September 29th, 2007

Kolumnen Dolf, Jan, Stone (#122, 02-2007)

Posted in kolumne by jörg

DOLF

Wenn jemand sagt er brauche Liebe, meint damit aber nur das er seinen Penis irgendwo parken will – dann ist das eine Lüge und ein Betrug. Nicht mehr in der heutigen Zeit, heute nennt sich das “Marketing” – so neu ist das auch nicht, aber es wird halt auch nicht besser. Also, besser wird es schon, aber eben leider nur das “Marketing”.

Es ist ja schon lange klar das die meisten der Leute einfach das tun, was sich gut verkauft – eben aus dem Grund, weil es sich verkauft und erst sekundär weil sie es tun wollen. Gibt es da draussen noch Leute die das machen was sie wollen, primär und erst sekundär ans Geld verdienen denken? Es ist ja verständlich, jeder braucht die Scheiss Kohle um zu überleben, noch viel wichtiger ist die – auch nicht neue – Erkenntnis das: “Leben braucht Leben um zu Leben.”

Aber, unterscheidet der Mensch sich dann nicht mehr vom Tier, wenn er “alles” macht, nur um zu überleben? Wenn er das eine vorgibt nur um das andere zu erreichen? Wir sind auf dem besten Weg dahin. Sieh mal genau hin. Aber, ich kam vom Thema ab. Es ist immer schwieriger rauszufinden aus welchen Beweggründen Leute das tun was sie tun. Sagen wir mal so, ich kann mir nicht vorstellen das der Hardcore Veganer im Schlachthof (damit meine ich natürlich einen Fleischverarbeitungsbetrieb, nicht eines der vielen Kulturzentren….) arbeitet. Weil es eben seiner überzeugung widerspricht (wahrscheinlich gibt es ein paar, die es damit begründen sie müssten ja Geld verdienen….).

Aber es ist vorstellbar und nicht nur das, sondern Realität, das viele Leute “gute” Dinge tun, obwohl das gar nicht das ist was ihnen am Herzen liegt – es ist letztendlich nur Mittel zum Zweck. Eben um Geld zu verdienen. Generell finde ich es ja auch besser wenn sich die Leute überlegen wie sie mit “guten” Werbeargumenten an die Kunden kommen, als das es ihnen scheiss egal ist und sie mit Pestizid verseuchte Baumwolle die von Kinder unter unmenschlichen Bedingungen zu Kleidung verabeitet wurde verscherbeln wollen. Nur, wo führt das hin? Wenn die Leute ihre Leben nicht mehr aus überzeugung führen, sondern weil es Profit bringt? Oder ihre überzeugung der Profit ist.

Dann ist es irgendwann auch egal ob der Pulli aus öko-Baumwolle ist, oder aus Juden/Neger/Deutschen-Haaren, nur eine Frage der Nachfrage des Marktes. Ich mein, klar, wenn jemand “irgendeinen” Job macht, um Kohle zu verdienen und nur deshalb, kein Thema, schlimm genug. Wenn aber dieser Job oder eben die Ware die hergestellt wird als was anderes verkauft wird, als der Grund warum sie so produziert wird… – ich dreh mich im Kreis. Ich finde es einerseits ok, andererseit total für den Arsch.

Dürfen Leute bei Greanpeace arbeiten die auch mal ein Wal-Fillet geniessen wollen? Können Leute wirklich nachhaltig für Windenergiefirmen arbeiten, die dort nur ihren Job machen? Auf Dauer ja, wenn die Kohle stimmt, auf Dauer nein, weil das Ziel immer auf Kosten des Profits gehen wird.

Es ist ja schon lange so in der Punk/Ha(haha)rdcore-Szene und auch in der vermeintlichen “Anti-Kultur/Produkt” Szene, aber ich wollte es hier einfach nochmal gesagt haben, weil – es ist ja auch so, das viele Leute über diese Dinge noch nie nachgedacht haben, obwohl darüber schon lange nachgedacht wird.

