Dezember 5th, 2008

TRAINWRECK (#127, 12-2007)

Posted in interview by jörg

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Trainwreck entstand ja, wenn ich das richtig mitverfolgt habe, recht schnell nach dem Ende der Eaves. War quasi Trainwreck dann der Grund, um zu sagen „Wir hören mit den Eaves nun auf“ oder hat sich das erst im Nachhinein so ergeben?**

Felix: Nein. Die Auflösung von Eaves hatte andere Gründe, ein Teil der Band hatte nicht mehr die Zeit für eine aktive tourende Band, Prioritäten verschoben sich und es gab auch die ein oder andere Meinungsverschiedenheit innerhalb der Band, weswegen wir nicht mehr weitermachen wollten und konnten. Der Teil von Eaves, der mehr vor hatte als bisher und eigentlich auch den Grossteil der Arbeit in die Band gesteckt hatte, hat dann recht schnell eine neue Band aufziehen wollen, woraus dann Trainwreck entstand. Engrave hatte sich ja bereits ein Jahr vorher aufgelöst und Andi und Timo hatten ebenfalls weiterhin Bock auf eine aktive D.I.Y-Band. In den ersten Monaten haben wir dann viel geprobt und noch mehr diskutiert, um verschiedene Ansichten gleich vorher zu klären. Das, was bei Eaves am Ende gar nicht mehr klappen wollte, haben wir bei Trainwreck von Anfang an klargestellt und so läuft es eigentlich mittlerweile sehr gut für uns und das, was wir uns vornehmen.

Das heisst also, Ihr habt verschiedene Konsequenzen aus Euren alten Bands gezogen – welche wären das zum Beispiel?

Marc: Ich denke, vor allem, dass alle Mitglieder in die gleiche Richtung blicken sollten. Vor allem was Proben, Spielen und Aufnehmen anbelangt. Wir fünf gehen immer noch gern auf Konzerte und begeistern uns für das Umfeld, in dem wir unterwegs sind. Wichtig ist auch, dass man bereit ist, viel von seiner Zeit in die Band zu stecken, auch wenn das heisst, dass man in anderen Bereichen Abstriche machen muss.

Das muss einfach untereinander klar sein. Man sollte da einfach mehr oder weniger die gleichen Pläne und Vorstellungen von dem, was in der jeweiligen Kapelle machbar ist, haben und offen und vor allem konstruktiv über Probleme reden können. Das erspart viele Komplikationen.

War von Euch jemand bei den G8 Demos dabei?

Felix: Nicht, dass ich wüsste. Persönlich sehe ich dazu auch derzeit keine Notwendigkeit, da bei Antiglobalisierungsveranstaltungen meist verkürzte oder auch gar keine Kritik stattfindet. Vielmehr konnte man bei den „Protesten“ bzw. in Heiligendamm den Eindruck gewinnen, dass es sich um ein sehr breites und zugleich oder vielleicht auch gerade dadurch zutiefst affirmatives politisches Spektrum handelt, das in erster Linie eher auf der Suche nach Aktionismus und Gemeinschaftsgefühl im „Event“-Charakter gegen „Die da oben“ ist und weniger Interesse an einer grundlegenden Kritik an den Verhältnissen hat.

Timo: Ich hatte leider auch den Eindruck, dass sich die „Fähnchenschwenker(innen)kultur“ von der Weltmeisterschaft im letzten Jahr nach Heiligendamm herübergerettet hat, und die transportierten Inhalte leider zumeist wenig substantiven beziehungsweise produktiv-kritischen Charakter hatten. Allein die dem Diskurs zugrunde liegenden Auffassungen von „Globalisierung“ vieler „Globalisierungsgegner“ (dieser Terminus an sich ist schon ein Witz) erschienen mehr als rudimentär und simplifizierend, was zum Teil aber ebenso mit an der Darstellung der Medien gelegen haben mag.

Hinzu kommt, dass mich auch dieser gesamte Rummel, dieses „Quengel-Woodstock“ mit all seinen ach-so-hehren Zielen gestört hat, wo dann alle schön „happening-mässig“ auf „Unity“ machten, gemeinsam feierten und sich nebenbei noch ein bisschen (aber bloss nicht zu doll) über soziale Ungerechtigkeiten auf der Welt und den „bösen Kapitalismus“ affektierten.

