März 16th, 2007

STREIT (#67, 12-1997)

Posted in interview by jörg

Bekifft zwischen allen Stühlen

Streit sind eine vielversprechende Lübecker Band, die gerade ihre erste Single „Lügenmaul“ auf dem Label Puffotter Platten veröffentlicht hat. Als ich diese grandiose kleine Scheibe das erste Mal hörte, wusste ich, dass ich mit ihnen unbedingt ein Inter-view machen musste. Ein Anruf genügte, um alles klar zu machen. Wie immer scheute ich als fleissiger TRUST Mitarbeiter keine Kosten und Mühen und machte mich unverzüglich auf den Weg nach Lübeck.

Beim Gesprächstermin machten Basser Dennis Cruel, Schlagzeuger Dennis Kern und insbesondere Sänger Ulf ihrem Bandnamen alle Ehre. Ist ja auch schön, wenn sich Bands ihre eigenen Gedanken machen, diskutieren und für ihre Sache „streiten“.

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Musikalisch lassen sich Streit im weitesten Sinne dem Punk zuordnen, obwohl die vier Jungs gar nicht gerne in irgend-eine Schublade gesteckt werden wollen.

Dennis Kern: Wir haben immer die Musik gemacht, die uns Spass macht. Einige behaup-ten wir würden Punk machen, andere meinen es geht mehr in die Grunge-Richtung; wo man uns im Endeffekt einordnen möchte, über-lassen wir anderen – wir nennen es einfach Streit.

Somit zeichnet gerade das „zwischen den Stühlen stehen“ die Band aus. Direkte Vorbilder haben Streit keine, sie sind vielmehr die Summe ihrer „jugendlichen Einflüsse“.

Ulf: Es gibt nicht viele Bands, die versuchen ihr eigenes Ding durchzuziehen. Unsere Musik ist 100% ehrlich und das ist mittlerweile im deutschen Raum leider die Ausnahme. Einige deutsche Bands eifern nur den ameri-kanischen Bands nach und andere versuchen lediglich alte deutsche Punkbands zu kopie-ren. Und das ist uns eindeutig zu wenig.

Was die Texte anbelangt verzichtet Ulf gerne darauf dem Hörer plumpe Slogans oder Parolen mit auf den Weg zu geben. Die Texte müssen vor allem zur Musik passen und der Band gefallen.

Ulf: Erst im Zusammenspiel von Musik und Text gewinnt ein Lied an Kraft – und das ist für uns das entscheidende. Die Aussage der Texte ist eher hintergründig. Wenn du dir einen Song wie „Lügenmaul“ anhörst, so ist er in meinen Augen hochgradig politisch. Politisch zu sein bedeutet nicht in jedem zweiten Satz anzusprechen was Sache ist. Politik findet nicht nur in unseren Köpfen oder in der Zei-tung statt, sondern auch in unserem Gefühl.

Politisch kann man Streit zwar eindeutig dem linken Spektrum zuordnen, doch verhalten sie sich gegenüber „politisch überkorrekten“ Linken eher reserviert.

Ulf: Wir haben diese Heuchelei von links und rechts langsam satt. Wir haben keinen Bock uns hinzustellen und zu sagen „wir sind gegen Nazis“. Wir bringen zwar schon Statements zur aktuellen Lage, doch wollen wir die Band nicht vor den Links-Politpunk-Karren span-nen. Ich kann mit vielen Leuten, die links-politisch engagiert sind gar nicht mehr reden. Und mit den Rechten geben wir uns überhaupt nicht ab.

In Lübeck scheint gerade eine zweite Hardcore-generation heranzuwachsen, die mit alten Helden wie Medfield M.A. nicht mehr viel zu tun hat. Wie es um die „Szene“ in Lübeck bestimmt ist, weiss Ulf, der Konzerte im Treibsand mitveranstaltet, am besten.

