Februar 25th, 2016

THE EX (#55, 12-1995)

Posted in interview by Jan

Über the Ex schreiben ist sicherlich nicht soo einfach. Ich meine, die gibt’s seit Menschengedenken – jaja, ich weiß, ihr alle wart `74 bei den Ramones im CBGBs – und in all diesen Jahren hat die Band sich ununterbrochen weiterentwickelt. Alle bekannten und unbekannten Spielarten des Lärms, des Punk, des Rock und 400 anderen Stilen fusioniert; die zahlreichen und wohl alle hörenswerten Tonträger geben darüber bereitwilig Aufschluß.

Hatte man sie das letzte Mal auf Tour im Frankfurter Raum mit Tom Cora gesehen – eben ein `klassischer’ Musiker, so boten sie diesmal – wie zu erwarten war – ein völlig anderes Set, eine fast schon völlig andere Musik. 9 oder so Leute auf der Bühne im Maximalfall, was sich aufgrund der großen Bühne in den Michael Barracks (ehem. Yankee-Behausungen) nicht als Problem heraustellen sollte. Obwohl Al nicht dabei war, hat mein Aufnahmegerät mal wieder ein wenig gesponnen; außerdem war es sehr schwer, die Stimmen zu unterscheiden, so daß ich im Zweifelsfalle, der auch häufig eintrat, den Sprecher nicht identifizieren konnte.

Die Band hat sicherlich nichts dagegen, daß ich im Nachfolgenden daher nicht zwischen einzelnen Mitgliedern differenziere: Falls dir The Ex nichts sagen, wovon hoffentlich nicht auszugehen ist, sei kurz erklärt: Band macht seit 16 Jahren Platten, viele mit politischen Bezügen, man erinnere sich einmal an das Buch zur Spanischen Revolution; könnten locker als `Kultband’ der autonomen (etc.pp.) Szene durchgehen, arbeiten in allen Musikrichtungen und weiteren Kunstdisziplinen und sind allesamt nette Leute…

 

Als ich zuerst von diesem Gig hörte, war ich sehr überrascht, weil ich dachte, ihr hättet euch aufgelöst, weil ich schon lange nichts mehr von euch gehört habe…

Wir waren im Studio und haben 2 neue Alben aufgenommen.- wir werden uns nie auflösen. Uns gibt’s seit 16 Jahren, warum aufhören. – unsere Drummerin hat auch ein Baby be-kommen, ein Grund, warum wir nicht tourten.

Was ist der Trick, wie hält man so lange durch?

Das ist die Musik. Und nette Menschen. Neben diesen zwei Punkten ist es auch so, daß es immer noch faszinierend ist, mit anderen Künstlern zusammenzuarbeiten, wie wir dies bereits in der Vergangenheit oft getan haben. Anfang 1995 haben wir mit einer Gruppe von Tänzern zusammen gearbeitet.

Also eine `multimediale’ Sache ?

Es treibt dich halt nach vorne, wenn Du immer neue Künstler kennenlernst. Und wir werden immer mit anderen (Künstlern) zusammen-arbeiten.

Seid ihr in erster Linie – in euerer Selbstdarstellung – eine `Band’ mit einem musikalischen Anspruch an erster Stelle, oder ist das differenzierter?

Musik ist differenzierter als `nur Musik’. Politische Anschauungen, oder andere künstlerische Einflüsse, all das sehen wir auch als `Musik’ an. Die Frage, wie man etwas nennt, ist ja nicht so wichtig. Die meisten anderen Bands besitzen ein sehr enges Spektrum, was sie unter ihrem Anspruch verstehen, wir versuchen da, uns an keinen Richtlinien zu orientieren.

Gut, aber eine ältere Sache, wie zB euer Booklet über die spanische Revolution, das erwartet man natürlich eher von einem regulären Buchautor, und als Buch an sich hat es nichts mit Musik zu tun.

Das hängt davon ab, wie du es definierst.