Von der „Speerspitze der Empörung“ (den Medienhelden um Bono und Co.) mal ganz zu schweigen. Gut gemeint ist halt nicht immer gut gemacht. Nichtsdestotrotz: Medienpräsenz für Themen wie Entwicklungspolitik, globale Armutsbekämpfung etc. ist definitiv wichtig, und es wäre weiterhin falsch, alle an den Protesten Beteiligte über einen Kamm zu scheren. Naja, vielleicht hatte das Ganze sogar ein Paar positive Aspekte und Effekte. Von einem wirklichen (nachhaltigem) Nachhall der gesamten Protestveranstaltung habe ich dennoch nichts mitbekommen.

Am meisten in Erinnerung bleiben davon wohl neben dem Sicherheitszaun (der auch als „Mauer“ bezeichnet wurde) noch mit die Bilder der „riots“. Was einerseits logisch ist, andererseits aber auch traurig, weil „fuck you“ zwar generell eine klare An- und Aussage ist, aber eben keine sonderlich produktive oder differenzierte. Jedenfalls interessiert sich das Gros der Leute hierzulande allem Anschein nach weiterhin (oder wieder) nur für das Gebiet bis zum eigenen (vollen) Tellerrand. Aber was will mensch auch von so einem Gipfel schon ernsthaft (grosses) erwarten.

Andi: Sicherlich haben Felix und Timo recht, die G8 Demonstrationen sind in ihrer Kritik als oberflächlich zu betrachten und auch ich habe das ganze Spektakel eher skeptisch beobachtet. Entwicklungspolitik und globale Armutsbekämpfung sind nun einmal komplexe Themen, die sich nicht mit einem diffusen Gerechtigkeitsempfinden durchdringen lassen. Generell finde ich es aber eigentlich gut, dass da jede Menge Leute demonstriert und so zumindest signalisiert haben, dass sie nicht damit zufrieden sind wie die Dinge in der Welt laufen.

Man kann es ja auch so sehen, was wäre gewesen, wenn keiner zu den Demos gegangen wäre? Die mediale Aufmerksamkeit war den `Globalisierungsgegnern` auf jeden Fall sicher und das ist zumindest ein Teilerfolg in unserer heutigen Zeit. Das sehe ich so, wie auch Andi, und denke, dass es wichtig ist, dass die Demonstrationen statt finden – auch, wenn das Hippie-Unity Ding oft vielleicht inhaltsleer ist. Andererseits ist aber schliesslich eine Art kleinster gemeinsamer Nenner vorhanden und das ist ja auch schon etwas.

Ihr bucht Eure Touren immer selbst oder? Kommt ihr damit gut hin oder habt ihr Probleme, Konzerte zu finden?

Felix: Ja, soweit es geht buchen wir die Shows selbst oder haben Freunde, die so nett sind uns dabei zu helfen. Die kommende Tour in den USA bucht zum Beispiel Kenny von Comadre, mit denen wir teilweise unterwegs sein werden und auch schon waren.

Andi: Wir können uns glücklicherweise nicht über einen Mangel an Shows beklagen. Um genau zu sein kriegen wir sogar jede Menge Anfragen, die wir aus Zeitgründen leider nicht alle wahrnehmen können. An dieser Stelle ein Dank an all die Leute, die uns für ein Konzert angefragt haben!

Organisiert ihr auch selbst Konzerte in z.B. Aachen (ohne, dass ihr dort nun spielt) für andere Bands?

Felix: Ja, Marc und ich sind auch in einer Konzertgruppe, mit der wir Konzerte im Aachener AZ veranstalten.

Wer von euch ist noch in anderen Bands aktiv und welche sind das?

Felix: Soweit ich weiss, sind wir momentan alle lediglich mit Trainwreck beschäftigt. Martin ist glaube ich in Köln noch auf der Suche nach nem neuen Projekt.

In welcher Stadt gibt es das beste Essen für Bands?

Felix: Schwierig. Es ist aber generell teilweise echt unglaublich, wieviel Mühe sich die Veranstalter mit dem Essen geben. Das sind natürlich nicht alle, aber ich esse auf Tour meistens besser als zu Hause. Sollte jemand von Euch allerdings in Frankreich auf Tour gehen wollen, nimmt Pfeffer und Salz mit!

