März 16th, 2007

RIOT GRRRLS & LADYIZ (#116, 02-2006)

Posted in artikel by jörg

Woher sie kommen, was sie wollen und weshalb ihr „Sex“ was mit Musik zu tun hat und vielleicht auch umgekehrt.

Die Erzählung besagt, dass die Riot Grrrls ihren Anfang im Jahre 1990 in der Punkszene von Olympia/USA haben. Die Frauen wollen auch „do it yourself“ auf der Bühne stehen und nicht immer nur den Jungs da oben zuhören, wenn sie ihre Liebesschnulzen von sich geben und dazu angehimmelt werden wollen. Aus dieser Szene heraus entwickeln sich zwei Frauenbands: Bratmobile und Bikini Kill. Im Sommer 1991 findet in Olympia/USA die „International Pop Underground Convention“ statt.

Sie wird von dem Indie-Label K-records organisiert und es treffen sich eine Woche lang über 50 Bands. Von der Band Bratmobile wird innerhalb dieses Events eine „Girls-Night“ organisiert. „Revolution Girl-Style Now“ nennt die Band Bikini Kill ihr zweiseitiges Manifest, dass sie im Februar 1992 erarbeitet und veröffentlicht. Das Manifest soll für entstehende Riot Grrrl-Gruppierungen als Diskussionsgrundlage zur inhaltliche Ausrichtung dienen und dabei fortlaufend weiter entwickelt werden.

Bikini Kill beschreiben mit dem Manifest ihre eigene Vorstellung von feministischer Revolution und formulieren darin Ansprüche wie, Alternativen zu schaffen zur „beschissenen christlich-kapitalistischen Art, die Dinge zu tun“, sich „gegen den Seelentod zu wehren“ und „öffentlich zu schreien und zu heulen“, Bands zu gründen, Fanzines zu betreiben, sich gegenseitig das Spielen von Instrumenten beizubringen, ….(abgedruckt in Baldauf/Weingartner).

Die „Girls-Night“ hat zusammen mit dem Manifest eine starke Aussenwirkung. Innerhalb der folgenden zwei Jahren entstehen an vielen Orten in den USA (wie New York, Chicago, Philadelphia, Richmond/Virginia) kleine Riot Grrrl-Netzwerke. Diese entwickeln sich an öffentlichen Orten, wo sich College-Girls und High School-Mädchen regelmässig treffen und somit bereits soziokulturelle Gemeinsamkeiten aufweisen (Gottlieb/Wald). Durch die Kultur- und Klassenstruktur der Rockmusik und des Schulsystems bleibt Riot Grrrl jedoch ein weitgehend „weisses Ding“.

Der Begriff „Riot Grrrl“ wird von den Frauen gewählt, um sich gegen das unmündig machende „Girl“ zu wehren, „Grrrl“ steht für „Zähne zeigen“. Die Themen der Bands sind der alltägliche Sexismus, Vergewaltigung, sexueller Missbrauch und die Benachteiligung im alltäglichen Leben wegen der Geschlechterzuschreibung als „weiblich“. Weitere Bands der Anfangszeit sind Team Dresch, Sleater Kinney, Huggy Bear und Dickless.

Der Unterschied zwischen Frauen in der Musikgeschichte, die Riot Grrrl-Vorbilder sind, wie Kim Gordon von Sonic Youth und Pattie Smith und den Frauen von Riot Grrrl-Bands ist ihr Ausgangspunkt: während erstere als Musikerinnen begannen und in diesem Kontext feministische Positionen beziehen, beginnen letztere als genervte Frauen in der Musik ein Medium zu finden um ihre Inhalte sichtbar zu machen. Wobei die Haltung, sich nicht primär als Musikerinnen zu definieren bei den meisten Riot Grrrl-Gruppierungen dazu führt, dass sie auch Fanzines publizieren, Treffen, Selbstverteidigungskurse, Selbstfindungsgruppen, etc. organisieren (Weber).