Wir sehen uns dann auf der “Ethical Fashion Show” in Paris…. die gibt`s wirklich! Und nicht vergessen, nur weil “wir” (also damit meine ich auch “euch”) noch nicht in den Abgrund oder wahlweise den Haufen Scheisse reingefallen sind, heisst das noch lange nicht das er nicht da ist und vor allem “wir” nicht kurz davor stehen…. wartets ab, ihr werdet es miterleben, auf die eine oder andere Art.

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JAN: “It’s the same old story. Boy finds girl, boy loses girl, girl finds boy, boy forgets girl, boy remembers girl, girl dies in a tragic blimp accident over the Orange Bowl on New Year’s Day.

Es gibt Widersprüche, die zu der menschlichen Natur gehören – egal, ob in der Steinzeit oder in der Zukunft. Und es gibt Widersprüche, die abhängig von dem ökonomischen System sind, in dem die Menschen leben. Zu der ersten Form von Widersprüchen, also die, die zur Natur des Menschen gehören, gibt es viele Beispiele, auf ein paar ist Gastkolumnist Parkinson in der letzten TRUST-Ausgabe eingegangen; mit der Geburt kommt der Tod, mit der Erfahrung kommen die Fehler, je mehr man weiss, um so weniger versteht man.

Oft drückt der so genannte Volksmund so etwas recht “short and pregnant” aus. Bei allen Sachen ist es ja so: erst kommt die Idee, dann die Existenz: bevor man einen Tisch baut, macht man einen Plan. Und ohne Plan drauf los zu zimmern, ist ja eben auch ein Plan. Nur beim Menschen ist es anders: erst kommt die Existenz, dann die Idee, der Plan. Manchmal heisst es, eigentlich heisst es sogar sehr oft so, “mit ein bisschen gesundem Menschenverstand kann man das und das schon verstehen”. Ja, der gesunde Menschenverstand, was soll das sein? Fressen und ficken?

Schon klar, es ist so etwas wie eine Alltagslogik und etwas mehr als der überlebensinstinkt gemeint, die einem angeblich über vieles hinweghilft nach dem Motto “Das sieht doch jeder”seltsam nur, wo kommt der her, ist der irgendwie neu oder gibt es den schon seit 2000 Jahren? Der gesunde Menschenversand würde einem doch klar sagen, wenn man am Meer steht und an den Horizont blickt, dass die Erde eine Scheibe ist. Ich meine, verstehst du das mit deinem gesunden Menschenverstand mit der Ebbe und mit der Flut und den Anziehungskräften und so weiter? Der gesunde Menschenverstand hilft einem vielleicht dann, wenn man in einem AJZ pennt und nachts auf Klo muss, aber selbst das kann er noch nicht mal.

Das würde weiterhin bedeuten, dass die christliche Kirche sich im Mittelalter eines gesunden Menschenverstandes bedient hatte bei den Verbrennungen von Menschen, die doch darauf beharrt haben, dass die Erde eine Kugel ist und nicht im Mittelpunkt des Sonnensystems ist? Aber der Kirche bzw. dem Vatikan, der als erster Staat 1932 Nazideutschland als Staat anerkannt hatte, kann man mit dem Wort Verstand nicht kommen, gerade der Glaube ohne Beweise ist doch wieder was schön Widersprüchliches oder? Das Wort Religions “wissenschaften”, was soll das denn sein?! Was für ein Unfug. Religion ist ein Unterfach der Germanistik, Abteilung Märchen, Mythen und Vampirgeschichten. Ok, schon klar, irgendwie ist das natürlich auch kompliziert, letztendlich ungelöst, mit der Entstehung von allem: Urknall rules okay, aber das aller allererste Teilchen oder Atom, wo kam das her?

