März 12th, 2007

THE VALENTINE SIX (#69, 04-1998)

Posted in interview by andreas

„FUGAZI? SOWAS WüRDE ICH ABER NICHT ALS PUNKROCK BEZEICHNEN!“ (Lily Wolf)

Ein kleiner Club irgendwann in den 60ern, irgendwo in den USA. Rock`n`Roll hat mit Elvis nun endlich auch sein eigenes Kitschgrab geschaufelt und die BEATLES erobern die Herzen der weissen Mittelklasse. Doch in diesem besagten Club ist davon nichts zu spüren.

Hier betritt gerade eine Band die Bühne, die von all dem nichts wissen will; die weiss, dass ihre Wurzeln im Rhythm`n`Blues liegen; eine Band, die sich bewusst ist, dass der mainstream sie nicht hören, geschweige denn sehen will.THE VALENTINE SIX kommen aus Texas, wohnen jetzt aber in New York. Auf Crippled Dick Hot Wax wurde letztes Jahr ihre Debut-CD in Europa wiederveröffentlicht.

THE VALENTINE SIX würden bestimmt gern die Band in dem Club gewesen sein, aber sind zur falschen Zeit geboren. Pech gehabt, aber den „spirit“ versuchen sie dennoch zu erhalten….Das Interview entstand am 17.1. 1998 im Café Glocksee in Hannover. Anwesend waren Sänger/Saxophonist/Gitarrist Parker Valentine, Organistin Lily Wolf und Schlagzeuger Tony Corsano.

Der Auftritt von THE VALENTINE SIX lässt sich nicht anders als „faszinierend“ beschreiben. Drei Menschen, die verdammt viel Spielfreude und Power auf der Bühne haben und damit nicht nur mich mit grossen Augen vor der Bühne stehen lassen. THE VALENTINE SIX sind wirklich cool, ich kann es nicht anders ausdrücken.

Zudem haben THE VALENTINE SIX halt meines Erachtens einen höheren Punkrock-Faktor als so manche andere Band, die sich fett auf Punkrock beziehen. Und Punkrock gibt es seit ja bekanntlich nicht erst seit 1977…

***

Tja, ich schätze mal, dass euch in Deutschland noch nicht so viele Leute kennen…

Lily: …nicht nur in Deutschland.

Stimmt wahrscheinlich. Vielleicht wär deshalb eine kurze band-history nicht schlecht.

Parker: Wir traffen uns in Vermont und sind dann zurück nach Austin, Texas, gegangen, wo ich eigentlich herkomme. Dort haben wir dann eine Big Band mit 9 Leuten gestartet. Wir haben immer so 4 Stunden Shows gespielt… Retro, Jazz, so eine Art Royal Crown Revue und damit haben wir eigentlich relativ viel Geld gemacht.

Dann haben wir aber eine einjährige Pause gemacht, um eigentlich die Musik zu machen, die wir vorhatten zu machen. Wir schrieben ein paar Lieder, haben uns ein paar FreundInnen zum Mitspielen gesucht und sind dann für 10 Tage nach Kanada getourt. Und seitdem sind wir mit denen nicht mehr befreundet und haben sie rausgeschmissen.

Wegen der Tour, weil ihr die Anderen besser kennengelernt habt?

Lily: Ich schätze, wir haben sie zu gut kennengelernt.

Parker: Irgendwie sind wir dann in New York City gelandet und glücklicherweise hat PCP Records ein Bootleg eines unserer Konzerte in Kanada gehört und wollte eine Platte mit uns machen. Wir antworteten, dass wir zur Zeit keine Band haben.

Wart nur noch ihr zwei (Parker & Lily) dabei?

Parker: Ja. Sie sagten dann, dass wir gefälligst eine Band zusammensuchen sollten und das haben wir getan. Wir haben dann noch drei Leute gefunden, z.B. Tony, der jetzt noch unser Drummer ist und zwei weitere, die nicht mehr dabei sind. Zu fünft sind wir dann 6 Monate durch die USA getourt und habe ein Konzert auf der Popkomm in Köln gespielt, haben das Album auf PCP rausgebracht. Jetzt sind wir nur noch zu dritt, weil das finanziell nicht mehr zu fünft ging. Jetzt sind wir also hier.

