April 21st, 2019

Tagebuch eines Handelsreisenden Teil II (#106, 2004)

Posted in artikel by Jan

Letter from an intern in Orange County, Teil II
von Jan Roehlk, 27.02.04

Hier da hier,

Jetzt kann ich auch meiner Mutter, die mich immer fragt, „Jan, was is denn nun ein Label?“, antworten: Ein Label ist hauptsaechlich ein groesseres Warenlager, wo ziemlich viele Pappkartons drinstehen, die mit T-Shirts und Platten gefuellt sind und wo Leute die Sachen bestellen, die dann von dort versandt werden. Quasi ein Kaufhaus, wo es nur verschiedene Varianten des gleichen Produktes gibt.

Vor 5 Tagen haben China White gespielt, eine legendaere fruehe Punk Band aus der Gegend. Obwohl noch drei Originalmember dabei, war das irgendwie sehr seltsam – die haben eine Art Mike Muir Verrschnitt am Gesang, der offensichtlich seine neue Rolle in der Band nicht so ernst nimmt und dauernd die Songs so unernst angesagt hatte, als das es ihm unangehmem ist, hier Dangerzone zu singen. War komisch, die Helden vor 40 Leuten zu sehen und die drei Vorbands haben mir alle besser gefallen.

Der permanente Schlagzeugaustausch nach jeder Band machte mich stutzig: ist hier wohl nicht ueblich, das Schlagzeug und die Verstaerker der anderen Band zu benutzten. Ob ich im uebrigen gut Englisch kann, weiss ich nicht, fuer Bewerbungen schreiben, Interviews fuehren und Gespraeche reichts allemal. Man ist gerade in Californien nicht der einzige ESL, d.h. English as a second Language – Sprechende.
Schoen sind hier die absolut abgefahrene Plattenlaeden. Z.B. ein wahnsinns-Secondhand-Laden in Long Beach, in dem ich ploetzlich interessanterweise in California’s wohl groesster Secondhand-Porno-Videoabteilung stand, direkt hinter den used Black Sabbath Lp’s, wirklich ungewollt, auch wenn ’s mir jetzt keiner glaubt.

Es gibt sehr nette Kinos mit freier Platzwahl und stundendenlange Cola-Refills in den Fastfood-Laeden, in denen man sehr „schoen“ die von dem Autor Schlosser in seinem Buch „Fast Food nation – the dark side of the american meal“ beschriebene teenage workforce bebachten kann, die aus (meistens farbigen-hisspanischen) Jugendlichen der unteren Schicht bestehen soll, austauschbar sind und insofern fuer gerade den Mindestlohn beschaeftigt werden koennen.  Dieser Lohn betraegt in Californien ueberigens genau $ 6,75 seit 2002, davor war er $ 6,25. Ich finde, das reicht doch auch.

Anstatt an meinem 26. Geburstag nach Disneyland zu gehen und abends Nina Hagen live zu sehen, dachte ich, dass es vielleicht sinnvoller ist, mal bei SST in Long Beach vorbeizuschauen, was auch immer so eine Art Traum von mir war. SST ist einfach zu finden, man erkennt das daran, dass vor dem Warenlager ein SST-Schild auf einem eigenen Parkplatz aufgestellt ist. Ja, und dann kann man staunend die Klassiker Vinyle, Cd’s und T-Shirts abklappern. Ca. 5 Leute arbeiten hier (Chuck Dukowski allerdings nicht mehr) und ca. 15 Katzen sind hier, es werden immer noch die Fuck Parental Advice- und die Corporate Rock Still sucks- Hemden verkauft und das Black Flag-Skateboard.

Greg Ginn ist ungefaeher 50 und ein sehr offener Gespraechspartner. Er ist auch der einzige Amerikaner, den ich bisher kennengelernt habe, der kein Auto hat und mit dem Fahhrad zur Arbeit fahert. Greg zeigte ich dann auch das Kapitel Rock’n’Roll in meinem Los Angeles Lonely Planet Guide, wo Black Flag erwaehnt wird.  Er hat ein sehr offenes, fast kindlich-naivem Lachen, was fuer mich auf den ersten Blick erstaunlich zu hoeren war, wenn ich mit meinem „modest english“ ueber meine LA -Eindruecke und weitere Reisestopps erzaehle.

Wahrscheinlich muss es aber so aussehen, wenn man trotz seiner 50 Jahre das Kind in sich im positiven Sinne bewahrt hat, und noch herzlich lachen kann, wenn einem ein hypernervoeser deutscher Tourist an seinem Geburstag mit ziemlicher Alkoholfahne vom Vorabend erzaehlt, dass er dachte, dass Long Beach, Santa Monica und Beverly Hills Teile von der Stadt LA sind, obwohl sie aber nur Teile des Bezirkes LA sind. Das ist genauso, als wie wenn man von dem Ruhrgebiet spricht, aber eigentlich nur die Stadt Essen meint und kann ja wohl mal passieren.

In dem Restaurant, wo man nach dem Besuch isst, faellt einem dann ein, dass man ja mit Gerg Ginn gesprochen hat, dem Black Flag Gitarristen und dass das eigentlich relativ normal war und dass das ein sehr gutes Ergebnis ist. Kevin, einer der Warenhaus-Arbeiter bei Revealtion, spielt die Trommel bei der Band Stand and Fight mit einem ex -Ten Yard Fight-Member und erzaehlte, dasss Insted, Uniform Choice und No for an answer auch aus Orange County waren. Instead tun sich wohl wieder zusammen fuer drei eastcoast Shows. Na denn, Prost.