Aus dem Nichts? Von Gott? Aber wer erschuf Gott, der Meta-Gott? Und den? Fuck intelligence design, fuck Religion, aber trotzdem glaube ich an Ausserirdische, jetzt nicht in Zusammenhang mit der Weltentstehung, aber so generell. Gibt ja Menschen, die glauben zu wissen, dass die ägyptischen Pyramiden vor 2000 Jahren durch Ausserirdische gebaut worden sind. Natürlich Quark, aber trotzdem interessanter Punkt: wenn man sich die drei Gizeh-Pyramiden anschaut, was für eine Erkenntnis gibt einem das:

Bewunderung für die kunstvolle Bauweise der menschlichen Zivilisation oder ein abschreckendes Beispiel aus der Frühzeit von unmenschlicher Sklaverei und Menschenvernichtung durch Arbeit für das Grab eines Königs im Namen von irgendeiner seltsamer Mythologie? Natürlich kann man für die zur menschlichen Natur gehörenden Widersprüche auch die Wissenschaft bemühen, und gross etwas von Psychologie, Erkenntnisgewinnung, Verdrängung vs. Erkenntnis, neues vs. altem faseln.

Wichtiger ist es, diese Form von Widersprüchen nicht zu verwechseln mit den von Menschen gemachten; z.B. eben jenen in unserem Gesellschaftssystem in Deutschland. Wobei es oft schwierig ist, beides so analytisch voneinander zu trennen, weil sie sich überlagern, z.B. Liebe. Liebe ist ein Urthema des Menschen und wer mal verliebt in einen Menschen, in eine Idee, in seine Eltern, in seine Freunde etc ist, weiss, dass es viele verschiedene Arten von Liebe gibt, und das Liebe und Hass oft sehr eng beinnahe liegen und Liebe in Hass umschlagen kann. So weit, so gut.

Liebe als existenzielles menschliches Thema, voll mit Widersprüchen, muss im Kapitalismus noch mal ganz anders betrachtet werden: da die Menschen ständig in Konkurrenz gegeneinander stehen müssen, sich ständig gegen den anderen behaupten müssen, im Freundeskreis, vor den Geschwistern, und gerade bei der Arbeit grösstenteils das Funktionieren wie ein Automat gefragt ist, ist Liebe zwischen zwei funktionierenden Automaten-Menschen noch mal ein gesonderter Widerspruch. Ich meine, ich fände es wirklich prima, wenn die gesellschaftliche Ideologie – born, work, breed, die, oder Lohnarbeit, heterosexuelle Ehe mit Kindern – wenigstens funktionieren täte, aber das Gegenteil ist richtig. Schlägt man den Lokalteil seiner Zeitung auf, muss man echt verzweifeln: wie viel Hass muss in den Menschen stecken, damit Meldungen wie “Mann verbrennt seine Frau und seine Kinder” entstehen?

Oder wenn man die Geschichten von Bekannten seiner Eltern mal hört, wie das da abgeht zwischen Ehepaaren! Wie krank werden die Menschen, die in einem kranken System leben, wo der Profit und nicht der Mensch im Mittelpunkt steht! Man könnte leicht denken, dass “die Liebe” das Problem ist, dann hört man so einen Quatsch wie “Männer und Frauen passen einfach nicht zusammen”, dabei gibt es immer zwei Ebenen:

Liebe im Kapitalismus (die Entfremdungsproblematik, nach der die Menschen eben nur Anhängsel des Profits sind, dadurch sich von der Arbeit entfremden, dadurch von sich selber und letzten Endes auch von den Mitmenschen, muss da kurz erwähnt werden und natürlich das Ausspielen der zwei Geschlechter gegeneinander) und Liebe als allgemeines Thema des Menschen zu allen historischen Zeiten. Nach diesem Rückblick nach vorne zurück zu anderen Widersprüchen.

