März 16th, 2007

PROPAGANDHI (#117, 04-2006)

Posted in interview by jörg

Ganz ehrlich – als die Veröffentlichung der neuen PROPGANDHI Platte „Potemkin City Limits“ angekündigt wurde war mir das ziemlich egal. „Less Talk More Rock“, die zweite Platte der Band, hatte einen festen Platz in meinem Herzen.

Grossartige Texte, die richtige Mischung aus Punkrock und Melancholie und die sich sehr gut ergänzenden Stimmen von Chris und John K. Samson. Den es dann aber zu noch ruhigeren Gefilden zog – den WEAKERTHANS.

Ersatz war bei PROPAGANDHI schnell gefunden: Todd, der Sänger/Gitarrist von ISPY. Wieder eine meiner erklärten Lieblingsbands. Ich erwartete viel und wurde schwer enttäuscht…“Today`s Empires, Tomorrow`s Ashes“ war zwar textlich und spielerisch brilliant, langweilte mich aber vor allem in der zweiten Hälfte mit gesichtslosem Hardcore Punk der unorginellen Sorte.

Ich weiss nicht warum, aber „Potemkin City Limits“ packte mich dann doch ab dem dritten Hördurchlauf und lässt mich seither nicht mehr los. Unmengen an Text (die eigentlich unsingbar sein sollten…) werden zu unkonventionellen, aber doch eingängigen Politrockstücken.

Ein gut gelaunter Jord (Schlagzeug) stellte sich meinen Fragen. Er war sehr mitteilsam und – trotz der Menge an Informationen die er gerne in eine Antwort packt – sehr humorvoll. Ich habe versucht das durch die bekannten „(lacht)“ Anmerkungen einfliessen zu lassen, bin aber kläglich gescheitert….

***

Es hat ja wieder einige Jahre gedauert, bis euer aktuelles Album fertig war. Gibt es da längere Zeiträume an denen Ihr überhaupt nicht an neuen Liedern gearbeitet habt? Oder war das ein permanentes Arbeiten über fünf Jahre hinweg?

Jord: Hm, etwas von beidem. Wir als Band touren für einen gewissen Zeitraum nachdem ein Album veröffentlicht wird. Jetzt nicht in dem Ausmass wie andere Bands – im Vergleich sind wir eher kurz unterwegs. Aber wir versuchen dann immer Lieder zwischen den Touren zu schreiben. Wir landen dann aber meist an einem Punkt an dem wir uns wirklich nur noch auf das neue Album konzentrieren wollen.

Aber andere Projekte stehen dann oft auch im Weg: Todd macht viel Kampfsport und arbeitet ausserdem bei mehreren politischen Projekten mit. Chris ist noch immer sehr in unser Label G7 Welcoming Commitee involviert. Das sind die Dinge die uns neben der Band beschäftigen, aber sobald wir in diesen Hiatus übergehen ist es immer so das wir genug Inspiration haben, um uns in dem Rahmen weiterzuentwickeln wie wir uns das vorstellen. Als wir „Today`s Empires“ aufnehmen wollten hab ich mir erstmal das Bein gebrochen, dann gab es beim Aufnehmen verschiedene Technische Probleme…

Diesmal war`s wieder ähnlich – es war sehr schwer einen gemeinsamen Termin mit unserem Tontechniker zu finden, der das Album aufnehmen sollte. Er ist übrigens der Livemischer von NO MEANS NO was es nicht gerade einfacher gemacht hat. Die Zeit verflog und ich hatte oft das Gefühl das wir das niemals fertig kriegen.

Dafür ist es aber ein grossartiges Album geworden! Kannst du mir ein bischen was über eure Einflüsse erzählen? Es klingt meiner Meinung nach stellenweise sehr nach den Achtzigern. Aber nicht nur 80`er Punkrock sondern auch nach 80`er Pop Musik – bei „Die Jugend Marschiert“ klaut ihr ja schamlos bei „Boys Of Summer“, oder?

Jord: ähh – wir haben hier und da natürlich wieder ein paar Sachen „ausgeliehen“…Es ist interessant das du auch dieses „80`s Feeling“ vermittelt bekommst. Denn in den letzten Jahren habe ich durch meine Arbeit mit G7 und dem tieferen Einblick in die Musikindustrie fast komplett das Interesse an aktueller Musik verloren. Meine alte Plattensammlung begeistert mich immer mehr.

Die Sachen die mich zum Punkrock hingeführt haben aber auch andere Platten aus der Zeit… Ich denke, das ich in den letzten drei Jahren fast keine neue Musik mehr gehört habe, sondern mich nur mit meinen alten Platten beschäftigt habe.Ich denke schon das sich dieser Einfluss bemerkbar macht.

