Februar 18th, 2007

PIPEDOWN (#108, 10-2004)

Posted in interview by sebastian

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Erste Frage: Wer seid ihr und wo kommt ihr her?

Ean Elliot: Ich bin Ean, ich bin der Sänger von PIPEDOWN aus Sacramento, Kalifornien in den Vereinigten Staaten.

In welchem Jahr fing das mit der Band denn an?

Ean: (nach langem überlegen) 1998? Ja.

Und seid ihr das erste Mal in Europa?

Ean: Ja, das erste Mal, wir hoffen aber noch sehr oft her zu kommen.

Wie sieht es denn mit eurer politischen Meinung aus? Ist sie der von ANTI-FLAG ähnlich?

Ean: Absolut. Sie ist ihrer doch ziemlich ähnlich. Was auch einer der Gründe ist, warum wir mit ihnen unterwegs sind. Sie behandeln liberale, aber revolutionäre Politik, während wir eher die philosophische Seite der Politik behandeln. Wir reden zwar auch über Politik und aktuelle Belange, aber das ist nicht das, womit wir uns vordergründig beschäftigen wollen.

Ich zum Beispiel habe Philosophie studiert und möchte die Menschen auf die Realität, auf die Welt aufmerksam machen und vor ihr warnen, damit es ihnen leichter fällt, einen Wechsel zu akzeptieren, wenn sie die Welt besser verstehen. Wenn wir das erst mal erreicht haben, können wir uns mit einem politischen und sozialen Wechsel beschäftigen.

Und was ist deine Meinung zu John F. Kerry?

Ean: Ich bin kein grosser Fan von ihm, aber unglücklicherweise haben wir in Amerika eine Zeit erreicht, in der wir das kleinere von zwei übeln wählen müssen. Wir müssen Alles tun, um George W. Bush aus dem Amt zu werfen. Er ist ziemlich böse. Ich Persönlich würde lieber für Ralph Nader stimmen, aber bei dem politischen Klima In den USA, wäre jede Stimme für Nader ein Schritt in Richtung einer zweiten Legislaturperiode für Bush.

Es steht also unglücklicherweise nur die Entscheidung zwischen einem Politiker mit einer 4-, Bush, und Einem mit einer 4+, Kerry, die eigentlich beide nur in der Mitte des politischen Spektrums verkehren. Es ist also etwas entmutigend, andererseits müssen wir wirklich unternehmen, was auch immer von Nöten ist, um Bush aus dem Weissen Haus zu kriegen, da er es wirklich total für die Menschen in Amerika versaut hat und uns viele Rechte und Freiheiten genommen hat. Es ist wirklich ziemlich erschreckend, sich vorzustellen, dass er möglicherweise noch mal ran darf.

Denkst du, dass sich in Amerika irgendwann die grünen Parteien zu einer Grossen vereinen, wie es gerade in Europa geschehen ist, um die Möglichkeiten für Linke zu vergrössern und den übrigen Wählern eine Alternative zu den wirklich grossen Parteien zu bieten?

Ean: Ich bin ein ewiger Optimist, deshalb glaube ich daran, dass es möglich wäre, aber ich denke, dass viele Strukturen des Systems niedergerissen, bewegt oder zerstört werden müssen und bevor das geschehen kann, müssten auch die Medien und das „Corporate America“ radikal verändert werden und von der Ideologie des Amerikanischen Volkes befreit werden, bevor wir weiter gehen könnten und das Land unter einer freidenkenden, liebenden und einigen Plattform vereinen könnten.

Denkst du, dass die USA in vielleicht hundert Jahren noch existieren werden oder dass das System wie es jetzt ist kurz vor seinem Ende steht?

Ean: Ich hoffe natürlich, dass die USA, wie sie jetzt sind nicht mehr existieren werden, aber unglücklicherweise sind das Geld, die grossen Unternehmen, die Medien und ihr Einfluss auf Deutschland und alle anderen Länder so gross und mächtig, dass diese sich ausbeuten und versklaven lassen, nur um auf Platz eins der Vasallenliste Amerikas zu kommen und es ist so anziehend und schön geworden Dinge zu besitzen und mächtig zu sein, dass es schwer ist zu sagen, inwieweit sich das in hundert Jahren ändern wird.

