Januar 5th, 2015

ANARCHIST ACADEMY (# 72, 10-1998)

Posted in interview by Jan

1993 stand zwar über sie schon mal was im Trust, sie existieren aber immer noch, was wohl in dieser Zeit der schnellebigen Sünde, doch als Grund für ein Gespräch reichen kann…

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Anfangs gleich mal die Standardfrage nach den Änderungen seitdem.

Hannes: Wir drei sind immer noch dabei (Deadly, Bomber, und er, also Hannes). Obwohl Deadly war `93 noch gar nicht fest dabei, hat sich jetzt aber fett bei uns eigezeckt. Bomber ist auch noch dabei…

(Dieser starrte zu Interviewbeginn apathisch auf ein Playstationspielchen, welches in/auf/ durch einen TV lief…)

Hannes:  … als Autist bei uns. Sie beide tragen auch die Verantwortung für die Musik. DJ Sonic spielt seit `94 mit, wir spielen mit Live Musikern, Babak rapt nicht mehr, sondern organisiert …

Bei einer Aussage wie der letzten pumpt dem jungen Nachwuchs-Schreiber natürlich das Herz mit doppelt so vielen Schlägen pro Minute, Zwist? Streit? Gruppeninternes Machtgerangel?

Hannes: Es ist besser so, denn Babak war einfach Meister im gegen den Takt rappen.

Schade, kein Skandal. Mit den oben erwähnten Musikern läßt sich natürlich auch live besser und agiler agieren, wodurch mehr Leute zu den Auftritten gezogen werden sollten, doch…

Hannes: Die Tour lief schlechter als erwartet, weil die Planung schlecht war, da wir mit der Tour gleichzeitig zum Release des Albums, dessen Termin eigentlich früher geplant war, begonnen haben., und vor dieser Platte 3 Jahre lang nichts von uns erschien. So daß die Leute dachten, schon wieder Anarchist Academy, schon wieder 5 Idioten mit DAT Recorder.

Zu diesem Zeitpunkt, 26.4.98, lag das Release Date der Platte knapp einen Monat zurück und der Zuschauerschnitt bei 100 Leuten, das Publikum soll aber – bis auf in Rostock, wo es „autistisch auf Sofas saß und so tat als würde keine Band spielen“ – Spaß gehabt haben. Rostock, Neue Läder, Rechtsradikalismus?

Hannes: Wir hatten auch davon gehört, doch dort hat man uns gesagt, daß das halb so wild wäre, die Faschos blieben halt in ihren Gebieten und streßmäßig hätte es dort seit langem nichts mehr gegeben.

Zur Sachsen-Anhalt Wahl, die am Tag des Interviews abgehalten wurde und der DVU…

Hannes: Ich könnte mir vorstellen, daß sie in den Landtag reinkommen, denn genug Propaganda haben sie ja in Sachsen gemacht. Die SPD wird auf jeden Fall krass gewinnen, die CDU heftig verlieren wird.

Später nach den ersten Hochrechnungen war klar, daß die DVU nicht nur in den Landtag eingezogen sondern auch, aber den Rest vom Lied kennt ihr ja leider – würg.

Hannes: Viele rechte Wähler sind aber auch bei der SPD und PDS gut aufgehoben, wie z.B. in Magdeburg wo beide stark sind, obwohl Magdeburg zur Zeit, das größte Skin und Nazipflaster, ist. Was wohl auch daran liegt, daß viele SPD- und PDS-Wähler rassistische Gewalt tolerieren.

Also eine zu „liberale“ Einstellung besitzen?

Hannes: Nein, eher eine zu reaktionäre, aber trotzdem SPD oder PDS wählen. Deshalb bedeutet SPD oder PDS zu wählen noch nicht antifachistisch zu sein, gerade in den neuen Bundesländern..,

Aber bedeutet es antifaschistisch zu sein, sich mit den Böhsen Onkelz einen Vertrieb zu teilen, denn Community wechselte nach der Aufnahme von „Rapplekistenkids“ zu Virgin?

Hannes: Was haben wir deshalb mit den Böhsen Onkelz zu tun? Nichts.

Virgin verdienen ihr Geld eben teils durch die Böhsen Onkelz.

Hannes: Virgin macht das, was jeder Major macht, sie verkaufen die Musik an der sie Geld verdienen können. Was du da ansprichst ist eigentlich die alte Underground – Major Debatte. Soll man jetzt zu einem Major gehen oder nicht? Soll man jetzt autonome Strukturen aufbauen oder die nutzen oder blablabla… .

Virgin sind Schweine. Sony sind Schweine. Es ist halt die Frage wo willst du anfangen. Willst du in den Supermarkt gehen und Nestle kaufen, was irgendwie eine ähnliche Sache ist in der du dich als Konsument entscheiden mußt, oder willst du nur im Bioladen kaufen oder willst du eine Liste von korrekten Produkten aufstellen, es ist ja nicht nur bei Musik so. Wir machen Musik, die auf Platte und CD zu hören ist, d.h. wir machen Musik, die vermarktet wird, eine Situaution in die sich jeder begibt, der sich entscheidet eine CD aufzunehmen, unabhängig davon ob er nun bei einem großen oder kleinem Label ist.