Das ist jetzt nicht gerade die aufregendste Frage, aber kannst du mir den Titel eures Albums erklären – was sind „Potemkin City Limits“ ?

Jord: Die wörtliche Bedeutung geht auf die russische Zarenzeit zurück. Dieser Typ namens Potemkin war damals dafür verantwortlich entlang eines Flusses künstliche Dörfer aus Holz und Pappe zu bauen. Wenn dann ranghohe Persönlichkeiten zu Besuch kamen konnten sie sich anhand dieser Retortenstädten vom Fortschritt und der Verbesserung der Lage der russischen Landbevölkerung überzeugen.

Und diese Kulissen konnten dann blitzschnell abgebaut und weiter unten am Fluss wieder neu aufgestellt werden. Und nun haben wir auf der ganzen Welt diese Riesenstädte, die ebenfalls den Eindruck von Fortschritt und Wohlstand verbreiten sollen. Die Illusion und die Globalisierung, die neue Welt Ordnung von George Bush und anderen Führern der Welt, diese Plattformen für „Demokratie“ und „Freiheit“ die sie auf der ganzen Welt errichten wollen…

Es ist für uns ein Aufruf hinter diese Auftürmung von Scheisse zu blicken und die Realität zu erkennen, die ziemlich erbärmlich ist. Ich denke auch das wir schon dabei sind permanenten Schaden und Zerstörung auf der Welt zu hinterlassen. Und das es an der Zeit ist endlich was dagegen zu unternehmen.

Ist das für dich das Grundthema das sich durch die gesamte Platte zieht?

Jord: Wir haben all diese Mythen aufgebaut…Nord- und Südamerika sind auf dem Genozid der Ureinwohner aufgebaut worden, aber das scheint niemand zu interessieren. Unsere Geschichtsschreibung ignoriert das fast vollkommen! Diese Probleme – Genozid, Holocaust auf der ganzen Welt – wir machen einfach frische Farbe drauf und niemand scheint sich mehr dafür zu interessieren.

Wir greifen in die Politik dieser extrem armen Ländern wie Haiti oder Irak ein, um sicherzustellen das wir weiterhin ihre Rohstoffe und billigen Arbeitskräfte ausbeuten können. Und das im Namen von Freiheit und Demokratie! Ich denke das das Zerstören dieser Mythen – das diese Aktionen in irgendeiner Form legitim und gerecht sind – das Grundthema des neuen Albums ist.

Als ihr mit der Band begonnen habt – warst du überzeugt du würdest im Laufe der Jahre grössere positive Veränderungen sehen?

Jord: Oh Mann, das ist eine sehr schwere Frage… Ich bewahre mir immer ein kleines Stückchen Hoffnung. Erinnere dich nur an die Zeit vor dem 11. September zurück. Diese junge, aktive Anti-Corporate / Anti-Globalisierungs-Bewegung wurde selbst weltweit aktiv und vernetzte sich. Wir hatten die WTO Proteste in Seattle und Quebec.

Und die Dinge entwickelten sich sehr positiv, ich war richtig begeistert! Und dann kam der 9/11 und sie schafften es die Aufmerksamkeit von Problemen wie der Globalisierung auf diesen „war on terrorism“ zu lenken. Aber niemand machte sich die Mühe herauszufinden wem diese Medien gehören und welche Rolle die Besitzer am Zustand unserer Welt spielen. Auf der anderen Seite – wenn ich gerade sehe wie die Leute darin interessiert sind unsere Umwelt neu zu gestalten… Das ist glaube ich auch gerade unsere wichtigste Aufgabe.

Denn wenn wir keine Welt mehr haben, in der wir leben können sind die anderen Probleme zweitrangig. Wir erreichen da gerade einen sehr kritischen Punkt. öl wird bald ausgehen und wir haben nicht wirklich viel getan um uns mehr um erneuerbare Energieformen zu kümmern. Wie auch immer. Ich denke wir haben das Wissen, wir haben die Technologien – wir müssen nur damit aufhören sie für militärische Entwicklung zu nutzen und sie in etwas wirklich fortschrittliches zu verwandeln.

Aber würdest du mir zustimmen wenn ich sage das euer neues Album wesentlich zynischer und abgeklärter ist als die vorher gegangenen?

Jord: Ich verstehe das die neue Platte nicht besonders positiv ist, aber ich möchte auch nicht zu diesem negativen Grundgefühl beitragen das alles sinnlos ist und wir nichts gegen dieses ausser Kontrolle geratene System tun können. Aber es muss sich auch jeder aktiv beteiligen und nicht nur T-Shirts mit Slogans tragen, Lippenbekenntnisse abgeben und alle vier Jahre zur Wahl gehen. Politischer Aktivismus muss etwas alltägliches für uns werden! Sozusagen ein richtiger „Lifestyle“.

