Februar 18th, 2007

PAPERCHASE (#104, 02-2004)

Posted in interview by sebastian

Hide the kitchen knives!

Diese Drohung ist wörtlich zu nehmen, denn wer das Album der Texaner anhört, wird konfrontiert mit verstörenden Texten und Tönen. Gleich zu Beginn deutet der Song „I did a terrile thing“ nichts Gutes an.

Er möchte ihre Haare vom Baum herunterhängen sehen und schliesslich soll Gott allen vergeben. Die Band macht neugierig. Im Telefoninterview sprach Anna-Lucia mit John Congleton, Frontman von the Paper Chase.

I did a terrible thing – out come the knives

testament der seele

Gleich der erste Satz lässt nichts Gutes erahnen. The Paper Chase meinen es ernst. Todernst. „Hide the kitchen knives“, Lass` nichts achtlos herumliegen. Und versteck ja die Küchenmesser, wer weiss, was sonst damit passiert.

Das ist eine Kampfansage in Tritunus. Zwischen Dur und Moll liegen auch The Paper Chase und ihre tobenden Töne und das dissonante furchterregende Klavier. Leiden und leiden lassen? Nicht bei the Paper Chase.

Sie zerstückeln dich, dich und deine Intrigen. Sie nehmen sie fein auseinander, messerscharfe Analyse, Bluttropfen rinnen brustabwärts. Denn sie treffen – mittendrin und sie lassen es dich fühlen, deine Schuld, die mich in Mitleidenschaft zieht. Dieses Leiden erweckt mein Leben, und all meine Emotionen geraten in Wallungen.

Wut kommt hoch, kaum zu bändigende Aggressionen und Hassgefühle. Ich verliere die Kontrolle über mich selbst. Der Körper bebt. Heiss – Kalt. Schweiss bildet sich, läuft über die Stirn und kullert als salzige, schwere Träne unter das Auge. Die Sicht ist verschwommen. Ich bin vollkommen desillusioniert. Destruktion und Rachsucht lähmen das Denkvermögen.

I had built a monster worse than me, and worse than you. And i have become such an ungrateful man. I like to whisk you all away with my terrible mind.

Und man wird weggefegt, ja. Die treibenden Drums, die ziehenden Gitarren, und John Congleton mit seiner schmerzerfüllten Stimme, die Wut und Angst miteinander vereint, zieht dich mit in seinem Bann. The Paper Chase zerren dich mit allen Mitteln in die Tiefen deines Bewusstseins – ohne Skrupel und Schuldgefühle und du kannst nicht entkommen. Sie tragen dich fort, peitschen mit dem tosenden Klavier hinterher unter Obhut der verzerrten Gitarre. This is the new noise.

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Aus Texas stammt die Band, „einem der konservativsten Staaten Amerikas, dem, der Georg Bush und Lindon B. Johnson hervorgebracht hat.“ Aber eben auch The Paper Chase, eine Band, die sich nicht in drei Sätzen beschreiben lässt. „Ich denke, dass ein Staat wie Texas eine grosse Vitalität in den Bands dort erweckt und es eben viele gibt, die sich der Lage gewachsen zeigen und härter kämpfen und wirklich an ihre Musik glauben. In Texas gibt es viele unglaubliche Bands.“

Ist diese ausgeprägte Musikszene das Ergebnis der Umstände eines verklemmten mittelständigen Lebens? „Die stärkste Kunst- und Musikszenen, die ich je gesehen habe, waren immer an den sehr konservativen Orten, denn die Leute, die Kunst machen wollen, kommen mit viel Energie zusammen. Wir sind aus Dallas, drei Stunden von Austin entfernt, so viele Bands von dort erhalten gerade viel Aufmerksamkeit: Trail of dead, Spligges and Skie, Spoon, Basycalli. At the drive in, ein weiteres Beispiel aus Texas“.

Und da sind The Paper Chase. Die experimentierfreudigere, gemeinere Variante, die Angsteinflössende, mit Messerschleifen – Samples, unterlegt mit dissonatem Klavier und überleitend mit Trailer, ob Maschinengeräusche oder Messerklingenschleifen. Diese Geräuschkulisse erzeugt die grausigsten Gedanken.

So gleichen die Songs Horrorfilmszenen in ihrer Düsternis, Unvorhersehbarkeit, Undurchdringbarkeit und den erschreckenden Momenten. Im Booklet ängstigen Abbildungen von Negativauszügen mit Messermotiven, die auf Delikte schliessen, die nicht mehr mit dem gesunden Menschenverstand nachzuvollziehen sind. Wozu kann ein Mensch fähig sein? „In den Songs geht es um die Faszination, was eine Person und dessen Körper und Verstand durchmacht.“

Es geht dabei viel um Hass. The Paper Chase ziehen dich hoch und holen dich wieder runter. Die Songs handeln von Enttäuschung, Betrogen werden, der Wahrheit und der Verlogenheit. Das gebrochene Herz wird wieder zusammengeflickt, zusammengeschustert. Und es pocht, es pocht lauter, es schreit auf.