Macht ihr neben der Band noch irgendwas anderes?

Parker & Lily: Nein, davon leben wir.

Parker: Es läuft gerade mal so, wir sind immer plus minus Null. Wir müssen halt die ganze Zeit auf Tour sein. Aber das ist O.K., das wollen wir ja auch tun. Ich kann mir eigentlich auch nix Cooleres vorstellen.

Warum macht ihr die Band? Ist das nur wegen dem Spass, was natürlich schon Grund genug ist, oder habt irgendwas, das ihr irgendwem rüberbringen wollt? Also, worauf ich hinaus will, ist ob es für euch mehr als Musik ist, oder ob es nur um Musik geht!

Parker: Nein, es ist nur die Musik. Allerdings tun wir das aber aus einer starken Unzufriedenheit heraus. Ich kann einfach 95% der Musik, die ich heutzutage höre, nicht ab. Und ich bin sicher den Anderen geht es genauso. Es fehlen in der Musikwelt einfach sehr viele Dinge heutzutage und das versuchen wir irgendwie schon da wieder hineinzutun. Wo sind die guten alten Zeiten hin?

Lily: Wo sind die GERMS?

Parker: Genau, wo sind die GERMS? Wo ist JAMES BROWN? Wo ist CARL PERKINS?

Lily: Es gibt allerdings heute doch schon wieder ein paar Bands, die wir sehr schätzen, die allerdings ganz andere Sachen als wir machen, so mehr Garage-Rock oder Punkrock.

Parker: Einfach Sachen, die eher Performance- als Studioorientiert sind, nicht so wie Techno oder studioorientierte Popmusik. Für solche Leute habe ich keinen Respekt. Es gibt sehr wenig Leute, die mit „overproducing“ gute Sachen hinkriegen, es gibt Ausnahmen… ich denke TINDERSTICKS oder PORTISHEAD schaffen es, sehr gut damit umzugehen. Es sollte halt alles ein wenig rauher und aufregender sein.

Wir versuchen halt die Sachen, die uns beeinflusst haben und die wir wichtig finden, seien es die GERMS oder frühe Gospels, in eine Musik zu packen, die besten Teile zu nehmen und daraus etwas machen und hoffen, dass der ganze andere Scheiss, der heutzutage so läuft, einfach verschwindet.

Lily: Wir versuchen halt unsere Einflüsse zu verarbeiten, etwas Neues daraus machen.

Parker: Es geht halt ersteinmal um die Songs. Wir wollen bestimmte Musik machen, bestimmte Worte hören, bestimmte Instrumente zusammenpacken und dann daraus eine Einheit machen, die dann letztendlich von den Leuten gehört werden soll.

Liesse sich das denn auch so von einer postmodernen philosophischen Seite her betrachten? Also auf Musik bezogen, das ihr das zu versuchen tut, was Punkrock Mitte der 70er getan hat, nämlich klassische Kategorien der Musik (und auch des Lebens, aber das ist jetzt nicht Thema) niederzureissen. Würdet ihr euch in so einer Richtung sehen?

Lily: Das ist auf jeden Fall zweitrangig. An erster Stelle steht die Musik. Wir haben nicht eine Idee im Kopf, wie wir Sachen ändern wollen und setzen die dann musikalisch um.

Parker: Genau, wenn die Frage ist, ob wir wie Malcom McLaren eine Idee im Kopf hatten und dann eine Band aufgebaut haben, ist die Antwort „Nein“. Aber zum Beispiel in Bezug auf die RAMONES, die halt definitiv eher von der musikalischen Seite kommen, würde ich da eher schon Verbindungen zu uns sehen. Und das verändert mit Sicherheit auch die Art wie Menschen die Welt sehen.

Ich wollte auch nicht irgendwie ausdrücken, dass die Band irgendwie retroorientiert ist und die gute alte Zeit zurück haben will. Das stimmt nicht. Alles was wir wollen, ist wieder mehr Rauheit, mehr Spontanität, mehr… ja, Performance in der Musik sehen. Obwohl es komisch ist, weil Leute wie MADONNA ja auch eine grosse Performance haben, aber das ist natürlich eine völlig andere Art von Performance als zum Beispiel die von RAY CHARLES.