In der letzten Zeit hörte man oft den Begriff Korruption. Stereotypisch werden einem da direkt Bilder mitverbreitet, nach der es wohl Korruptionsindizes gäbe, Wirtschaftskorruption auch in westlichen Demokratien grossen Schaden hervorrufen kann, aber Korruption doch mehrheitlich in asiatischen, afrikanischen oder mittel- bzw. lateinamerikanischen Ländern zu finden ist. Diese Erkenntnis macht stutzig: denn sie ist falsch bzw. wurde ein elementarer Teil nicht weitergegeben: kann ja sein, dass man in Osteuropa oder in Afrika jede Menge Bakschisch für Bauaufträge oder Firmenniederlassungen oder einen sicheren Standstandort abdrücken muss.

Aber: woher soll das Geld denn kommen in was weiss ich, Burma, einem der ärmsten Länder weltweit? Wer hat denn Geld ausser Europa, Nordamerika und Japan? Ihr habt doch bestimmt schon mal was von dem Kommunikationsmodell gehört, also ein Modell, was erklären soll, wie menschliche Kommunikation funktioniert: es gibt einen Sender und einen Empfänger.

Genau so bei der Korruption: woher kommt denn das Geld, mit dem die Behörden, der Staat, die Wirtschaftskonzerne usw. da “unten” bestochen werden? Wohl kaum aus dem Land selber. Man muss aber nicht nach Burma schauen, um sich der Widersprüche im kapitalistischen Deutschland bewusst zu werden. Es ist doch tatsächlich ein Witz: Anfang Dezember 2006 hat das Bundesdeutsche Sozialgericht festgestellt, dass der Hartz 4 Satz von 345 Euro nicht zu wenig sei, d.h. das man davon ein Leben führen kann.

Sagten sie und verspeisten dann zu Mittag nach der Urteilsverkündung in der Gerichtskantine mal eben einen Prälatenteller mit Sättigungsbeilagen für das Budget, mit dem ein Hartz 4 Empfänger seine Ausgaben für Gesundheitsartikel und kulturelle Ausgaben decken muss. Parallel wird im Vodafone/Mannesmann-übernahme-Prozess ein interessantes Urteil gefällt: Ackermann und Co. kommen mit einer Geldstrafe davon, und werden so von dem Vorwurf der Veruntreuung frei gesprochen, unter anderem mit der Begründung der “Prozessökonomie”, von der man vorher noch nie was gehört hat, nach der das Verfahren ja schon so lange gedauert hätte, und eine grosse Belastung für die Beteiligten darstelle. Und was ist eigentlich mit Peter Hartz von ex-Volkswagen los, kommt da noch ein Verfahren oder bekommt der auch eine Geldstrafe? Wie war das mit Helmut Kohl und seinem Ehrenwort in der CDU-Schwarzgeld-Affäre?

Die Verteilung von Geldstrafen an die, die davon genug haben, ist fast so beliebt wie die Verteilung von Geldstrafen an die ohne Geld; so passt auch gut die Meldung von Mitte Dezember 2006 hierein, dass der Idiot von den Baby Shambles “nur” zu einer Geldstrafe verurteilt wurde, weil die bei ihm gefundenen Mengen an Kokain, Heroin und Crack zu einer Haftstrafe nicht ausreichten. Ist klar, jeder kennt doch irgendwie Leute (oder Geschichten davon), die mit Haschisch im zweistelligen Grammbereich, ja, Haschisch, und der Typ hat Heroin und Crack, aber eben “auch nur” im Grammbereich, an der holländischen Grenze festgenommen wurden, und Bewährung oder direkt Knast bekommen haben. Und der hat nur ne Geldstrafe wegen zu wenig Heroin?

Natürlich wird hier mit zweierlei Mass gemessen und natürlich ist das alles schon längst bekannt, dass die Gesetze eben nicht neutral sind, sondern Klassenjustiz. Klar, kann man ruhig noch mal bringen, das nette Zitat des französischen Schriftstellers Anatole France aus dem 19. Jahrhundert, nach dem “Das Gesetz in seiner grossen Weisheit es Armen und Reichen gleichermassen verbietet, unter Brücken zu schlafen.”

