Februar 20th, 2007

PAINTED THIN (#67, 12-1997)

Posted in interview by sebastian

Painted Thin kommen aus Winnipeg / Kanada, der Stadt von Prapagandhi und I Spy, und sind für mich zur Zeit eine der interessantesten Bands aus der melodischen Punkrock – Ecke, gerade weil sie sich, wie die oben genannten Bands, in ideololigi-scher und textlicher Weise deutlich von dem stereotypen „Saufen, Skaten, Girls“ abheben.

Ich sprach Ende Mai in Tübingen im Epplehaus mit Sänger, Bassisten und Texter Paul Furgali.

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Warum machst du eine Band ?

Paul: Als ich begann Musik zu machen, ging es mir eigentlich nur um den Spass, es war halt ein Hobby. Heute würde ich das mehr als eine Art Therapie betrachten. Dadurch, das ich Musik mache, kann ich einige Situationen in meinem Leben besser ertragen bzw. komme mit ihnen besser klar. Jeder hat verschiedene Wege ir-gendwie dem ganzen Mist zu entkommen, für manche ist es Reisen, oder Sex, oder ein Label machen, oder die Briefmarkensammlung und für mich halt die Musik.

Wie würdest du eure Musik beschreiben?

Paul: Hmmm…. also wir arbeiten im Bus schon die ganze Zeit an einer Beschreibung und wir sind jetzt schliesslich auf ROCKPUNK gekommen, sowie halt Punkrock ein Wort ist, ist das eben auch eins. Rockpunk!

Weil es rockt?!

Paul: Ja, nee, ich meine eigentlich nur, weil sich die neuen Lieder mehr in die rockigere Richtung entwickeln. Es hört sich halt immer weniger wie dieses typische melodische Punkzeux an und deshalb finde ich Rockpunk eine ganz nette Beschreibung.

Als ich das erste mal die Split – cd von euch gehöhrt habe, war ich etwas an eine Mixtur von Propaghandi und I Spy erinnert …

Paul: Ja, der Schlagzeuger von I Spy hat auch bei diesen Aufnahmen noch bei uns gespielt. Ich denke, dass durch seine druckvolle Art zu spielen, viel von der Energie, die I Spy hatten, da-durch auch bei unser Aufnahme zu spüren ist.

Was wollt ihr mit eurer Musik ausdrücken? Habt ihr irgendwelche Ziele die ihr mit der Band verfolgt.

Paul: Ja, Ja … natürlich. Wir betrachten Musik auch als aktivistische Arbeit. Es ist leider in Deutschland durch die Sprachbarriere etwas schwieriger. Es gibt einen Haufen Zeug, dass ich gerne zu unse-ren Songs sagen möchte. Aber dadurch, dass mich ein grosser Teil des Publikums nicht exakt ver-steht, fühle ich mich schon manchmal etwas unwohl dabei.

Wenn wir in Kanada unterwegs sind sprechen wir definitiv auf Shows über Themen die uns wichtig sind, wir führen dann auch immer Literatur mit uns rum, die dann zu geringen Preisen bei uns gekauft werden kann, z. B. führen wir viel feministische Literatur mit. Ich für mich würde sagen, dass ich versuche auf so vielen Ebenen wie möglich Leute zu erreichen. Im Grunde genommen gibt es zwei Ebenen auf der die Band arbeitet. Zum ersten die aktivisti-sche, politische und zum zweiten die persönli-che Ebene.

Jetzt ist es ja so, dass viele Bands, die viele Leute erreichen wollen, auch auf ein Major-label, oder zumindest ein grösseres Indie-label (Epitaph, Fat Wreck z.B.) wechseln. Wie verhält es sich da bei Euch?

Paul: Ich glaube nicht, dass Painted Thin jemals vor dieser Frage stehen werden. Wir haben echt nette, tolle Leute die einen Haufen Arbeit für uns machen und diese auch gut machen, eben Ingo von Golden Arm Company hat echt einen super Job gemacht, unsere LP hier rauszubrin-gen (mittlerweile auch eine neue 7″) uns auf Tour zu holen usw….

Wir sind echt superzufrieden. Ausserdem denke ich nicht, dass wir die Band sind, die auf ein fettes Label gehen würde, und ich glaube auch nicht, dass wir in diesen Markt passen würden. Ich meine, es wird immer Leute geben mit denen wir gut zusammen-arbeiten können, die ihre Arbeit gut erledigen und das auf einem unabhängigen Level.

