Februar 18th, 2016

454 BIG BLOCK (#55, 12-1995)

Posted in interview by Jan

Eine Sackgasse in Boston? Wer will das hören? Freiwillig und bis zum Ende? Elf Stücke in 44 Minuten und neun Sekunden? Die Legion Boston-HC-verwöhnter und kaufwilliger Naseweisse wahrscheinlich nicht. Das schreibt sich nicht leicht.

Ohne enttäuschten Respekt über das Machwerk „Your Jesus“ läßt sich Wrecking Crew-Nachfolgeband 454 Big Block nicht so leicht aus dem Mutterbauch entschlüpfen. Warum muß man als etablierte Hardcoreband im Leben danach ausgerechnet auf leidenden Slow-Motion Metal setzen? Chefarzt Dr. Elgin James war bereit, Fakten über die schwierige Geburt preiszugeben. Kaiserschnitt? Oder doch eine Frühgeburt?

Dr. Elgin James: Wir befanden uns im Niemandsland mit Wrecking Crew. Persönliche Konflikte und vertragliche Schwierigkeiten mit unserem alten Label raubten uns fast den Verstand. Es erschien uns zum Schluß am besten Wrecking Crew aufzulösen und eine neue Band zu gründen. Als wir auseinanderbrachen sprachen wir mit mehreren Major-Labels, die uns aushorchen und in den Würgegriff nehmen wollten. Das dauerte fast ein ganzes Jahr lang.

Fast hätten wir bei Bmg unterschrieben, was wir aber dann doch nicht getan haben. Bis auf Gitarrist Dean waren Wrecking Crew am Ende ja identisch mit 454 Big Block, wir entschieden uns für die beste Möglichkeit: Neuer Name – Neues Label – Neue Veröffentlichung.“

Seid Ihr jetzt zufrieden mit eurem neuen Deal? (bei Century Media)

Ja, völlig.

Magst du deine Labelkollegen, z.B. Only Living Witness oder Tiamat?

Ja, ein so großartiges Label mit so vielen guten Bands. Ich interessiere mich schon lange für den Stoff den sie veröffentlichen. Sie nehmen ja auch weiterhin gute Bands unter Vertrag, wie z. B. Merauder, was sehr gute Freunde von uns sind. Ja, das ist schon toll, man fühlt sich wie in einer großen Familie und sie behandeln uns sehr gut.

Was sind für dich die besten Platten, die bisher in diesem Jahr veröffentlicht wurden?

Hmm, eine Band namens Odis, großartige Band hier aus der Gegend, dann die neue Scheibe von Orange 9mm und,….hach, das ist immer schwer zu bestimmen……

Wenn ich dich Übermorgen fragen würde, würdest du mir wahrscheinlich eine komplett andere Liste präsentieren, oder?

Wenn du völlig von deiner eigenen Musiksache eingenommen bist, viel live spielst und ständig auf unbekannte aber doch hochkarätige Combos stösst, mit denen du zusammen Konzerte gibst, die aber noch keine Veröffentlichung vorzuweisen haben, lasse ich mir lieber von denen ein Demoband geben, als mir ständig neue Platten zu kaufen. Ich probiere ihnen irgendwie zu helfen, damit die auch irgendwann mal vielleicht einen Plattendeal bekommen. Sowas ist sinnvoller, als sich um Bands zu kümmern, die schon etablierter sind.

Was war die erste Platte die du dir jemals gekauft hast?

„Iron Fist“ von Motörhead.

Und welches war die letzte?

„Raw Power“ von IGGY AND THE STOOGES.

Tatsächlich…..kannst du dir vorstellen mal einen Song zu machen, der musikalisch stark von den Stooges beeinflußt wäre?

„Raw Power“ besitze ich schon länger als LP. Als CD ist sie nun neu gemastert worden (Anm.:Übrigens von Iggy Pop in Zusammen-arbeit mit Henry Rollins), deswegen habe ich sie mir nochmal gekauft. Mit alten MC 5 und Stooges Sachen finde ich mich immer mehr zurecht. Die Wirkung, die die Stooges zu ihrer Blütezeit hatten fasziniert mich sehr.

Zu der Zeit war ihr Musikausdruck sehr chaotisch, dazu das Bühnengebähren von Iggy sich blutend in Scherben zu wälzen und rumzuschreien. Wir würden nie wie die Stooges klingen, das ist nicht unser Stil. Wir probieren weiterhin unseren eigenen Sound und unser eigenes Ding an den Mann zu bringen.“

Wie ist es um die sogenannte Bostoner Szene bestellt? Trifft man sich da schon mal abends in der Kneipe oder wie kann man sich das vorstellen?