Tony: Die Zeiten haben sich auch sehr verändert. Früher mussten Bands nur ein paar Konzerte spielen und dann kam ein Label, was ihnen voll geholfen hat, sie voll gepusht hat. Ich glaube, dass es das nicht mehr gibt. Labels wollen nicht mehr viel Geld in eine Band investieren, sie wollen die Band erst ihre eigene Audience aufbauen lassen. Und viel dieser ganzen Tourerei ist halt genau sowas, die Band aufbauen.

Ihr habt ein paar Mal die GERMS erwähnt und euch so`n bisschen in so einen Punkrock Zusammenhang gestellt. Was bedeutet Punkrock für euch?

Lily: Puh, das ist eine schwierige Frage. Heutzutage wird ja alles Punkrock genannt. Es gibt Poppunk, Softpunk,… wenn wir von Punkrock reden, meinen wir eigentlich Bands wie die GERMS oder ANGRY SAMOANS, halt eher so traditionelle Spät-70iger-Früh-80iger-Bands.

Parker: In Texas gibt es einige gute Rockabilly-orientierte Punkrockbands. Was wir an Punkrock nicht mögen, sind halt so sauberproduzierte Sachen… zum Beispiel…. hmmm…. wie heisst noch diese Band mit dem Typen von MINOR THREAT…. hmmm, kennst du die?

FUGAZI?

Parker: Ja, genau. Sowas mögen wir nicht. Wir sind keine FUGAZI-Fans, mögen nicht so Mitt-80iger-easy-going-type-Hardcore.

Lily: Sowas würde ich aber auch nicht Punkrock nennen.

Tony: Werden GREEN DAY eigentlich als Punkrock bezeichnet?

Lily & Parker: Sicher.

Tony: Offensichtlich kann Punkrock heutzutage alles Mögliche bedeuten.

Parker: Heute wird alles Punkrock bezeichnet was etwas härter, rauher ist als der Durchschnitt. Es gibt Punkabilly, Punk-Swing,… so gesehen würde ich halt immer für Punkrock sein. Musikalisch haben wir natürlich offensichtlich nicht soo viel mit Punkrock gemein, weil es beim Punkrock um Einfachheit und Ungestümsein geht. Wir sind halt schon irgendwie erfahrener und gesetzter, aber hoffentlich behalten wir etwas von der Energie.

Lily: Ja, aber wir wollen halt auch wie zum Beispiel JAMES BROWN eine grosse Show abziehen.

Parker: Wenn JAMES BROWN heute auftauchen würde, würde er mit Sicherheit auch Punk-Rhythm`n`Blues genannt werden.

Kein Wunder, wer zur Hölle ist mehr Punk als JAMES BROWN ?

Lily: Niemand.

Parker: Stimmt genau….

Lily: Obwohl… vielleicht SCREAMIN` JAY HAWKINS?

Parker: Kann sein. Hey, hast du jemals von SCREAMIN JAY HAWKINS erstem Konzert gehört? Also, als er das erste Mal in einem Sarg auf die Bühne kam, haben sie natürlich einen echten Sarg benutzt. Der hatte aber von innen keine Griffe zum Aufmachen, und war ausserdem luftdicht, damit die Leiche nicht verottet.

Der Sarg wurde dann also auf die Bühne gestellt, die Band fing an zu spielen und SCREAMIN JAY konnte nicht raus und ausserdem ging ihm da drin die Luft aus und er ist da drin fast gestorben und hat sich hin und her geworfen, bis der Sarg umgefallen und kaputtgegangen ist und SCREAMIN JAY rauskonnte. Seitdem war er voll auf Särge abgefahren.

Lily: Er hat das dann bei jeder Show gemacht.

Eine nette Anekdote zum Abschluss. Dann können wir es ja dabei bewenden lassen, wenn ihr nicht noch was loswerden wollt.

Lily: Wir sind sehr froh hier zu sein.

Parker: Nein, ich glaub wir haben nix zu sagen. Hi Mom!

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Interview: jobst eggert

 

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