Dezember 7th, 2014

PENDIKEL (#73, 12-1998)

Posted in interview by Jan

Der 30. Oktober 1998 ist ein unverschämt kalter Tag. Nicht selten regnet es auch, was dem an diesem Tag eingeweihten neuen Foyer des Bremer Schlachthofs urplötzlich einen Sinn zu geben vermag. Schön ist es trotzdem nicht, dieses Foyer. Am Abend sollen No Means No spielen (sie tun es schließlich auch).

Am Nachmittag treffen drei Herren in Bremen ein. Sie kommen aus Osnabrück. Zwei von ihnen haben gerade mit ihrer Band Pendikel eine Platte unter dem Titel ‚Phantasievoll (aber unpraktisch)‘ veröffentlicht. Eine Platte, die zwischen großzügig aber mit Verstand dosiertem Wumms und mellotronin­fizierten Kunstrockkonstrukten in deutscher Sprache persönliche Vergangenheitsbewälti­gung betreibt.

Die drei Herren sitzen in meinem Zimmer und trinken Kaffee, Milchkaffee nach Art des Hauses. Wir sprechen über Musik (ewiges Muckegelaber…) und über die erwähnte Pendikel-Platte, die ich toll finde. Aber wie sie beginnt, hat mich nicht mitgerissen. Das erste Lied auf ‚Phantasievoll (aber unpraktisch)‘ heißt ‚Pubertäterä‘.

***

PUBERTÄTERÄ!

Das klingt doch infantil, dieses Wortspiel. Muss das dann auch noch so im Vordergrund stehen (schließlich waren bei der ersten Platte namens ‚Fu ruft Uta‘ die Worte noch gar nicht so wichtig)? „‚Pubertäterä‘ ist eine spontane Wortschöpfung. Das ganze Lied ist ein pubertäres Lied, völlig klar. So wie die ganze Platte auf pubertäre Spielereien aufgebaut ist, die sich irgendwann ins Nichts auflösen. Denn aus der Pubertät kommst du irgendwann mal raus auf ein freieres Feld, das du für dich definieren mußt. (…)

Ich glaube, über diesen ganz normalen Herzschmerz pubertärer Rückschläge weiß jeder genug zu berichten. Und darüber hab ich eben ein Lied gemacht“, sagt Carsten, einer der zwei Herren von Pendikel. Carsten singt und spielt Gitarre bei Pendikel. „‚Fu ruft Uta‘ war ja eher Kindheitsbewältigung. Ansätze von assoziativem Spiel, Übernehmen von Klischees. Und auf der neuen Platte bewegen wir uns von diesem assoziativen Spiel noch nicht ganz weg, aber es wird erwachsener. (…) Mit ‚Pubertäterä‘ ist ein Verlauf eingeleitet, der sich bis ‚Aeroflot‘ dann in ein absolutes Nichts verflüchtigt. Am Anfang gibt’s noch Werte wie Verliebtheit, Schwärmerei, Rückschlag, aber das löst sich alles durch viel ernstere Sachen auf, die man nicht mehr versteht, Konfusion, bis hin zu ‚Macchiavelli‘, wo man nur noch die Wut auf alles kompensieren muss, bis ‚Aeroflot‘, das dann ja auch konsequenter­weise ohne Worte auskommen muss, um den Ball an dich zurückzugeben.“

War dieses geradewegs verkündete Fanal am Beginn von ‚Phantasievoll (aber unpraktisch)‘ nicht unbedingt dazu angetan, mich vom ersten Moment an für die Platte einzunehmen, so verhinderte es auch nicht, daß ich mich den akustischen Verlaufsformen des Pendikelschen Konzeptionalismus im folgenden durchweg mit Freude widmete. Auch wenn die hier angedeutete Tendenz hin zu einleuchtenden Melodien sich in Folge bestätigt: ‚Pubertäterä‘ leitet in die Irre, was durchaus gewollt ist, wie Carsten sagt. „Es ist auch musikalisch mit dieser Stampfbass eine richtige Verballhornung, eine Selbstverarschung. Live funktioniert das immer super. Da erwarten die Leute auch was ganz anderes, als danach kommt.“

Die Hinwendung zur deutschen Sprache und zu prägnanteren Weisen geht, was konsequent ist, mit einer stärkeren Präsenz des mithin aufgewerteten Gesanges einher. Können wir denn nun in Zukunft eine Platte von Pendikel erwarten, die sich mit den Reife­prozessen der Postpubertät widmet? Schließ­lich müßten auch da mittlerweile Erfahrungs­werte vorliegen. Und so als dritter Teil einer Trilogie… „Das könnte sein“, sagt Carsten. „Ich finde es gut, das zu verfolgen, was ich mal angefangen habe. Nicht einfach abzuschließen, was ich auf der letzten Platte gemacht habe. Denn so fertig begreife ich mich einfach nicht. Und so fertig ist niemand, wenn er ehrlich zu sich selbst ist.“ Aber es kann ja auch mal ein eher musikali­scher Inhalt Konzept sein. Pendikel planen zum nächsten Jahr erst einmal eine Platte mit Cover-Versionen aus den Achtzigern. „Die haben wir schon fertig und auch schon gespielt. Von O.M.D. ‚Maid Of Orleans‘, wunder­schön, von Nik Kershaw, ‚Wouldn’t It Be Good…'“

