März 12th, 2007

KILL YOUR IDOLS (#86, 02-2001)

Posted in interview by andreas

Es ist doch wieder mal richtig schön, wenn eine Band daherkommt, die nun wirklich alles andere als neue Musik macht und man die Platte trotzdem mag. Normalerweise gehen bei mir ja immer die Alarmsignale an, wenn die Beschreibung „Oldschool Hardcore“ fällt, weil das meistens mit der Beschreibung „New York Hardcore“ eingeht.

Nun, Kill Your Idols kommen aus direkter Nachbarschaft von New York – aus Long Island nämlich. Aber vielleicht ist es auch ihre Nähe zu Negative Approach, weswegen mir die Band gefällt.

Auch wenn die Gruppe diesen Vergleich nun wirklich nicht gerne hört. Sei es drum, „No Gimmicks Needed“, die letzte Platte, war eine der besten Einfach-nur-Hardcore-Platten im Jahr 2000. Aber darüber haben wir gar nicht geredet, zumindest nicht im eigentlichen Interview.

Hinterher erzählte mir Sänger Andy dann noch, dass sein Vater mittlerweile auch Hardcore möge und der Meinung ist, KYI würden eher nach einer Mischung aus Minor Threat und H2O klingen als nach Negative Approach. Sei es drum. Interessanter fand ich bei einer Band solchen Namens aber, was sie denn zum Thema Idole zu sagen hat.

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Mich würde mal interessieren, was für Idole Du in Deiner Jugend gehabt hast?

Andy: Ehrlich gesagt, ich hatte nie irgendwelche bestimmten Idole in meiner Jugend. Sportgrössen oder so, was andere mochten – ich hatte so etwas nicht. Der Name der Band soll ja schliesslich symbolisieren, dass man keine Idole haben sollte. Wir wollten damit bestimmt nicht sagen, dass man Menschen anbeten sollte und sie dann umbringen. Nein, man sollte gar nicht erst anfangen, jemanden anzubeten. Du schreibst zum Beispiel für dieses Fanzine und machst Deine Arbeit so gut wie möglich. Warum solltest Du zu jemandem aufschauen? Sich inspirieren lassen – das ist was anderes. Wenn man jemanden anbetet, erwartet man auch von ihm, dass er perfekt ist. Ich finde, dass jeder perfekt ist, der seine Sache so gut macht, wie es ihn seine Möglichkeiten lassen. Dann sollte man aber keine Erwartungen in andere setzen – man macht ja anderer Leute leben zum eigenen role model. Und das ist verdammt schwer. Man setzt andere ja auch unter Druck.

Als Du zehn oder zwölf Jahre alt gewesen bist – hast Du da niemanden bewundert?

Andy: Bestimmt, aber ich kann mich ganz einfach nicht mehr daran erinnern. Ich versuche mich daran zu erinnern, was für Poster ich damals in meinem Zimmer hängen hatte. Das waren vor allem Poster von Bands, aber ich habe bestimmt nie jemanden davon zu meinem Idol gemacht. Ich könnte nicht eine bestimmte Person nennen.

Ich verstehe das schon. Ich kann mich daran erinnern, dass wir uns irgendwann in der Schule mit „Idolen“ beschäftigten. Die anderen kamen dann mit Bands wie Kiss und so an. Ich konnte das gar nicht, zumal ich mich da nicht mal grossartig mit Musik beschäftigt habe. Am Ende habe ich dann einen Schriftsteller ausgewählt, über dessen Leben ich wirklich gar nichts wusste. Ich mochte einfach die Bücher. Ein Idol hätte ich ihn nicht genannt.

Andy: Genau. Mir fallen Leute ein, die mich inspiriert haben. Aber keine Idole.

Welche Bands hast Du denn damals bewundert?

Andy: Das erste Rock’n’Roll-Tape, an das ich mich erinnere, bekam ich mit zehn Jahren. Auf der einen Seite waren die Kinks, auf der anderen die Beach Boys. Ich mochte die Beach Boys, aber ich liebte die Kinks. Jede Musik, die ich danach gehört habe, zeigte auch, was für ein Mensch ich geworden bin. Sehr berührt haben mich zum Beispiel Woodie Guthrie, Billy Bragg, Bob Dylan bis hin zu Frank Zappa. Und natürlich auch sehr viele Leute aus der Punkszene. Das hat mich zu dem gemacht, der ich heute bin.

Das sind ja auch nicht gerade Leute, die man schon von ihrem Schaffen her Idole nennen könnte.

Andy: Eben. Ich habe sie sehr respektiert, nicht mehr.