Um auf die Grundstimmung des Albums zurück zu kommen: Ich denke das viele Texte auf alle Fälle wesentlich komplexer sind. Speziell „Less Talk“ hatte ja diesen sehr positiven, etwas simplen Ansatz. Aber ich denke das es diesmal darum geht, dass wir es um jeden Preis schaffen müssen einige wirklich radikale und fundamentale Veränderungen zu machen. Textlich schreiben Todd und Chris diesmal auch mehr metaphorisch, es ist für Leute die englisch lediglich als Zweitsprache sprechen bestimmt oft nicht so einfach zu verstehen.

Da ihr ja als Band teilweise bis zu fünf Jahren an einem Album arbeitet: Habt ihr nicht manchmal Angst das manche Texte bei Erscheinen schon wieder veraltet sein könnten? Und ändern sich Texte bis die Platte erscheint?

Jord: Ja, es gibt da viele änderungen, bis hin zur letzten Minute. Für mich ist Musik keine statische Sache und für eine Band wie uns trifft das noch mehr zu. Wenn du ein Album kaufst ist das eine sehr statische Repräsentation von Musik. Eine Momentaufnahme über den Zustand einer Band an einem ganz bestimmten Punkt.

Für mich entwickelt Musik sich jedoch immer weiter und ich hatte immer ein Problem damit Musik so zu belassen wie sie einmal aufgenommen wurde. Ich will Dinge immer ändern wenn wir uns auf`s Live spielen vorbereiten.

Versucht ihr dann jetzt eure Texte allgemeiner zu halten um sie davor zu schützen zu schnell veraltet zu sein?

Jord: Ich kann jetzt nicht für Todd und Chris sprechen, aber ich denke sie haben einen guten Job gemacht und die Texte poetischer gestaltet. In der Vergangenheit war das nicht immer so und wir haben in der Richtung vielleicht die grössten Fortschritte gemacht.

Wenn z.B. einer der beiden eine weitere Textzeile einfügen will werden wir die Musik ändern um das zu ermöglichen. Die Musik richtet sich bei uns sehr nach den Texten, auch die Länge und der Rhythmus der Songs wird den Texten angepasst.

Ich finde es auch immer extrem beeindruckend wie viel Text ihr in ein Lied packt. Es wiederholt sich auch kaum eine Zeile, trotzdem ist die Platte sehr eingängig.

Jord: Ich denke das unser neues Album sich auch nicht beim ersten Mal hören erschliesst. Normalerweise bemühen wir uns nicht viel Hooks oder eingängige Refrains einzubauen. So ist es auch für die Leute fordernder, die normalerweise sehr simpel arrangierte Musik hören.

Hast du eigentlich deinen Eltern mal eine PROPGANDHI Platte vorgespielt?

Jord: Sie bekommen von allem was wir veröffentlichen ein Exemplar.

Und wie waren ihre Reaktionen? Also wenn ich mir vorstelle meinen Eltern ein Platte in die Hand zu drücken auf der ich Songs wie „i fuck to cum“ spiele…

(lacht) Als wir unsere Release Show in Winnipig gespielt haben kamen meine Eltern und wir haben das Lied gespielt. Aber ich habe nichts zu verstecken, wir spielen unsere normales Set und sie sollen auch sehen um was es mir geht – die vollen 100%. Als wir dann auf Tour gingen spielten wir Todd`s Heimatstadt und seine Eltern kamen vorbei. (lacht)

Und direkt vor der Show kam er zu uns und meinte „wir können „Fuck To Cum“ nicht spielen, meine Mutter ist da draussen!“ (lacht). Jedes mal wenn ich während der Show auf die Setlist schaute und dieses Lied war durchgestrichen… Ich hatte viel zu lachen, war aber auch etwas sauer weil wir es vor meinen Eltern schon gespielt haben (lacht).

Schön das selbst eine Band wie ihr Probleme dieser Art hat… In den Linernotes spricht Todd ja viel von Naturverbundenheit. Ihr nehmt ja auch oft Bezug zur den Ureinwohnern Amerikas. Interessiert euch auch die spirituelle Seite des ganzen? Ich spreche in dem Fall auch gar nicht von organisierter Religion, sondern ob ihr mittlerweile ein Interesse für eine eher persönlichere Form von Spiritualität entwickelt habt. Todd macht ja auch viel Kampfsport, was ja auch oft eng mit spirituellen Ideen zusammenhängt… Yoga oder auch Meditation?