Von Musikerinnen wie Björk, Laurie Anderson oder P.J. Harvey setzen sich Riot Grrrls in ihren Texten ab, indem sie sich explizit mit ihrer Existenz als Frau in einer „feindlichen Umgebung“ auseinandersetzen oder die Empowerment-Strategie des „do it yourself“-Konzepts zum Thema machen. „Suck my left one, Daddy“ von Bikini Kill bricht allein schon durch den Sprachgebrauch die Viktimisierung und macht klar, dass es nicht darum geht, sich über die alltägliche Scheisse zu beklagen, sondern eher darum, nicht mehr den Mund zu halten, stärker zu werden, offensiv zu sein, deutlicher zu werden und sich die eigene Sozialisation zusammenzubasteln.

Was der Riot Grrrl-Bewegung gelingt ist, das Thema „Sex & Music“ wieder als Diskussion in den weniger dumpfen Teil des Musikbusiness einzubringen. Rockmusik ist immer ein Teil des Spieles mit Geschlechterzuschreibungen, dass jedoch meist von den „boys“ gespielt wird. Dabei gibt es einige Ausnahmen, wie Madonna, die als durchsetzungsfähige Frau wahrgenommen wird. Und sogar im Reggae gibt es für Lady Saw durch den veränderten Diskurs die Möglichkeit, sich in den westlichen Reggaemedien als selbstbewusste und sexuell aggressive Frau darzustellen. Die weiblichen Vorbilder der Riot Grrrls sind u.a. Kim Gordon oder Joan Jett, die jedoch „one of the guys“ sein wollten. Dies entwickelt sich bei den Riot Grrrls weiter zu der Aussage „it’s not important that I’m a girl, it’s just important that I want to rock“ (Reynolds/Press).

Es wäre jedoch falsch, die Riot Grrrls nur auf eine Musikbewegung zu reduzieren, wie das die Verengung durch die Massenmedien und die Musikindustrie nahe legt. Der Einfluss des Feminismus hat viel dazu beigetragen, dass Frauen Popmusikerinnen wurden und das fängt nicht erst bei den Riot Grrrls an. Das Interesse an der Vermarktung der Musikindustrie verdeckt jedoch die feministische Politik der Riot Grrrl-Netzwerkerinnen im aussermusikalischen Bereich. Die Riot Grrrls können als Teil einer neuen/dritten Welle des Feminismus gesehen werden, die sich neue Formen von kulturellen Aktivitäten schaffen, in denen es weniger darum geht, die Geschlechterdifferenzen zu entlarven, als darum, sie zu dekonstruieren (Kerney). Die Riot Grrrls müssen sich als Bewegung mit Basisarbeit dagegen wehren, dass ihnen die politische Relevanz genommen wird und sie auf ein Musikphänomen reduziert werden.

Bleibt die Frage, ob es ausreichend ist, sich selbst als Riot Grrrl zu zeichnen, bzw. ob nicht die Praxis der Bühnenpräsenz und Kommunikation als Kriterium gewertet werden muss. Zum Beispiel bei einer Band wie L7, die sich selbst nicht im Kontext der Riot Grrrls sieht, aber explizit sagt, dass sie im Konzert nur Frauen vorne zum Slammen haben wollen. Als gelebte Konzerterfahrung hat das bedeutend mehr Empowerment-Potential als eine folkige Sleater Kinney-Band, die sich auf die Riot Grrrls beziehen, aber nicht mit dem Publikum kommunizieren, sondern lediglich ihr Set runter fahren.

