicht zu bleiben, und es gab Zeiten, da war das Leben aus dem Koffer mit drei anderen Reisenden und dem Hund das Beständigste, was ich jemals tat. Für uns alle waren die Touren etwas, auf das wir vertrauen konnten in unseren Leben, die nur wenig Vorhersehbares beinhalteten.

Die meisten Instrumente waren am frühen Nachmittag des zweiten Tages aufgenommen. Der Schlagzeuger und der Bassist saßen auf der Veranda und tranken Rakia, während die frühe Wintersonne bereits unterging und die Hunde halbherzig um einen alten Knochen kämpften, den sie irgendwo gefunden hatten. Ich ging in die Stadt und fand ein mieses Café mit „free wireless“ und rief meine Frau an. Ich entschuldigte mich für die Dinge, die ich nie hätte sagen sollen, und der Stein, der mir die letzten zwei Tage auf dem Herzen lag, fiel ab von mir. Später in der Nacht ging ich aus im Zentrum von Novi Sad unter den gefliesten Türmen der Kirche. Ich kaufte Zigaretten am Kiosk und rauchte. Ich gab nicht mehr vor, Nichtraucher zu sein und wusste, meine Frau wird nicht glücklich darüber sein, aber wird es auch verstehen. Der Bassist rief mich an und sagte mir, sie würden jetzt essen, und ich überquerte den Platz, um mich mit ihnen zu treffen. Auf Tour zu gehen war eine Art nach Hause zu gehen.

Die Band war unser Zuhause und wir waren zu Hause in Radules Studio und schliefen in fremden Betten und auf der Bühne miteinander. Aber wir alle hatten auch ein Zuhause an anderen Orten und wir nahmen diese Orte mit uns auf die Reise. Wir lebten an zwei Orten gleichzeitig und irgendwie war das in Ordnung. Wenn ich an zu Hause denke, denke ich an Texas, Frühstück, Muscheln und das Rodeo, aber ich denke auch an Mitrovica und Somaliland. Und ich denke an meine Band.

XVII. Fünfzehnter bis siebzehnter November
Am Morgen nach dem dritten Tag im Studio wurden die Kater immer intensiver. Wir hatten uns durch den guten Alkohol getrunken und dann alles, was noch übrig war. Ich konnte mich nicht erinnern, letzte Nacht ins Bett gegangen zu sein, aber am Morgen war der Tisch voll mit leeren Flaschen: Bierliterflaschen aus Plastik, kleine Reiseflaschen dänischen Aquavits, Schnapsflaschen, Rot- und Weißwein. Im ganzen Haus war nichts mehr zu trinken da, aber die sechs Songs waren fertig und klangen gut und es war Zeit für weitere Auftritte. Am Abend saßen wir in einem Restaurant und kaum einer redete mit den anderen, alle waren mit ihren Handys beschäftigt und sprachen mit ihren Frauen.
In Novi Sad eröffneten wir für Radules neue Band „Protektori” in einem Lagerhaus.

Es war so kalt, dass ich meinen Atem sehen konnte, und der Sound war entsetzlich: Feedbacks und Knackgeräusche krochen aus der PA, keine Monitorboxen und jeder Ton prallte ab vom Beton und es gab nichts, was wir dagegen tun konnten … und irgendwie war der Auftritt immer noch gut. Wir spielten zwanzig Minuten und das war genug. Es ist gut, gute Arbeit zu leisten, wenn die Umstände gut sind. Es ist besser, großartige Arbeit zu leisten, wenn die Unstände schlecht sind. Wir beendeten unseren Set mit einer Coverversion von MC5 -„Kick Out The Jams“ – und sahen uns dann mit den anderen Zuschauern Radule an, wie er spuckte und schrie, während seine Band sich durch die exzellenten neuen Songs prügelte. Der Sänger war alleine und smste seiner Freundin, stritt sich mit ihr über den letzten Freispruch in einem Kriegsverbrecherverfahren in Den Haag. Oder eher: Sie stritten miteinander, aber benutzten den Freispruch als ihre Entschuldigung. Der Bassist und ich standen im hinteren Teil des Raumes und sprachen darüber, ob Rock und Punk noch Bedeutung haben. Er war traurig über die Szene in Serbien, die in seinen Augen auseinanderfiel. Ich dachte, dass sich die Zeiten ändern, aber dass es bedeutungslos ist. Was bedeutungsvoll war, war unsere Leidenschaft und Hingabe.

Als wir das Konzert verließen, stahlen wir die Radkappen des Autos vom „Protektori“ – Sänger. Wir hielten an einem „Pleskaviza“- Stand und wuschen uns die Schmiere von den Händen.8 Wir waren alle so gut gelaunt, dass es mich nichtmal störte, als die Polizei mich in ein Alkoholmessgerät pusten ließ. Fast der ganze Samstag in Novi Sad wurde dann mit Aussagen und dem Bezahlen von Strafen verbracht, und das Gericht verbot mir für drei Monate in Serbien Auto zu fahren, also übernahm der Bassspieler.

