Mai 31st, 2008

TRICLOPS! (#125, 08-2007)

Posted in interview by jörg

Manchmal muss man die Eine auch spontan ansprechen, wenn sie denn so plötzlich auftaucht und dabei so aufregend wirkt. Alle Hemmungen zum Trotze. Ganz so schlimm ist es dann aber doch nicht, wenn der Kontakt per E-Mail zustande kommt. Aber die erste EP von Triclops! ist nun wirklich entzückend. Auch wenn sie sich so hässlich wie möglich geben möchte (wir schauen ja eigentlich nicht auf Oberflächlichkeiten!), reichten ein paar Sekunden, um sagen zu können. Das ist toll, die liebe ich.

Da ahnt man ja noch nicht, was in den nächsten 25 Minuten an Auf und Abs auf einen zukommen. Für oberflächliche Menschen ist ‚Cafeteria Brutalia‘ nun wirklich nichts. Also: Gleich zum Keyboard gegriffen und eine Mail geschickt. Trcilops! ist die neueste Band einiger Menschen, die dem Trust-Leser schon früher mal über den Weg gelaufen sein sollten. Allen voran Larry Boothroyd, (früher) Bassist bei Victim’s Family.

Treibende Kräfte sind allerdings John Geek, der sich auch Johnny No Moniker nennt und bei den Fleshies singt, sowie Gitarrist Christian Eric Beaulieu von Skulls And Bones. Schlagzeug spielt Phil Becker, früher bei Lower Forty Eight. Die erste EP ist gerade über Sickroom erschienen, ein Album soll Ende des Jahres folgen – bei GSL oder auch einem anderen Label.

Einfach ist das nicht; wir wissen ja, wie schwer es für Menschen mit einem komischen Geschmack ist. Wer sich dazu zählt, sollte diese Band aber unbedingt im Netz suchen. Vielleicht verlieben sich ja noch mehr spontan in Triclops! Das E-Mail-Interview beantworteten Christian und Johnny.

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Erst einmal: Wie ist die Band zusammengekommen? Ich schätze, ihr kennt euch schon lange, aber wann habt ihr entschieden, Musik zu machen?

Christian: Ende 2004 waren John und ich es leid, künstlerisch auf jene „Rip-Roaring, driving 110 MPH high-octane punk and roll!!!!!“-Strukturen festgelegt zu sein, mit denen wir damals in unseren Bands zu tun hatten. Also redeten wir darüber, diese Band, die wir Meth Bird nennen wollten, ohne Einschränkungen zu starten, fleissig wie die Eichhörnchen zu werden und uns nicht daran zu stören, dass es klingt, als würden die Butthole Surfers Rush covern.

Johnny: Ein paar Songs materialisierten sich langsam innerhalb des Effekt-geladenen Noise, den wir im Studio machten. Dann fanden wir Phil über eine Online-„Drummer gesucht“-Anzeige, was vermutlich zum ersten Mal jemals funktioniert hat. Ich kannte Larry von einer Tour, die die Fleshies 2002 gemeinsam mit Victim’s Family unternommen haben.

Ich hab dann einfach die Weitschuss-Chance gesucht, Larry angerufen und ihn gefragt, ob er bei uns spielen würde. Das klappte, was grossartig war, weil ich ein grosser Fan von Victim’s Family während meiner High-School-Zeit in den Neunzigern war.

Was ist jetzt mit euren anderen Bands? Ich nehme an, die Fleshies gibt es noch. Aber was ist mit Victim’s Family? Und den anderen Bands?

Johnny: Die Fleshies existieren noch, in der ein oder anderen Form. Irgendwie ist daraus eine leicht schmuddelige Power Pop Rock Band geworden, allerdings eine okaye mit ein paar guten neuen Liedern. Das geht für mich in Ordnung, weil ich durch Triclops! all meine „weird music ya yas“ rauslassen kann. Ausserdem haben die Fleshies mehr oder weniger aufgehört zu touren und nehmen nur noch Platten auf. Wir tauchen nur manchmal während irgendwelcher Festival oder bei örtlichen Shows auf. Victim’s Family: Da musst du Larry fragen. Und der quatscht nicht.

Christian: Hmm… Fleshies, Victim’s Family? Hab ich noch nie von gehört. Ich war damit beschäftigt, in einem Kaff in Florida vor Hitze einzugehen, während wir dachten, Kurt Cobain wäre noch am Leben. In den Zeitungen stand ja nie was davon, dass irgendwas Schlimmes passiert wäre. Also haben wir einfach weiter versucht, vor den Melvins zu spielen, was nie passierte. Lower 48 aus SF waren kurz davor, mit ihrer Single ‚Replicator‘ gross zu werden, aber wir stahlen ihnen den Schlagzeuger aus ihrem Major-Label-Vertrag. ärsche.