Kurz nach ihrem Auftauchen in der Musiklandschaft in den USA werden die Medien auf die Riot Grrrl-Bands aufmerksam und sie werden zu den neuen „sexy Rebellen“. Um sich gegen diese Vereinnahmung zu wehren, ernennt Kathleen Hanna von Bikini Kill 1992/93 zum Medienboykott-Jahr durch die Riot Grrrls. Dieser Medienblackout soll ein distanzierteres Verhältnis zu den Medien schaffen und gegen die Kommerzialisierungsversuche der Kulturindustrie wirken und zeigt auch den Unterschied zu „normalen“ Frauenbands. Sie versuchen sich gegen die Vereinnahmung durch die gesellschaftliche Normalität des Kapitalismus zu wehren. Zur Verständigung sind deshalb Zines für die Riot Grrrl-Bewegung ein besonders wichtiges Austausch- und Informationsmittel. Die Ergänzung des Zines durch das Internet stellt eine weitere Möglichkeit der Verbreitung dar, die auch fleissig genutzt wird (siehe die Link-Angaben).

Die Riot Grrrls kommen in die BRD über Berichte in Musikzeitschriften. Im Oktober 1992 gibt es in der Popmusik-Zeitschrift Spex einen Artikel über Babes in Toyland und im Oktober 1993 einen über Riot Grrrls. Der Spiegel bringt Ende 1994 zwei grössere Artikel über „Girlies“ und bezieht sich dabei auf die Gruppe „Hole“ mit Sängerin Courtney Love (als Frau von Curt Cobain/Nirvana) und die Verfilmung des Comics „Tank Girl“. „Hole“ kann als grösster kommerzieller Erfolg der Riot Grrrl-Bands bezeichnet werden. Die Band war nicht nur in kleinen Riot Grrrl-Fanzines ein Thema, besonders mit der Frage über die Zugehörigkeit von „Hole“ zur Bewegung.

Alle grossen Musikzeitschriften hatten Courtney Love auf dem Titelbild. Dabei wurde meist auch ein Bezug zu ihrem „berühmten Mann“ hergestellt und nach seinem Selbstmord war sie als Witwe für Schlagzeilen interessant.
In der feministischen Bewegungswelt der BRD kommen die Riot Grrrls als Fragezeichen an. Die Rezeption von Riot Grrrl ist im europäischen Kontext stark verknüpft mit dem kommerziellen Interesse, die „Girlies“ zu vermarkten. Welche ernstzunehmende Feministin wollte schon eine Tank Girl-Tussi sein und dazu bei H&M ein Girlie-T-Shirt kaufen? Und die Punkerin war ja schon Punkerin, also wozu jetzt Riot Grrrl werden?

In den Pop-Theorie-Zirkeln gibt es Diskussionen und Versuche von Riot Grrrl-Parties. Aber ein grösseres Zusammentreffen von Menschen gibt es nur in den von der Musikindustrie organisierten Tourneen amerikanischer Bands. Wobei sich da kleine Auflösungserscheinungen abzeichnen, da sich in der BRD kleinere Labels gründen (z.B. Flittchen Records), die von Frauen betrieben werden und sich um ihre amerikanischen Schwestern kümmern.

Und somit können auch die ökonomisch etwas schlechter gestellten Riot Grrrl-Bands (z.B. Bikini Kill, daraus wurde Le Tigre) in der BRD/Europa auftreten. Dies führt aber auch dazu, das die Grossen der Musikindustrie dieses Potential erkennen und Kooperationen mit den kleinen Labels eingehen. Riot Grrrl ist für kurze Zeit (ca. 1993 – 1998) unter diesem Begriff auch in der BRD ein Marktsegment der Kulturindustrie.

Im Jahr 2000 gibt es in Abgrenzung zu der Verniedlichung der Riot Grrrls als „Girlies“ das 1.Ladyfest in Olympia/USA. über die Veränderung des Begriffs von „Grrrl“ in „Lady“ versuchen die Netzwerkerinnen der Bewegung, ihre Inhalte unter einen weniger medial vereinnahmbaren Begriff zu stellen. Dem Begriff „Lady“ wird von vornherein Respekt entgegengebracht, und diese Art von Respekt wird eingefordert: eine respektvolle Behandlung, ohne erst etwas besonderes leisten zu müssen (Mooshammer/Trimmel).