Nach dem wir das alles so schön erkannt haben, uns darauf geeinigt haben, dass wir uns durch die offenkundige Idiotie im Kapitalismus nicht idiotisch machen lassen, weil wir wissen, warum das alles so idiotisch abläuft – im Kapitalismus wird Geld gegen Ware getauscht, um am Ende mehr Geld als vorher zu haben, d.h. der Mehrwert oder platter gesagt, die Gewinnmaximierung, ist Sinn der Warenproduktion -, also nach dem das geklärt ist, bleibt natürlich eine Sache offen: wenn wir wissen, warum das ganze falsch läuft, wenn wir dazu noch wissen, dass wir das ändern können, denn schliesslich sind die durch den Kapitalismus entstehenden Widersprüche ja kein Naturgesetz, sondern von Menschen gemacht und auch nur von ihnen veränderbar, ja, was machen wir jetzt?

Eine Punkband gründen, um gegen das System zu rebellieren, mit Leuten Theke im AJZ mitmachen, Sponti-Protest der 68er in das Jahr 2007 übertragen, bei einem Fanzine mitmachen, also den Weg des irgendwie- kulturellen Widerstandes bzw. bei einer Form von kulturellen Protest mitzumachen, hin und wieder ein Benefiz für die Antifa machen, um sich einen politischen Anstrich zu geben? Klar. Ein anderer Weg ist natürlich, oben gesagtes zum Ansporn zu nehmen, anderes zu wissen, anderes zu lesen, anders zu diskutieren und den Marx-Spruch von der elften Feuerbachthese ernst nehmen: “Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, aber es kommt darauf an, die Welt zu verändern.” Wobei das eine das andere ja nicht ausschliesst.

Immer diese Widersprüche: einerseits sagt man, dass der Mensch eben ein Gewohnheitstier ist und sich an alles gewöhnt – aber wird alles zur Gewohnheit, dann langweilt er sich. “Die richtige Mitte finden” oder “Von allem ein bisschen” heisst es dann altklug, aber dann kommt wieder der Einwand, dass es da manchmal nicht geht; ein bisschen schwanger sein, ein bisschen KZ-Architektur zu bewundern, ein bisschen Aids. Schwierig! Haben sich schon viele Menschen den Kopf zerbrochen. Ich kann da jetzt auch nicht mehr viel machen. Lasst euch nicht fertig machen!

Zum Schluss ein schöner Text von den Rich Kids on LSD: “Think I care about what is happening? Sure I do, but I’m still laughing. World problems. We all care. But has this rage got us anywhere? No! Keep a grin! Think! Think Positive! Sure, we’ll sing about all our crying, unnecessary death and violence. Do you think your negative attitude, Is gonna give a starving man, A plate full of food? No! Keep a grin, Keep Laughing! Ha, ha, ha.haut rein, gebt Gas, meldet euch! Macht euch nicht zum Clown, aber werdet auch nicht arrogant.

An den RKL “Keep laughing”- Text musste ich in letzter Zeit sehr oft denken: ich meine, was macht man, wenn man Probleme auf der Arbeit mit seiner Chefin hat? Klar, man wehrt sich, aber man muss eben auch eine Menge an Stress runterschlucken bzw. im Kopf verarbeiten und da passt das Lied vom Text her nicht ganz, aber es zeigt einem doch eben auch, dass der Mensch.generell.vor allen im französischen Existenzialismus.die russische Literatur handelt ja eben auch…TodLiebePlaymobilFischstäbchen.

Jan

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Der zärtliche Zyniker

Dass ich so lange in diesem Rahmen nicht von mir hören liess, hat so profane wie unangenehme Gründe. Angesichts allgemeinerer überlegungen, habe ich mich entschlossen, ein Studium mit Lernziel Lehrer aufzunehmen. Das kostet mittlerweile Geld, und selbst, wenn es das nicht täte, müsste ich arbeiten, um meine Rechnungen zu zahlen. Das geht jetzt seit ein paar Monaten eher schlecht als recht. Mir kam es schliesslich nicht ohne Grund vor, als müsste ich sowieso schon zu viel arbeiten.