Eure Musik ist sehr komplex, es gibt sehr viele Veränderungen innerhalb der Lieder, unterschiedliche Stilrichtungen. Heutzutage lernen Leute Songs über Werbung, MySpace und Klingeltöne kennen. Wie optimistisch seid ihr, dass Leute eure Musik verstehen?

Christian: Kriegst du deine Musik aus der Werbung? Dann bist du ein armes, verficktes Schwein. Ich habe und werde niemals meine Musik auf diesem Weg bewerben. Musik, an der ich wie ein Höhlenkrebs gearbeitet habe, funktioniert nicht auf diesem Fluchtweg, über MySpace, Klingeltöne oder all dem anderen Pferdedreck.

Ich kaufe Platten, keine Songs. Gegen jede Hoffnung hoffe ich, dass die nicht Platten kaufende öffentlichkeit irgendwann eine Offenbarung hat, weil sie schon vor Jahren das gekauft hat, was heute MySpace-Klingeltöne sind:

Milli Vanilli, Vanilla Ice, MC Hammer. Das war das Gleiche wie heute das Internet, da wurdet ihr Menschen für dumm verkauft. Popmusik-Fans sind wie Sklaven-Kinder in dem Film ‚Matrix‘. Wir sind mehr wie Werner Herzogs ‚Grizzly Man‘. Wir atmen unsere Klang-Haufen ein, tätscheln ihn und staunen wegen ihrer Grösse.

Und dann, wenn wir oder die meisten es nicht erwarten, werden wir von einem 30-minütigen Mozart-mässigen Meisterstück gefressen, das wir niemals hören konnten, weil es uns getötet hat. Aber wenigstens wird es in zehn Jahren in einer hochmodernen digitalen Form vorliegen, wenn jeder „total auf diese Band Triclops! steht“.

Johnny: Okay, wir haben ein paar Songs auf MySpace. Aber eigentlich kann man deine Frage so umformulieren: „Die Kids, die heutzutage Popmusik hören, saugen irgendwie (genauso wie alle Kids, die Popmusik zu irgendeinem Zeitpunkt in der Geschichte gehört haben, irgendwie saugen). Sie möchten nur diese vollkommen ideenlose Musik hören, die bestens in diese vorhersehbare Marketing-Ecke passt.

Auf diesem Weg passt diese Musik zu ihren beschissenen, überteuerten Klamotten, und sie können sie in Klingeltöne für ihr iPhone verwandeln. Glaubst du, eure Musik spricht sie an?“ Die Antwort ist Nein. Abgesehen davon sind sie die Witzfiguren. Sie sind diejenigen, die diese viel gepriesenen Burger King Jingles hören, nur dass diese Jingles von Bands stammen, die behaupten, von Sonic Youth beeinflusst zu sein. Ich sehe das nicht.

Als ich vor ein paar Jahren Shows von Victim’s Family hier in Berlin veranstaltet habe, konnte ich sehr gut sehen, wie die Zahl der Besucher mehr und mehr abnahm. Das wird für eure anderen Bands ähnlich gewesen sein. Wie sieht es bei Triclops! aus?

Johnny: Die Fleshies haben Ende 1999 angefangen und waren 2003 auf Europa-Tour. Die Shows waren toll, aber wir spielten vor allem in Squats, weil wir nicht gerade die populärste Musik machten. Ganz ehrlich: Spazzy Acid Punk Bands, die seltsame, abwechslungsreiche Musik machen, haben seit Mitte der Neunziger nicht mehr vor einem grossen Publikum gespielt. Und weil ich zu jung bin, um diese ära noch selbst von einem günstigen Ort auf der grossen Bühne miterlebt zu haben, kann ich meine Erfahrungen mit nichts vergleichen.

Die Bands, in denen ich war, waren immer Underground und erforderten eine leicht erhöhte Aufmerksamkeitsspanne, um sie zu mögen. Das ist auch in Ordnung für mich. Erst einmal ist die Trennung zwischen Band und Zuhörern nicht so gross. Dann ist das Interesse der Leute an solchen Bands echt, es geht nicht nur darum, flach gelegt zu werden. Meine Bands schreiben Alben, keine Singles – sie machen mehr Sinn, wenn man sich das Gesamtbild anguckt.