Im Jahr 2003 kommt Ladyfest zum ersten Mal in der BRD an: in Hamburg, Berlin und Leipzig finden Ladyfestivals statt. Dabei geht es ausser um Musik machen und hören auch um feministische Auseinandersetzungen mit der Kulturindustrie. Die Initiatorinnen wollen sich nicht in die Vermarktungsmaschine verwickeln, die den Riot Grrrls ihre Ehrlichkeit versaut hat, jedoch gleichzeitig die Idee der Riot Grrrl-Bewegung aufgreifen. Die Netzwerke, die damals schon entstanden sind, unterstützen die übernahme des Ladyfest-Gedanken in die BRD mit Räumen, Equipment und Auftritten.

In Berlin liegt der Schwerpunkt nicht mehr bei Punkmusik, sondern dessen diy-Haltung wird auf Rock vs. Elektronik angewandt. Selbstorganisation und Unkommerzialität ist der Anspruch. Mit diesem Anspruch werden Filmnächte zu HipHopQueens und Riot Grrrls, Konzerte von open stage für Frauenbands bis break beat-nights, Theoriediskussionen, Ausstellungen und Workshops zu DJing, Mcing, Kickboxing, Akrobatik, … organisiert.

Das Ladyfest-Orga-Team ist dabei nur teilweise Veranstalterin, zum anderen Teil arbeitet es als Verbindungsstelle und webt die Angebote von Gruppen oder einzelnen Ladyiz in das Festival-Netz ein. Dadurch können neue Ideen für Veranstaltungen jeglicher Art die den Ladyfest-Gedanken tragen, spontan in das Ladyfest-Programm aufgenommen werden. Der Gedanke, dass die Basis für sich gestaltet und auch inhaltlich bestimmt, ist dabei ausschlaggebend, ohne diese Netzwerke für eine Ladyfest-Basis, würde es kein Ladyfest geben. Dabei orientiert sich der Ladyfest-Gedanke weiterhin inhaltlich am Manifest „Revolution Girl-Style Now“ von Bikini Kill.

Im Jahr 2004 gibt es in der BRD einen Zusammenschluss von Ladyfest-Netzwerkerinnen, die für Berlin und Warschau zur Organisation ihrer Ladyfeste zusammen arbeiten. Nach der Abschlussgala am Freitag in Berlin, fahren die Ladyiz nach Warschau, um dort das Ladyfest zu unterstützen. Die Organisatorinnen vernetzen in „ihren“ Städten interessierte Gruppen, so dass eine Vielfalt an Angeboten für Workshops, Kunstausstellungen, Diskussionen und Parties entsteht.

Der Netzwerk-Charakter ist ein wichtiger Bestandteil: unterschiedliche Gruppierungen bringen sich unter dem Ladyfest-Gedanken ein, dies wird zusammengeführt von der Organisationsgruppe des jeweiligen Ladyfestes, die Arbeit ist ehrenamtlich. Wie sich wohl alle denken können, ist diese Zwangseinpassung in die kapitalistischen Lebensnotwendigkeiten mit der Nicht-Anerkennung von weiblicher Arbeitskraft im soziokulturellen Bereich als bezahlbare Arbeit, äusserst fragwürdig…

Im Jahr 2005 findet, wie immer Anfang August, das 3.Ladyfest Berlin statt. Wie schon die Jahre vorher setzt sich die Organisations-Gruppe aus Netzwerkerinnen zusammen, die völlig neu dabei sind und solchen, die schon das Jahr zuvor mitarbeiteten. Es gibt drei Ladyfest-Vorfreude-Parties als Soli-Parties, da sich die Gruppe entschlossen hat, keine Geldanträge zu stellen. Zum einen, weil es fraglich ist, ob Geld von irgendwelchen Institutionen bewilligt würde und dieser Zeitaufwand lieber in spannendere Sachen gesteckt wird.