Lasst uns noch mal zur Philosophie von Friedrich Nietzsche zurückkommen, da meine Ansichten deutlich von ihm geprägt sind. Er spricht davon dass es zu einem Punkt Kommen wird, der sich heutzutage deutlich abzeichnet, an dem eine Klasse der Herrscher und Führer geben wird, die so mächtig ist und soviel Geld hat, dass sie sich an keine Gesetze mehr halten müssen und ganz klar isoliert von uns leben.

Die Klassen bewegen sich also wie im Thatcherismus Voneinanderweg? So wie es Salman Rushdie beschrieben hat?

Ean: Ganz genau. Diese herrschende Klasse lebt ganz oben und wir leben ganz unten um sie zu versorgen und mittlerweile haben sie so viel Macht und sie Nutzen sogar die Ethik und Moral des Christentums und der westlichen Welt, um die übrigen Menschen zu unterdrücken und ihnen die Sklaverei hintenrum aufzudrücken, indem sie ihnen sagen, dass sie, auch wenn sie ihr ganzes Leben hart schuften und trotzdem nichts erreichen, zumindest im Leben nach dem Tod belohnt werden. Das ist nicht die Wirklichkeit, diese Leute bringen die untere Klasse aber dazu zu glauben, es sei so, damit sie eine Sklavenklasse wird, die für sie arbeitet.

Das Leben dieser Leute folgt schon einem ganz anderem Weg, als unser. Sie haben die Möglichkeit sich selbst auszubilden, sie haben die beste Gesundheitsversorgung, sie haben alles, um sich all ihre Wünsche und Bedürfnisse zu erfüllen und der Rest von uns lebt in einer Welt in der wir gegeneinander und um unser Dasein kämpfen müssen. Diese Leute werden sich immer weiter von uns abheben und ihre Gehirne werden sich immer weiter verbessern, als die der unteren Klasse.

Moderne Eugenik.

Ean: Richtig.

Und wenn sie die untere Klasse weiterhin auf die Art und Weise unterdrücken und sie weiterhin davon überzeugen können, es sei alles zu ihrem Besten, kann es niemals zu Relativer Depravation und somit zu einer Revolution kommen?

Ean: Exakt. Was Leute wie wir dagegen tunwollen ist, die Menschheit darauf aufmerksam zu machen, dass die Zeit gekommen ist, diese Leute aus ihrer Herrscherklasse zu uns hinunterzuziehen, damit wir alle die Möglichkeit haben zu überleben, in einem besseren Staat, alle zusammen, ohne Menschen, die denken, sie hätten ein besseres Leben verdient, als andere Menschen., weil wir alle gleich sind.

Wie verdienst du denn deinen Lebensunterhalt, wenn ihr nicht auf Tour seid, ihr könnt ja wahrscheinlich nicht von PIPEDOWN alleine leben?

Ean: Noch nicht. Also müssen wir auch arbeiten. Ich bin Geschäftsführer eines Schnapsladens, deale also jeden Tag mit Drogen. Ich habe lange studiert, aber aufgrund des Bandzeitplans haben wir alle beschlossen, die Uni eine Weile auf Eis zu legen und uns soviel wie möglich für unsere Sache einzusetzen, ich meine, wir arbeiten alle nur einen Monat und nehmen uns dann zwei Monate Zeit für die Band.

Was hältst du denn so von der Straight-Edge-Bewegung?

Ean: Ich denke, es ist ziemlich krass. Besonders der Veganismus und Vegetarismus, da besonders in der Produktion von Rindfleisch die Umwelt empfindlich geschädigt wird. Ich denke, es ist ziemlich schrecklich, was man von den Zuständen in Südamerika hört, zum Beispiel Brandrodung des Regenwalds um Weideland zu erschliessen, weil dort einiges von der biologischen Vielfalt vernichtet und ausgerottet wird.

Bist du selbst Vegetarier?

Ean: Ich war ungefähr fünf Jahre lang Vegetarier, aber unglücklicherweise hatte ich eine ziemlich harte Zeit durchzustehen und wurde sehr krank. Ich war ungefähr elf Monate lang krank und ich konnte keine Möglichkeiten finden wieder gesund zu werden, bis ich auf Fleischdiät gesetzt wurde. Ich hatte einfach einen Proteinmangel, dadurch, dass ich mich so sehr für die Band eingesetzt habe und so sehr für die Musik gelebt habe, dass ich meinen Körper langsam heruntergewirtschaftet habe. Es ist zwar auch nur eine Ausrede, aber wieder Fleisch zu essen war die einzige Möglichkeit, die ich gesehen habe, um wieder gesund zu werden.

