Juni 10th, 2019

TOMAHAWK (#125, 2007)

Posted in interview by Jan

Tomahawk

Es war einmal ein Rocksänger. Der hatte seine Rockband aufgelöst, um fortan nur noch seltsame Klänge zu produzieren. Eines Tages traf der Rocksänger einen Gitarristen. Der hatte früher in einer seltsamen Band gespielt und mochte nun ein wenig Rockmusik produzieren. Gemeinsam mit dem Sänger. Und so geschah es, dass sich die beiden Herren mit zwei anderen Herren zusammensetzten und zwei feine Rockalben aufnahmen. Doch dann geschah etwas völlig Unerwartetes: Der Gitarrist mochte lieber wieder seltsame Klänge aufnehmen. Am besten von Indianern, weil man sich ja einen solchen Bandnamen gegeben habe. Und wenn die Leser nicht gestorben sind, werden sie sich nun an einhundert Jahre alte Klänge aus dem Wilden Westen im Gitarrenkleidchen gewöhnen müssen. Hugh, wir haben die Einleitung gesprochen.

Die Rede ist natürlich von Tomahawk, dem Bandprojekt von Ex-Jesus-Lizard Duane Denison gemeinsam mit Mike Patton und John Stanier, ehemals Helmet. (Bassist Kevin Rutmanis ist, wie auch bei den Melvins, nicht mehr dabei.) „Anonymous“ heißt deren drittes Album, für das sich Denison längere Zeit in Bibliothekn gesetzt hat: Er recherchierte nach Liedern der amerikanischen Ureinwohner. Das Album, das dabei heraus kam, ist ein Bruch zur Vergangenheit: wenig rockend, aber ausgesprochen spannend und experimentierfreudig. Davon erzählte Denison in einem E-Mail-Interview.

War es unvermeidlich, dass eine Band namens Tomahawk irgendwann Lieder von amerikanischen Ureinwohnern aufnehmen würde?

Ja, das sieht wohl so aus, oder?

Ich habe gelesen, dass du mit Hank Williams III häufiger in Reservaten gespielt hast. Wann ist dir aufgefallen, dass dich die Lieder der Ureinwohner faszinieren? Und wann hast du bemerkt, dass dich die existierenden Bands enttäuschen?

Sofort. Ich habe immer erwartet, dass ihre Bands aufregender wären – roher, primitiver und so. Stattdessen waren sie immer sehr konventionell. Vielleicht sind sie durch die Missionare einer Gehirnwäsche unterzogen worden, keine Ahnung. Aber als ich erst einmal Bücher mit richtigen Abschriften von originalen Liedern entdeckt hatte, wusste ich, dass ich gefunden habe, was ich suchte.

Wie lange dauerte es, um all die Songs zu finden? Wann hast du die Bücher entdeckt?

Das Album brauchte ein paar Jahre. Es dauerte Monate, um die Lieder zu sammeln, sie zu interpretieren und sie neu zu arrangieren. Dann brauchten wir Monate für Freiräume in den Terminkalendern aller Beteiligten, um das Zeugs tatsächlich aufzunehmen. Angefangen habe ich mit dem Projekt im Jahr 2001.

Kannst du mir ein bisschen erzählen, wie die Forscher an die Songs gekommen sind? Zur Zeit von Präsident Roosevelt (Anfang des 20. Jahrhunderts) war es doch bestimmt nicht so einfach, auf die Ureinwohner zuzugehen und sie auf ihre Songs anzusprechen.

Als Leute wie Natalie Curtis und andere unterwegs waren und die Lieder sammelten, waren die Indianer-Stämme ziemlich brutal behandelt worden und kurz vor dem Aussterben. Vielleicht machte es ihnen (den Ureinwohnern) der Umstand leichter zu kooperieren, dass da jemand sich tatsächlich für ihre Kultur sorgte.

Sind abgesehen von letzten Titel ‚Long Long Weary Day‘, der ein Gesellschaftslied aus jener Zeit ist, alle Songs von den Ureinwohnern? Oder sind einige von euch geschrieben?