Zum anderen haben die Organisatorinnen sich darüber verständigt, dass sie so wenig inhaltliche Einschränkungen wie möglich haben wollen und sich auch nicht übermässig mit bürokratischen Abrechnungen beschäftigen wollen. Wie schon bemerkt, ist die gesamte Mitarbeit ehrenamtlich, dies gilt auch für die Anbieterinnen/Künstlerinnen, es gibt einen Beitrag zu den Fahrtkosten, aber keine Gage.

Zwischen den Jahren 2000 und 2004 haben 65 Ladyfeste stattgefunden in den USA, Europa, Australien und Asien. 2005 gab es auch Ladyfeste in Südafrika, Mexiko und Brasilien. In Europa ist es besonders in den stark religiös geprägten Ländern, wie Polen, Rumänien und der Türkei für Ladyfest-OrganisatorInnen schwierig, die Ladyfest-Idee umzusetzen. In anderen Ländern, wie Südafrika, ist der Sponsorenanteil sehr hoch. Die Umsetzung und Gestaltungsmöglichkeit von der Idee „Ladyfest“ ist genau so offen, wie die Teilnahme. Vielleicht gelingt es in der Zukunft durch eine stärkere Vernetzung in spannende Diskussionen darüber einzusteigen.

Kurz zusammengefasst, steht Ladyfest für ein feministisches und politisches Kunst- und Kulturfestival, das zumeist von Frauen, Lesben und Transgender organisiert wird, das aber für alle Interessierten und BesucherInnen (Ladyiz of all Genders) offen ist. Inhalt und Programm sind abhängig von den Prioritäten der einzelnen OrganisatorInnen und Gruppen. Da Ladyfest ein selbstorganisiertes do-it-yourself Festival mit Anspruch auf Soziale Bewegung ist, gilt: „the future is unwritten“…und eine Bitte in eigener Sache: wir suchen noch Bands für den open stage im August 2006 in Berlin – bitte melden…bzw. wenn sonst noch fragen sind…mail an: info@ladyfest.net

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Literaturangaben zum Weiterlesen und Reinschmökern:

Gottlieb, Joanne u. Wald, Gayle: Smells Like Teen Spirit. Riot Grrrls, Revolution und Frauen im Independent Rock.

im web: http://www.nadir.org/nadir/archiv/Feminismus/GenderKiller/gender_14.html

Simon Reynolds, Joy Press: The Sex Revolts. Gender, Rebellion and Rock’n’Roll. London 1995

Mary Celeste Kearney: The Missing Links. Riot grrrl – feminism – lesbian culture. und

Marion Leonard: ‚Rebel Girl, you are the Queen of my World‘. Feminism, ’subculture‘ and grrrl power. beide in:

Sheila Whiteley (Ed.): Sexing the groove: Popular music and gender. London 1997

Bettina Mosshammer & Eva-Maria Trimmel: Ladyspace. Feministische Raumpraktiken am Beispiel Ladyfest. Diplomarbeit, Wien 2005.

Annette Weber: Was in der Kleidchennummer steckt. Riot Grrrls zwischen subversiver Praxis und koketter Frechdachs-Attitüde. Jungle World 18, 29.4.98

Anette Baldauf, Katharina Weingartner (Hg.): Lips. Tits. Hits. Power? Popkultur und Feminismus. Bozen 1998.
für aktuelle Infos:

www.ladyfest.net (Ladyiz in Berlin)

www.ladyfest.org (Infos zu Ladyiz und -Festen weltweit)

www.riot-grrrl.de (Diskussionsforum)

www.grrrlzines.net (viele Anregungen, Texte und Links, in versch. Sprachen)

Text: Helga Egetenmeier

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Ladyfest Berlin 2005

E-Mail-Diskussion von zwei Organisatorinnen im Juli 2005

Wie findest du den Begriff „Lady“?