Jord: Ja, Todd macht viele dieser Dinge… Das ist für mich persönlich auch eine sehr interessante Frage, da ich römisch-katholisch erzogen wurde und ich für viele Jahre zur Kirche ging. Meine Eltern gehören eher zum liberalen Flügel der Katholischen Kirche (lacht) – oh mann es hört sich ziemlich idiotisch an so was überhaupt zu sagen (lacht). Ein absoluter Widerspruch in sich… Egal, aber wenigstens hat diese Art von Erziehung viel moralisches Denken und Handeln bei mir gefördert. Und das schon in sehr jungen Jahren.

Zum Beispiel das meine Eltern Geld für ein Waisenhaus in Haiti gespendet haben. Ich habe mich im Alter von neun Jahren aber auch schon gefragt warum wir nicht diese ganzen blöden Statuen in der Kirche verkaufen und ihnen dann dieses Geld schicken. Mittlerweile bin ich aber wirklich ein ziemlicher Agnostiker bzw. Atheist und ich denke das organisierte Religion über die Jahrhunderte ein sehr hilfreiches Werkzeug in den Händen jener waren, die Macht hatten. Religion ist auch nichts was ich irgend jemanden nahe legen würde. Nachdem das aber gesagt ist:

Sich in einer aktiven Community zu bewegen und sich mit Unterdrückten Menschen zu solidarisieren… ich würde fast sagen Solidarität mit anderen Menschen ist meine Form der Spiritualität und ich denke das dies vielleicht sogar der Kern von Spiritualität ist. Hoffnung, Solidarität, Tierrechte und all das sind keine Dinge die man für sich selbst macht – du tust es um die Welt um dich herum zu verändern. Mir fehlen da ein bischen die Worte um meinen Standpunkt in der Hinsicht zu erklären…. Was Yoga angeht: Mein Körper fällt langsam auseinander und ich fühle mich viel, viel besser seit ich Yoga mache.

Wie alt bist du?

Jord: Ich bin jetzt 35.

Gab es für euch eigentlich einen Punkt an dem ihr realisiert habt das PROPGANDHI mehr ist als ein paar Kumpels die zusammen Musik machen? Das Leute plötzlich an dem interessiert sind was ihr zu sagen habt?

Jord: Wir haben hier als kleine Band aus Winnipeg angefangen, die sehr stark von den politischen Punkbands inspiriert war, die es in dieser Stadt in den Achtzigern gab. Wir wollten so was wie die lokale Version der DEAD KENNEDYS oder CORROssION OF CONFORMITY sein. Und als dann durch GREEN DAY und NIRVANA das Interesse von grossen Konzernen an dieser Art von Musik wieder grösser wurde waren wir 1992 die Vorband von NOFX.

Mike startete damals sein Label und er wollte wohl auch eine Kanadische Band dabei haben und packte ein Demo von uns ein. Und als er sich dann bei uns meldete, um uns unter Vertrag zu nehmen, merkten wir das mittlerweile ein grosses Interesse an dieser Form von Punkrock entstanden war. Wir waren halt zu dieser komischen Zeit am richtigen Ort, als uns diese Möglichkeiten geboten wurden.

Schafft ihr es von der Band euren Lebensunterhalt zu bestreiten? Ich frage weil ihr ja über lange Zeiträume kaum präsent seit…

Jord: In den Zeiträumen in denen wir Platten veröffentlichen und Touren geht das auf alle Fälle. Man muss aber auch sagen das wir auf alle Fälle in einer der billigsten Gegenden von Kanada leben. Es ist eine sehr kalte, isolierte Stadt mit sehr billigen Mieten… Wir sind ja auch bloss ein Trio, d.h. wir müssen die Einnahmen nicht durch so viele Leute teilen wie andere Bands.

Ich geh jetzt auch mal davon aus das ihr nicht zehn Manager und anderes Zeug habt das bezahlt werden will…

Jord: Für diese Tour haben wir jetzt einen Tourmanager, der aber auch ein sehr alter Freund von uns ist. Wir bemühen uns mit Leuten zu arbeiten die einen ähnlichen Hintergrund haben wie wir. Wir können uns und die Crew recht ordentlich bezahlen wenn die Band aktiv ist. Wenn die Platte aber nicht jetzt erschienen wäre hätte ich mir irgendeine Arbeit suchen müssen, das ist sicher.

Vor ein paar Jahren hattet ihr ja den Ruf sehr schwierige Interviewpartner zu sein. Ihr habt z.B. mit Magazinen wie VISIONS nicht gesprochen weil sie Tabakwerbungen im Heft hatten. Wie handhabt ihr das mittlerweile?

Jord: Wir haben was diese Sachen angeht keine konkrete Linie. Ich denke das es sehr gefährlich ist mit den grossen, abhängigen Medien zu reden. Aber auch wenn wir mit vielen Independetmagazinen reden, wissen wir nicht was am Ende abgedruckt wird und wie unsere Ideen repräsentiert werden.