Andi: Im Exhaus in Trier wird immer einiges aufgefahren und auch im Kafe Kult in München schmeckt es eigentlich immer sehr gut. Ich erinnere mich auch gerne an ein Weihnachtsessen bzw. eine Völlerei im leider nicht mehr existierenden Ungdomshuuset in Kopenhagen zurück, das war sicherlich eins der besten Essen meines Lebens! Ansonsten gibt es immer da wo sich die 50 Food Combo rumtreibt leckeres Essen.

über welches politische oder soziale Ereignis würdet Ihr gerne einmal einen Song schreiben, habt es aber bisher noch ich getan oder Euch hat die Idee dazu gefehlt?

Andi: Ideen habe ich schon viele, nur an der Umsetzung hapert es teilweise etwas. Die textliche Umsetzung von Ideen kann sich bei mir manchmal über Jahre ziehen, bis ich mit meinen Ergüssen zufrieden bin, wobei ich es auch schwierig finde über ein bestimmtes Ereignis zu schreiben, da sich damit der Inhalt oder die Message des Songs eben auf einen bestimmten zeitlichen und räumlichen Kontext beschränken würde.

Deshalb versuche ich die Texte möglichst allgemein zu halten, beziehungsweise aus aktuellen Ereignissen allgemeine Tendenzen oder Aussagen abzuleiten. Textlich umsetzen möchte ich in nächster Zukunft noch die Themen „industrielle Nahrungsproduktion“, das eigene Konsumverhalten und Religion und Punk.

Das klingt gut, ich bin gespannt! Etwas anderes: Welche kleinen und (noch) unbekannten Bands empfehlt Ihr mir?

Felix: Da gibt es natürlich einige. PATTERNS aus Köln beispielsweise, mit denen wir Ende Juli wieder ein langes Wochenende unterwegs sind. Push, push! OMEGA MAssIF aus Würzburg haben grade ihr erstes Album auf Yskalnari Records rausgebracht, ein kleines D.I.Y. Label, was Marc, Maria und ich betreiben. Sie sind meines Erachtens momentan eine der besten Doom-Hardcore Bands in Europa! Dann würde mir noch DENY EVERYTHING einfallen. Wer auf Kid Dynamite steht, wird die neue Platte lieben. Ich tue’s jedenfalls. Arschtritt plus sehr gute Texte!

Andi: Mir fallen noch PETE THE PIRATE SQUID und GRAVE, SHOVEL…LET`S GO ein, die haben mich beide doch sehr überzeugt als wir neulich mit ihnen in München gespielt haben. Guter alter DC-mässiger Emo.

Marc: Persönlich finde ich, dass es in Luxemburg, wo wir immer aufgenommen haben, viele gute Bands gab und gibt, die zu wenig Aufmerksamkeit bekommen. Aktuell vor allem MUTINY ON THE BOUNTY, LAFA CONNECTED, DO ANDROIS DREAM OF ELECTRIC SHEEPS? Und MIAOW MIAOW. In Aachen gibt es auch noch ne ganz coole Mathcore Band namens UNDER THE PLEDGE OF SECRECY, deren Platte wir mit Yskalnari u.a. rausbringen. Auch GHOSTLIMB aus Amiland mit dem Gitarristen von GRAF ORLOCK finde ich Hammer. Eigentlich zu viele.

Andi: Wenn wir international reden wollen gibt es da natürlich noch einige andere Bands: DROWNING WITH OUR ANCHORS, bei denen unter anderem Josh von Burial Year dabei ist, laufen bei mir derzeit rauf und runter, DEGANIA ist auch eine sehr coole Band, mit denen wir in Amerika gezockt haben.

Gut, danke. 2006 war ja ein ereignisreiches Jahr für Trainwreck und Eure Motivation scheint wirklich hoch zu sein. 2007 geht es weiter mit vielen Shows und sowie einer US Tour als auch einer Split LP von Burial Year. Das freut mich und Euch wohl auch. Macht Euch das keine Probleme neben Arbeit, Studium und Freundin/Freunden noch quasi jedes Wochenende in Jugendzentren zu verbringen?

Felix: Die Pläne haben sich mittlerweile ein wenig geändert. Da Burial Year das Zeitliche gesegnet haben, werden wir die Split mit besagten Comadre aus San Francisco machen, die die nächsten Wochen fertig sein sollte. BY werden aber glücklicherweise noch zwei allerletzte Shows mit uns dort drüben spielen.