Nun kommt also noch regelmässige Anwesenheit in überfüllten Hörsälen dazu, gelegentliche damit zusammenhängende Heimarbeit und ein erhöhter Erholungsbedarf, dem ich unsachgemäss zu begegnen neige, indem ich mir eine nette Zeit mache. Ich habe eine alte Freundin wiedergetroffen, mit der ich einiges zu bereden habe. Ich habe auch noch ein paar alte Freunde. Und eine prickelnde neue Bekanntschaft gab es auch. Und da bleibt dann einiges auf der Strecke. Weshalb ich beispielsweise alle Vernunft fahren liess, als am ersten Weihnachtsfeiertag ein besonderes Konzert lockte.

Für meine Verhältnisse zeugt es schon von grossem übermut, wenn am nächsten Morgen jemand anruft und meine Studentenmonatskarte gefunden hat, die ich irgendwie herausgekramt und nicht wieder an ihren Ort getan haben muss. Ich war betrunken. Ich weiss auch noch das meiste. Ich weiss, dass ich irgendwann in der Hocke die Balance verlor. Ich weiss, dass irgendwann meine Aussprache verwischte. Ich muss dazu aber sagen: Es war ein denkwürdiger Anlass. Das lässt sich gar nicht anders sagen.

Und wenn es auch so sein mag, dass man dazu irgendwie selbst mal im Zentrum der Peripherie wesentliche Aspekte seiner Zeit abgedeckt hat. Das alte Wehrschloss am Osterdeich hört auf, das zu sein, was uns immer wieder dorthin zog. Eine Zeitlang war ich in etwa täglich dort, probte, schaute Kottan, spazierte hinaus, feierte in den Fundamenten des Wehrs Partys, das dem Schloss, das eigentlich keines ist, seinen Namen gab, einst Lebensmittelpunkt also, wie es so schön heisst.

Was war geschehen? Die Stadt will sparen, weshalb sie Jugendfreizeitheime privatisiert. Die Zukunft des Hauses ist somit ungewiss. Eine der Bands, die dort noch einen Proberaum hatte, hat sich schon eine neue Bleibe gesucht, die anderen haben eine Gnadenfrist bis Ende 2007. Konzerte? Man weiss es nicht. Deshalb wurde zum “Letzten Hemd” geladen.

Und Party Diktator spielten an diesem Abend zum ersten Mal seit zehn Jahren wieder zusammen, sieht man mal von jenem ebenfalls einigermassen legendären Abend vor etwa sechs Jahren ab, als sich die alten Recken von meinem alten Freund Jochen verstärken liessen. Mal ehrlich: Die waren Anfang der Neunziger nunmal eine der heissesten Bands around.

An jenem Abend waren sie zwar nicht so gigantisch gut wie sie es manchmal sein konnten, damals noch mit ihrem ersten Schlagzeuger, aber das war auch nicht zu erwarten. Genug, dass sie ohne Umschweife ihre beständige Form erreichten, die sie in den letzten Jahren ihrer Bandexistenz erreicht hatten. Leute habe ich da gesehen, die ich ungelogen seit zehn Jahren nicht mehr gesehen hatte. Seltsame Deja-vus. Es war laut, es war böse, es war gut.
Ich beschliesse, ein Buch zu schreiben… Aber wann? Vielleicht später?

Dann eben noch die anderen Dinge. Mein Herz lag eine Weile waidwund offen – durchaus nicht nur unangenehm, intensiv, aber verletzlich. Ich höre diese paar Platten, ihr könnt ahnen welche. Ich stehe auf einem Konzert von Home Of The Lame und weiss nicht: Ist es der Tresen, der mich aufrecht hält? Ist es der Rotwein, der – ein ums andere Glas – in mich tritt? Sind es diese Songs, die so nah dran sind an mir, weil ich sie nicht nur schon so oft gehört habe, sondern weil ich weiss, wovon sie handeln, von wem. Und weil sie ebenjene romantischen Saiten anstossen, die alsdann zu vibrieren beginnen.