XVIII. Achtzehnter bis zwanzigster November
Um die Wahrheit zu sagen, die nächsten paar Tage liegen im Unklaren. Ich erinnere mich, dass wir uns mit „Peter Pan Speedrock“ in Zemun trafen und sie rissen das Dach des Clubs ein.  Ich erinnere mich, dass wir sie zu unserem Lieblingsplatz fürs Essen brachten, ein großes serbisches Essen im Restaurant „Augenbraue“.

Ich erinnere mich, wie ich nach Hause in Mitrovica zurückkam, den Soundcheck machte, eine Dusche nahm und dann gerade rechtzeitig zum Auftritt wieder im Club war.  Ich erinnere mich, dass wir zu dieser Zeit besser spielten als jemals zuvor.

Ich erinnere mich, wie ich mit dem Sänger von „Peter Pan Speedrock“ in unserer Lieblingsbar in Mitrovica bis vier Uhr morgens trank, während mich Curka – ein tätoowierter Einheimischer, der seit dem Krieg nicht mehr richtig war im Kopf – beschuldigte, ein Spion zu sein und sein Bestes gab, meine Blutlinie zu beleidigen und dabei mit einem Messer immer und immer wieder in den Tresen zu stechen.
Ich erinnere mich, endlich eine volle Nacht Schlaf bekommen zu haben, weil die Tour vorbei war.
Und ich erinnere mich an ein Auto vor der Schule, das brannte, weil die freie Stadt Mitrovica immer noch eine Stadt ist, in der so etwas ab und an passiert. Es mag eine Warnung an einen Serben gewesen sein, der für kosovo-albanische Institution arbeitet. Oder es mag um Schulden gehen, oder andere Mafiaprobleme. Wer weiß? Der Schlagzeuger und ich standen bei der Schule und sahen uns das brennende Auto eine Zeitlang an, dann zuckten wir mit den Schultern, machten die Lichter aus und gingen ins Bett.

XIX. Einundzwanzigster bis fünfundzwanzigster November
In der zweiten Hälfte der Tour fragte der Sänger mich immer wieder, wie diese Geschichte enden wird, die Geschichte, die ich für ein Zine schrieb. Ich wusste nicht, was ich antworten sollte. Er und ich haben uns viel gestritten auf der Tour, aber wir haben auch alle mehr gearbeitet als jemals zuvor, mehr produziert und besser gespielt. Es sah nicht wirklich aus, als wenn die Tour enden würde. Die Band wurde anstrengender und fordernder, aber auch erfüllender und aufregender. Sie wurde ein wichtigerer Bestandteil meines Lebens, mit allen guten und schlechten Dingen, die das beinhalten mag.

Am frühen Morgen fuhr ich ihn und den Bassisten nach Skopje und sie flogen zurück nach Eindhoven. Die nächste Tour war bereits geplant, drei Monate später in den Niederlanden und Deutschland.
Am Abend nahmen der Schlagzeuger und ich an der „Slava“ seiner Schwester teil: ein heiliges Familienfest bei Orthodoxen.9 Es ist ein zwei Tage dauerndes Fest/Bankett, eine offene Einladung zu gutem Essen, Rakia, Gesprächen, Rauchen und Gesang. Die Leute kamen und gingen den ganzen Abend, aber wir waren die Letzten. Die „Slavas“, die ich im Balkan besuchte, gehören mit zu der besten Zeit, die ich hier verbracht habe. Neben dem Spielen in der Band.

Am nächsten Morgen packte ich das Auto, setzte den Hund auf den Beifahrersitz und verabschiedete mich zum letzten Mal. Zweimal, während ich dabei war abzureisen, gingen die Sirenen von Nord Mitrovica, um die Leute auf die Straßen zu rufen. Um irgendwelche Gewalt, die in einem nahen Dorf geschah, in dem Kosovo-Albaner und Serben sich über Eigentumsverhältnisse streiten, zu verteidigen oder dagegen zu protestieren. Ich vermied es, durch das Zentrum der Stadt zu fahren und fuhr um die Barrikaden rum über die Ost-Brücke. Nur in dem Moment kam es mir in den Sinn, dass heute „Thanksgiving Day“ in Amerika ist. Auf der anderen Seite der Brücke hatten Kosovo-Albaner deswegen überall amerikanische Flaggen gehisst: von Markisen, Straßenlampen, Autospiegeln. Ich ging nach Hause, zurück nach Texas, und bereitete mich auf Somaliland vor, auf die nächste Tour oder was auch immer das Nächste ist.

Dank an Lindsay Kayser und Stefan Scheer

*

Text: Anthony Barilla

Both comments and pings are currently closed. RSS 2.0