März 11th, 2007

SLICK (#64, 06-1997)

Posted in interview by jörg

Über das Longplay-Debut der Berliner Band SLICK möchte ich keine grossen Worte verlieren, denn eine Kommentierung ergibt sich im Verlauf des Interviews.

Spassig allerdings, dass die Plattenfirma im Presseinfo hervorhebt, mit welchen Bands SLICK bereits in Kritiken verglichen werden: Butthole Surfers, Nirvana, Nomeansno und tausend andere Geschütze werden da aufgeführt… klar, Kritiker sind faule Säcke und mit dem Nennen grosser Namen schnell bei der Hand.

„Klingt wie eine Mischung aus DANZIG und DEAD KENNEDYS“, liest man da zu einem Review einer viertklassischen schwäbischen Crossover-Band, schlimmstenfalls weil der Schwager des Rezensenten der Bruder von der Freundin des Bassisten dieser Band ist.

SLICK klingen natürlich nicht wie die Potenzierung all der Bands, mit denen sie bereits verglichen wurden, aber sie sind (und das ist zwar wenig, aber heute – 1997 – mehr als man sich noch zu erwarten traut) eine vielseitige, krachige, lebendige Underground-Rock-Band. Als Bele-bung der eingedörrten Aussenstation „Hardcore Deutschland“ könnten sie es mit etwas Mühe schaffen, bald so unverzichtbar zu sein wie PARTY DIKTATOR und NOTWIST auf ihre Weise.

Eben weil SLICK (damit NOTWIST und PARTY DIKTATOR verwandt) keinen ‚zeitgenössischen Hardcore‘ spielen (dieses öde Blöken tätowierter Seekühe auf MTV), sondern ein 80er Jahre Hardcore-Ver-ständnis haben: „Damals“, also in den wehmütig betrauerten 80ern, erzählt Arne, „gab es eben mit Bands wie MINUTEMEN so eine ganz bestimmte Art von Underground, die sich nicht hat einteilen lassen. Da war so vieles drin – und gerade diese Offenheit wurde ja auch von den Fans geschätzt, während heute wieder ganz feste Muster angesagt sind, befürchte ich.“

Es trifft auch auf das SLICK-‚Rockstar‘-Debut (nach einer Existenz als Seven Inch-Band) zu: „Jedes Stück hat seinen eigenen Charakter und unterscheidet sich von anderen. Das entspricht auch unseren Hörgewohnheiten. Im Tourbus laufen Techno, Trip Hop, Punk, Metal, Country und Folk hintereinander – warum solltest Du Dich da als Band festle-gen? Nur insofern, als dass wir eine Rock-band sind, das steht fest. Rock im Sinne der Achtziger, klar, nicht bezogen auf die Gitarrensolo-Dinosaurier. Trotzdem sind auch Techno-Einflüsse da. Höre dir das zweite Stück auf unserer Platte an: Da läuft ein Beat durch, da spielt die Gitarre stur ein Riff, während andere Gitarren gesampelt werden. Ganz klar ein Einfluss, der sich niederschlug, weil wir uns eben nicht nur mit Headbang-Musik auseinandersetzen.“

Klingt die eben vorgenommene Charakterisierung nicht eher nach Punk als nach Techno? Das, was Ali als Techno-Einfluss angibt (Ein-Riff-Gitarre, sturer Beat) war doch einst auch einmal das Geheimnis des „One Chord Won-der“ (THE ADVERTS) namens Punk. „Ich glaube sowieso, dass sich das alles strukturell aus einer Wurzel heraus herlei-tet: Punk, Techno und Hip Hop sind ir-gendwie verwandte Phänomene, die mit ähnlichen Mitteln funktionieren, mit Power, Rhythmus, Gleichförmigkeit… Nach dem 70er Jahre-Rock hatte eigentlich alle Musik, die im Pop relevant war, ein ähnliches Schema. Insofern sind für mich Punk und Techno keine Widersprüche oder verfeindete Stile.“

