November 1st, 2014

THE EX (#70, 06-1998)

Posted in interview by Jan

THE EX und der kurze Sommer der Anarchie.

Vor kurzem hat die holländische Band The Ex ihr Buch mit Musik mit dem Titel ‚1936‘ über die spanische Revolution von 1936 (ach…) wiederveröffentlicht. Aus verschiedenen, für euch nicht sonderlich interessanten Gründen, gelangte ich in den Besitz einiger exklusiver Statements von Andy, der Gitarre bei The Ex spielt, zu dieser Veröffentlichung und anderen Themen. Diese sollen euch nicht vorenthalten werden.

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The Ex beziehen sich in genannter Veröffentlichung vor allem auf die anarchistische Beteiligung an der spanischen Revolution von 1936.

Andy: „Nach Jahrhunderten der Unterdrückung befreite sich das Volk von seinen Ketten und nahm sich zurück, was ihm gehörte, nicht weil es gierig war, sondern weil es ein lebenswertes Leben wollte. Das bedeutet uns – immer noch – eine Menge. Und erinnere dich: Sie befreiten sich nicht durch bewaffneten Kampf, sondern indem sie die Wahlen gewannen. Die Anarchisten der CNT waren die gewählte Regierung. Die Tatsache, daß die herrschenden Klassen faschistische Methoden benutzten, um die Macht wiederzuerlangen, was nie ein Grund zur Freude sein kann, verringert nicht unsere Bewunderung dafür, was die Menschen zu erreichen versuchten.“

Eine etwas pathetische Darstellung der Geschichte, die aber auch nicht ganz korrekt ist, war doch die anarchistische ‚Confederacion national del trabajo‘, die CNT, nicht wirklich gewählt worden. Vielmehr hatte nach dem Militärputsch 1936, der zu einer faktischen Zerschlagung der Republik führte, die Be-völkerung in verschiedenen Regionen und vor allem in Katalonien auf kommunaler Ebene die Funktionen des Staates selbst übernommen.

Die führenden Köpfe der CNT waren zu diesem Zeitpunkt nicht auf eine Revolution vorbereitet, die CNT übernahm es allerdings im Zuge der Ereignisse, in Katalonien die faktischen neuen Machtverhältnisse zu organisieren. Nur in dieser Region wurde übrigens die neue Ordnung einhergehend mit einer Gesetzgebung auch legalisiert.

Als gesellschaftliche Perspektive zieht Andy Anarchie nicht in Betracht. „Ich habe kein Verhältnis zu Anarchie als einer Gesellschaftsform. Ich kann mir kein so breites Bild machen. Ich kenne keine Beispiele in der Vergangenheit, auf die ich mich beziehen kann, und das ist auch gar nicht der Punkt. Ich kann mir vorstellen, daß Leute und Gruppen von Leuten mehr Kontrolle über ihr eigenes Leben übernehmen, aber welche Auswirkungen das auf die Gesellschaft als Ganze haben würde, würde Bände füllen, und ich weiß nicht, ob ich dazu in der Lage bin.“

Die Umsetzung der Ideen von Kontrolle über das eigene Leben und die eigene Arbeit findet bei The Ex bekanntlich unter anderem in einem recht konsequent durchgehaltenen DIY-Ge-danken Niederschlag, manifest unter anderem in ihrem eigenen Label.

„Was wir anbieten, ist ein Beispiel, daß eine Gruppe von Musikern auf eine andere Art operieren kann, als auf die generell akzeptierte. Als Band mußt du keine Major-Label-Infrastruktur benutzen um finanziell oder anderweitig Erfolg zu haben.. Du mußt nicht Hunderte oder Tausende oder Millionen von CDs verkaufen, um als Erfolg betrachtet zu werden. Das ist eine Falle, in die viele Bands sehr schnell gehen, und das tun sie teilweise deswegen, weil es nicht sehr viele Bands gibt, die diese Art von stabilem, selbstständigem Erfolg auf andere Weise erreicht haben, mit der Ausnahme einiger weniger wie Fugazi, No Means No und bis vor kurzem Chumbawamba.“

Wie steht man denn nun zu denen? Ist ja ein vieldiskutierter Fall – schließlich sind Chumbawamba und The Ex wohl sowas wie alte Kumpels. „Wir lieben und unterstützen sie als Menschen, unterstützen aber nicht notwendig all ihre Entscheidungen. Und das meine ich nicht moralisch. Es ist kein Fall von ‚Böse, böse Chumbawamba, sie haben ausverkauft‘, es hat mehr mit der Frage zu tun, ob sie den richtigen Zug gemacht haben. (…) Diese Companies sind mächtiger und rücksichtsloser als wir uns vorstellen. Auf eine Art war es unvermeidlich, daß sie eines Tages bei EMI landen, wenn man sich die Entwicklung anschaut, die ihre Musik über die letzten Jahre gemacht hat. Sie schienen enttäuscht und frustriert über die Zusammenarbeit mit sogenannten ‚Indie‘-Labels zu sein, die sich oft nicht so anders verhalten haben, als die Majors. Ich denke, generell haben Chumbawamba eine zynische Haltung gegenüber der ganzen Plattenindustrie, Indie oder Major, und sie haben nicht die Illusion, daß jetzt, wo sie bei EMI sind, alles glatt laufen wird. Ich glaube, sie wollen rausholen, was sie können, so schnell sie können, bevor EMI sie fallenläßt, was jede Minute geschehen kann.“

