November 4th, 2015

SHIHAD (#53, 08-1995)

Posted in interview by Jan

Nach einem wundervollen, exstatischen Konzert (Trustmitarbeiter völlig naßgeschwitzt vom entfesselten Abtanzen!) waren Jon (gesang, gitarre) und Tom (drums, gesang) erstmal selber außer Atem und anschließend gerne bereit, ausführlich auf eine Reihe dummer Fragen zu Antworten.

…was für ein grausamer Name für so eine melodische Band! Shihad, der heilige Krieg, blutiger Fundamentalismus…warum?

Tom: Nein, wir wollen das nicht in Verbindung bringen mit Ideologien oder Fundamentalismus, der Name kam eher zufällig zu uns.

Jon: Weit du, wir sind Science-Fiction-Fans, seit wir klein waren, und wir vier sind zusammen, seit wir 16 sind, und wir sahen diesen Film „Dune“ der in Deutschland „Wüstenplanet“ heißt (Anmerkung: gut informiert! Das zugrundeliegende gleichnamige Buch ist von Frank Herbert, ein lesenswertes SF-Epos, der Film enthält so nette Details wie Jammerlappen Sting in einer der Hauptrollen und eine Ausstattung aus der Feder von Malerfürst-der-Finsternis H.R.Giger), und der Begriff, der im Finale auftaucht, ist eben Shihad, und daher…

Ah, so ist das… Science-Fiction-Fans, na großartig.

Tom: Ja, nur betrachtet eben jeder die andere Seite der Münze, diese religiöse, fundamentalistische Sache.

Nun mal zur Bandgeschichte, wie lange gibt’s euch schon?

Jon: 6,7 Jahre.

Mit dem Namen Shihad?

Jon: Ja, und es ist auch meine erste Band, für Tom ist es die zweite, und ich finde das auch gut, es ist wie eine Familie, wir haben auch ’ne Menge Negatives zusammen durchgemacht, nicht wie bei irgendwelchen zusammengewürfelten Bands, die unvermittelt ins Rampenlicht drängen. Wir sind zusammen aufgewachsen und haben zusammen gelernt.

Tom: Wir sind zusammengekocht, wie Kaffee oder Tee. Das andere ist, so viele Bands bestehen aus Leuten mit jeweils einer eigenen musikalischen und persönlichen Vergangenheit, was auch interessant sein kann, wir dagegen sind zusammen aufgewachsen, wir haben alles zusammen durchgemacht und entwickelt. Die Band geht uns allen daher schon ziemlich unter die Haut.

Wie ist das in Neuseeland, wo genau kommt ihr eigentlich her?

Jon: Aus Wellington.

Ist das nicht die Hauptstadt? (Geografie: ungenügend!)

Tom: Ja, die Hauptstadt, das Parlament ist dort und so, sonst ist es die zweitgrößte Stadt, so 350.000 Leute. Die größte ist Auckland mit ungefähr einer Million.

Jon: Die Musikszene dort ist viel mehr an Amerika orientiert und an dem, was dort abläuft. Wo wir herkommen, gibt es Bailter Space und die Skeptics, in Wellington ist es irgendwie viel „kultureller“ und experimenteller, da läuft nichts mit dumpfen Rock-Klischees und solchem Scheiß.

Tom: Ich glaube, ein wichtiger Grund dafür, daß Shihad so geworden ist, liegt darin, daß du in Wellington nicht aus einer bestimmten Szene kommst, sei es Metal oder Rock oder sonstwas, sondern daß sich alles mischt.

Jon: Es gibt da eben keine abgeschlossenen Szenen wie hier in Deutschland, wo du als Metalhead eben nur mit Metal-Leuten zusammenbist, als Indie eben nur mit Indies und so weiter. In Wellington kennt eben jeder jeden, es ist fast so ein Stammesding.

Tom: Hier kannst du ewig auf deinem Trip bleiben, niemand drückt dir etwas völlig anderes rein, in Wellington bist du ständig mit allem anderen konfrontiert, du hast deinen Übungsraum in einem Gebäude mit drei oder vier Bands, die völlig unterschiedliche Stile spielen, das ist einfach gesund für deine Musik.

Vielleicht ist hier gar nicht alles so groß, wie es aussieht?