Ach ja, immer diese 80er Jahre-Nostalgie. Nervt eigentlich (mich auch an mir selber, ob-wohl ich zugeben muss, dass mir momentan mehr Neuerscheinungen gut gefallen als noch vor zehn Jahren… aber eben selten nur noch im Rockbereich). Was mehr noch nervt (und diese 80er-Nostalgie bei uns alten Säcken gerechtfertigt auslöst) ist die traurige Tatsache, dass die direkte Erfahrbarkeit (!) von Musik und Szene immer mehr verschwindet. Gitarrenmusik ist kaum mehr lebbar. Schuld daran hat nicht Techno, sondern das Desinteresse gerade der MTV-Kids (die so called Punk, Hardcore und Crossover konsumieren), die Musik an keine selbst gestaltete Szene mehr rückbinden, wie es für uns alte Pfürze eigentlich noch zwingend war. Selbst so manch drittklassige Band (wie z.B. die HARD ON’S… fällt mir jetzt gerade spontan als gutes ödnis-Beispiel ein) hatte seinerzeit noch eine Bedeutung, weil sie sich in ‚unserer‘ Szene bewegte und Anlass war, auf ihren Konzerten mal wieder die Kumpels von Nah und Fern zu treffen – heute geben selbst erstklassige Bands dieser Art kein Zugpferd mehr ab, mich auf ein Konzert zu bewegen, weil solche Konzerte meist in Hallen stattfinden, die Anonymität geradezu bedingen.

Arne: „Früher konnte man in Jugendhäusern und kleinen Läden so aufregende Sachen wie UNIVERSAL CONGREss OF sehen, da war eine intakte Szene und die Musik dieser Szene war noch nicht gleichgeschaltet. Inzwischen, wahrscheinlich bedingt durch MTV und VIVA, suchen Bands und Hörer nur noch nach festen, verlässlichen Stilen – Bands müssen klar und eindeutig nach ‚Hardcore‘, nach ‚Crossover‘, nach ‚Grunge‘ u.ä. klingen, folglich richten sich Bands danach aus, geben sich als achtzigste NIRVANA-Kopie und landen so in Hallen, wo keine aktive Szene sich mehr gestalten kann. Aber die Schuld an dieser Situation haben nicht die Veranstalter.

Wir sind eine kleine Indie-Band, die es sehr schwer hat, und wir sind doch beim Planen unserer Tour auf sehr faire, wagemutige Veranstalter getroffen… das Problem liegt eher beim ausbleibenden Publikum. – Die Underground-Szene der 80er hat sich ja gerade durch das direkte Erleben ausgezeichnet, den ständigen Austausch.

Ich glaube schon, dass MTV da viel zerstört hat: über MTV läuft Musik visuell ab und befriedigt die neue Generation dort, wo früher nur Kon-zerte befriedigt haben. Wenn ich damals eine Platte von HüSKER Dü gehört habe, war einer meiner grössten Wünsche, diese Band einmal live zu sehen. Heute bekomme ich das Video geliefert noch bevor ich die Platte kenne – ich bin visuell schon gesät-tigt, auch wenn das nur ein mieser Ersatz zu Konzerten ist.

Der Stellenwert des Konzer-tes, denke ich, ist geringer geworden. Das schadet natürlich der Rockmusik mehr als Techno. Zu Techno-Events gehen die Leute, weil sie tanzen wollen. Bei Rockkonzerten – vermitteln einem die Videoclips – muss man gar nicht mehr teilnehmen, weil das Video ja schon so schnell und bunt funktioniert wie ein Konzert.“

Nun also könnte ich das Diktiergerät aus-schalten: Ein Fanzine-Fossil namens Martin Büsser macht für ein Fossil-Fanzine namens TRUST ein Interview mit Fossilen namens SLICK (die Leute sind schon bartlang dabei, als Menschen, wenn auch nicht als Band) und alle haben sich geeinigt, dass früher (seufz) alles besser war.