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I m gonna get ya, there is no escape those eyes that follow me so tell me where you were last night sweetheart don`t lie to me. And there is no cadence from what i could release; a nest of viper on your face so now it`s on your knees. So now it`s on your knees and there is no escape.

Rachegefühle durchziehen das Album. An dem Gerücht, dass John zur Zeit der Aufnahme eine Trennung durchlebte, wie die amerikanische Presse das gerne hinstellen wollte, ist nichts dran. „Das ist einfach nicht wahr“, sagt John. Trotzdem ist Vertrauen zentrales Thema und schliesst doch mit ein, dass er oft Enttäuschungen erlebt hat. „Ja, aber nicht mehr als andere. Das ist etwas, das ich kanalisiere. Viele schreiben gerne über Liebe, und es ist einfach darüber zu schreiben. Es wurde oft gebraucht und ich möchte nicht darüber schreiben. Auf „Hide the kitchen knives“ ist die Aussage, dass sich im Endeffekt alles nur um Freundschaften dreht und dass man sich nicht an seine Freunde verraten soll. Genauso sollten die Menschen mehr in sich hineinhorchen; die Welt wäre um einiges besser, wenn die Menschen Gott in sich selbst und nicht ausserhalb suchten. Dieser extern ausgeübte Gottesglaube ist nur eine andere Form der Massenkontrolle. Jeder ist zu sehr mit dem Externen beschäftigt und dabei handelt es sich um eine Illusion, meines Erachtens nach.“

Trotz offener und klarer Kritik verbergen sich christliche Symbole und Andeutungen auf dem Album: Jesus und seine Brüder auf der Cd und der Schriftzug God forgive us all im Booklet und als Sampler, eingebettet zwischen zwei Songs. „Ich bin damit aufgewachsen und werde immer eine christliche Schuld mit mir tragen.“ I tried so hard to be good – i really did… kommt es aus dem Off, der runtergepitchten Stimme folgt Messerschleifen. Die Schneide muss spitz sein, schliesslich soll sie tief treffen. Was ist das für ein Mensch, der derartige Texte schreibt und singt, die an die Niere gehen, ja, die jedes einzelne Körperteil durchdringen in ihrer Eindringlichkeit und Morbidität? John sagt ganz klar, dass „es einen Unterschied gibt, zwischen dem was man sagt und tut.“

Und ist der Ansicht, dass jeder fähig sei, diese Art von Musik zu machen, wie sie es tun. „Es kommt darauf an Seele zu haben und Leidenschaft zu spüren, wovon eben viele sich abhalten lassen und eben nicht spüren. Ich weiss nicht, wie es in Deutschland ist, jedenfalls bin ich in einem typischen amerikanischen Vorort aufgewachsen, wo die Leute dazu erzogen werden, sich nicht auszudrücken. ‚Das ist ein schlechtes Gefühl‘, ‚das ist ein böses Wort‘. Man wird dazu erzogen nie das zu sagen, was man wirklich denkt. In der Schule saugen sie dein Leben aus und entziehen dir jegliche Leidenschaft. Du willst einen Abschluss machen, gehst zur High School, du gehst zum College, wo sie damit fortfahren, dir Moral zu predigen. Oder du arbeitest in der Fabrik, wo du Angst hast, dass du dein Gehalt nicht bekommst, weil du von Krediten lebst. Du nimmst dir nie die Zeit, um zu realisieren, dass du ein Mensch bist, dass du fühlst und dass in dir Leidenschaft ist. Ich denke, jeder hat es in sich, viele wissen nur nicht damit umzugehen.“

The Paper Chase sträuben sich gegen jegliche Konformität, widerspiegelnd in ihrer Musik, die sich nicht einkasteln lässt. Wie ein trotziges Kind, so beschreibt ein Freund bildlich die Band, das schreit, solange, bis es endlich bekommt was es will. „Ich hab mich nie hundertprozentig mit allen Dingen wohl gefühlt, eher war ich immer etwas empört über Dinge, vor allem über die Leute, denen ich mich anvertraute. Oder aber auch immer noch über die Gesellschaft, die amerikanische Regierung, was auch immer. Wenn ich ein Leben hätte, das in keinerlei Bezug zu anderer Leute Leben stünde, nein, dann würde ich nicht derartige Musik machen, dann würde ich wohl dämliche Popmusik produzieren.“