Also ein Gesamtkunstwerk. Was soll’s. Wie entsteht ein Song bei euch, welche Inspirationsquellen benutzt ihr?

Das ist schwer zu beschreiben. In jedem Lied ist es anders, es kommt von allen Seiten. Das ist ja das Blöde (Gelächter)! Wenn Du offen für alles bist, für eine gewisse Entwicklung, so kannst du diese nicht mehr aufhalten. Oder Du mußt sie willentlich beenden, was nicht geht, oder nur sehr schwer. Ich kann nicht sagen: Diese osteuropäische Musik, ich will sie nicht mehr in meinen Kopf lassen. Und mit all den Leuten, die wir in einer Band sind…gibt es für mich, wenn ich mir den Soundcheck anschaue, 2 extreme Möglicheiten: Entweder eine durchweg chaotische Musik, oder eine Führungsrolle, die einigen Instrumenten zukommen mag. (Anm. : Gerade dies ist bei Ex nicht der Fall. Hier geht es eigentlich eher um das `Wie’ als um das `Warum’ oder ’Das geht nicht’. Schau’s dir live an.). Tja, so läuft es aber nicht. Wir denken darüber auch nicht nach. 8 Leute bringen ihre Vorstellungen ein, so entsteht sie (unsere Musik) 8 musikalische Ideen als eine.

`Nicht denken’ darüber stimmt da jetzt aber auch nicht so….

Aber es stimmt schon oft. Hey, wir sind 8 Leute, und es gibt viele Diskussionen, aber am Ende geht’s um das Gleiche, nämlich gute Musik. Da sitzen wir alle am gleichen Ende des Tisches. Eine Menge erfolgreicher Bands sehen den Enstehungprozeß von Musik und Musik als solche von der politischen Seite; wir sehen das auch von der musikalischen und von der menschlichen Seite.

Ja, aber nach halbwegs modernem Verständnis besitzt ja jede deiner Handlungen, gerade als Band in der Öffentlichkeit, eine politische Aussage. Was mich hier fasziniert ist, daß große Bands, 5 oder 6 oder mehr Leute, beim Interview schon heraustsellen, wer welche Machtposition in der Band besitzt.

Naja, schau uns an, dann magst du darüber entscheiden. So was liegt in keinem Interesse von irgend-einem von uns. Es geht nicht so, daß einer mit einer Idee ankommt uns die anderen nach seinem Plan tanzen läßt. Wir glauben an eine kollektive Form des Musikschreiben.

Gut, aber wenn ich eine Idee habe, dann habe ich auch schon eine Form im Kopf!

Natürlich gibt es da dann auch eine Form zum Inhalt. Das ist ganz klar, aber in dem Moment, wo die Idee in die Runde getragen wird, unterwirft sie sich der `Behandlung’ aller Musiker. Ich bin ja eher ein Newcomer in der Band; aber ich glaube, daß eine vorhandene Struktur (eines Songs) ja auch auf improvisierte Musik treffen kann oder andere Formen, und damit eine Entwicklung beinhaltet. Das ist für mich so logisch und zwingend wie Algebra.

Du hattest doch diese 2 Extrempositionen dargelegt. Es kann aber auch anders gehen. Es kann chaotisch beginnen und sich durch das Mitwirken aller Beteiligten zu einem konzentrierten Stück entwickeln, ohne das Führungsrollen seitens Bandmitgliedern getragen werden müssen.

Sehr wichtig ist, daß du hierbei keine Angst vor chaotischen Situationen hast. Im Laufe einer Tour oder im Studio / Proberaum entstehen immer wieder chaotische Situationen, die sich dann lösen lassen – als ein neues Lied. Jeder von uns hat ein sehr distinktives Gefühl dafür, wann ein chaotischer Gig beginnt. Und keiner von uns will das.