Ein Romantiker. Gnadenlos zuweilen. Andererseits und zugleich fühle ich mich ausgebrannt, kann mich nicht auch noch mit den Grillen anderer beschäftigen als derer, die mir nahe und lieb sind. Und kann mich kaum genug konzentrieren, um hier meine Gedanken stringent aufzuschreiben. Schreibe zwischendurch irgendwas über Musik – gern durchaus – oder schaue zum dritten Mal in dieser Stunde nach, ob sie mir geschrieben hat. Oder lese ein paar Zeilen über Schulnoten, nicht fürs Leben, sondern für die Schule.

Am einfachsten ist es noch, wenn ich mit anderen Menschen zusammenbin. Wie vorhin, als ich mich mit einem alten Bekannten traf und ein paar Songs schrieb, was beinahe erstaunlich gut ging. Sich in romantischen Bildern ergehen, ist eben auch von Vorteil, wenn man einen Liedtext schreibt. Meine Stimme ist noch ein hörbares Stück davon entfernt, wirklich gut zu klingen beim Singen. Aber das kann schon schnell wiederkommen.

Dann wie gesagt ist klar, was passieren muss, auch wenn ich reizbar bin, offen. Meine Liebste schreibt mir aus der Ferne. Ich sitze bei der Arbeit und kann jetzt nicht weinen. Aber verdammte Scheisse… Wie hat sich unser Verhältnis verändert. Es hätte sich unter anderen Umständen gewiss auch verändert, hat, wie es mal eine Freundin bei solchen Gelegenheiten sagte, “seine Konjukturen” – aber so?

Eigentlich hatte ich hier etwas über das vermeintliche Bildungsdefizit “unserer” Politiker schreiben wollen, das Dolf im letzten Heft anprangerte (das aber keines ist, weil die auf eine Weise sehr wohl und genau wissen, was sie da warum tun, und das ist eben die Konsequenz aus ihrem Standpunkt des – professionellen – Nationalismus, weshalb ihre Beschlüsse und Handlungen eben zu all den Unannehmlichkeiten führen, die Anlass zu solch einer Tirade gewesen sein werden). Auch das so eine Diskussion, für die ich gerade keine Zeit habe. Ich merke meinem Körper an, was ich ihm antue.

Es ist Sonntag, kurz vor Redaktionsschluss. Morgen weckt mich (hoffentlich…) um sechs der Wecker. Ich werde die englische Sprache unterrichten, danach mehrere Seiten mit Ankündigungen kultureller Ereignisse des Februars füllen, Ausstellungen, Opern, Schauspiel. Ich gehe gern ins Theater. Eine der überraschenden Annehmlichkeiten eines meiner Jobs. Hier mischt sich privates Interesse mit dienstlichem. Abends treffe ich mich mit meiner universitären Arbeitsgruppe – wir wollen “The Wall” von Pink Floyd sehen.

“On and on it’s just another brick in the wall” – keine besonders ausgefeilte Kritik am Bildungswesen, aber eine irgendwie doch sympathische. Und dann – geile Ironie – frage ich mich, wie ich in meiner Freizeit die Arbeit für die hier im Hause geplante Themenausgabe zum Thema Arbeit und Freizeit (das Konzept ist ein Hammer, wartet’s nur ab!) besorgen soll…

Letzte Nacht habe ich schlaffe fünf Stunden geschlafen, um heute einen jener mehr oder weniger 10-Stundentage zu durchstehen. Weshalb ich meine Verabredung zum Musikmachen abgesagt habe (Hey, ich habe wieder angefangen, Musik zu machen – immerhin!). Weshalb ich mich aber jetzt auch mal von diesen Mitteilungen verabschiede und sie an euch sende – vielleicht sehen wir uns, irgendwann da draussen.

stone

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