Du hast gesagt, dass sich Dein Leben anhand dieser Musik entwickelt hat. Was meinst Du damit?

Andy: Als ich klein war, hörte ich sehr viel Hardrock und Sixties-Musik. Ich hatte natürlich lange Haare und eine Jeans-Jacke. All dieses Zeugs. Später hörte ich dann Reggae und trug natürlich Dreadlocks. Musik war immer sehr wichtig.

Als ich 13 war und anfing, Musik zu hören, mochten die Leute in meiner Klasse Tears For Fears, Depeche Mode und so ein Zeugs, was mir überhaupt nicht gefiel. Weil ich mit denen aber überhaupt nichts zu tun hatte, konnte ich meinen Musikgeschmack auch relativ selbstständig entwickeln – bis ich dann irgendwann Hardcore und Punk entdeckte.

Andy: Als ich anfing, Punk zu hören, gab es niemanden bei uns, der sowas auch mochte. All meine Freunde waren Hippies. Ich war aber ganz froh, dass ich die Musik alleine entdeckte. Ich glaub, dass ich offener bin. Es gab niemanden, der mir irgendwelche Ziele setzte. Die ersten drei Jahre, in denen ich mir Konzerte ansah, bin ich da alleine hingegangen. Ich kannte halt niemanden, der Hardcore mochte.

Wo bist Du denn aufgewachsen?

Andy: Auf Long Island.

Man kennt ja diese Klischees vom Aussenseiter auf der High School und so. War die Zeit hart für Dich?

Andy: Ich war zwar ein Aussenseiter in der Zeit, aber ich kann nicht behaupten, dass ich Probleme gehabt hätte und man es auf mich abgesehen gehabt hätte. Guck mich an, ich bin ein ziemlich grosser und schwerer Typ. Die Leute wussten zwar, dass ich anders bin, aber sie haben mich respektiert. Die Leute, mit denen ich damals rumhing, waren aber nicht auf meiner Schule. Das waren Typen, mit denen ich was gemeinsam hatte.

Wann hast Du denn überhaupt angefangen, Hardcore zu hören?

Andy: Ungefähr mit 20 Jahren, so um 87.

Also vergleichsweise spät. Heutzutage ist das ja anders.

Andy: Stimmt. Aber das ist mittlerweile trotzdem verdammt lange her.

Denkst Du, dass Du einen anderen Zugang zum Hardcore hast, weil Du zuerst ganz andere Sachen gehört hast?

Andy: Einerseits ja, andererseits nein. Als ich mit Hardcore anfing, hörte ich viele dieser Straight-Edge-Bands, aber auch Punksachen wie Rudimentary Penis und so. Das waren alles Bands, die ein grösseres Bewusstsein hatten, was meinetwegen Kultur oder die Umwelt anging. Damals fing ich an, Vegetarier zu werden – diese Musik hat mir das überhaupt erst nahe gebracht. Andererseits finde ich schon, dass viele der Sixties-Sachen eine ganz ähnliche Message hatten. Der Unterschied ist, dass Punks sahen, dass die Hippies nichts auf die Reihe gebracht haben und dass mehr persönliche Wut dahinter steckte. Ich denke immer noch, dass es um eine Veränderung in unserer Gesellschaft oder unserer Kultur geht.

Aber ich muss schon sagen, dass ich viele politische Ideen entdeckte, als ich 16 Jahre alt war – also lange, bevor ich anfing, Hardcore zu hören. Es war eher so, dass ich in der Musik meine eigenen Ideen wiederfand. Das heisst aber nicht, dass es diese Ideen nicht in anderen Musikszenen auch geben würden.

Andy: Auf jeden Fall. Viele meiner älteren Freunde haben nie Punk gehört, aber sie hatten die selben Ideen. Meine ersten Punkplatten waren von den Descendents und Angry Samoans. Ich habe zwar schon vorher Lovesongs gehört, aber die Descendents haben mich persönlich berührt. Und bei den Angry Samoans: Ich war so frustriert über Rock’n’Roll, weil so viele Leute diese Musik hörten, sich aber überhaupt keinen Kopf machten. All den Leuten, die ich kannte, ging es nur um Drogen und ums Flach legen. Das war alles, worüber sie redeten, während sie Musik hörten. Und die Angry Samoans drückten eben genau das aus.

Ist es denn dann positiv, dass diese Musik heute leichter verfügbar ist? Oder ist das negativ, weil man eher Gefahr läuft, nicht offen für andere Sachen zu sein?