Jon: Oh, ja, das kann sein. Es ist so, als wir nach Deutschland kamen, hatte ich die Vorstellung, daß alle Bands hier so experimentell wie Einstürzende Neubauten wären, das war meine Vorstellung. Ich dachte, COOL!, laßt uns dorthinfahren und all diese verdammt ausgeflippten Bands ansehen. Statt dessen wirken sie alle wie geborene amerikanische RocknRoller.

Tom: Es ist verblüffend, bei wie vielen deutschen Bands, die ich gesehen habe, der Sänger tatsäch-lich amerikanisch singt UND spricht. Sie sprechen Englisch zwischen den Songs!

Jon: Das ist verrückt! Ich mag es viel lieber, wenn sie deutsch singen, ich finde, das klingt toll!

Tom: Wenn du eine Hardcore-Metal-Rap-band aus, sagen wir mal, München hast, und alles genauso machst, wie die Vorbilder aus Amerika, dann ist trotzdem nichts dahinter, AUSSER du bist aus Amerika, dann ist es echt. Also warum kümmert sich irgend jemand darum? Warum nicht gleich Deutsch singen? Das ist viel interessanter, viel echter, aus unserer Perspektive gesehen.

Jon: Ich verstehe ja die Probleme, wenn du mit deiner Musik auf den Weltmarkt willst, und dort versteht dich keiner, aber deutsche Texte klingen einfach so verdammt toll. Fuckin‘ Cool!

Ihr werdet aber nicht die Midnight Oil (Australische gute Popband) Neu-Seelands? Nächstes Jahr oder so?

Jon: Das würde ich bezweifeln.

Tom: Meinst du stilistisch, oder von der Bedeutung her, oder beides?

Nein, ich meine den Erfolg.

Tom: Naja, es gibt verschiedene Definitionen von „Erfolg“. Für eine lange Zeit war es unser Traum, nur einfach unsere Musik zu spielen und davon leben zu können. Und genau dieser Traum wurde Wirklichkeit. Und inzwischen kämpfen wir darum, dieses Niveau zu halten. Wenn du mal etwas erreicht hast, willst du es nicht mehr hergeben. Aber es geht in erster Linie um die Musik. Es klingt klischeehaft, ich weiß, aber es ist so. Wir haben inzwischen so oft und in so vielen verschiedenen Umständen gespielt, daß wir jetzt mit allen möglichen Situationen umgehen können. Aber es ist nirgendwo so wie in Neuseeland. Dort kannst du im Jahr vielleicht zwei Kreise mit je 8 oder 10 Gigs ziehen. Es sind gute Gigs, weil wirklich viele Leute kommen, sie wissen alles über einen, kennen die Songs…

Jon: Das war schon komisch an der Faith-No-More-Support-Tour neulich: du mußtest auf die Bühne, um dir den Arsch abzuschuften, weil du für ein Publikum spielst, die eigentlich Faith No More sehen wollen. Nach so etwas kannst du es viel mehr schätzen, vor 1500 Leuten spielen zu können, die dich kennen und die Songs mitsingen und so weiter.

Was bedeutet Australien als Nachbarland für euch?

Tom: Nein, eigentlich garnichts. Australien ist eine kulturelle Wüste.

Ist es wirklich so anders als Neuseeland?

Tom: Das Hauptgewicht liegt in Australien auf Kopien, auf  Cover-bands. Ganz groß sind dort gerade die „tribute-bands“, die nennen sich selbst „die australischen Doors“ oder „ABCD“, sie ziehen sich auch genauso an wie die Originale. Eigenständige Bands kommen dort überhaupt nicht hoch, keine Gigs und so. Also findet dort keine eigene Entwicklung statt. Es gibt Ausnahmen, so wie „the mark of kain“, die sind toll, kommen auf dem Rollins-Label raus. Also, in Australien läuft nicht viel.

Jon: Hierher, nach Europa zu kommen, war für uns das größte Ziel.

Nicht Amerika?

Jon: Ja, wir werden dort im September touren, das wird sicher völlig anders, wir freuen uns auch darauf, aber unsere Musik hat irgendwie mehr mit Europa zu tun. Einfach die ältere Kultur. So anders als bei uns. Wir kommen eben aus einem kleinen Land…

Tom: …das der Welt zusieht ohne beteiligt zu sein.