Das Grundthema jedes einzelnen Liedes basiert auf einem authentischen Titel der Ureinwohner – einige haben wir sehr originalgetreu interpretiert, andere haben wir für unsere Zwecke ‚adaptiert‘. Wir haben Intros und Outros zugefügt, bestimmte Abschnitte wiederholt, ‚Loops‘ aus rhythmischen Motiven gebaut, manchmal Modulationen und Sequenzen ergänzt und so weiter. Wir mussten schon ein bisschen reinstecken, ansonsten wäre da nicht viel Material gewesen! Die eigentlichen Songs waren sehr kurz und simpel, deswegen mussten wir schon einiges an eigenem Material hinzufügen.

Worum geht es in den Liedern? Bei einigen wie ‚War Song‘ oder ‚Song of Victory‘ ist es offensichtlich, bei anderen nicht unbedingt.

Ich finde sie schon recht offensichtlich. Bei den beiden ‚Mescal Rites‘ geht es um genau das – Eindrücke von Halluzinationen. Andere rufen die Geister von Tieren auf (‚Red Fox‘) oder drehen sich um Jagderfahrungen (‚Antelope Ceremony‘).

Die Musik rockt nicht mehr so wie auf euren ersten beiden Platten. War das etwas, was die Songs einforderten? Oder ist das eine Richtung, die ihr ohnehin einschlagen wolltet?

Es gibt schon bestimmte Momente auf der Platte, die rocken, aber grundsätzlich hast du Recht. Die Musik ist weit atmosphärischer als auf den ersten beiden Alben. Wir wollten, dass diese Lieder ihre eigenen „Persönlichkeiten“ entwickeln und ihnen nicht zu viel aufzwängen. Abgesehen davon habe ich eine neue Band namens U.S.S.A., die sehr rockt, Patton macht Peeping Tom und Stanier hat Battles…

Lass uns mal über die Texte reden – einige sind in Englisch, war das schon im Original so? Oder wurden sie übersetzt (bei wem auch immer)?

Einige der englischen Texte sind Übersetzungen, andere hat Patton geschrieben.

Und in welcher Sprache sind die anderen Titel?

Das ist von Lied zu Lied verschieden. Das sind zu viele Sprachen, als dass man sich das alles merken könnte.

Mike Patton hatte sicherlich seine Freude daran, den Gesang zu entwickeln. Passt die Musik zu seinen anderen Projekten?

Ich finde, die fügen sich sehr gut in Pattons Gesangsstil ein. Für mich klingt er bei diesen Ureinwohner-Sachen sehr bei sich selbst. Er hat mir mal erzählt, dass er Indianer-Blut in sich hat.

Wie sind die Lieder denn grundsätzlich entstanden: Ihr habt erst die Instrumental-Sachen aufgenommen, um sie Mike zu schicken, der dann Gesang und Samples drauf gepackt hat? Oder habt ihr die Lieder erst geprobt, bevor sie getrennt aufgenommen habt?

Ich habe vor ein paar Jahren einfache Demos der Lieder aufgenommen, damit jeder die Chance hatte, sie „au naturel“ zu hören. Dann haben wir weitere Demos hin- und hergeschickt, die immer mehr ins Detail gingen. Als wir dann endlich im Studio waren, war es tatsächlich recht einfach, sie rauszuhauen.

Euer Bassist Kevin Rutmanis ist nicht mehr in der Band – vermutlich aus den gleichen Gründen, warum er bei den Melvins rausgeworfen wurde (Dale Crover redete von Drogenproblemen). Wollt ihr ein Trio bleiben, oder gibt es schon einen neuen Bassisten? Und wird der dann festes Mitglied oder nur bei Konzerten dabei sein?

Keine Ahnung. Wir haben über Mike Watt nachgedacht. Oder vielleicht Flea. Oder Twiggy Ramirez.

Gibt es denn eine Tour zu diesem Album?

Ja, aber nur Open-Air-Shows, wo wir Hologramme in die Luft beamen, um Außerirdische und Getreidekreise anzuziehen…

Interview: Dietmar Stork

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