März 11th, 2007

RATOS DE PORAO (#62, 02-1997)

Posted in interview by jörg

Dieses Interview ist leider schon etwas betagter, wurde in Köln 96 geführt, aber da die Band ja nicht gerade jede Woche im Ländle ist denke ich, dass es immer noch aktuell ist. Ratos De Porao sind eine von diesen Bands von denen viele schon mal gehört haben, aber von denen kaum jemand Platten hat, oder sie schon mal live gesehen hat.

Mir ging es genauso als ich letzten Sommer die CD „Feijoada Acidente?-International“ in die Finger bekam.                      
Auf der CD sind ausschliesslich Coverversionen enthalten. Angefangen mit Minor Threat und den Circle Jerks prügeln sich die Brasilianer über Disorder, Poison Idea und sogar einem Inferno-Stück, durch ihre persönlichen Hardcore-Lieblingsstücke der letzten 20 Jahre.

Ich persönlich bin ja ein Fan von Coverversionen, sehe solche Veröffentlichungen also auch durchaus als sinnvoll an, besonders wenn eine Band die Sache so überzeugend rüberbringt wie R.D.P.. Ich hatte dann Gelegenheit die Band in Köln im Between live zu sehen und war vollends überzeugt.

Zum einen war ich erstaunt, dass Pig Champion offensichtlich einen Bruder in Brasilien hat, – ich verstehe es nicht wie es jemand mit dem Gewicht schafft, über eine Stunde wie ein Wahnsinniger herumzuspringen und dazu noch die ganze Zeit zu singen-, zum anderen war ich überrascht, dass ihre eigenen Songs den Klassikern auf der CD in nichts nachstanden. Am nächsten Tag sprach ich dann mit Sänger Gordo und dem Schlagzeuger Boka.

***

Das erste Mal, das ich von Ratos De Porao gehört habe, war irgendwann Mitte der 80er, als ich den 83er Sampler „S U B“ mit Bands aus Brasilien in den Händen hatte. Ein Freund von mir hatte dann noch eine LP auf Tape, aber die nächste reguläre Veröffentlichung, die ich selber gesehen habe, ist die jetzt bei Roadrunner erschienende Coverversions-CD. Gab es Euch die ganze Zeit über, oder hatttet ihr Euch irgendwann aufgelöst?

Gordo: Wir haben uns nie aufgelöst.

Boka: Wir haben auch immer live gespielt. Das Problem ist, dass wir so weit weg von allem Leben und so wenig Unterstützung von unserem Label haben, dass zwar viele Menschen uns kennen, aber niemand weiss, was die Band gerade macht. Wir haben die ganze Zeit in Brasilien, eigentlch in ganz Südamerika, gespielt. In Europa waren wir wegen der Sprache meistens in Portugal und Spanien. Die Tour jetzt, ist die erste seit fünf Jahren, auf der wir auch in Deutschland spielen.

Gordo: Für uns ist es sehr schwierig in Deutschland, Holland, oder den USA zu spielen. Ausserdem hatten wir auch viele Probleme, wir waren alle die letzten fünf Jahre auf Crack, hatten ärger mit unserem Label, ärger mit Roadrunner.

Boka: Es geht um Roadrunner Europa, wir haben denen all unsere Sachen gegeben, nichts geschah, jetzt haben wir einfach aufgegeben. In Brasilien sind wir bei Roadrunner Brasilien. Wir waren in Europa früher schon bei der Euro-Dependance, die haben aber nichts getan, und uns dann gekickt. Da wir aber in Brasilien auf Roadrunner Erfolg hatten, wollten sie uns in Europa zurück. Das haben wir dann auch gemacht, und 1994 die LP „Massacreland“ veröffentlicht. Das Album ist klasse….

Gordo: Nur hat in Europa kein Schwein jemals davon gehört!!

Boka: Auf „Massacreland“ stimmte einfach alles, besonders die Produktion von Alex Newport war toll. Nur kennt das Zeug leider niemand. Wir haben jetzt im Ganzen acht Alben veröffentlcht, davon vier in Europa auf Roadrunner, aber niemand kennt sie und man kann sie auch scheinbar nirgendwo kaufen.