H: Irgendwie war ich anfangs nicht so glücklich mit dem „Lady“, jedoch habe ich mich im Laufe der Zeit daran gewöhnt. Dieses Wort „Lady“ schien mir sehr altbacken und ich brauchte lange, bis ich diesen Ausdruck für mich selbst gebrauchen konnte. Jetzt swingt „Lady“ für mich, hat einen gewissen Groove, verbunden mit Selbstsicherheit. Ich habe mir dazu überlegt, wieso dieses Wort denn so wichtig ist und ob es keinen besseren Begriff für das „Ladyfest“ geben könnte. Da bin ich aber auf nix gekommen. Denn „Ladyfest“ entstand ja als Begriff zur Abgrenzung von „Girlie“ und der Vermarktung der Riot Grrrl Bewegung.

Da funktioniert der Begriff Lady für mich auch wieder, er lässt sich nicht als Jugend-Musik-Bewegung vermarkten, dazu ist das Wort „Lady“ kulturell zu vielfältig besetzt. Und diese weite Assoziation finde ich wiederum spannend, auch für ein Festival, dass sich dem kulturellen Ausdruck von „Ladies“ widmet. Denn hier kommt für mich auch zusammen, dass ich auch zu nem biologischen Mann „hey Lady!“ sagen kann und es passt. Es ist ein Haltung, die ich dabei spannend finde. Und diese Haltung ist für mich eine respektvolle für mein gegenüber und gleichzeitig eine gewisse Selbstsicherheit, die aber swingt und liebt und das Gegenteil ist von patriarchal-konservativer Verknöchertheit.

A: ich mag den begriff. ich habe ihn im rahmen der riot-girrl-debatten mit bekommen und deswegen beinhaltete er für mich von anfang an die vorstellung von einem „reiferen“ girrl. einer frau, die ihre rotzigkeit behalten hat und eine grosse klappe hat. ich würde den begriff auch nicht ins deutsche übersetzen. zum einen weil „dame“ nicht trifft was ich damit meinen würde und zum anderen, weil es den assoziationsspielraum mit dem begriff enorm verringert.

für mich gibt es unterschiedlichste lädiez egal welchen alters, geschlechts, herkunft etc. das spielen und neubesetzen von begrifflichkeiten finde ich spannend. ich mag z.b. den begriff „ische“ wegen seiner prolligen assoziation. andere finden den schrecklich und den begriff „chicks“ noch viel sclimmer. in welchen zusammenhängen und orten funktionieren diese begriffe als hohlraum für neue besetzungen und wo nicht?

Was haben Lesben mit dem Ladyfest zu tun?

H: Ich würde mal sagen, das Ladyfest wird von einer Gruppe von Menschen organisiert, die nach traditionellen Vorstellungen biologisch-medizinisch als „weiblich“ gesehen werden. Ich verstehe mich als einer Gruppe zugehörig, die dieser Identitätszuschreibung kritisch gegenüber steht. Mir geht es darum zu hinterfragen, wo kommen denn diese Identitätszuschreibungen her und was soll damit bewirkt werden? Dabei verstehe ich mich generell identitätskritisch, d.h. ich verstehe mich allgemein kritisch gegenüber der Zuschreibung von homo- bzw. hetereo-sexuell. Ich finde es spannender zu schauen, wie Begehrensstrukturen aufgebaut sind.

Also nicht, wer bin ich nach der Vorgabe „meiner“ Gesellschaft, sondern, welches Verhalten eines Gegenüber wirkt auf mich, damit ich begehre. Wobei dass dann ja in Realität soweit geht, dass man sich fragt, welches Verhalten kann noch ertragen werden um der Zweisamkeit willen. Da denke ich, ist es egal, ob homo oder hetero, die Vorstellung von „trauter Zweisamkeit“ ist auch ein wichtiges soziales und kulturelles Gut, das in unserer Gesellschaft eine mächtige Orientierungsnorm darstellt.

A: ui, da fällt mir momentan nix schlaues mehr zu ein. da wurde alles gesagt von der identitätszuschreibung über die begehrensfrage bis hin zur heteronormativität.

Was ist „Ladyfest“ – eine Vermarktungsstrategie unter vielen?