The Ex, wie gesagt, machen das alles anders. „Zum Teil aus moralischen Gründen, weil wir für diese Leute kein Geld machen wollen, weil sie ein Haufen gieriger Scheiße sind, die sich einen Dreck um unsere Musik und unser Leben scheren, zum Teil aus gesundem Menschenverstand. Wir würden am Elend sterben in dieser Welt, wo jegliche Kontrolle aus deinen Händen genommen wird, und Geld bei allen Entscheidungen oberste Priorität ist. Es ist besser, die Dinge auf einem kleinen, handhabbaren, menschlichen Level zu halten – lies Schumachers ‚Small Is Beautiful‘ -, wo nicht andere Leute für uns unser Geld ausgeben, und nicht entscheiden, was die Parameter von ‚Erfolg‘ sind.“

Und anscheinend funktioniert das in ihrem Fall. „Wir leben fast ganz von der Musik. Von Konzerten, CD-Verkäufen und Tantiemen von Radioeinsätzen. Im Moment ist das gerade genug, was ziemlich unglaublich ist. Wir veröffentlichen unsere CDs selbst, was ein größeres Risiko für uns bedeutet, aber wir können dadurch ‚Mittelmänner‘ ausschließen …. Nur in den USA arbeiten wir mit einem anderen Label, nämlich Touch & Go. Es ist ein so großes Land, daß es keinen Sinn für uns macht, zu versuchen, das Label auch da drüben zu betreiben.“

Diese ‚unabhängige‘ Produktionsweise, die selbstredend auch ihre Abhängigkeiten kennt, findet ihre Entsprechung in der Offenheit für die verschiedensten Musikarten und in zahl-reichen Kooperationen mit Musikanten aus aller Herren Länder, wie einem Auftritt beim Jazz-Festival in Moers, und das ist dann schon einen ziemlich weiten Weg vom Häuserbesetzen in Amsterdam gekommen. Wie verstehen sich denn DIY-Menschen wie The Ex mit Exponenten des bildungsbürgerlichen Jazz-Zirkus? „Politische und musikalische Aufgeschlossenheit sind ein wesentlicher Bestandteil ein und derselben Sache. Wir haben keine Regeln dafür, mit wem wir spielen bezüglich gleicher politischer oder musikalischer Ideen. Meistens wählen wir Leute intuitiv danach aus, was sie spielen und ob wir sie als Leute mögen, und meist funktioniert es hervorragend. Meistens entdecken wir erst viel später die politischen Ansichten der Leute, und manchmal sind sie völlig unterschiedlich, manchmal nicht. (…) Für die Musiker aus der Improvisations-Szene gilt das gleiche (wie für die Zusammenarbeit mit Djibril Diabate aus Mali oder anderen Musikern aus entfernten Kulturkreisen). (…) Wir haben so unterschiedliche musikalische Backgrounds und Herangehensweisen, daß die selbe Aufgeschlossenheit und Flexibilität von allen Musikern erforderlich ist, damit es funktioniert.“

Was kommt als nächstes? Eine Zusammenarbeit mit deutschen Voksmusikanten, ein Remix von den Dust Brothers? „Unsere neue CD kommt im Oktober, produziert von Steve Albini (ein fleißiger Mann, sogar Page & Plant hat er aufgenommen, auch wenn das Ergebnis nicht so berauschend ist, d.V.). Wir arbeiten an einer Folkplatte, für die wir unsere liebsten traditionellen Lieder aus aller Welt aussuchen und Ex-Songs daraus machen. Bis jetzt haben wir einen äthiopischen, einen ungarischen, einen kenianischen und einen kambodianischen.“

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Die Leute kennen da nix. Langweilig werden The Ex wohl auf absehbare Zeit nicht werden, und wahrscheinlich werden sie auch weiterhin in kleinen Jugendfreizeitheimen gastieren, wenn sie nicht gerade die Aufgeschlossenheit des Jazz-Publikums strapazieren. Wenn ihr mehr wissen möchtet, schreibt an diese sympathischen Leute analog (The Ex; P.O.Box 635; 1000 AP Amsterdam; Holland), oder digital (email: exrcrds@xs4all.nl), ich schließe die Akten.

Interview/Text: Stone

Links (2015):
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