Wir haben im Umgang mit Medien auch nicht so viel Erfahrung und ich weiss auch nicht genau wie wir uns selbst darstellen sollen. Besonders schwierig ist es wenn Leute überhaupt nicht wissen wo wir herkommen und welche Art von Band wir sind. Aber zu dem Thema: Als das Album letzte Woche rauskam haben wir viel mit der lokalen Presse gesprochen.

Und diese beschissene, konservative Zeitung, die sich hier als Vertreter der „nomalen Arbeiter“ darstellt, wollte mit uns reden. Wir haben uns entschlossen das Interview zu machen und sie haben meinen Slogan „Kanada raus aus Haiti“ abgedruckt und das war es mir schon wert. Ausserdem konnte ich auf eine Website hinweisen, auf der man sich detailierter über Kanada`s Einflussnahme dort unten informieren kann.

Und das ist jetzt nur ein sehr kleines Beispiel wie man seine Botschaft unter die Leute bringen kann. Aber wir entscheiden das wirklich von Fall zu Fall. Bei diesen Dingen gewinnt man, manchmal verliert man. Das ist ein schwieriges Thema, da wir als Individuen diese Themen auf eine anständige Weise in die öffentllichkeit bringen wollen.

Mit dem Interview das wir jetzt gerade führen – ist das für dich jetzt mehr Arbeit, die man einfach macht weil eben eine neue Platte draussen ist? Oder macht es dir Spass über dich und deine Band zu reden?

Jord: Ja, das ist auf alle Fälle auch eine Form von Arbeit, aber wir sind auch eine Band die einfach etwas zu sagen hat und wir wollen das Leute unsere Perspektive verstehen. Das ist ja auch eine grosse Motivation für uns, um Platten zu veröffentlichen. Wenn wir die Chance haben um mit Leuten zu reden, will ich diese Möglichkeit auch nicht ungenutzt lassen.

In einem Lied von euch heisst es „Music is sacred – not something bought and sold“. Du hast ja selber mal ein Label mitbetrieben. Wie denkst du über Marketing und Werbung? Gibt es eine Art von Werbung die du für euch ablehnst?

Jord: Ich glaube wir haben erkannt das es eben ein fundamentaler Teil davon ist. Wenn man Platten veröffentlicht muss man einfach die Aufmerksamskeit der Leute darauf lenken. Aber die geschäftliche Seite unserer Band zieht uns sowieso immer etwas runter. Chris und G7 machen einen wirklich guten Job, wenn es darum geht sich in ihren Anzeigen über die Musikindustrie lustig zu machen. Ich weiss nicht ob du die Promofotos von Chris in unserer neuen CD gesehen hast?

Oh ja, das hab ich!

Jord: (lacht) Das sind alles Wege von uns mit dieser sehr dummen Industrie umzugehen. Dieser ganze „Corporate Punkrock“ und wie momentan jeder versucht über den anderen an die Spitze zu klettern und diese dummen Festivals die diesen nutzlosen Mist dieser Konzerne verkaufen, die ihre Arbeiter ausbeuten und die Umwelt zerstören… Das alles ist für uns echt ein grosser Witz.

Ich freue mich sehr auf die kommenden Touren, weil uns seit „Today`s Empires“ vieles klarer geworden ist was die Einmischung grosser Firmen in unsere Subkultur und auch was die Plattenindustrie angeht. Wir passen einfach nirgends dazu, wir sind nicht cool, es gibt kein einziges Piercing oder Tättowierung in unserer Band. Wir sind nur ein Haufen von Verlierern aus der Mitte von nirgendwo. Und das soll sich auch in unserer Bühnenshow etwas mehr niederschlagen.

Du hast ja schon im Vorfeld erwähnt das ihr im Vergleich zu anderen Bands nicht gerade viel tourt. Habt ihr eigentlich etwas dagegen? Und wenn ja: Wie schafft ihr es das Touren für euch erträglicher zu gestalten? Ich habe gehört ihr habt viele Day-Offs um regelmässig surfen zu können…

Jord: Um was zu tun?!?

Surfen!

(Schallendes Gelächter)

Jord: Fuck, wenn es einer von uns schaffen würde sich länger als eine Viertelsekunde auf einem Surfbrett zu halten wäre ich schwer beeindruckt! Wir haben uns viel Gedanken gemacht wie wir das Touren angehen wollen, wir sind jetzt alle Mitte Dreissig und unsere Körper erholen sich nicht mehr sooo schnell. Als wir in der Vergangenheit für fünf Wochen jeden Tag gespielt haben sind wir ziemlich schnell ausgebrannt.