A: puh. nein, dass denke ich nicht. dazu gibt es zuviel im ladyfest(konzept), das sich gegen herrschende vermarktungslogik sträubt. von der organisationstruktur, den mitwirkenden, der formulierten kritik an geschlechterstereotypen, dem D.I.Y-Ansatz und einiges mehr. aber natürlich gibt es heutzutage immer die gefahr vermarktet zu werden. insbesondere vielleicht auch im musikbuisness, indem aufsässig/frech sein, wild sein und eine klitzekleine prise kritik oft zum geschäft gehören. im hiphop wird der gangsterstyle vermarktet, bei girrl-bands ihre „niedliche rotzigkeit“. ich finde das eine spannende diskussion, die einem an allen ecken wieder begegnet. sei es bei der frage nach der finanzierung oder dem sponsoring.

oder auch bei der frage nach der eigenen bezahlung für die organisation. man organisiert ein konzert, telefoniert rum, macht plakate, möchte der band was bezahlen und den djanes zu mindestens das taxi. weil man aber auch will, das der eintrittspreis und die getränke preise kein niveau von berlin-mitte annehmen sollen, damit man über preise niemanden ausschliesst, fallen aufwandsentschädigungen für die organisatorInnen, die tresenleute, die plakatiererInnen etc. weg. ist das nun okay oder nicht, ist die alternative ein dicker sponsor, der die sache vermarkten oder was? die grosse frage nach den ökonomischen verhältnissen.

H: Ladyfest als Vermarktungsstrategie? Hmm, ich finde es schwierig mit dem Begriff, also schwierig, weil man eigentlich nicht darum kommt, sich irgendwie zu vermarkten. Denn das heisst für mich auch, mich der öffentlichkeit – und die sehe ich hier als Markt – irgendwie anzupreisen, also Menschen zu informieren was Ladyfest ist, was Ladyfest will…auch wenn wir sagen, wir sind die Guten und wir sind unkommerziell und wir kritisieren…trotzdem kommen wir in einen Topf mit dem restlichen berliner Tag- und Nachtleben.

Wir wollen ja auch in den bekannten Programmblättern sein, damit Interessierte von uns erfahren. Und in dem Zusammenhang komme ich nicht umhin zu sagen „Ja, wir wollen, dass viele Leute vom Ladyfest erfahren!“ Wir wollen das aber eigentlich, damit sich Leute um ihre gelebten Verhältnisse ’nen Kopf machen bzw. feiern können ohne angepöbelt zu werden. Aber bei der Werbung dafür ist das wohl auch mit dem Begriff Vermarktungsstrategie besetzbar, was ich bei unserem Ansatz auch nicht so schlimm finde.

Bei uns bedeutet Strategie nicht Geld verdienen, sondern mit unseren Ideen mit anderen in Dialoge zu kommen, Wissen verteilen und Unterstützung geben…unsere Strategie ist der Versuch am Schluss auf Null zu stehen, keine Verluste zu machen und das Gefühl zu haben, irgendwie macht es Sinn was wir tun, die Leute haben Spass, freuen sich, sich zu sehen, reden viel miteinander, gehen gut miteinander um. Es ist auch toll zu sehen, wie viele Leute dann Sachen für umsonst machen und sich nicht von Geld leiten lassen…wenns geht halt…auf unserer Ebene geht das dann, trotzdem wollen Aldi und die BVG Geld von uns…

In den letzten beiden Jahren kam immer wieder die Frage, ob wir im Rahmen des Ladyfest nicht zuwenig (frauen)identitär sind, ob wir nicht zu sehr mit unserem gendertrouble Errungenschaften der Frauenbewegung zunichte machen. Was denkst du dazu?