Ich hoffe aber darauf, dass es bald eine andere Möglichkeit für mich gibt, gesund zu werden, da ich jedes Mal wenn ich Fleisch esse, daran denken muss, wie viel Leid dafür verursacht wurde. Ich bin aber auch froh, dass ich mich jedes Mal aufs Neue erinnere, da ich nicht blind durchs Leben laufen möchte. Wenn jeder auf diesem Planeten ein Jahr lang kein Fleisch essen würde, wären die Auswirkungen unglaublich.

Mal zu was Anderem: In eurer Biografie auf der Homepage von A-F Records steht, dass ihr schon einige Line Up Wechsel hattet, so drei oder vier…

Ean: Sieben. Mit dem jetzigen Line Up sind wir zum Glück zufrieden. Wir hatten vorher Einige Probleme mit dem Einsatz, den vorherigen Mitglieder gezeigt haben oder dass Sie nicht mit sich selbst im Reinen waren und sich das auch auf die Band ausgewirkt hat.

Ist der Vertrag mit Anti-Flag Records der Erste für euch?

Ean: Ja der Erste.

Würdet ihr es in Betracht ziehen, zu einem Major zu gehen, wenn sich euch die Möglichkeit bieten würde ein grösseres und jüngeres Publikum zu erreichen und den ganzen Kapitalisten den Mittelfinger im grossen Stil zu zeigen?

Ean: Es ist ja ganz klar, je mehr Ressourcen wir hinter uns haben und je mehr Menschen wir mit unserer Musik erreichen können, desto besser. Unglücklicherweise bräuchten wir eine ganze Menge Geld und den Einfluss der Industrie, um den Einfluss der Industrie zu verkleinern. Wir würden zuerst versuchen die Institution der Majors zu zerschlagen um dann die Menschen zusammenzubringen.

BOYSETSFIRE zum Beispiel haben ja erst kürzlich zu Wind Up, dem Label von CREED gewechselt, bei dem hauptsächlich NuMetal Bands unter Vertrag stehen. Was hältst du denn von solchen Deals?

Ean: Meinst du jetzt weil sich die Musik verändert hat, weniger hart ist oder meinst du das Stigma des Labels?

Die Musik ist zwar weicher geworden, die Texte aber expliziter. Sie haben zwei Musikvideos gedreht und der nächste Schritt ist Top of the Pops. Ist das der richtige Weg um die Massen zu erreichen?

Ean: Es ist schon schwierig. Wir versuchen uns da an einer Band wie RAGE AGAINST THE MACHINE zu orientieren, die die obersten Plätze der Charts erreicht haben, uns gleichzeitig aber auch mit ihrer Botschaft erreicht haben und die auf dem Höhepunkt ihres Erfolges aufgehört haben, weil sie das Gefühl hatten, die Kontrolle zu verlieren.

So wie auch REFUSED oder AT THE DRIVE-IN?

Ean: Genau, das sind Bands, die ihren Erfolg für ihre überzeugungen genutzt haben und die auch an dem Punkt angelangt sind, an dem ihre Musik und ihre Botschaft vom Dollar oder einem Unternehmen komprommitiert wurden. Wenn uns das auch passieren würde, wären wir sofort raus aus dem Spiel. Ich verstehe, was ihr sagen wollt, aber man sollte zumindest versuchen die Massen zu erreichen.

Was hältst du denn von der Repolitisierung der Musik? Also, dass grosse erfolgreiche Bands wie NOFX oder INCUBUS plötzlich ihre politische Meinung in die Welt tragen, sogar Bands wie LAGWAGON oder THRICE, die früher in Interviews noch gesagt haben, sie wollen keine politischen Texte schreiben?

Ean: Das sind ja alles amerikanische Bands und in Amerika ist es zur Zeit so, dass sich vor Allem die Künstler zusammenschliessen, da sie viel mit der Zensur kämpfen müssen und einfach das Bedürfnis haben sich zu wehren, anstatt alles wortlos hin zunehmen. Ich denke schon, dass es eine gute Sache ist, denn je mehr Leute beeinflusst werden können, desto besser.

Was ist aber zum Beispiel mit RADIOHEAD, die ihr letztes Album „Hail to the Thief“ genannt haben, aber keine politischen Texte haben? Das wirkt doch wie ein Marketinggag.

