Dezember 9th, 2007

SUPER 700 (#123, 04-2007)

Posted in interview by jörg

Kommen aus Berlin und fallen schon rein optisch auf. Neben den Herren an Schlagzeug, Bass, Gitarre und Synthesizer stehen vorne drei Schwestern von denen sich zwei, auch noch Zwillinge, meist nur im Takt wiegen und Hintergrundgesänge liefern während die grosse Schwester Ibadet ihre kraftvolle Stimme über dem funkigen Elektro-Pop Teppich ihrer Mitstreiter ausgiesst. Da stellen sich die Nackenhaare auf oder das Tanzbein schwingt.

Auf dem Festival ihres eigenen Labels spielten sie als Erstes vor Bands wie Klee, was rein inhaltlich d.h. musikalisch unbegründet scheint. Bassist Michael gibt sich aber ganz bescheiden indem er sagt, man müsse sich eben in die Hierarchie einfügen, und dass es so etwas bei Motor durchaus gibt, überrascht weniger.

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Michael betont aber gleichzeitig, dass was das Mitspracherecht und die Entscheidungsfindung anbetrifft, sich seit dem Vertrag mit dem Major auch nichts geändert hat. Sängerin Ibadet fügt hinzu, dass in der Musikindustrie, wie es nun mal vom Namen her heisst, die Musik als Ware auch nur dann zum Problem wird wenn von ihr so genanntes „Mismarketing entsteht, das einem einfach nicht entspricht“, was aber bis jetzt bei Super 700 nicht vorgekommen ist.

Meine beiden sehr sympathischen und aufgeweckten Interviewpartner stecken ihr Herzblut eben in andere Schaffensprozesse und lassen sich bei dem was nebenbei anfällt auch gerne mal von anderen helfen. Ibadet freut sich nämlich auch über schlechte Presse, da sie selbst oft die Erfahrung gemacht hat, dass auch das Interesse weckt, selbst herauszufinden wie es denn nun wirklich um besagte Band steht, viel schlimmer findet sie Guerilla-Marketing (Street Teams), die es reizvoll erscheinen lassen, anderen Leuten zu erzählen man fände die Band besser als es wirklich der Fall ist, denn wenn es den Zuhörern tatsächlich viel bedeutet, benötigen sie auch nicht derartigen Ansporn.

Dieses ist sicherlich schlüssig denn PR ist somit zumindest ehrlich indem es seine kommerziellen Belange offen kundgibt und nicht so tut als gäbe es eine Pseudo-Fangemeinschaft. „Wir gehen den längeren aber direkten Weg indem wir viele Konzerte spielen, mit denen wir die Leute begeistern. Bands, die bei Stefan Raab auftreten verkaufen danach auch nicht wesentlich mehr Platten, diese Pressedenke ist uns einfach fremd“ bestätigt Michael.

Beim Songwriting verfährt die Band lieber strukturiert als sich stundenlangen Probenraumjams hinzugeben um die Frustration gering zu halten, denn wie Michael zu berichten weiss, „sind schon viele Bands darüber zusammengebrochen“. Auch wenn es schwer fällt Super 700 musikalisch zu fassen, nutzen sie das Indie-Netzwerk, sind aber auch immer ganz froh dort einmal ausbrechen zu können. Ibadet gerät fast ins Schwärmen, als sie von einem Konzert erzählt, wo das Publikum im Durchschnitt weit über 30 war, „es war sehr bewegend und ich musste erstmal laut ins Mikro lachen.