Das neue Album „killjoy“ enthält eigentlich nur lovesongs, richtig oder falsch?

Jon: Richtig. Nicht nur glückliche, auch traurige lovesongs. Und auch Lieder über Freundschaft allgemein. Das ist für uns auch der Hauptunter-schied zum letzten Album „churn“, das eigentlich eine „anti-establishment“-Platte war. Ich war 20, (Anm.: das was vor 3 Jahren) als ich die Songs schrieb, und ich bin immer noch völlig zufrieden mit den Texten. Es war ein Aufschrei der Frustration, ein völliges Herausplatzen, wobei ich aber nicht beachtete, daß alle Veränderungen eigentlich im Inneren beginnen. Es war ein Lernprozeß.

Der Klang der beiden Platten ist auch sehr unterschiedlich!

Jon: Ja, sicher. „Killjoy“ haben wir selbst produ-ziert und wir hatten klare Vorstellungen davon, wie wir klingen wollten, auf jeden Fall nicht so wie auf der ersten, „churn“. Jaz betonte mehr die atmosphärische Seite von Shihad, die wir auch sehr mögen. Aber wir wollten dann mehr Gewicht darauf legen, daß wir ja eine rhythmisch sehr genau spielende Band sind. Wir sind letztlich eine Rockband, eine verdammt verrückte, aber wir sind eine. Wir wollten auch jeden einzelnen Song so produzieren, wie er es verlangt. Bei der ersten, „churn“, hatten wir nicht viel Geld zur Verfügung. Wir haben die Songs in 2 Tagen aufgenommen und auch ziemlich schnell abgemischt.

Tom: Also haben sie eher wenig Dynamik (Anm.: Betonung der Lautstärkeunterschiede) und wenig Bewegung. Bei der „Killjoy“ hatten wir viel mehr Zeit zum Herumspielen. Einige der Songs wurden wirklich erst im Studio komponiert, wir hatten dafür gerade mal ein paar Ideen.

Jon: Wir wollten, daß es organischer klingt, andererseits haben wir vielmehr mit der Technik rumgemacht als bei der „churn“. Wir haben uns darauf konzentrieren können, die Riffs voller Energie und ohne großes Überlegen aufs Band zu bringen, weil wir wußten, daß wir es später noch anders arrangieren können. Auf der „churn“ haben wir dagegen noch sehr mechanisch und maschinell gespielt.

Dann muß ich euch natürlich nach Jaz (Coleman, Killing-Joke-Sänger, produzierte die „churn“) fragen.

Jon: Oh, er lebt in Neuseeland, auf Great Barrier Island, ein kleines Paradies. Er kam zufällig in das Studio, in dem wir an einem Beitrag zu einem Soundtrack arbeiteten, er mochte, was er da hörte. Am nächsten Tag rief er mich in Wellington an und fragte mich, was ich davon halte, daß er die Platte produziert. Weißt du, ich bin mit der Musik meiner großen Schwester aufgewachsen, daher kannte ich z.B. Killing Joke. Also war es ein fantastisches Ange-bot. Wir haben eine Menge von ihm gelernt, über Aufnahmen und Produktion, Atmosphäre und Ausdruck, weniger auf die Technik als auf das Gefühl zu achten. Daher war es eine wichtige Lektion für uns. Aber es war auch eine harte Zeit. Er ist ein ziemlich rechthaberischer Mensch und arbeitet viel mit negativer Energie. O.K., wir spielten sehr aggressive Musik, kein Zweifel, und er trieb uns noch weiter, bis in eine Art Haß. Und das war etwas, das wir nicht noch einmal wollten. Wir wollten, ja, Rock, und wir wollten auch eine gute Zeit damit haben. Das haben wir bei der „killjoy“ auch getan. Deswegen haben wir die zweite auch nicht mit ihm gemacht, worüber er nicht glücklich war.

Ihr habt den W 30, so ein Samplingkeyboard, extra als Instrument auf der „killjoy“ erwähnt. War das Ding so wichtig für euch?

Jon: Naja, es war der einzige Sampler, den wir hatten, wir machten damit Drumloops und so.