Ulf: Was in Lübeck auffällt ist die ausgeprägte Skaszene, was an der recht grossen Skinbewe-gung liegt, deren Wurzeln eigentlich immer noch vorhanden sind. Ausserdem haben wir eine immens grosse junge Hardcoreszene, die sich überwiegend aus 15jährigen „Hängehosenträgern“ zusammensetzt.

Bei Szene stellt man sich immer gleich eine verschworene Gemeinschaft von 200 Leuten vor, die sich ständig treffen und grüssen; ich habe aber nicht den Eindruck, dass in Lübeck ein reger geistiger Austausch stattfindet. So etwas wie eine „Lübecker Schule“ gibt es nicht. Dafür dass Lübeck Studentenstadt ist und über 220.000 Einwohner hat, ist es hier ziemlich arm. Gerade wenn du dir anschaust, was auf Livekonzerten abgeht – das ist einfach zu wenig.

Bei meinem „Trip“ nach Schleswig-Holstein ist mir aufgefallen, dass hier so viel gekifft wird wie in keinem anderen Bundesland. Was Streit vom Kiffen und vom abgelehnten „Apothekenmodell“ ihrer Sozialministerin Heide Simonis halten, welches die gesundheitliche Unbedenklichkeit von Haschisch nachweisen wollte, erfahrt ihr im folgenden Ab-schnitt.

Dennis K.: Eine kontrollierte Abgabe wäre schon eine Lösung, um mit der Trennung der Märkte für weiche und harte Drogen zu be-ginnen. Das finde ich schon gut. Wir bekennen uns zum Kiffen und hatten damit auch noch keine Probleme. Wenn wir ehrlich sind kiffen wir auch bevor wir spielen und das beeinflusst uns dann natürlich schon.

Ob die Kifferei ein Grund dafür ist, dass sie in den meisten Streit-Songs ein eher verhaltenes Tempo einschlagen, wollten die Jungs nicht bestätigen.

Ulf: Unsere Musik wird hauptsächlich durch unsere momentane Lebensstimmung bestimmt und nicht durch irgendwelche Drogen.

Dennis: Die Musik kommt aus der Laune heraus.

Ulf: Und diese Laune bricht leichter heraus, wenn wir dazu Drogen nehmen. Aber diese Laune entsteht nicht durch die Drogen. Ich finde es viel sympathischer zugekiffte Leute rumhängen zu sehen als irgendwelche total besoffenen Asselpunker. Die sind mir schon unangenehm.

Es gibt zwar auch Leute, die vom Kiffen abgestumpft sind, aber die nerven dich wenigstens nicht. Es gab doch auf dieser Erde noch keinen einzigen Haschtoten – was im schlimmsten Fall passiert, ist lauter Sex. Das weiss jeder und trotzdem muss man sich immer wieder dem Vorurteil erwehren, dass THC nur von völlig fertigen Langzeitstudenten konsumiert wird.

Nachdem die Streit Single in der kompetenten Musikpresse teilweise euphorisch abgefeiert wurde, hat sich die Band erneut in’s Studio begeben. Dort haben sie mit Faust, dem Livemischer der Toten Hosen 13 Stücke aufgenommen, die vielleicht als Mini CD veröffentlicht werden. Für die Zukunft haben sich Streit einiges vorgenommen.

Ulf: Wenn wir uns jetzt mit den neuen Auf-nahmen bei grossen Labels bewerben, wollen wir einmal austesten „was wäre wenn“. Wir wollen viel spielen und demnächst eine CD rausbringen und wenn wir davon leben könn-ten, wäre das natürlich super – da sagen wir nicht nein. Wenn einem die Musik so viel bedeutet wie uns, dann will man da auch mehr erreichen. Das wäre auch schlimm, wenn das nicht so wäre.

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Ob Streit nun wirklich zum neuen Stern am Punk-Rock-Himmel werden, bleibt abzuwarten. Das Zeug dazu haben sie – und falls es mit der Rock-starkarriere nicht hinhauen sollte, bleibt Lübeck immerhin eine gute Undergroundband erhalten.

Text & Interview: Stefan Kleiber
Foto: Marc Metzler

 

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