Die, die so eine Underground-Philosophie vertreten und daraus eine Identitätsstruktur ableiten, daraus ein geschloßenes Gebilde schaffen, das auf Aus- und Abgrenzung basiert, reproduzieren eigentlich genau die Strukturen, die im Mainstream funktionieren. Ohne diese Abgrenzung zum Mainstream wäre der Underground Nichts. Man muß nur einmal auf die Rhetorik achten, die Bands wie Consolidated verwenden.

Aber es ist noch mal was anderes Vertriebspartner der Böhsen Onkelz zu werden.

Hannes: Du gehst auch in den Supermarkt und kaufst Produkte für die Menschen in Lateinamerika ihr Blut lassen.

Auch schlecht.

Hannes: Dazu gehört aber grundsätzlich der Gedanke, daß man in diesem System drinsteckt und nicht im luftleeren Raum leben kann. Klar kannst du dir deine persönlichen Grenzen setzen, rauchst zum Beispiel keine Marlboro, was aber eigentlich auch scheißegal ist. Viel wichtiger ist es zu schnallen, wie das ganze funktioniert und, daß diese Pseudogrenzen zwischen Under- und Overground, zwischen Mainstream und Subkultur, auch im Endeffekt Polaritäten sind, die in der Logik des Systems liegen.

Aber wenn du immer nur das „Große“ siehst und nie bei dir selbst anfängst, kannst du gleich gar nichts tun.

Hannes: Wenn du das begriffen hast mußt du an bestimmten Dingen Widersprüche akzeptieren. Hätten wir jetzt zu unserer Plattenfirma, nachdem sie 80 000 Mark in unsere neue Platte gesteckt hat, sagen sollen, ihr seid jetzt bei Virgin, und wir wollen da nicht hin? Dann könnten wir aufhören Musik zu machen unsere Sachen packen und jeder wieder seine privaten Sachen unternehmen. Wir stehen als politische Band in einem Dilemma, weil wir gleichzeitig in kapitalistischen Strukturen drinstecken.

Alle politischen Bands die sich diesen Widerspruch nicht zutrauen und den wegkriegen wollen, sind absolute Witzfiguren, weil sie nämlich diesen kleinen begrenzten Raum, die eigene Szene, als das Paradies verkaufen, was natürlich nicht geht, weil die genauso verseucht ist, wie alles andere. Nur wenn man das dekonstruiert und in Frage stellt, kommt man weiter. Womit wir auch beim 2. Punkt sind, nämlich daß sich politisch durch unsere Texte nichts ändern wird, was uns auch klar ist.

Welches Ziel wollt ihr dann mit diesem Album erreichen?

Hannes: Eine gute Platte aufgenommen zu haben … .

Dazu müßtet ihr keine politischen Texte schreiben.

Hannes: Sie ist auch nur zufällig, weil wir politische Menschen sind, politisch. Politik spielt sich wo anders ab, nicht in einem virtuellen Popfeld. Denn du mußt dir eins vor Augen führen: Anarchist Academy sind Pop, nicht weil unbedingt Vermarktungsstrategien dahinterstehen, sondern weil Leute sich das anhören und das so konsumieren wie sie Bock haben.

Wir können uns nicht aussuchen wie die Leute uns finden und viel Leute finden uns einfach nur krass, weil es irgendwie radikal ist, und denken bei Anarchist Academy an den Antifa -Mythos, und vereinnahmen uns für eine Identitätsbildung, wie es auch in national-sozialistischen getan wird.

Schwenk zu Szenen im allgemeinen und zur HipHop Szene.

Hannes: Früher war es uns noch wichtig klarzustellen, daß wir nicht mit der Gitarre groß geworden sind. Heute bestehen wir eher darauf, daß wir mit Szenen allgemein nichts zu tun haben wollen und uns auch keiner Szene zugehörig fühlen.

Die Leute in der Hip Hop Szene sind sehr jung, sind unheimlich fixiert und dieses HipHop Community Geschnack funktioniert nur solange jeder das Maul hält und alle auf Friede, Freude Eierkuchen machen. In dem Moment, wo du anfängst das mal in Frage zu stellen oder zu kritisieren flippen die Leute aus.

Bomber klinkt sich ins Gespräch ein.

Bomber: Die sind es gewöhnt das irgendwelche speichellekenden respektzollenden Asis hinter ihnen herkriechen. Die können sich ihren Respekt sonstwohin stecken.

Verbalgewalt. Hannes wieder.

Hannes: Die Hip Hop Szene ist sehr nach Hierachie aufgebaut und solche Begriffe wie Ehre, Respekt und so führen natürlich dazu. Da die Toys, tausende von Toys, die rappen, aber nicht so gut rappen können, die malen und nicht so gut malen können, die breaken aber nicht so gut breaken können, und hier die Kings, die schon lange dabei sind, die man dann mal kennenlernen darf und die echt voll nett waren und blabla. Teilweise wirklich sektenmäßig.