Das war jetzt eine Menge zu diesem Thema (Kollektives Schenkelklopfen und Bieranstoßen) – riskieren wir einmal einen kleinen Bruch: Wie sieht das mit euerem derzeitzigen Status in euerer Heimat aus? Spielt ihr oft?

Oh, wir haben – wie gesagt – eine Menge aufgenommen. Da wir aber alle sehr vielseitig interessiert sind, hat jeder noch so seine eigenen Projekte, die eben oftmals andere Kunstformen betreffen. Es gibt so viel zu entdecken.

Wie denkt ihr über den Einsatz von Computern? Die allgegenwärtige Diskussion um Internet und Virtual Reality. Selbst Trust ist auf’m Internet.

Tony ist unser Computerspezialis ! Es ist nur ein Medium. Ein Werkzeug eben. Sicherlich eines der leistungstärksten Werk-zeuge, aber man darf den Wert eines Werkzeuges nie zu hoch ansetzen.

Und auf der Bühne? Sampling und so was?

Ich könnte mir das schon vorstellen. Andere nicht. Das ist ja kein Unterschied zu einer Kirch-glocke. (Gelächter) Bei einem Drummer zum Beispiel ist es egal, ob er einige Sounds aus einem Sampler holt oder ob er auf Glocken rumhaut und Flaschen zerschlägt. (Gelächter) Er hat dann einfach seine Diskette dabei. Wichtig ist dabei nur, daß es prinzipiell immer Musik sein sollte. Solange der Computer – also die Maschine – nicht wichtiger als die dabei entstehende Musik ist, also in ihr und unter ihr steht, stellen diese Dinge eine nette und durch-aus nützliche Sache dar. Es ist wirklich egal, ob du eine Kirchenglocke oder einen Sampler benutzt.

Ist es für euch (an Glocke = Sampler denkend) wichtiger, als Band in einem Studio einen Song zur allgemeinen Befriedigung aufzunehmen, oder der Moment der Konfrontation der Musik mit anderen Menschen, also der Gig?

Es ist beides, das ist beides adäquat wichtig.

(Allgemeine Zustimmung)

(Wie erwähnt: Hier starb mein Rekorder einen seiner Hundert Tode. Sorry.)(…)

Es kommt vor, daß wir bei einigen Songs wissen, daß sie für eine Platte bestimmt sind, und bei anderen, daß sie für ein Live – Publikum bestimmt sind.

( Noch ein Tod) (…)

Wie sehr kümmert ihr euch um die Qualität euerer Instrumente? (Das Gelächter war inbegriffen) Nehmt ihr schlechtes Ausgangsmaterial und versucht, dies wieder hinzubekommen?

Uns geht es darum, mit einem gegebenen Instrument einen Sound zu erzielen, der uns gefällt. Wir benutzen keine guten Instrumente etc. von vornherein, Marshall Verstärker oder so etwas, sondern versuchen, von diesem Sound wegzukommen, weil er uns mißfällt. Wir übertreiben das natürlich nicht. Wir gehen nicht raus, mit dem Vorsatz, eine besonders mißratene Gitarre zu erwerben. Wenn man rumlärmt, ist das auch wichtiger, wie lange man ein Instrument schon spielt, sich an die Eigenarten gewöhnt hat, und eben an diesem einen Instrument rumtüftelt.

Euer alter Kram ist ja jetzt auch auf CD draußen. Inwieweit glaubt ihr, daß der `andere’ Sound einer CD dem Sound einer LP über- oder unterlegen ist? Oder interessiert’s euch nicht?

Das klingt doch eh’ alles gleich (lacht).

Nein tut’s nicht.

Wir haben keine andere Wahl, daß ist der Punkt. Es geht nicht darum, sich mit dem einen oder anderen Medium klangtechnisch zu beschäftigen. CDs haben inzwischen die Oberhand, wir müssen – ob leider oder nicht – auf CD veröffentlichen, wenn wir Leute errei-chen wollen. Wer könnte heute noch eine Platte auf 78 rpm abspielen?