Hat Euch der Erfolg von Sepultura, die ja auch Brasilianer sind, in irgendeiner Weise geholfen, im Sinne, dass Plattenfirmen, oder die Medien auf brasilianische Bands aufmerksam wurden?

Boka: Ich glaube nicht, dass es uns geholfen hat.

Gordo: Eher im Gegenteil. Ich glaube, es hat die Tür noch weiter geschlossen. Roadrunner hatte auf einmal eine erfolgreiche Band mit brasilianischen Touch, bestehend aus einigen Dschungel-Kids, sie brauchten, oder besser wollten, dann keine zweite.

Boka: Ausserdem klingen Sepultura schon anders als wir, sie gehen eher Kompromisse ein, es ist halt nur Metal. Sie haben eine andere Message, ihre politische, idiologische Einstellung ist anders. Ich sehe es auch als Problem, das die Kids hier oder in Amerika Sepultura kennen, von uns dann hören, und davon überzeugt sind, dass wir genauso klingen.

Aber in Sepultura-Interviews heisst es oft, dass Ihr gute Freunde seit und das in Brasilien die Punk und die Metal-Szene total vermischt sind?

Gordo: Doch wir sind gute Freunde, nur die Punks und die Metal-Kids in Brasilien hassen sich eigentlich….

Boka: Naja, früher war es so, und eigentlich war es R.D.P., die als eine der ersten Bands in Brasilien Punk und Metal-Elemente vermischten. Ich weiss noch, damals war ich noch kein Mittglied der Band, sondern nur Fan, und da waren Leute aus beiden Szenen…

Gordo: Wir waren immer die Ersten! Wir waren die erste Band, die in Brasilien eine Hardcore-LP veröffentlicht hat, die erste Band, die Crossover aus Punk und Metal gemacht hat…

Boka: Heute ist es irgendwie anders, es gibt nicht mehr nur Punk, oder nur Metal, man liebt sich zwar nicht, aber verprügelt sich auch nicht mehr gegenseitig.

Wer in den heutigen R.D.P. ist noch von der Urbesetzung übrig?

Gordo: Von der ersten Besetzung ist nur noch der Gitarrist übrig, ich singe seit 1983, also auch schon auf der ersten LP.

Boka: Von 1981 bis 86 war die Band auch eher ein Witz, niemand nahm die Sache sehr ernst.

Gordo: Zuerst war ich von amerikanischen Hardcore begeistert, allein die Geschwindigkeit, ufta, ufta, ufta, später gefielen mir die europäischen Sachen wie Disorder, GBH, aber auch Kram aus Deutschland sehr gut.

Auf der Coverversions-CD ist mir auch aufgefallen, dass die Bandbreite der Songs ziemlich gross ist, es ist sogar ein Rezillos-Song dabei.

Boka: Natürlich haben wir unsere Faves, aber wir hören uns von 77er UK-Punk über alten New Wave bis hin zu heutigem Hardcore alles an.

Gordo: Es ist auch so, dass Amerikaner oft nur amerikanische Bands kennen und hören, oder Deutsche nur deutsche kennen und hören. Wir als Brasilianer haben aber nicht soviel eigene Bands, also hören und kennen wir einfach mehr fremde Sachen, egal ob sie jetzt aus Deutschland, Schweden, Holland, oder aus L.A. sind.

Wie seit Ihr damals überhaupt zum Hardcore/Punk gekommen? Ich nehme nicht an, dass man Minor Threat oder Black Flag Platten einfach so im nächsten Laden kaufen konnte.

Gordo: Es war harte Arbeit. Du musstest den Labels Briefe schreiben und die Platten direkt bestellen. Das hatte aber den Vorteil, dass wir sehr früh mit vielen Leuten in der ganzen Welt Kontakt hatten.

Gab es bei Euren frühen Konzerten/Platten Repressalien von der Polizei bzw. dem Staat?

Gordo: Eigentlich nicht…..