Hier der Guru der kann alles und solange du mitspielst fällt dir das auch überhauptnicht auf und wenn du gewohnt bist dich unterzuordnen, und vom sportlichen Aspekt bringt einem Breakdance auch was, aber wenn du am Lack kratzt flippen sie aus. In der Konkret habe ich im Februar über den unverantwortlichen nationalistischen Sprachgebrauch in deutschen Hip-Hop Lyrics geschrieben.

Beispiel?

Hannes: Tatwaffe, Die Firma, „Mit Blut und Schweiß bedeckt, gottverdammt wir verdienen Respekt, weil jeder einzelene von uns dreien weiß, daß er ohne den anderen nur ein Scheißdreck wert ist“ oder „Das Blut auf meiner Fahne“.

Die Respektmeierei?

Hannes: Ja. Wie Rammstein, die meinen das auch nicht so.

Rammstein unterstützen diesen Eindruck zusätzlich durch ihre Show.

Hannes: Rammstein werden gerade über die Lyrics … . Es wird gesagt das Rammstein eine vereinnahmbare Sprache besitzen, sie sprechen in ihren Texten so, daß es auch Faschisten hören können.

Ich denke, daß kein Faschist Tatwaffe hört.

Hannes: Vielleicht weil Tatwaffe noch nicht so bekannt ist. Wo ist bei Tatwaffe und ähnlichen sprachlich der Punkt, wo du sagst, daß sind Sachen, die kann ein Faschist gar nicht gut finden.

Tatwaffe würden darüber einen Text schreiben, doch Rammstein äußer sich gar nicht dazu.

Hannes: Tatwaffe und Co äußern sich auch nicht zu dem Thema. Deine Reaktion ist auch wieder sehr prototypisch, weil in der HipHop- Szene wird immer so getan als ob dieses ganze Gelaber von Stolz, Ehre und Respekt harmlos sei, als ob es mit der inneren Battle Kultur zusammenhänge, als ob Hop Hop gar nicht rassistisch oder nationalistisch sein könnte, da er ja von „den Schwarzen“ kommt. Frag mal Advanced Chemistry.

Deadly: „Hat Scope schon direkt zu mir gesagt.“
„Es geht um die Naivität der Szene.“

Vielleicht scheinen sie auch nur so naiv zu sein und drücken ihre Zweifel weg?

Hannes: Was ist weniger gefährlich? Die Gefahr liegt darin, daß diese ganzen Ehre, Stolz, Respekt und harte Arbeit-Metaphern…

Minderwertigkeitskomplexe?

Hannes: Die Rapper die heute so eine Battlekultur haben stellen sich auf die Seite der Gewinner, der Herrschenden…

Oder sie wollen die Herrschenden sein.

Hannes: Sie sind zwar weder Rassisten, noch Faschisten, noch sonst irgendwas in der Richtung, sind unpolitisch. Es ist ihnen überhaupt nicht klar, was sie machen. Es gibt zwei Arten mit der Hip-Hop Szene umzugehen, entweder du battelst die an, mit ich hab den besseren Style, den besseren Skillz u.s.w., gehst nicht auf die inhaltliche Ebene, oder du mimst den Sozialarbeiter sowie du, der alles entschuldigt, als ob es minderbemittelte, naive Kindergartenkinder wären.

In dem Moment wo einer eine Platte veröffentlicht nehme ich ernst was der sagt, setze mich damit auseinander. Und wenn der dann zu mir sagt, daß sind doch nur Raptexte, was interpretertierst du denn da was rein, das soll doch gar nichts bedeuten, ist der Typ für mich ein vollkommener Idiot.

Sowas entsteht doch eigentlich nur wenn jemand nicht weiß was er erzählen soll, weils…

Hannes: Ja, klar. Das muss man den Leuten doch vorn Latz knallen, muß man thematisieren.

Das wissen sie doch selber.

Hannes: Vergiß es. Das weiß keiner, das wissen nur Leute die sich damit auch auseinandersetzen, weil sie auch noch andere Szenen kennen, auch noch andere Musik hören. Aber die, die nur die Hip-Hop Szene kennen, die haben ihre Idole, da klopst du wenn du ihnen einen Vorwurf machst auf Granit, da versteifen sie sich total.

Was für Vorwürfe?

Hannes: Zum Beispiel ihr denkt überhaupt nicht drüber nach wie ihr mit Sprache umgeht, ihr wißt überhaupt nicht wie eure Sprache vereinnahmt werden könnte. Das bestimmte rhymes von euch auch für Faschisten oder Jungunternehmer unheimlich gut kommen. So Leute wie Firma, La Familia und Ruhrpott AG vertreten eine knallharte kapitallistische Arbeitermoral. Jeder muß hart für sein Ding arbeiten.

Wie früher (?) im Hardcore.

Hannes: Weiß ich. Wie sich das ähnelt.

Was willst du gegen die Ahnungslosigkeit unternehemen?

Hannes: Entweder die Fresse halten oder sie an den Punkten berühren, wo sie sich ärgern, was interessanter ist.

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Interview/Text: Sebastian Unsinn

Links (2015):
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