Denkst du, dass HC/Punk eher eine Musik-szene oder eine Bewegung ist?

Paul: Ich finde das HC für 9 von 10 ein richtig grosser Boysclub ist. Weisst du, viele Leute „draussen in der normalen Welt“ denken sie wären echt voll die tollen Typen, wenn sie ein „geiles“ Auto fahren, oder einen superdurch-trainierten Körper haben usw., und so gibt es auch viele in dieser Szene die denken sie wären cool, weil sie Musik hören, die „keinEr“ kennt und die „echt voll hart“ ist.

Wenn wir in irgendeine Stadt kommen, veranstalten drei, vier Jungs das Konzert und ihre Freundinnen sitzen irgendwo in der Ecke usw.. Ich weiss nicht, ob das deine Frage be-anwortet, aber das ist halt echt sehr oft so. Ab und an trifft man auch auf Plätze, wo es mehr Beteiligung von Frauen in der Organisation gibt oder wo mal eine Frauen – HC/Punkband spielt, das ist dann aber doch recht selten in dieser Szene.

Frauenrechte und Frauenthemen scheinen Euch ein wichtiges Thema zu sein. Geh`mal näher darauf ein.

Paul: Frauenliteratur und Feminismus haben mich in meiner Entwicklung und Herangehensweise zu Vielem sehr beeinflusst.

Wie kam es dazu?

Paul: Tja, also ich bin seit ca. 4 Jahren politisch aktiv und alle meine Freunde, wie z.B. Propagandhi sind ebenfalls in politische Arbeit involviert. Naja, und wenn du halt aktiv bist hast du ja schon ein gewisses Interesse an solchen Themen und deshalb habe ich auch alle die klassischen kanadischen Politmagazine und einige Bücher. Welche schon interessant waren, aber halt nicht sehr persönlich. Eines Tages hat mir dann ein Freund ein Buch namens „Stoppt Vergewaltigung! Ein Aufruf an Männer.“ geschenkt.

Das war dann ein sehr interessantes, persönliches Buch über das Aufwachsen eines Mannes, der nach und nach dahinterkommt was das Mann sein beinhaltet und bedeutet. Also in all die Klischees und Stereo-typen in die du als männliche Person hineingeboren wirst, die Gewaltkreisläufe die damit oft subtil aber auch deutlich zu tragen kommen … .Es ist halt so, dass man(n) vom ersten Tag an, anerzogen bekommt wie man(n) sich in gewissen Situationen verhält, wie man(n) sich gegenüber Frauen verhält, z.B. wie oft das heisst eine Frau in einer Männerrunde zu ignorieren, (bestes Beispiel wären hier die ungemein wichtigen Szenegespräche, bei denen ich solche Ver-haltensmuster oft beobachte ; Anm. d. Verf.) z.B. auf einer Beziehungsebene oder auf sexueller Ebene.

Dieses Buch hat mich echt hart getroffen. Danach las ich ein Buch von Jon Stoltenberg namens „Refusing to be a man“, ein recht kompliziertes Buch, aber auch ein sehr, sehr Gutes. Dann war mir klar, dass man(n) zwei Möglichkeiten hat damit umzugehen, entweder du lebst dein Leben als Mann und nimmst all die Privilegien an oder du sprichst dich gegen alles was Mann – sein und Männlichkeit bedeutet aus, also zumindest in meinen Augen ist das so. Irgendwann habe ich begonnen mit Frauen feministische Arbeit zu machen und dabei habe ich auch sehr viel gelernt. Ich hatte das Glück Freunde zu haben die mich auch immer wieder auf eine nette Art und Weise kritisierten und mir dadurch bei meiner Entwicklung auch sehr geholfen haben.

Um auf die Frage zurückzukommen, ob man Hc als Bewegung betrachten kann, würdest du sagen, dass Hc irgendwelche Lösungen bieten kann. Ich meine jetzt nicht die Weltrevolution in zwei Tagen, aber ob die Möglichkeit besteht etwas zu verändern?