Ich finde auch das die Songs ziemlich schnell langweilig werden, die Stage-Show wird sehr vorhersehbar. Diesmal mal spielen wir max. 15 Tage am Stück und wir werden sehen wie das läuft. Es ist finanziell gesehen auf alle Fälle nicht der schlaueste Weg das Touren anzugehen.

Was magst du denn daran am wenigsten?

Jord: Ich für mich persönlich mag das Touren und ich geniesse das Live spielen viel mehr als z.B. das Aufnehmen von Material im Studio. Ich finde den Aufnahmeprozess sehr stressvoll und statisch. Auf Tour gibt es Musik, man trifft Leute…Ich habe das Gefühl es geht mehr um eine fortschrittliche soziale Sache. Chris dagegen hasst die Reisezeit, das eingesperrtsein und mit unserem Bassisten in einem Van zu sitzen, der dabei noch 99% der Zeit furzt.

Jeder ist in dieser Situation gefangen, in der man viel Kompromisse eingehen muss und wenig Kontrolle über seine eigene Zeit hat. Aber solange wir das auf eine absehbare Zeit beschränken sollte es gut laufen. Wir haben in den Staaten auch GREG MCPHERSON dabei, einen tollen Singer-Songwriter aus unserer Heimatstadt und dadurch haben wir viele Leute von zuhause mit auf Tour. Das sollte lustig werden, speziell wenn wir nach Kalifornien kommen. Denn unsere Heimatprovinz Manitoba ist so das ziemliche Gegenteil davon.

Ich hatte immer den Eindruck das ihr dieses sehr komische Verhältnis zu euren Fans habt. Einerseits diese totale Verehrung. Ich habe mal gesehen wie Leute deine Drumsticks klauen wollten und du ihnen durch den ganzen Raum nachgelaufen bist. Und dann diese ständigen Provokationen, wo Leute McDonalds Shirts zu euren Shows anziehen und euch ständig zwischen den Songs beschimpfen… Hat sich das in letzter Zeit geändert?

Jord: Ja und nein. Zu Beginn dachte jeder zu wissen, das wir diese humorlosen Vegetarier-Schwuchteln sind. Mir fällt eine Situation ein wo Leute im Publikum Kuhgedärme auf uns geworfen haben oder Typen im Mosh Pit mit USA Flaggen rumgelaufen sind – sehr bizarr! Als wir für „Today`s Empires“ getourt sind hatte ich damit gerechnet das wir es mit einem sehr angepissten Publikum zu tun haben würden. Aber das war wirklich nur sehr selten der Fall. Es war ja noch vor 9/11 und es gab dieses grosse Interesse an „Anti-Corporate-Politics“.

Unsere Buchstände waren immer voll mit Leuten, Aktivisten und Sprecher die wir mit auf Tour hatten wurden sehr interessiert und freundlich empfangen. überraschenderweise waren sehr viele Leute bei den Shows und haben sehr positiv auf alles reagiert, was wir zu sagen hatten. Aber jetzt sind die Umstände natürlich komplett anders und ich bin sehr, sehr gespannt was uns auf der USA Tour erwarten wird. Weisst du, dieses Punkrock Ding…Viele Leute denken es wäre Punk immer das Gegenteil von zu tun – egal um was es sich handelt. Solche Leute gibt es immer, aber das prallt komplett von mir ab.

Hast du selbst eigentlich eine Wunschvorstellung eures Publikums?

Jord: Wir versuchen unsere politische Meinung auf Tour zu vertreten. Alle aktivistischen Gruppen die wir mit auf Tour nehmen brauchen Unterstützung, egal ob es um Geld oder Mitgliedschaften geht. Das ist der Grund warum wir sie dabei haben und die Arbeit die sie machen ist die wichtigste die es überhaupt gibt. Ich denke sie helfen den Leuten dabei aus diesem Kreis auszubrechen… das man nur auf Konzerte geht, ein T-shirt trägt und das das Ende unseres politischen Aktivismus ist. Wir möchten Leuten helfen den nächsten Schritt zu machen und sich direkt an etwas zu beteiligen. Und ihnen die Möglichkeit geben, ihre direkte Umgebung aktiv mitgestalten zu können.

Und das Punkrock die Demokratische Partei in den USA unterstützt nützt niemanden, ausser das wir einen Riesenschritt zurück machen. Wenn Leute kleine Organisationen fördern, dann ist das eine Möglichkeit Menschen in ihrer nächsen Umgebung kennenzulernen und etwas positives zu unterstützen. Das ist es was die Leute hoffentlich von unseren Konzerten mit nach Hause nehmen. Das ihnen wenigsten ein Licht aufgeht und sie merken das es Dinge gibt die man ändern kann.