Die Frage bleibt, ob der Job bei Revelation Records in USA wirklich ein Traumjob ist. Vor USA war ich mir da sicher, jetzt bin ich mir es nicht mehr und das hat eigentlich mehr mit California-Eindruecken zu tun als mit Revelation selber. Man koennte sagen, dass ich deshalb bei Revealtion gelandet bin, weil Epitaph und SST nicht geantwortet haben und weil ich ein riesen Fan der Revelationbands -alles bis 1991- bin und dachte, auch gut, bei Revelation zu arbeiten.

Es war eine richtige Entscheidung, Vique Martin, meine „Betreuerin“ hier, hat mir viel geholfen, vor allen Dingen auch bei banalen Fragen aus Deutschland wie „wo ist hier nen Hostel, wo haelt der Bus“ und – hier passiert was. SST verkauft seine alten Platten und Epitaph, ja gut, kein Interesse, wahrscheinlich haben die genung Praktikanten selber, denke ich mir mal.

Die Arbeit an sich ist ok, wenn man Buerojobs mag, was fuer mich ok ist. Alles lauft ueber Computer ab, Faxe und Rechnungen, emails, telephonieren, insofern ist von der Arbeitstechnick gar kein Unterschied zu meinen frueheren Praktikas, z.B. Bei der Pressestelle der Stadt Leverkusen.  Klar, hier gehts dann nicht um die Pressemeldung schreiben zu Leverkusens 75 jaehrigen Stadt-Jubilaeum wie bei der Stadt Leverkusen, sondern um Promopackete verschicken fuer die Revelation Band Christiansen.

Auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen, man sollte seine Traeume verwirklichen , seien sie auch noch so bescheuerte Kindertraume wie „ich will auf dem Berg Sinai einen kiffen“ (ein Freund von mir wollte das immer mal machen, hats dann gemacht und fands dann ganz ok, aber es war halt voellig anderes) – das machen, was man sich traeumt, erleben, daruber nachdenken, nochmal probieren, besser machen. Davon bin ich grosser Fan, trotz alledem.

Mein Bild vor Amiland war kindlich-naiv, jetzt sehe ich es, wie es ist und ich weiss nicht, was ich davon halten soll. Los Angeles hat einen so grossen Mythos um sich aufgebaut, dasss es schwer ist, darueber ein eiskaltes gut/schlecht Urteil daruber zu faellen. Aber wie man in der Uni immer sagt, kein Ergebnis ist auch ein Ergebnis (klar, die koennen es sich ja leisten, das denken um des denken willens).

So, ich mache jetzt Mittag und gehe heute abend Budweiser gucken und The Crowd trinken, ich meine natuerlich Sack Bier trinken und sich wahrscheinlich aufregen, wieder so ne alte Legende sich selbst auf der Buehne dekonstruieren zu sehen. Ist ja auch in gleichen Laden wie China White, von daher…
Ich antworte gerne auf emails zu dem ganzen Oragnisatorischen Kram oder Adressen oder einfach so (an roehlkj@hotmail.com), schoene Gruesse aus Revelation Records, 7465 Lorge Cirlce, Huntington Beach, USA.

Nur das beste, und, wie heisst es bei Lee Ving und Fear immer so schoen,
just kidding‘

ciaoi
Jan Roehlk, 27.02.2004

Links und Rechts in Los Angeles:

-LA Metro (einfach Start und Ende eingeben und ihr wisst, wie man von SST Records, das ist 441 E.4th Street, zu dem Taang Records Plattenladen, 7416 Melrose Ave, kommt)
-Rainbow Room (da hanegt Lemmy wohl immer ab, Sunset Blvd, Hollywood, neben dem Roxy, was sich auf 9009 Sunset Blvd. Befindet)
-Wohnung Bukowski, 1623 North Mariopsa Ave (Hollywood) -lustig der empoerte Blick eines angestellten in einem Buchladen in LongBeach, als ich ihn nach dem Buch Post Office fragte – No, we don’t sell that stuff here. Wer mehr ueber Charles Bukowsi in Los Angeles, wissen will, der sollte mal sich mit der Charles Bukowosi Gesellschaft (in Berlin, ueber google.de) in Verbindung setzen
-Haus von Glen Danzig (Ecke Vermont und Franklin Ave in Hollywood)
-SST (Long Beach, 441 East 4th Street, ein Rundgang durch die heiligen Hallen des Labels zeigte mir nochmal, dass die wirklich wahnsinnige Sachen rausgebracht haben, die Definition von Pluralitaet, Offenheit und Toleranz, ich meine, HR/Bad Brains neben Saint Vitus neben Saccharine Trust neben Descendents)
-Haus Denis Beach Boys Wilson, 144000 Sunset Blvd., tolle Adresse,toller Tuep:)
-Stardust Ballroom, 5612 Sunser Blvd, Hong Kong Cafe, 425 Ginling Way, Chinatown, halt die Laeden, wo Black Flag aufgetreten sind, einfach mal auf Backcover der Firs Four years anschauen
-Amoeba Plattenladen, 6400 Sunset Blvd, wie sagt man hier…awesome Platten..
-Whiskey a Gogo, 8901 Sunset Blvd
-21361, 7150 Sunset Blvd, dem henry Rollins sein Buchlabel
-Crazy’s Jacks, 4311 West Magnolia, is Bar, wo man wohl inside rauchen darf, war noch nix drin

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