Die Leute waren total offen, das hat mich sehr beeindruckt“, „selbst Heavy Metal Fans mögen uns und erzählen uns wir würden sie an früher erinnern“ erinnert sich Michael. „Ebenso lustig ist es wenn die kleine Indie-Polizei mit verschränkten Armen in der ersten Reihe steht und die Strokes als einzig wahre Messlatte ansetzt“ lästert Ibadet „und selbst die kann man manchmal überzeugen, aber mir kommt es so vor als hätte das junge Publikum viel mehr Raster im Kopf, aus denen man nicht herausfallen darf und ältere sind eher offen. Man muss eben kapieren, dass jede Musik eine besondere Energie hat, und dadurch bereit sein diese aufzugreifen.“

Um die kulturelle Weiterbildung ihres Publikums sind die Berliner recht überdurchschnittlich bemüht, so wollen sie auch einen 13-jährigen Jungen aus dem Jemen, der traditionelle Musik spielt, als Vorband für ihre nächste Tour einladen. „Ich langweile mich ja selber wenn bei einer Band jeder Song gleich ist, deswegen wagen wir uns soweit hinaus, um die Facetten die jeder Mensch hat abzudecken“ kotzt sich Ibadet aus. Michael schränkt ein „manchmal braucht man diese Tapete auch, wenn man traurig ist will man vielleicht eine Platte hören, die diese Stimmung kontinuierlich trägt. Das hat auch seine Berechtigung.“

Gerade weil alle Mitglieder von Super 700 recht virtuos und professionell sind, sind sie sich auch ihrer Grenzen bewusst und gerade die drei Sängerinnen müssen dann zumindest bei der Aftershowparty einen Gang zurückschalten. „Das wichtigste ist, dass du dich selber einschätzen kannst, wenn du die Rocksau raushängen lässt, die du physiologisch nicht bist, hast du ein Problem“ klärt Ibadet mich auf.

„Wenn der Arzt dich dann anhält deine Karriere aufzugeben das ist schon hart“ blickt Michael düster in die Zukunft. Dabei sieht diese für Super 700 eigentlich sehr viel versprechend aus. Das Klischee des deutschen Pops möchten sie dennoch einfach nicht bedienen, obwohl man, weil Ibadet viersprachig ist, dahingehend Experimente machen könnte, zumal es die Songs schon stark prägt.

Sie gibt mir hier Recht „Wir hatten sogar einen der Songs auf der Platte erst auf Deutsch getextet und es wurde dann nach der übersetzung zu einem völlig anderen Song, ich wollte erst beide drauf haben“, sie lacht laut auf „aber ich wurde überstimmt“. Leicht sarkastisch setzt Michael hinzu „auch wenn heute viele Deutsche Bands auf Deutsch singen, die Aussagekraft der Texte hat sich dadurch ja auch nicht gerade stark erhöht“.

Mit einem Augenzwinkern macht sich Ibadet über die Deutschen lustig „oft finde ich, dass die Musik auch ohne Text schon unglaublich aussagekräftig ist, dass man keinen mehr braucht, und das Tolle am Englischsingen vor deutschem Publikum ist dann, dass sie eh selten etwas kapieren, von dem was du sagst, oder nicht richtig zuhören, so dass sie sich auch auf die Musik konzentrieren können. Manchmal ist Musik unsagbar, so dass der Text fast schon stört“.

Einen Lichttechniker findet sie da teilweise fast wichtiger, denn es geht bei Super 700 viel um Stimmung. Eine choreographierte Bühnenperformance gibt es bei der Band allerdings nicht, auch wenn es manchmal doch so aussieht, meint Background-Sängerin Ilirjana, dass das wohl eher daran liegt, dass man sich manchmal unwohl fühlt und nicht recht weiss, was man machen soll, und dann bei den anderen abguckt.

Der Bandname hat keine besondere Aussage, „wir wollten Musik machen und mussten eben irgendeinen Namen finden um das zu tun“ sagt Michael ganz pragmatisch, richtig schlimm finden sie ihn aber dann doch nicht. Und so bleibt das für mich auch das einzige Manko an der Band. Wer jetzt glaubt, jeder der bei Motor ist kann sich seine Zähne vergolden lassen, dem sei folgende Anekdote ans Herz gelegt.

Die Zwillinge Ilirjana und Albana haben sogar nur eine Krankenversicherung zusammen und müssen sich immer gut merken, wem welcher Zahn schon gezogen wurde, damit das nicht auffällt. So schliesse ich, dass damit der Punk Rock Award trotz musikalischer Diskrepanzen durchaus vergeben werden kann.

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Text. Alva Dittrich

http://www.super700.de/

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