Andy: Du bist 30, ich bin 33. Wir haben sicherlich beide viel erlebt. Hier in Europa ist die Hardcore-Szene viel besser als bei uns in den USA. In der New Yorker Hardcore-Szene gibt es vielleicht 20 Leute, die bei jeder Show sind. Natürlich gibt es eine Menge Leute, die immer mal kommen. Aber grundsätzlich verlassen viele Kids die Szene wieder sehr schnell, weil sie keine anderen Erfahrungen machen. Sie werden zu schnell müde. Das finde ich so gut an all diesen neuen Bands, die versuchen, Hardcore weiterzuentwickeln. Die Leute wollen nicht mehr so viel Old School hören.

Denkst Du, dass die Kids heutzutage Hardcore-Bands zu ihren Idolen machen?

Andy: Oh ja. Wir waren mit H2O unterwegs. Wir haben erlebt, was da passiert. Die Leute fangen während der Songs an zu schreien. Sie wollen Autogramme. Du kennst sicherlich VOD, die auch aus Long Island sind? Sie ziehen eine Menge Kids, die noch nie was mit Hardcore zu tun hatten. Das war das erste Mal, dass ich gesehen habe, wie eine Band angebetet und wie Rockstars behandelt wurde. Da kam mir auch die Idee zu unserem Bandnamen, weil solche Sachen nichts mit Hardcore zu tun haben.

H2O sind ja ein bisschen was anderes als ihr. Hast Du denn sowas erlebt?

Andy: Ja, auf jeden Fall. Wir drucken unter unsere Texte immer Erklärungen. Eine Menge Kids fingen an, mir wegen der eher persönlichen Texte, die sich um Depressionen und Trennung und so drehen, zu schreiben. Sie fingen an, ihre Gefühle auf mir abzuladen. Und ich weiss ehrlich nicht, wie ich damit umgehen soll. Ich kann diese Gefühle in einen Song packen und meinen Frust heraus schreien. Aber sie wollen einen Rat von mir, weil ich älter bin. Oder weil ich Straight Edge bin. Ich weiss auch nicht, was man gegen Depressionen tut. Ich bin nicht mal mehr Straight Edge, aber ich habe das bisher kaum jemandem erzählt. Ich habe das Gefühl, ich hätte diese Leute verraten. Dabei muss ich einfach tun, was ich persönlich als das Beste für mein Leben ansehe. Trotzdem habe ich jetzt Schuldgefühle. Und ich habe eine Menge Probleme, aber ich soll anderen Leuten einen Rat geben, was sie mit ihrem Leben anfangen sollen. Ich meine, ich bin 33 und spiele in einer Fulltime-Hardcore-Band, die kein Geld macht. Ich weiss doch nicht mal, wohin mein Leben geht.

Was schreibst Du den Kids?

Andy: Ich versuche, so gut wie möglich zu antworten. Aber wenn jemand fragt, was er machen soll, weil er sich von seiner Freundin getrennt hat – jede Beziehung ist doch anders, was soll ich da schreiben? Und ich habe sehr lange nichts zum Thema Straight Edge gesagt, sondern darüber gesungen. Was soll ich sagen? „Sorry, aber ich bin nicht mehr straight. Aber bleib du es, wenn du denkst, dass es das Beste für dich ist. Wenn die Eltern Alkoholiker sind und man sieht, was Alkohol anrichtet, dann sollte man die Finger vom Alkohol lassen. Wenn man ein paar Bier hier und dann braucht, um sich vom täglichen Stress zu erholen, sollte man sie trinken.“ Letztlich ist es eine individuelle Entscheidung. Straight Edge sollte keine Bewegung sein, sondern ein Lebensstil. Und es ärgert mich selbst, dass ich Schuldgefühle habe, bloss weil ich meinen Lebensstil geändert habe. Immerhin singe ich in einer Band namens Kill Your Idols – da sollte ich mich nicht rechtfertigen müssen.

Wird man eigentlich auch mal sauer, wenn wieder jemand deswegen kommt?

Andy: Ehrlich gesagt, bin ich dafür zu nett. Ich bin nie sauer geworden. Aber ich habe schon mal gesagt, dass ich nicht die richtige Person bin, die irgendwelche Ratschläge geben könnte.

Letzte Frage: Welche Idole sollten definitiv endlich umgebracht werden? Britney Spears zum Beispiel?

Andy: Sie wird in den Medien, als die gut aussehende Sängerin dargestellt, also versuchen alle kleinen Mädchen überall in der Welt, so wie sie auszusehen. Das ist ein gutes Beispiel dafür, warum unsere Band so heisst.

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Interview: Dietmar Stork

Links (2015):
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