Christian: Ich denke, die Frage, die du eigentlich stellen wolltest, lautet: Warum war Europa Vorreiter dieser verdammt grausigen Rave/Techno-Bewegung, die das Interesse der Leute an Live-Shows zerstört hat? Ich meine, wir waren zumindest durch unsere grässlichen Medien darauf vorbereitet, die aufschrieen, als das Geschlachte durch eure „Rave Kultur“ losging.

Also wussten wir, dass ein paar amerikanische Loser ihren Hang zu „Alternative“ aufgeben würden für euren neuesten Wahnsinn. Vielen Dank für Prodigy. Lustigerweise würden Triclops! bei einer Rave-Show tatsächlich funktionieren, weil unsere Musik so sehr durch Geräusche getrieben ist. Ausserdem benutzt John Killer-Effekte für seinen Geang, so dass jeder, der heute noch X nimmt, vorgeben kann, er wäre ein „Techno-Goblin Master of Ceremonies“.

Vielleicht ist auch alles ganz anders. Schliesslich sind The Mars Volta ziemlich gross, und The Locust sind auch mehr als einem kleinen Kreis von Grind-Fans bekannt.

Christian: Ich denke, dass Triclops! einen Crossover von Leuten, die zu allen möglichen Shows gehen, hinbekommen können. Wir haben seit unserer Gründung sehr unterschiedliche Shows gespielt, um diesem Punk-Rock-Etikett zu entkommen. Wir haben mit Locust, Don Caballero, Acid Mother’s Temple und mit Free Moral Agents gespielt. Das ist die Indierock/HipHop-Band von Ikey von Mars Volta. In Kürze treten wir mit Circles auf. Wir haben bei all diesen Shows Aufmerksamkeit erregt. Es ist wichtig, Veränderungen zu forcieren.

Johnny: Keiner weiss, was er mit uns anstellen soll, was für mich vollkommen in Ordnung ist. Ich spiele gerne unbequeme Musik, nicht unbedingt im Sinne von Foetus oder selbst im unbarmherzigen Sinne von Locust oder Blood Brothers, sondern eher im „Mit verbundenen Augen an einem Stuhl gefesselt und für mehrere Stunden abwechselnd massiert und geschlagen“-Sinne. Ich möchte, dass die Leute unsere Shows mit einer begeisterten Verwirrung verlassen, mit ein wenig Hass und unfreiwilliger sexueller Erregung. Als wären die Shows PCP-Lutscher.

Wie würdet ihr denn selbst eure Musik beschreiben?

Christian: Als eklektischen Mix von Slim Whitman, auf dem Kopf gestellten Buddy Rich, Iron Maiden, Mozart und Nirvana. Allerdings ohne die schlechten Gitarren.

Johnny: Eine Kakerlake, alleine bei Nacht, die sich selber isst. Mit den Fühlern beginnend. Crunch, crunch, crunch. Wusstest du, dass das Gebiss einer Kakerlake nicht hoch und runter geht, sondern sich seitlich bewegt, um Essen zu zermahlen? Das klingt sehr kompliziert.

Lass uns mal über die beiden wichtigsten Lieder auf eurer EP reden, beginnend mit ‚Mi Plisboy‘. Wie ist solch ein langer, abwechslungsreicher Song entstanden?

Christian: Ich schrieb die Musik mit Johnny, nachdem der Riff von einer anderen Band abgelehnt wurde. Ha! Dann kam Phil dazu und hat einen Teil verdreht, so dass er viel besser klang. alles, was Larry tun musste, war, dazu zu spielen, und es klang um Lichtjahre besser als die ursprüngliche Vier-Track-Version.

Johnny: Ich wollte wirklich nur eine Entschuldigung, um möglichst viel Delay und Phaser auf die Stimme zu legen. Es stellte sich heraus, dass ich diese Entschuldigung gar nicht brauchte.

Du benutzt für den Gesang Neomelanesisches Creole. Wie bist du denn an diese Sprache geraten? Melanesien (im Prinzip die Inseln nordöstlich von Australien) liegt ja nicht um die Ecke von den USA. Sprichst du die Sprache?

Johnny: Ich habe diesen nutzlosen Abschluss in Anthropologie von der Universität Berkeley und dabei hier und dort eine Menge zufälliger Happen nutzlosen Wissens aufgeschnappt. Ich spreche eigentlich nicht die Sprache (Tok Pisin), aber sie ist sehr interessant, wenn man Linguistik studiert.

Sie ist ein sehr gutes Beispiel, wie „Pidgin“ sich zu einer Form entwickelt hat, die sich linguistisch sowohl von ihrer Grundlage (Melanesisch) als auch dem überbau (Englisch) unterscheidet. Als komplett entwickelte eigene Sprache klingt Tok Pisin sehr nach Englisch, ist aber strukturell komplett anders und unverständlich für jemanden, der nur Englisch spricht.