Alles andere bleibt beim Alten. 2007 ist bis jetzt etwas ruhiger für uns ausgefallen, da Marc, Timo und Andi mit der Uni fertig werden müssen. Martin und ich haben das Gleiche nächstes Jahr vor, von daher müssen wir uns schon so gut wie möglich organisieren, um weiterhin mit der Band viel machen zu können. Was allerdings nach der Uni kommen wird, können wir bisher überhaupt nicht abschätzen. Kriegen wir nen Job und wenn ja, wieviel Zeit wird uns für die Band bleiben. Werden wir alle in NRW bleiben können usw..

Das sind alles Fragen, die wir erst dann beantworten können, wenn es soweit ist. Von daher können wir im Moment nur bis Ende des Jahres blicken, und geplant ist bis dahin neben den 4 Wochen amerikanische Westküste nur noch ein paar Shows sowie eine weitere Splitgeschichte zwei drei Songs von uns. Was nächstes Jahr kommen wird, steht in den Sternen, obwohl wir alle gerne soviel wie möglich machen wollen.

Andi: Da das Beste an einer Band eigentlich das Livespielen ist und dabei möglichst viel herumzukommen, hatten wir uns von Anfang an als Ziel gesetzt mit Trainwreck so viel wie möglich unterwegs zu sein. Das ist uns auch relativ gut gelungen, obwohl wir zwischen den einzelnen Touren auch immer wieder längere Ruhepausen hatten, so dass wir im Endeffekt doch nicht jedes Wochenende in irgendwelchen Jugendzentren verbringen.

Da wir eigentlich auch alle noch Studis sind bzw. noch nicht im Berufsleben stehen ist das zeitmässig seltener ein Problem für uns, auch wenn es eben oft nicht gerade einfach ist die unterschiedlichen Zeitpläne von fünf Leuten unter einen Hut zu kriegen. Wie Felix aber schon sagte wissen wir nicht, wie gut das auch in Zukunft hinhauen wird. Wir haben aber definitiv noch viel vor mit Trainwreck.

Welchen Song würdet ihr als euren politischsten sehen und warum?

Timo: Andi, wenn ich das richtig sehe, ist das einzige Lied mit wirklich „realpolitischem“ Hintergrund doch „you can’t fake the funk“, oder? Ansonsten finde ich diese Frage schwierig zu beantworten, da viele Songs sich ja eher mit im weitesten Sinne „personal politics“ befassen.. idealtypisch zum Beispiel „home sweet home“ von der besagten Split mit Comadre.

Andi: Eigentlich würde ich unsere Songs gar nicht als politisch ansehen, beziehungsweise Trainwreck nicht als politische Band bezeichnen. Natürlich ist es so, dass wir politisch interessierte Menschen sind und das auch Einfluss auf die Band hat, aber ich sehe Trainwreck nicht als Band, die eine bestimmte politische Ideologie transportiert oder eine Agenda verfolgt.

In erster Linie ist die Band eine Möglichkeit sich kreativ zu betätigen und ein Mittel des Ausdrucks. Als solches werden eben Dinge und Themen behandelt, die einem auf der Seele brennen, „write about what affects you“, das können dann persönliche Dinge sein, aber auch politische oder sozialkritische, solange es aufrichtig und ehrlich ist, ist alles erlaubt. Hinzu kommt, dass die Texte, die eben „politisch“ inspiriert sind, ja wie bereits gesagt eher allgemein und abstrakt gehalten werden, so dass ich es auch von daher schwierig finde von politischen Songs zu reden und diese eher als sozialkritisch verstehen würde.

Aber ja unser „politischster“ Song wäre dann wohl „You can`t fake the funk“, in dem es um die Unterordnung demokratischer Ideale unter den Primat der kapitalistischen Wertschöpfung geht, vor dem Hintergrund der blühenden Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und China, einem Land in dem Todesstrafe, Folter und die Inhaftierung politischer Oppositioneller an der Tagesordnung sind.

Wie verbindet ihr Job / Schule / Studium (je nachdem, was ihr tut) mit privater Zeit für Lebenspartner und dann natürlich das viele Unterwegssein und Konzerte spielen? Wo liegen Probleme und was ist der Reiz daran? It`s more than music“ ich denke hier an die Lyrics und deren Erklärung von „Au revoir tristesse“.