Wo wir gerade über die Demokraten reden: Hat sich euer Verhältnis zu Fat Mike und Fat Wreck Chords seit eurer Verbannung vom „Rock Against Bush“ Sampler verändert?

Jord: Nun, ich denke sie haben mit Punk Voter einen wirklich guten Job gemacht, als es darum ging Bush und seine ganzen bösartigen Aktionen blosszustellen. Aber sie haben leider auch einen guten Job gemacht, als es darum ging den Leuten zu sagen das sie nicht für die Grünen oder Ralph Nader stimmen sollen.

Und leider haben sie auch nicht die vielen extrem schlechten Seiten der Demokraten aufgezeigt! Denn Al Gore ist auch jemanden der den Krieg befürwortet und seine Partei auch nur ein Stück Scheisse. Das ganze hat unserer Beziehung auf alle Fälle geschadet. Wir haben einfach eine fundamental andere Einstellung manchen Dingen gegenüber. Geh doch mal zur Vans Warped Tour Homepage und schau dir eine Liste ihrer Sponsoren an!

Da geht es doch nur darum Produkte möglichst nah an einer kaufkräftigen Zielgruppe zu plazieren. Und Leute die sich Punkrock nennen schubsen sich gegenseitig aus dem Weg um diesen Waffen und Medikamenten herstellenden Firmen dabei zu helfen ins bewusstsein junger Leute einzudringen. Diese ganze pseudo-coole Szene ist so rückschrittlich, so fucked. Ich will dazu nichts mehr beitragen. Als wir das Album fertig gestellt haben hat Fat Wreck die ganze Produktion bezahlt und die Platte veröffentlicht. Und viele Leute dort haben so viel für uns getan und uns sehr unterstützt.

Aber von einem politischen Standpunkt aus gehen wir in sehr unterschiedliche Richtungen. Ich dachte und hoffte auch das sie nach der Wahl Punk Voter zu einer Anti-Kriegs-Organisation umwandeln würden. Und nicht Geld von irgendwelchen Reichen Arschlöchern nehmen und diese „irgendwie noch linke“ Gruppierung zu sein. Etwas radikales. Aber sie sind nicht radikal! Sie sind liberaler Mainstream. Aber zur Hölle – das sind nicht wir!

Aber es gibt immer noch eine gemeinsame Basis für eine Zusammenarbeit?

Jord: Wie ich schon vorher gesagt habe, wir gehen alles Schritt für Schritt an. Ich behaupte jetzt einfach mal wenn Fat Wreck Chords sich weiter in diese Pro-Corporate Richtung bewegen, diesen grossen Politikern weiterhin den Handschlag anbieten und mit amerikanischen Industrie-Grössen kooperieren… Ich denke sie tragen mehr zur Legitimation dieser Dinge bei als zu ihrem Sturz.

Ich bin keiner dieser „oh wir haben wenigstens ein besseres System als viele andere Leute, wir sollten uns glücklich schätzen, blablabla“ Typen. Wir sind nur aus einem Grund so privilegiert und zwar weil wir jeden anderen unter der Sonne ausbeuten. Und deshalb schulden wir den Leuten auf diesem Planeten, das wir uns darum bemühen diese Ungerechtigkeiten abzuschaffen.

Irgendwie nehmen die Leute Punkrock, der in seiner Tradition gegen das System ist und berauben in von jeglichen Inhalt. Sie erlauben Konzernen sich dadurch „Coolness“ zu kaufen. Und viele Leute in der „Independent-Music-World“ sind bereit für Geld alles zu verkaufen und das sind auch die fundementalen Unterschiede zwischen uns und denen.

Die Warped Tour ist für euch also keine Option?

Jord: Nein, und es war auch nie eine. Ganz abgesehen das wir nie wirklich eingeladen wurden. Aber nimm dir mal ein paar Minuten Zeit und schau dir die Vans Warped Tour Sponsoren Seite an – du wirst überrascht sein!

Als ihr 2001 in Deutschland gespielt habt wurdet ihr ja wegen der Textzeile „Fuck Zionism“ als Anti-Semiten bezeichnet, die Show fast abgesagt. Wie habt ihr darauf reagiert?

Jord: Klar, wir waren sehr überrascht von der Sichtweise, welche die Leute von dem Problem hatten. Hier in Kanada ist es ähnlich: Wenn du hier etwas tust um dich für Palestina als Staat und Nation zu engagieren wirst du sehr schnell als Anti-Semit abgestempelt. Das passiert selbst Freunden von uns die jedes Jahr dieses sehr humanistische, sehr kritische Pälestinensische Filmfestival organisieren.