Es ist schon ein sehr dichtes Netzwerk hier, man kann fast sagen, daß jeder jeden kennt. Wir sind mit der gleichen Kultur aufgewachsenund haben von Kindesbeinen an die selben Hardcore-Scheiben gehört. Na klar gibt es hier und da mal Probleme die nicht abreißen wollen, aber natürlich leben wir lieber in Freundschaft so wie mit unseren Kumpels von Slapshot, Bitter, Shelter, oder An Eye For An Eeye, wir stehen alle sehr eng zueinander. Aber bekanntlich gehören Probleme ja mit zu einer Familie dazu.

Wie wichtig ist es für dich, dein Leben in deinen Texten zu reflektieren?

Es ist das, was ich in den letzten Jahren veröffentlicht habe, und das nimmt schon eine bestimmende Rolle in meinem Leben ein. Es ist eine Art Therapie oder eine Art Seelenreinigung, wie ich mit meinen „Teufeln“ umgehe, sie beschreibe und auf der Bühne ausübe bzw. darbiete. Ich kann jederzeit zurückgehen zu dem Platz wo ich stand, als ich die Texte schrieb.

Es ist im Grunde genommen meine Zuflucht, damit umzugehen, was schlecht oder gewalttätig auf mich einwirkte. Meistens sind es negative Erfahrungen, die Zusammenhänge auslösen und mich dazu aufbrachten, etwas darüber zu sagen. Ich wüßte nicht wo ich stehen würde, wenn ich nicht dieses Ventil hätte, meine Ausflüchte zu artikulieren. Die Band ist schon der richtige Ort dafür.

Wieviel Fiction enthält z.B. der Text „My Father´s eyes“ oder ist das deine pure Realität?

Der Text ist absolut wahr, alles auf dem Album ist wirklich wahr. Ich bin in einem Kinderpflege-heim großgeworden, da meine Mutter nerven-krank war. In einem Heim war ich sehr lange. Der Leiter dort war also mein Pflegevater und fast jeden Tag hat er irgendjemand von uns, mich einschließlich, verprügelt. Das war die Welt in der ich lebte.

Ich nahm an, daß das normal sei, ständig dieses Gewalt. Dann wurde ich älter und sah meinen Pflegevater immer mehr in mir selbst, in meinem ganzen Tun und Handeln, ich sträubte mich dagegen, aber was sollte ich tun? Ich wollte nie der Herr und Gebieter sein, so wie er war. Aber wenn du ständig geprügelt wirst, mußt du zwangsläufig mit deinen Gefühlen umgehen. Das war der richtige Nährboden um in eine Strassengang zu schlittern und genauso umsich zu prügeln, nur weil ich kein anderes Verhalten gelernt hatte.

Jedesmal wenn ein Freund oder Bekannter in den Staaten war, entfacht er neue Gesprächsrunden über die politisch korrekte Haltung. Warum ist das ein so großes Thema? Diskutiert ihr da auch schon mal im Proberaum?

Wir persönlich kommen eher aus der unteren Gesellschaftsklasse. Politisch korrekt zu sein ist mehr ein Ding der Mittelschicht, etwa die Benimmregeln wie man mit jemanden umgeht, ohne daß man Ihn böswillig verletzt, beleidigt oder kränkt. Wir sind Kids von der Strasse und bei uns geht es eher um „Respekt“, daß man jeden erst mal so nimmt wie er ist, egal welche Hautfarbe oder welche Probleme er hat. Das wirklich ernsthafte Problem, was Amerika hat, ist, daß es nicht mehr gegeben ist „jemanden“ als „jemanden“ zu behandeln. Deswegen wird es in manchen Kreisen auch so vielschichtig behandelt, politisch korrekt zu sein.

Was war die dümmste Frage die dir je gestellt wurde?

Oh, man hat mir schon oft blöde und dämliche Fragen gestellt. Besonders wenn jemand etwas über mein Sexualleben wissen will oder wie oft ich mich mit Frauen verabrede. Was eine üble Sache ist, sind die ganzen Gangs die in Boston und Umgebung existieren. Ich war früher auch mal Mitglied in einer.

Auf dieses Image werde ich oft festgenagelt, obwohl ich mich schon lange von dem Mist losgesagt habe. Es gibt da ein paar Leute die mich immer noch als Anführer einer gewalttätigen Gang sehen wollen und prangern es an, wie dämlich ich doch sei, daß ich immer noch ein Teil dieser Szene bin, obwohl das alles völliger Bullshit ist.

Auf eurer Dankesliste werden vier oder fünf Leute gegrüßt die bereits gestorben sind. Sind das etwa Todesopfer aus befeindeten Banden-kriegen?

Das sind Personen mit denen ich aufgewachsen bin, mit denen ich sehr viel Zeit verbracht habe: mein Bruder David und meine Freunde Mike und Paul, die Leute halt, denen ich sehr nahe stand.“

Interview: Peter Hesse

Links (2016):
Wikipedia
Discogs

Both comments and pings are currently closed. RSS 2.0