Andi: Klar ist es manchmal nicht ganz einfach alles unter einen Hut zu bringen, aber wie gesagt sind wir nicht jedes Wochenende unterwegs und auch nicht mehrere Monate am Stück, so dass sich das alles noch im Rahmen hält. Problematisch ist das Touren eigentlich auch nicht, abgesehen davon, dass das Ganze natürlich nicht immer megakomfortabel ist. Ich denke zum Beispiel an mehrstündige Busfahrten in nem vollgestopften Van bei hochsommerlichen Temperaturen, oder das Nächtigen mit zwölf oder mehr Leuten in einer kleinen verschimmelten Wohnung, da wird es dann schon mal recht anstrengend.

Aber dafür, dass wir das machen können, was wir lieben, nämlich unabhängig und frei von irgendwelchen Anforderungen und Zwängen, wie ihn eben Job/ Schule/ oder Studium mit sich bringen, mit unserer eigenen Musik auf Tour gehen und in fremden Ländern, Städten vor neuen Leuten spielen und neue Freundschaften zu schliessen, ist das ein kleiner Preis, den man gerne bereit ist zu zahlen. Und es ist auch irgendwie ein kleines Abenteuer, man weiss ja nie was passiert und wird ständig mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Es ist schon so, dass man Erfahrungen macht, die andere Leute so nicht machen, da zehrt man dann auch im manchmal nicht so spannenden Alltag von.

Wie beispielsweise schon im Booklet der Eaves Platte, so gibt es auch auf der Trainwreck EP gelungene Erklärung und Hinweise zu den Lyrics, was ich sehr sinnvoll finde. Meiner Meinung nach machen das viel zu wenige Bands. Damit zeigt ihr, dass euch die Texte auch wichtig sind. Liege ich da richtig?

Felix: Absolut. Schliesslich ist es Hardcore Punk und sollte immer auch den Anspruch auf eine Aussage haben.

Timo: Einmal abgesehen von irgendwelchen Ansprüchen oder (Ideal)Vorstellungen im Bezug auf Aussagen in unseren Liedtexten gibt es meiner Meinung nach noch einen anderen, viel pragmatischeren und banaleren Grund: Der Gesang ist ja gewissermassen Andis „Instrument“, sein praktischer Beitrag zu Trainwreck. Und der soll seiner und unserer Auffassung nach schliesslich auch von anderen nachvollzogen werden können. Ich meine, wenn Du was sagst, willst Du doch (in der Regel) auch, dass Du verstanden wirst.

Andi: CHOKEHOLD haben mal gesagt: „This is an outlet for opinion, for ideas, for suggestion. We gave back what hardcore gave to us – heart, sincerity and a chance to be heard. Music is our weapon and if our lyrics are ignored, then we should be too.“ Dem ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen. Was Hardcore/ Punk nun einmal auszeichnet ist, dass mit der Musik eine textlich gehaltvolle Aussage (ob jetzt politisch oder persönlicher Art) einher geht.

Die Texte rücken für mich die aggressive Musik ins richtige Verhältnis. Wir sind eben nicht fünf Typen, denen das Testosteron zu den Ohren rausläuft und die deshalb mit ihrer Musik auf dicke Hose machen wollen. Es gibt gute Gründe angepisst zu sein, beziehungsweise genug Dinge, die einem auf dem Herzen liegen (positiv oder negativ) und einfach raus müssen, und die man am besten einfach rausschreit.

Und damit man eben weiss warum wir so einen Krach machen, sollen die Erklärungen die Texte verständlicher machen, zumal ich gerne relativ abstrakt schreibe und es schon vorgekommen ist, dass die Texte missverstanden wurden. Natürlich kann jeder gerne in die Texte reininterpretieren was er möchte, die Erklärungen geben dann lediglich die ursprüngliche Intention des Songs wieder.

Mögt ihr mal ein wenig erklären, wie diese misanthropische Sichtweise zustande kommt, die vor allem in eurem Song „Goodbye Bloodsuckers“ herrscht?

Felix: Schau dich um! Wozu Menschen in der Lage sind und wohin sie durch die bestehenden Verhältnisse zugerichtet werden, lässt einen oft zum Misanthropen werden, auch wenn das natürlich nicht mehr als eine zynische Reaktion auf eben solche Verhältnisse sein kann. Für mich ist der Song ein Ausdruck davon, sich damit eben nicht zufrieden geben zu wollen sondern den kläglichen Versuch, Dinge zu verändern und anders zu machen aufrecht zu erhalten.