Songzeilen wie I m a swinging axe, i`m a a baseball bat lassen konkret auch auf eine Form der Hilflosigkeit schliessen. Ein Wunschdenken aufgrund gegensätzlicher Gefühle? „Nein, da ist schon Wahrheit, das ist nur ein Teil von mir, denn ich bin nicht 24 Stunden am Stück die selbe Person, noch nicht einmal fünf Stunden am Tag. Es ist ein Gefühl, das meiner überzeugung nach aus jedem rauskommen kann. Ich glaube nicht, dass ich unbedingt anders bin.“ Seine eigene Musik hört er nicht an. „Ich kann nicht glauben, dass so was aus uns `rauskommt, wir sind nur abgeklärte Jungs, ich kann es nicht glauben, dass wir dafür verantwortlich sind.“

Sie lassen kein gutes Haar an ihrem Vis-a-vis. I wann see your hair hanging down the tree. Lässt sich die Band als verrückt abstempeln? Zumindest bestimmt nicht der Norm entsprechend. Mit 16 litt John an Panikattacken. Geprägt davon ist auch der Vorgänger, ihr Debüt „Young bodies heal quickly, you know“. Wovor hat jemand Angst, der selbst derartig furchterregende, aber gleichzeitig auch befreiende Musik macht? Ein tiefer Atemzug folgt. „Wow. …Ich habe Angst vor dem Leben, ich war schon immer eine nervöse Person und kann nicht so gut mit Stress umgehen wie andere. Ich habe Angst davor, dass es mich eines Tages überkommt und ich nicht mehr das machen kann, was ich will und dass ich der Feind werde, den ich sehe.“ Entstehen die Songs in Momenten solcher ängste? „Ich muss nicht in eine bestimmte Stimmung sein. So Songs können auch entstehen, wenn ich guter Laune bin. Wie fühlt es sich für dich an, wenn du unsere Musik hörst?“

„Ich habe das Gefühl wirklich zu leben.“ erwidere ich. The Paper Chase ziehen dich runter und fangen dich wieder auf. Das Herz fängt an zu rasen und du fürchtest, gleich in Ohnmacht zu fallen. Schräge Gitarrenakkorde, dunkelgetönte Streicher werden aufgehoben durch Harmonienwechsel. Das Klavier klingt mehr und mehr versöhnlich. Und dann folgt darauf ein mehrstimmiger Refrain, i know you get what you deserve. Man hat sich beruhigt, man ist wieder zu sich gekommen. Kurz vor knapp, beim letzten Drittel des Albums. So, how goes the good fight.

Und welche Musik berührt ihn zu welchen Momenten? „Meine Emotionen diktieren nicht die Musik, die ich hören will. Ich habe da eine Theorie über gute Kunst: Es ist schwer zu beschreiben, was gut und schlecht ist, trotzdem würde ich sagen, dass gute Kunst diejenige ist, die bei dir mehrere Emotionen auf einmal hervorruft. Wenn ich Tom Waits höre, ich liebe Tom Waits, fühle ich mich glücklich und traurig, beängstigt und aufgeregt zugleich. Und ich weiss nicht, was ich am meisten fühle, das ist es, was gute Musik ausmacht: Wenn du viele Gefühle auf einmal empfindest. Es gibt viele Bands, die dich nervös, fröhlich oder traurig machen, aber die beste Musik ist, denke ich, diese, die alle Emotionen vereint. The Paper Chase sind das Testament der Seele. Daher kommt auch der Name: Ein Ausdruck in Amerika für die gegensätzliche Anklagen, das ständige Kämpfen. In den USA gibt es das grosse Problem, dass viel zu viel Wert auf Besitz gelegt wird. Ja, das sind materialistisch Bessene und ich finde das grausig und traurig.“

Um auf Neuerscheinendes zu sprechen zu kommen: „Das nächste Album wird auf das tibetische Buch vom Leben und Tod basieren.“ (Anm. der Verf.: Und das ist auch gleichzeitig das Buch, welches ihn die letzten zwei Jahre beschäftigt hat.) „Ich lese einiges gern, keine Fiktionen, ich bin fasziniert von der Geschichte und so.“ Und sonst beschäftigt sich John Congleton eben mit Musik. „Jeden Tag mache ich Musik, ob es nun meine oder die anderer ist.“ Als Produzent hat er bereits (um das mal am Rande zu erwähnen) mit Erikah Badhou gearbeitet und mit R Kelly – worauf er nicht wirklich stolz ist. Aber auch das brilliante, low-fi daher kommende neue Album „The raging Sun“ der skandinavischen Band Logh, zum Beispiel hat er gemischt. „Wenn ich nicht an Musik arbeite, bin ich zu Hause, lese Bücher, schaue Filme an. Ich gehe nicht gerne aus, bin gerne zu Hause, eine sehr introvertierte Person würde ich sagen.“ Die Geigen bekommen ihren Soloeinsatz gepaart mit gospelanmutendem Chor. Die Gitarren und das Schlagzeug sind verstummt. Die Ruhe vor dem Sturm. Der nächste kommt bestimmt.

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Interview: Anna-Lucia Lauto

Links (2015):
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