Äh, ich. Sorry.

Oh! Es ist natürlich aber auch eine Sache der Kosten. Es ist für uns finanziell nicht immer möglich, neben einer CD, die die entstehenden Kosten deckt, auch noch einmal 500 Lps zu pressen. Ich glaube auch, daß es bei unserer Musik wirklich egal ist.

Der bei euch immer auch im Vordergrund stehende Verpackungseffekt leidet aber darunter, oder?

Nun gut, die 7“ Serie zum Beispiel hat es gegeben, weil es eben 7“ und hübsche Sleeves gab. Bei den Cds jetzt ist das kleiner, aber wir haben auch Doppel-CDs in Pappboxen und so Sachen. Ich glaube nur, daß eben gewisse Kunstformen und -möglichkeiten obgleich welcher Entwicklung Bestand haben werden. Es wird immer Schwarz / Weiß Photographie geben, daß wird als Kunstform nie durch Computer ersetzt werden. Und das Gleiche, eher produkttechnisch, sind Plattencover. Gute Cover. Verve, oder die anderen alten Jazzcover, die Gefühle verstärken und die Musik untermalen

Ja, sicherlich. Hübsches Anschlußwort.

Kann selber kaum glauben, daß ich das eben gesagt habe!

Da verließen sie mich bzw. das tape versagte auch mal wieder. Was fehlt: Hatte mich bei Ihnen nach ihrer persönlichen – nicht Band – Meinung zum Thema Punk als aktueller Modewelle erkundigt, wobei mir dann, sofern ich mich richtig erinnere, mitgeteilt wurde, daß keiner von ihnen eine persönliche Meinung irgendeiner Relevanz dazu habe, ich könnte sie auch fragen ,was sie von Rugby hielten. Natürlich tat ich dies, aber da wollten sie dann auch nicht antworten.

Abschließend einige Auszüge aus G.W.Soks (Sänger) Essay in Martin Sprouses `Threat by Example’ (1990), unter Leiden übersetzt: (…)

„In einer Band zu spielen ist nicht das wichtigste Ding in unseren Leben, aber es ist Bestandteil unseres Lebensstils. Weder die Texte noch die Musik kann man von unserem Leben außerhalb der Band trennen, weil sie alles miteinander zu tun haben. Sofern wir belangt sind, sollte dies einmal nicht mehr der Fall sein, hätte die Band keine Existenzgrundlage mehr. Wir fordern Gleicheit und Demokratie – sowohl in der Band als auch außerhalb. Für uns hat Leben mit Kooperation und Solidarität, nicht mit Egoismus, Neid und Wettbewerb zu tun. (…)

Neben bloßer Unterhaltung ist Musik auch zuallererst Kommunikation. Auf der einen Seite bedeutet dies Konfrontation, eine Attacke auf die konditionierten Hörgewohnheiten, auf der anderen die Möglichkeit zur Identifikation, den Ausdruck von Ideen und deren Weitergabe. (…) Damit will ich nicht sagen, daß jedes – große oder kleine – unanhängige Label gut per definitione sei. Du mußt Fallunterscheidungen treffen, um die Arschlöcher zu erkennen. Es ist auch kein Verbrechen, mit Leuten der nationalen Musikpresse zu sprechen.

Wir sind von ihnen nicht immer begeistert, aber manche von ihnen sind sehr interessiert. Wenn man ihnen trauen kann (Sie exisitieren, glaub’s mir), gibt es keinen Grund, nicht mit ihnen zu sprechen. Und wenn es nur darum geht, nicht in deinem kleinen Indie – Ghetto steckenzubleiben, denn die Welt ist weitaus größer.“(…) (Den ganzen Text auf englisch, 8 Seiten oder so, die alle hochinteressant sind, kopiere ich euch gerne (Daniel c/o Trust) via Rückporto + Kosten (2 DM)).

Interview/Text: Daniel Röhret

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THE EX (#70, 06-1998)

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