Tom: Ich hab‘ teilweise irgendwelches Zeug auf den Drums gespielt, das haben wir dann gesampelt und neue Rhythmen draus gemacht.

Jon: Wir haben eine Menge Samples verwendet, aber statt irgendwelche Töne und Geräusche von außerhalb zu verwenden, haben wir uns selbst gesampelt.

So daß ihr die Stücke zum Teil erst nachträglich einüben mußtet?

Tom: Ja, genau.

Jon: Wir wollen live auf der Bühne keine Maschi-nen integrieren, nach denen wir uns richten müßten.

Ich finde, auch die neue Platte ist noch ein wenig mit Killing Joke vergleichbar. Ich muß aber gestehen, daß ich die Musik von Killing Joke liebe und nahezu alles mit dieser Band vergleiche…

Tom: Ja, ich wir klingen auch wie AC/DC. Was ich sagen will, ist: wie du vielleicht weißt, habe ich auf der letzten Killing Joke Platte Drumtracks eingespielt und habe dabei erlebt, wie grundsätzlich verschieden die beiden Bands schon von der Produktion an sind.

Ich meine auch mehr das Innere, das wofür Killing Joke steht. Das Klischee.

Jon: Ich wuchs, wie ich schon sagte, mit diesem Post-Punk-Ding auf, mit Wire (läuft im Hintergrund), Joy Division, die waren für mich wichtiger als Killing Joke, Public Image waren auch sehr wichtig.

Sag mal, wie kommt es eigentlich zu dieser Zeitverschiebung? Wie alt bist du?

Jon: 23.

Und wie kommst du dann zum Post-Punk? Das ist lange Jahre her!

Jon: Naja, das war eben die Musik meiner großen Schwester. Das lief immer, als ich klein war und aufwuchs. Das war eben die erste Musik die mich umgehauen hat. Ich hab das eigentliche Punk-Ding irgendwie verpaßt, ich bin erst da eingestiegen als Punk wieder was mit Kunst zu tun hatte oder so.

Tom: So ähnlich ging mir das auch, als ich mit elf Jahren anfing Musik zu machen. Ich hörte seltsamerweise gleichzeitig Pink Floyd, the Who, Public

Image, Sex Pistols, ZZ Top, AC/DC. Ich hörte mir die Platten unterm Kopfhörer an und spielte dazu Drums. Ich erinnere mich, als „love like blood“ rauskam (DER Killing Joke Dancefloor-knaller), da war das Schlagzeug anders aufgebaut, also bin ich sofort in den Keller gerannt und hab‘ mein Drumset umgeräumt und ausprobiert, wie es sich damit spielt. Aber die Platte, die uns dann den letzten Anstoß gegeben hat, war Metallica’s „master of puppets“.

Jon: Meine Schwester erzählte mir, als ich noch ein Kind war: wenn du jemals anfängst, Metal zu hören, werde ich dich dafür hassen. Und ich dachte mir, das ist OK. Metal ist bestimmt Scheiße, weil meine Schwester hat ja einen guten Geschmack. Aber als dann Metallica rauskam, war es etwas vollkommen anderes. Es war wie Metal ohne den ganzen üblichen bullshit. Es war einfach Rhythmus, brutaler packender Rhythmus.

Tom: In Neuseeland ist es völlig anders als sonst auf der Welt. Metal ist bei uns ein totales Tabu. Pure Rebellion. Alle hassen Metal. AC/DC war auch eine Offenbarung.

In diesem Moment brüllt der Stereo los, muß wohl jemand ans Gaspedal gekommen sein, nein, kein Metal, es ist wieder Wire: „is it too late to change my mind? too late? too late? too late?“ Nein, es war und ist nicht zu spät, wie man hier wieder mal deutlich sehen konnte, in der auflodernden Partystimmung versuche ich, mich der freundlich angebotenen und entgegengenommenen Dose australischen Bieres zu entledigen. Was für eine elende Brühe! Der einzige trübe Moment an diesem ansonsten hochunterhaltsamen Abend mit Klasse Musik und völlig netten Leuten. Dann bedankt man sich noch aufs herzlichste

…thanks a lot for the interview

…thank you for dancing…

 thank you for playing 

…thank you for coming…usw.

Bis zum nächsten Mal, Jungs!

Interview: Fritz


Links (2015)
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