Mit drohender Impotenz vergewissert man sich noch einmal der geilen Gitarrengriffelei von Sylvia Juncosa und Greg Ginn, dem ‚open minded‘-Gedanken einer Post-Punk-Generation, die damals sowohl HALF JAPANESE wie YOUTH OF TODAY, sowohl JOHN ZORN wie POISON IDEA gehört hat, sowohl… ach, lassen wir das.

Wäre da nicht eine optimistische Wendung im Gespräch (okay, Diktiergerät bleibt an), als Arne ausholt: „Ich denke allerdings, dass die übersätti-gung an einem Punkt angelangt ist, an dem sie wieder umschlagen wird – die schlimm-ste Phase dürfte vorbei sein, was das blosse Konsumieren von Musik angeht. Die Rockmusik wurde so lange nun für tot erklärt, dass sich bald wieder etwas ändern wird: Klar, Rockmusik als gross angelegte Sache gibt es sowieso nicht mehr, weil sich alles in einzelne Bereiche aufgesplittet hat bis hin zu irgendwelchen Rockabilly-Konzerten, die vor zwanzig Mitfünfzigern stattfinden.

Aber der Vorwurf, dass Rock-musik tot sei, stammt natürlich von gelang-weilten Kritikern, die pro Tag 35 Promo-CD’s anhöhren“ (in diesem Zusammenhang erzählt mir die Band, dass sie ihre CD im Ox-Büro gleich sechsfach angetroffen haben… die Promoma-schine arbeitet gut), „und die natürlich so satt sind, dass sie nach dem absolut Neuen hungern.

Aber wie ist das mit den ganz normalen Hörern? Da kann ich mir vorstellen, dass sich sehr bald wieder ein Bedürfnis ausbreitet, dass eben mehr will als nur ein SOUNDGARDEN-Konzert vor sechstausend Zuschauern.“ (Vielleicht; erwähnte Band hat sich ja seligerweise aufgelöst). „Der Markt ist gerade übersättigt – ein ähnliches Phänomen wie in den Siebzigern. Damals gab es irgendwann auch nur noch Grossrockveranstaltungen – bis Punk entstand. Heute haben wir einen ähnlichen Zustand. Alles ist bis zum Platzen dicht – und kann damit eigentlich nur umkippen, sich zum Besseren wenden.“

Aus diesem Grund plant Arne (aber das ist Zukunftsmusik) auf dem Label ‚Noisolution‘ einen Sampler, der deutsche Bands mit englischen Texten vorstellen möchte, die zwischen allen Stühlen sitzen: Weder Techno noch sogenannter Diskursrock. Neben bekannteren Gruppen wie SHARON STONED und PARY DIKTATOR werden dort natürlich auch Neuzugänge wie SLICK Platz haben.

Arne: „Eine Band, die hierzulande in englischer Sprache singt, hat es besonders schwer. Sie gilt noch immer als eine schlechte Ami-Kopie, ganz egal, wie eigen-ständig sie tatsächlich ist. Du schaffst es nur, wenn du in deutscher Sprache singst. Ich möchte damit nicht generell gegen Musiker anstänkern, die in Deutsch singen, aber es ist vom Publikum und von der Presse aus vermessen…“

***

Es versteht sich, dass dies auch etwas mit der leidigen Heinz Rudolf Kunze-Diskussion um eine Quote für deutschsprachige Musik im Radio zu tun hat: Englischsprachige Musik, die unverhohlen preisgibt, dass sie von amerikanischen Vorbildern geprägt ist, ist gegen-über Chauvisnismus weniger anfällig als eine Musik, die auf das ’spezifisch Deutsche‘ pocht. Doch gerade jene Bands, die sich keiner wie auch immer gearteten ’nationalen Identität‘ hingeben, haben momentan unter der Rückkehr des Deutschtums in der Rock- und Popmusik zu leiden.

Text/Interview: Martin Büsser

Links (2015):
Wikipedia

 

Both comments and pings are currently closed. RSS 2.0