Boka: Am Anfang schon…. aber nicht mehr als damals in den Staaten oder Amerika. Heute ist das alles kein Problem mehr, die Kids, die heute zu unseren Konzerten kommen, sind auch eine andere Generation.

Gestern habt ihr vor ungefähr 150 Leuten gespielt, wie bekannt seit ihr in Brasilien?

Boka: Das kommt darauf an wo wir spielen. Wenn wir in Rio auftreten kommen so etwa zwei- bis dreitausend Leute, wenn wir aber in einer Stadt spielen, die etwa eine Stunde Autofahrt von der nächsten Grossstadt entfernt ist, kann es passieren, dass nur 50 Menschen kommen. Brasilien ist auch einfach zu gross. Wir müssen manchmal zwischen zwei Konzerten mit dem Flugzeug fliegen, dadurch werden dann die Konzerte teurer, da gehen dann natürlich auch weniger Leute hin. Es ist ziemlich umständlich in Brasilien eine richtige Tour zu machen.

Wir können einfach nicht drei Tage mit dem Auto fahren, einmal spielen und dann wieder drei Tage fahren. Also musst du fliegen, und sofort wird es teuer. Ein anderes Problem für Bands in Brasilen ist die Produktion von CDs. Es gibt in ganz Brasilien nur vier Fabriken, die CDs pressen. Die gehören alle grossen Firmen und sie monopolisieren natürlich den Markt. Wenn eine Band Millionen CDs verkauft, wird diese ganz klar sofort gepresst. Wenn eine kleine Band aber versucht einen Auftrag für Tausend CDs zu vergeben, so machen die es einfach nicht, lehnen einfach ab.

Warum ist von Euch nie etwas auf US-Labels veröffentlicht worden? Gerade Mitte der 80er wurde relativ viel Fremdes in Amerika rausgebracht. M.R.R. veröffentlichte Sampler….

Boka: Unser Problem war und ist, dass wir auf Roadrunner Brasilien sind. Es gibt auf der ganzen Welt mehrere eigenständige Roadrunner-Labels. Wenn sie es wollen, bringen sie unsere Platten raus, wenn nicht, dann geben sie aber niemanden Anderen die Chance unsere Musik zu veröffentlichen.

Es gab andere Labels, die in der Vergangenheit unsere Sachen veröffentlichen wollten, aber Roadrunner hat ihnen keine Möglichkeit gegeben. Wir wollen jetzt versuchen aus unserem Vertrag herauszukommen, bzw. die Möglichkeit auszuhandeln in den Staaten ein eigenes Label suchen zu können.

Könnt Ihr von dem was die Band erwirtschaftet leben?

Gordo: Nein, wir müssen alle arbeiten. Du wirst nie erraten was ich mache…. Ich arbeite bei MTV-Brasilien als Reporter und mache Interviews und Reportagen.

Wird das wenigstens gut bezahlt?

Boka: Doch, doch, ich glaube schon. Wenn wir live spielen, können wir immer etwas Geld sparen, nur kommt es auch vor, dass wir drei Monate nicht live spielen und dann reicht das Ersparte nicht mehr.

Jeder von uns versucht, im Musikbereich irgendeine Arbeit zu finden. Gordo bei MTV, ich versuche gerade mir ein Studio aufzubauen und werde CDs produzieren, ausserdem arbeite ich für einige Labels im Vertrieb. Der Gitarrist hat einen Laster und arbeitet als Spediteur, der Bassist arbeitet als Grafiker. Wir versuchen Jobs zu haben, die es uns trotzdem ermöglichen mit unserer Musik weiterzumachen.

***

Als kleinen Nachtrag, der nichts mit diesem Interview zu tun hat, möchte ich noch den kleinen Depp grüssen, der versuchte mir im Between den Abend zu verderben. Falls Du dies hier liest, wovon ich nicht ausgehe, ich glaube nicht, dass Du überhaupt lesen kannst, möchte ich nur, dass Du weisst, dass ich hoffe, dass Du bald einen langsamen, schmerzhaften Tot erleidest. Tschüss!

Interview/ Text: Al Schulha
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