Auf mein Gesicht malt Schwester Skepsis ihre zweifelnden Züge… Carsten beschwichtigt: „Du wirst es nicht wiedererkennen!“ Was ich aber auch stark hoffen will. „Das erkennt keiner. Dann haben wir Wham, ‚Wake Me Up Before You Gogo‘ gecovert und auch schon live getestet. Das ist auch nicht uneffektiv. Dann hatten wir lange vorher schon mal ‚Baker Street‘ von Gerry Rafferty gecovert. Außerdem hatten wir schonmal von Stevie Wonder und Paul McCartney ‚Ebony & Ivory‘ gemacht.“ Letzteres übersetzten sie sogar. Ist diese Leidenschaft für dubiose Kunst der Achtziger eine kollektiv empfundene Leiden­schaft? Christian, der bei Pendikel Bass spielt und nebenbei noch in WORLD CHAOS ist, weist auf Carsten: „Das ist eigentlich Carstens und Jörgs (ist übrigens der Schlagzeuger, d.V.) Leidenschaft. Ich komme eher aus der krasseren Ecke. Aber ich finde es viel interessanter, solche Sachen zu covern und etwas eigenes daraus zu machen, als Sachen zu spielen, die naheliegen.“

So einfach erscheint es nun auf die Schnelle nicht, das Naheliegende zu sehen, weshalb ich kurz mal die Musikanten um eine Einstufung bitte. „Wir haben No Means No gecovert, als wir noch ein Trio waren“, sagt Carsten. Kürzlich hieß es, ihr wäret die deutschen Fugazi… „Das gibt’s schon länger. Den Fugazi-Vergleich führe ich immer noch auf das erste Stück von der ersten Platte zurück. (…) Es gibt aber auch Leute, die die Platte gar nicht kennen und das sagen.“ Christian meint: „Vielleicht liegt es auch daran, daß die Leute Probleme haben, es einzuordnen.“ Carsten sagt, es gäbe auch Leute, die sie mit Neurosis verglichen. „An diesem King Crimson-Namedropping sind wir eindeutig selber schuld.“ Obwohl eine gewisse Affinität zum Artrock der siebziger Jahre klar auf der Hand liegt, wie ich finde. Vor allem wegen des Mello­trons, das auf den Platten von Genesis, Yes oder King Crimson zu jener Zeit unverzichtbar war. „Ich gestehe, daß ich von Genesis aus der Phase ganz viele Platten habe“, gesteht Carsten.

Da gesteh‘ ich mit: Ich auch, die stell‘ ich aber immer nach hinten. „Ich stell‘ die auch mal ganz nach vorne. Das ist teilweise ziemlich substantielle Musik für die Zeit. Es ist teilweise recht kitschig und pathetisch, aber es ist auch wunderschön. (…) Diesen Artrock­ansatz haben wir, klar. Den hab‘ ich auch gerne. Das mit richtig physischer Gitarrenmusik zu verbinden, ist schon ein interessanter Weg. Das noch weiter auszubauen, zu sehen, wo die Grenzen liegen, auszuprobieren wie die Gewalt auf der einen Seite und das Konstrukt auf der anderen Seite zusammenzubringen sind.“ Ein bißchen wie bei Heavy Metal… „Das ist ein bißchen Heavy Metal, ja. An den Haaren basteln wir noch.“

***

PUNK 2000

Schon während ich am Telefon mit Carsten den Termin für unser Gespräch abkasperte, kamen wir auf No Means No, weil die den Anlaß für die Terminwahl bildeten. In diesem Heft dürftet ihr an anderer Stelle einen Text finden, in dem diese reizenden älteren Herren mit dem energischen Groove mit den Rolling Stones verglichen werden. Unter anderem an ihnen wird da die Krise der Rockmusik ding­fest gemacht. Zu No Means No geht, wer sich in Nostalgie baden möchte. „Wenn wir heute zu No Means No gehen, dann ist das nichts Neues, aber wir werden alle unseren Spaß haben. Unter der Voraussetzung dahin zu gehen, hat aufgehört. Das ist bei vielen Konzerten, auch bei unseren so. Da ist diese Reserviertheit, daß die Leute vor einem stehen. Das ist irgendwie erschreckend. Du willst das Konzert machen und den Leuten auch zeigen, daß die Musik erfahrbar ist, auch körperlich ist, und wenn sie laut ist, daß das dann so gemeint ist…, und die Leute gehen raus.“

Nix Neues mit sechs Saiten? „Vom Innovationsgehalt her ist Gitarrenmusik in Stagnation begriffen. Es hat alle Extrema gege­ben“, glaubt Carsten. „Extrem wenig, extrem viel, extrem schnell, extrem langsam, extrem vollgepackt, extrem reduziert, extrem übertrieben, extrem untertrieben.“ Christian wendet ein: „Es ist einfach nicht wichtig, ob etwas als neu bezeichnet wird, sondern es ist wichtig, was es dir bringt. (…) Es geht darum, was ich dabei empfinde, nicht darum, ob das jetzt super altbacken ist. (…) Jedem Trend zu folgen, ist genau das gleiche, wie bestimmte Sachen nicht mehr gut finden zu dürfen. Ich finde es wichtiger, zu gucken und für sich selbst Sachen zu finden.“