Und um was geht es in dem Lied?

Johnny: Ein einheimischer Polizist unter einer Kolonialmacht steht in einem Laden und redet mit dem Besitzer ganz offen über ihre Verschwörung, den örtlichen Kolonialverwalter umzubringen („Caesar“ wird er im Lied genannt). Dieses Gespräch findet im Beisein der englischen Kolonialisten statt, die keinen blassen Schimmer davon haben, welche Verschwörung da direkt unter ihren Nasen in einer Sprache, die so sehr nach ihrer eigenen klingt, diskutiert wird. Und das dank ihrer eigenen Ignoranz gegenüber der Kultur, die sie da besetzen.

Dabei gibt es Bezüge sowohl zum heutigen Kolonialismus (etwa im Irak) und während des Römischen Reichs, als ähnlich sinnlose Versuche der Dominanz und Unterdrückung von weit „barbarischeren“ Völkern auf deren eigenem Land versucht wurden. Natürlich endeten diese Kolonialisierungsversuche unvermeidlich mit Erniedrigung und einer Niederlage für die „Eroberer“.

Und dann möchte ich noch über ‚Bugbomb‘ reden – noch so ein Monster von einem Lied. Wie ist der entstanden?

Johnny: Die Musik haben Christian und ich geschrieben, und wir bestanden trotz der Proteste der Rhythmus-Gruppe auf den unzusammenhängenden Noise. Ich glaube, am Ende mochten sie ihn sogar.

Und um was geht es da?

Johnny: Ich hab ein paar Jahreszeiten archäologische Arbeit in Belize gemacht und bin einer dieser Menschen, die von Moskitos sehr gemocht werden. Das, wie du dir vorstellen kannst, ist nicht besonders gut im Regenwald. Dieses Lied wurde in einem Nebel von Halluzinationen, verursacht von Pestiziden und zu viel Kodein, geschrieben, als ich versuchte, mich während einer Woche Pause nach Ausgrabungsarbeiten zu erholen.

Ich war alleine in einem kleinen Hotel, alle Fenster waren geschlossen, und ich versuchte, die Moskitos, die es irgendwie trotzdem ins Zimmer schafften, mit einem grossartigen Spray namens BOP zu töten. Das bekommt man in den Staaten nicht, weil es zu krebserregend ist, aber Junge, wie gut das funktioniert. Atmen, allerdings, war etwas schwierig.

Ich habe eure neue 7″ auf GSL noch nicht gehört, ausserdem hab ich gelesen, dass ein Album in der Mache ist. In welche Richtung gehen die Songs?

Christian: Ich habe die neuen Lieder mit einer anderen Einstellung geschrieben, weil ich vorher wusste, dass GSL die Band mag. Dadurch hab ich mich inspirieren lassen, einfach drauf los zu schreiben. Ich habe mich nicht darum gekümmert, dass die Teile kurz bleiben oder in welchen Part sie münden sollten.

Ich hab einfach mein Hirn Riffs ausspucken lassen. Und als sie erschienen, wurde alles noch viel schlimmer, weil die neuen Sachen viel mehr von der Band geschrieben wurden als die EP. Bei der EP habe ich aus Trotz gegenüber meiner alten Band geschrieben, die mich kreativ unter Verschluss halten wollte.

Johnny: Die Lieder hängen mehr zusammen, und es gibt mehr Melodien. Meistens wird die Melodie allerdings von einer grausigen Lawine von seltsamen Effekten und Krach angegriffen. Ausserdem schlägt eine grosse böse Gitarre in unregelmässigen Abständen auf sie ein.

Und wo kommen die Sachen raus? Ich war überrascht, dass ihr nicht mit Alternative Tentacles arbeitet, obwohl sowohl Fleshies als auch Victim’s Family bei A.T. veröffentlicht haben.

Johnny: Jello mag Triclops! sehr, und sowohl Larry als auch ich lieben A.T., aber wir wollten unsere Horizonte erweitern. Du weisst schon, andere Leute treffen und so. Es macht Spass, mit anderen Labels zu flirten; wir haben auch einige sehr gute Fick-Beziehungen mit GSL, Sick Room und Missing Finger. Aber wir sind auch noch zu haben für den besonderen Einen, der mit uns für ein oder zwei Alben zusammenleben möchte. Hoffentlich kriegen wir dabei kein Herpes.

Kommt ihr denn bald mal nach Europa?

Johnny: Wir warten und sind bereit. Irgendwelche Angebote? Wir haben kein Herpes. Noch.

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Interview: Dietmar Stork

Links (2015):
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