Sie versuchen dabei das Problem von beiden Seiten zu zeigen und sind ganz klar gegen diesen furchtbaren Krieg! In Deutschland wusste ich auch nicht wirklich wie ich damit umgehen sollte… Wenn du ein Konzert in einer Stadt gibst, bist du nur für sehr kurze Zeit dort. Und dann wurden wir mit diesem Fanzine konfrontiert, in dem wir ohne unser Wissen als Anti-Semiten gebrandmarkt wurden. Aber wir sind nicht Anti-Semitisch! Sind wir Anti-Zionistisch?

Das schon, denn für mich ist Zionismus in seiner Definition auch rassistisch. Wir sind auf gar keinen Fall dagegen das es einen Jüdischen Staat gibt. Aber ich denke das es Raum für beide Staaten gibt, um friedlich nebeneinander zu existieren. Ich bitte dich – schau dir die Leute an die in der ganzen Sache eine Rolle spielen! George Bush und Sharon – das sind für mich internationale Kriegsverbrecher. Die sollte man eigentlich aufhängen und ihre ärsche unter den armen Leuten aufteilen die sie ausgebeutet haben, um ihr Bankkonto noch fetter zu machen. Das ist krank!

Was mich ja stört ist das man entweder Anti-Deutsch oder Pro-Palästina sein muss. Und das beides dir auch sofort alle Antworten auf alle anderen Fragen im Leben gibt. Dieses schwarz/weiss denken nimmt für mich schon fast religöse Züge an.

Jord: Ja, es scheint wirklich sehr simplizistisch zu sein. Weisst du, das ist eine sehr bequeme Herangehensweise. Aber nachdem das gesagt ist – mir ist klar das dieses Thema in Deutschland noch komplexer und schwieriger ist. Aber wir wollen ganz sicher nicht das jemand da draussen denkt wir wären anti-semitisch, denn das sind wir einfach nicht. Interessanterweise gibt es hier in Winnipeg eine Jüdische Aktion die gleichzeitig sehr aktive Anti-Zionisten sind. Selbst Noam Chomsky denkt so und das ist nur einer von vielen Jüdischen Akademikern, der nicht damit einverstanden ist was dort passiert.

So meine Letzte Frage und dann hast du es geschafft… Was wird an PROPAGANDHI am meisten über- und unterschätzt?

Jord: Oh Jesus… Ich weiss auch gar nicht wirklich was Leute über uns denken oder sagen. Scheisse, ich häng jetzt richtig fest bei dieser Frage…

Kein Problem, wir können uns die auch schenken!

Jord: Nein,nein – ich denke das die Leute zu oft irgendwelche alten Lieder hören wollen. Ich möchte wirklich nicht das die Leute an „Ska Sucks“ denken, wenn sie sich irgendwann mal an uns zurückerinnern. Wenn du neues Material schreibst bist du davon begeistert. Du gehst auf Tour und die erste Frage ist „werdet ihr heute Ska Sucks spielen?“

Eine Sache die ich sehr enttäuschend fand als ich euch 2001 in München sah: Chris kündigte „Ska Sucks“ mit ungefähr den Worten an: „Wir hassen den Song, ich hoffe ihr schätzt es wenigstens das wir ihn spielen,blabla“. Ganz ehrlich – das fand ich dermassen lahm…

Jord: Ja, auf der Tour haben wir uns entschieden das Lied zu spielen und den Leuten einfach zu geben was sie wollen. In der Hoffnung das wenn sie diesen dummen, furchtbaren Song gehört haben sie dann den Rest des Konzertes mehr geniessen können und auch offener für die neuen Lieder sind. Einfach das ganze etwas positiver angehen und mehr auf das Publikum zugehen.

Tut mir leid, aber mit dieser Ansage hat er das doch genau das Gegenteil davon gemacht, oder?!?

Jord: Ja schon… Das ganze Lied hat so eine seltsame Geschichte… Als wir Todd den Song beibrachten musste ich fast kotzen weil es so dumm ist. Ich konnte es kaum glauben das wir dieses Stück Scheisse wieder ins Set aufnehmen. Dieser Song hätte eigentlich gar nicht auf der ersten Platte landen sollen, er hatte diesen sehr lokalen Bezug.

Da es zu dem Zeitpunkt hier in Winnipeg diese rechte Skinhead-Oi Szene gab, die aber noch so dumm war auf Reggae und Ska abzufahren. Als Fat Mike das Stück aber hörte wollte er es unbedingt auf dem Album haben, es war schon fast eine Pflicht um die Platte überhaupt auf Fat Wreck veröffentlicht zu kriegen. Wir haben nachgegeben und jetzt verfolgt es uns (lacht).

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www.propagandhi.com

Interview. Oise Ronsberger

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