Die Ansicht, daß es eine bestimmte Musik gäbe, die für die Gegenwart ‚richtig‘ wäre, wird nicht geteilt. „Ich denke, daß manche Musik für manche Leute ein gewisses Potential hat, aber nicht im Sinne von Massenwirkung“, sagt Christian. Carsten ergänzt: „Daß Musik per se subversiv sein kann, ist natürlich Quatsch. Es kommt immer drauf an, wie man das benutzt, wie Leute darüber kommunizieren. Wenn ich subversive, sprich: politische oder extreme Inhalte explizit oder auch subtil verbreite, dann greifen die immer erst in ihrer Wirkung auf den Hörer. (…) Und das hat nichts mehr mit der Musik zu tun. Das wird umgearbeitet in politische Aussagen und State­ments und weitergesponnen in Diskussionen, die dann vielleicht irgendwas bewegen. Vielleicht. Aber der Musiker, der sich gesagt hat, das Thema find ich jetzt total zum Kotzen, da schreib ich ein Lied drüber, der hat damit nichts getan, als ein Lied zu schreiben. Das ist wie mit einer Werbetafel, auf die du irgendwas draufschreibst. Wenn du die oft genug aufhängst, dann glauben’s irgendwann die Leute, oder sie reden zumindest darüber. Die Werbetafel an sich hat nichts bewegt. Das kann natürlich ins Nichts führen, so daß du als Musiker, der etwas bewegen will, dem Wahn verfällst: Ich mach‘ jetzt keine Musik mehr, das bringt ja sowieso nichts. Aber, mein Gott, es gibt auch viele Leute in der Werbung, die verdienen Geld damit. Musiker können auch Geld damit verdienen.“

Und Spaß macht’s unter Umständen ja auch noch… „Das ist der Punkt dabei. Bevor wir uns über Subversivität und politische Aussagen unterhal­ten, können wir uns darüber unterhalten, warum man solche Bands anfängt. Nämlich, weil man nichts anderes zu tun hat, und weil man Spaß sucht. Und dann merkt man, daß es einem selbst was bringt, weil Musik, wenn sie schon nicht subversiv ist, zumindest als Therapie zu gebrau­chen ist. Und dann wird sie irgendwann viel wichtiger, oder sie wird weniger wichtig, und dann hörst du irgendwann auf. Und Leute, die jeden Tag aus sich selbst heraus nur noch Musik sind – so wie Michael Jackson gesagt hat: Mama, mein Kopf ist voller Melodien, die müssen raus -, die müssen einfach Musik machen, weil sie verkrachte Existenzen sind… Ich würde von heute auf morgen aufhören, wenn ich ganz in Ordnung wäre. (…) Das soll jetzt nicht so klingen wie: Ich hab ’n Spleen und dreh‘ durch, deswegen mach‘ ich Musik. Sondern es hat einfach irgendwann diese Bedeutung für mich eingenommen. Das ist das einzige, was immer übergeblieben ist. (…) Musik ist das, was mich weiterbringt und dann vielleicht anderen Leuten auch etwas gibt. Deshalb mache ich das weiter.“

Zur politischen Agitation gibt es ja auch ganz gewiß bessere, weil effektivere Methoden. Und Pendikel haben nicht nur Spaß, sie ma­chen welchen, auch wenn sie sich, wie es Bands immer mal wieder passiert, die sich nicht auf drei Minuten Vierviertelstrophe­chorus verlassen wollen, hin und wieder dem Vorwurf der Kopflastigkeit ausgesetzt sehen. „Es gibt immer so Phasen, in denen die Band sehr intensiv existiert. Wo alle so hinter den Stücken stehen, daß, wenn wir die spielen, etwas passiert, daß sie einem ’ne Gänsehaut geben oder man kurz vorm Heulen ist. Das steht auch dem entgegen, daß wir immer als intellektuelle Musiker dastehen, nur weil ich ’ne Brille aufhabe. Das ist echt ganz, ganz, ganz komisch, weil das für uns superemotio­nale Musik ist. Und wenn’s das nur für uns ist, dann ist das okay. Aber für uns ist es das eben“, betont Carsten.

ERSTMAL KAFFEE MACHEN… „Wir haben normalerweise diesen zum ‚runterdrücken. Das beste ist eigentlich Crypt-Kaffee. Das hat uns Guido beigebracht, als wir das zweite Mal im Studio waren. Einfach in der Warmhaltekanne den Kaffee aufgießen. Kaffee rein, Wasser drauf, dann in einer Prozedur stehen lassen, schütteln, stehen lassen, schütteln. Dann setzt der sich irgendwann automatisch am Grund der Kanne ab.“

***

Zuständig für Gespräch und Niederschrift: Stone

Links (2015):
Homepage
Facebook
Discogs

Both comments and pings are currently closed. RSS 2.0