Timo: Zuerst noch mal was grundsätzliches: Da alle Liedtexte bislang aus Andis Feder stammen, ist das eigentlich (wieder) eine Frage, die nur er so wirklich beantworten kann. Daraus ergibt sich allerdings auch, dass die jeweiligen Inhalte und Positionen sich nicht immer zu 100 Prozent mit den Meinungen und Vorstellungen der anderen vier decken (müssen).

Aber das finde ich nicht unbedingt, denn Andi sagt ja selbst, dass interpretiert werden darf. Und verschiedene Meinungen dazu sind dann völlig okay.

Felix: Dennoch, dieser Song läuft für mich persönlich jedenfalls so unter der Rubrik „keine gute Miene zum bösen Spiel“, womit ich meine, dass Pessimismus und Aufgabe im Sinne eines Rückzuges auf die „eigene Scholle“ oder hinter die aufgeputzte Fassade einer „heilen Welt“ (beispielsweise in den heimischen vier Wänden) keinen echten Ausweg darstellt, sondern letzten Endes immer eine Flucht, die nur dann und solange Erfüllung oder Zufriedenheit bringen kann, wenn sie und ihre Ursache (erfolgreich) verdrängt oder vergessen werden.

Ich sehe das also insofern ähnlich wie Felix: dies ist kein „Misanthropismus“ mit nihilistischer Ziel- oder Endrichtung, sondern wenn, dann überhaupt eine eher negative Weltsicht mit emanzipatorischem Grundanspruch, oder vielmehr mit damit verbundenen (als utopisch oder illusorisch erkannten) Hoffnungen nach „Besserung“.

(Nur am Rande: ich finde es ziemlich bezeichnend, dass „Gutmensch“ zu einem four-letter-word geworden ist.). Dies klingt jetzt alles vielleicht sehr hochtrabend, abgehoben und nach (Hippie-)“Revolution“, gemeint ist aber nur, dass mensch möglichst reflektiert mit sich, den Mitmenschen und der Umwelt umgehen, und nicht einfach die Augen vor unbequemen oder unangenehmen Themen und (persönlichen) Auseinandersetzungen verschliessen sollte, weil es einfach(er) und bequem(er) ist, oder andere es (genau)so machen.

Doch selbst an diesem Anspruch scheitert es sich ja in regelmässiger Häufigkeit. „Goodbye bloodsuckers“ legt für mich deshalb Finger in Wunden, auch in die eigenen, heissen sie nun Narzissmus, Egoismus, Ignoranz, Opportunismus, Falschheit oder wasauchimmer. (Und alle haben Leichen im Keller). Es geht somit also in meinen Augen nicht um ein pauschales „Menschen=Scheisse“.

Der Song ist vielmehr ein Ausfluss aus direkt erlebter Frustration, und dem entsprechend explizit in seinen Aussagen. Aber das ist wie gesagt nur meine eigene Interpretation. Nun hätte ich aber mal eine Gegenfrage: Deine Formulierung (der Frage) suggeriert für mich, dass Du das Ganze anders zu sehen scheinst. 😉

Nein, keine Sorge. Mir gefällt der Text so, wie er ist, und mir gefallen Eure Meinungen dazu, welche schliesslich zeigen, dass Ihr Euch mit Andis Texten auseinandersetzt – was ja leider lange nicht für alle Bands selbstverständlich ist.

Andi: Den Text zu „Goodbye Bloodsuckers“ hatte ich geschrieben nachdem ich einige frustrierende Erlebnisse mit verschiedensten Mitmenschen hatte, was unter anderem auch mit persönlichen Enttäuschungen von Leuten verbunden war, von denen ich so etwas nie erwartet hätte. Erfahrungen, die mir wieder einmal gezeigt haben, das sich jeder selbst der Nächste ist, das fängt im Kleinen auf der persönlichen Ebene an, lässt sich aber auch im grösseren gesellschaftlichen Kontext wiederfinden.

Nicht umsonst sind wirtschaftliche Interessen der Grund für Krieg und Umweltzerstörung. Aber ich schweife ab…. Letztendlich war der Text natürlich ein Ausfluss momentaner Frustration und bewusst etwas krass gehalten, sollte aber keine Kapitulation vor diesen Umständen implizieren. Im Grossen und Ganzen habe ich zwar kein positives Menschenbild, aber die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt.

So. Vielen Dank für das nette Interview!

Vielen Dank an dich!

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Interview: Andreas Lehnertz

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