H: Da sag ich doch einfach erst mal NEIN dazu. NEIN, ich denke nicht, dass wir zuwenig (frauen)identitär sind, vielleicht, mal provokativ, eher zuviel…mal ein Beispiel, mit dem ich dieses Jahr Schwierigkeiten hatte. Es ging viel über Bands, die aus diesem Land kamen und dort schon gespielt hätten. Da ist mir die Betonung der nationalen Identität zu stark, was will ich damit? Ich muss mir ja nicht mal überlegen, das es mit der Sprache ein Problem geben könnte, englisch können die meisten. Wenn ich mir dann nen Kopf um Identitäten machen wollen würde, hätte ich es gerne in dem Spannungsfeld verschiedener Identitätszuordnungen. Also, welche ist ökonomisch, sozial und kulturell überhaupt in der Lage, an dieser Idee von Ladyfest teilzunehmen.

Mal die Idee von oben dazu gedacht: wenn eine Frau aus Brasilien schreibt, sie würde gerne in Berlin am Ladyfest teilnehmen, muss sie eine entsprechende Ausbildung haben (Sprache, Musikinstrument), über entsprechende Mittel verfügen (evtl. guten finanziellen Hintergrund, eher nicht arbeitender Bevölkerungsteil) und sich auch in diesem Umfeld wohl fühlen (Sprachkompetenz, Selbstsicherheit). Ich glaube eher, dass wir identitär offener sein müssen, um mehr von Frauen-bis-Männer anzusprechen. Denn ich hätte gerne auch die Hausfrau aus Neukölln irgendwie in unserem Dialog mit drin. Und da habe ich Kritik an den Errungenschaften der Frauenbewegung: sie wussten immer, was „Frau“ ist und was für sie gut ist und haben als gutbürgerlicher Mittelstand einfach die emanzipative Frauenidentität festgelegt. Diese Enge will ich nicht und es ist mir auch zu konservativ.

Was ich damit nicht sagen will ist, das Identitäten keine Rolle spielen…sie spielen eine Rolle und zwar hauptsächlich für den, der sie zuordnet. Da kommt sehr schnell ein „Du bist diese Identität, also hast du das zu tun“ raus – und das geht bis zur Legitimation von Mord. Als Beispiel fällt mir ein: „du bist meine Frau, wenn du fremd gehst, mach ich dich kalt“ und die Nazis mit ihren rassistischen Morden. Also: über die Machtpotentiale und Hintergründe von Identitätssetzungen muss man noch viel streiten!!!
A: das ist ein spannendes thema. identitäten werden immer eine rolle spielen, vor allem auch kollektive Identitäten als teil von politischer praxis. Gerade im feld der politischen praxis sind kollektive identitäten aber auch höchst fraglich/ktritisch zu sehen, wenn sie z.b. auf nationalismus aufbauen. Das mobilisierungspotential von kollektiven identitäten ist hoch. Es motiviert leute zum engagement vom anti-akw-widerstand im wendland über den häuserkampf bis zur studibewegung. Sie bilden, die durchaus auch difuse, grundannahme für ein gemeinsames engagement für oder gegen etwas. identitäten vereinfachen die komplexität.

Und ich denke es geht darum, sich diese reduzierung von komplexität immer wieder bewusst zu machen, eigene Identitätskonstruktionen und -zuschreibungen immer wieder zu hinterfragen. Und im kopf zu haben, dass identitäten von einem anderen Blickpunkt aus ganz anders aussehen können und in bewegung sind. die konstruktionen muss durchlässig gehalten werden, damit sie niemanden einsperrt. mit den identitätskonzepten der „alten“ frauenbewegung kann ich nicht richtig viel anfangen.

dieses konzept von emanzipation ist sehr von dem weissen, akademischen, westeuropäischen oder us-amerikanischen blick auf die dinge geprägt. für mich liegt viel power und politisches potential im gendertrouble. wir haben letztes jahr viel über unseren spruch: „what ever your gender may be – if you feel like a lady..“ diskutiert. ob der missverständlich ist, ob der es doch zu vielen mackerigen typen erlaubt auf den ladyfest-partys zu sein, wie man es deutlich macht, dass bei manchen events nur frauen sein sollen etc. also ein bisschen die frage, wie macht man offenere identitätskonstruktionen jenseits von mann/frau deutlich und transportiert sie auch an leute, die da nicht so in den diskussionen stecken?

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