Ean: So als ob sie es machen würden, um cool zu sein. Wenn sie nicht mit ihren Herzen dabei sind, dann ist das scheisse. Dann können wir auf die verzichten, weil sie nur ein Image verkaufen würden, wie diejenigen die sie zu kritisieren vorgeben. Da ist nichts echtes. Und falls es jemals zu einem Umsturz in positiver Hinsicht kommen sollte, dann weiss ich, wo Bands wie PIPEDOWN oder ANTI-FLAG wären, und wo die anderen.

Man muss auch noch abwarten, wie es um solche Aussagen von den neupolitischen Bands steht, wenn George W. Bush nicht mehr im Amt ist. Mal wieder zur Musik: Würdet ihr euch eher als Punk- oder als Hardcoreband sehen? Oder Screamo?

Ean: Auf keinen Fall Screamo. Das ist ziemlich schwer zu sagen. Vielleicht Punkcore. Ich finde Hardcore ist auch eine äusserst schwer zu definierende Musikrichtung. Da gibt es MINOR THREAT auf der einen Seite und STRIFE oder EARTH CRISIS auf der anderen Seite. Das sind vollkommen unterschiedliche Bands, die aber alle Hardcore genannt werden. Es ist etwas seltsam.

Wir jedenfalls benutzen Einflüsse aus vielen verschiedenen Bereichen und ziehen sie durch den Punkwolf, um möglichst viel Energie herauszubekommen und alles frisch zu halten, denn heutzutage gibt es Punk seit 27 Jahren oder so und wenn man nicht die ganze Zeit versucht experimentell zu sein und die Mauern des Punk zu durchbrechen, dann bist du selbst nicht wirklich Punk, denn das bedeutet Punk doch eigentlich: Rebellion gegen Konventionen und ausgelatschte Wege, deshalb haben wir immer das Gefühl uns weiterentwickeln zu müssen

Und was waren die ersten Bands, die du wirklich gehört hast?

Ean: So mit fünfzehn Jahren hab ich die SUBHUMANS und CITIZEN FISH geliebt. BLACK FLAG, die CIRCLE JERKS, aufgrund meiner Herkunft die ganzen kalifornischen Punkbands, SEX PISTOLS. Ich habe eigentlich so gut, wie alles gehört, was in meiner Jugend rauskam und dann irgendwann PROPAGHANDI.

Aus Kalifornien kam ja auch ursprünglich der Skatepunk. Gibt es noch viele solche Bands bei euch im Jahr 2004?

Ean: Nicht mehr wirklich, weil der neue Hardcore, der Metal-Hardcore, in Kalifornien jetzt so richtig beliebt ist. Es ist mittlerweile ziemlich schwer Skatepunk bei uns zu finden. Bands wie FROM AUTUMN TO ASHES, AVENGED SEVENFOLD oder THRICE sind in Kalifornien sozusagen der neue Skatepunk.

Liest du irgendwelche Musikmagazine oder Fanzines?

Ean: Ich lese ziemlich viel „Alternative Press“, nicht um zu wissen, was denn jetzt cool ist, sondern einfach um mich zu informieren. Es ist schon ein ganz gutes Musikmagazin, so im Gegensatz zu den wirklich grossen Musikmagazinen, wie dem „Rolling Stone“ oder so, die einfach nur bescheuert sind. Die meisten kleineren Fanzines widmen sich aber auch häufig nur ihrer Heimatstadt. Das Maximum Rock`n`Roll zum Beispiel mag ich auch nicht, da sie, trotz der Unmengen an Schreibern, die sie haben, immer anfangen Bands niederzumachen, sobald sie nur ein bisschen Erfolg haben.

Ich finde es zwar verdammt cool, wie sie die kleinen Bands unterstützen, aber als unser letztes Album „Mental Weaponary“ rauskam, haben sie die Politik in unseren Texten und unsere Musik grossartig gefunden, das Review aber als Verriss enden lassen, da unsere Produktion zu gut gewesen sei und es zu gut klinge. Es ist irgendwie komisch und engstirnig und welcher Fan beschwert sich denn, wenn etwas, das er gut findet zu gut klingt?

Irgendwelche letzten Worte an das deutsche Publikum?

Ean: Ich möchte ihnen nur sagen, dass sie Freunde auf der anderen Seite des Atlantiks haben, und dass wir diese Freunde sind und wenn irgendwer eine ähnliche Ideologie hat oder einen ähnlichen Kampf führt wie wir, kann er sich jederzeit an uns wenden und wir sind für ihn da und stehen ihm bei.

Danke für das Interview und gute Nacht.

Ean: Ich danke euch, Leute.

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Interview: Tim Homuth

Links (2015):
Wikipedia
Discogs

 

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