Paul: Ich glaube, dass Musik im Allgemeinen ein wirklich guter Weg ist sich selbst auszudrücken. Du kannst erzählen was dir passiert ist, wie es auf dich gewirkt hat und was du darüber denkst. Das ist, meiner Meinung nach kein schlechter Weg auf einer persönlichen Ebene Veränderung her-beizuführen.

Ich denke, dass Hc/Punk bei einzel-nen Individuen etwas verändern kann, was diese Menschen dann damit machen, also ob die aktiv werden liegt dann in deren Händen. Meistens funktioniert es nicht, aber manchmal treffen Leute aufeinander die ähnliche Dinge für veränderungswürdig halten und schliessen sich zu einem Kollektiv zusammen, um etwas zu bewegen und schaffen etwas was zuvor nicht geschafft wurde. Sowas ist dann natürlich grossartig.

Glaubst du, dass HC/Punk Einfluss auf die Gesellschaft hat und eine Band mit politischen Texten genug ist? Ich denke nämlich, dass es ganz wichtig ist nicht immer in diesem kleinen Mikrokosmos zu agieren und immer vor den gleichen Leuten z. B. „Meat Is Murder“ zu brüllen.

Paul: Natürlich, da hast du Recht. Wenn wir etwas verändern wollen, dann müssen sich Leute zusammenfinden um aktiv zu werden , trotz-dem ist halt die traditionelle politische Arbeit mit Infoständen, Demos nicht für jeden was. Das ist eine Möglichkeit etwas zu tun, natürlich können somit mehr Leute erreicht werden, weil du eben aus diesem Mikrokosmos hinausgehst und in einem anderem Umfeld tätig bist.

Als Band oder Fanzinemacher hast du immer ca. das gleiche Publikum, welches normalerweise zum Grossteil weisse, wohlhabendere Mittelklassekids mit Computer usw. sind. Das soll aber nicht heissen, dass ich das schlecht finde, im Gegenteil, weil das werden die Leute sein, die einen Haufen Privilegien abgeben müssen falls sich wirklich etwas ändern sollte. Trotzdem spricht HC/Punk aus irgendeinem Grund fast ausschliesslich nur diesen Teil der Gesellschaft an. Aber „richtige“ politische Arbeit sollte und kann auch andere soziale Schichten erreichen und das ist meiner Meinung nach produktiver als jede Nacht deine Musik vor ein paar Kids zu spielen.

Du hast gemeint du machst auch politische Arbeit, erzähl` mal !

Paul: Im Moment mach‘ ich nichts, weil ich zum Ende ziemlich ausgebrannt war , aber ich habe in Winnipeg mitgeholfen eine Art feministische Aktivistengruppe auf die Beine zu stellen. Das hat ca. ein Jahr lang existiert. Am Ende wollten echt sehr viele Menschen mitmachen die auch nicht so genau Bescheid wussten und so blieb immer mehr Arbeit an mir und ein paar Anderen hängen. Wir haben in diesem Jahr einige sehr gute Infoveranstaltungen und Konter – Demos gegen Anti – Abtreibungsgruppen, wir haben auch einen Haufen von deren Zeug umgeschmissen, war echt ziemlich lustig.

Wir zeigten Filme, führten Diskussionen und machten auch Work-shops, wo es darum ging zu zeigen wie man Leute von Angesicht zu Angesicht mit Sexismus konfrontiert. Wenn ich zurückkomme, möchte ich mit ein paar Freunden nur in kleineren Gruppen was machen, ich denke, dass politische Arbeit so echt auch mehr Spass macht und man besser miteinander zurechtkommt.

Glaubst du das „direkte Aktionen“ wirklich positive Auswirkungen auf das Lösen von Problemen hat also z.B. Tiermissbrauch, Staatliche Repressionen, Nazis….

Paul: Ja, definitiv. Direkte Aktionen sind wichtig und gut. Natürlich hängt das davon ab, wie die Aktion an sich ist. Zum Beispiel haben letztes Jahr ein paar TierrechtlerInnen an Thanksgiving um die tausend Truthähne vergiftet und dann der Presse einen anonymen Hinweis gegeben, die haben das natürlich dem Supermarkt mitgeteilt und die Leitung hat dann halt noch mal tausend bestellt.

So wurden noch mal 1000 Tiere getötet. Natürlich ist die direkte Aktion eine gute „Waffe“ gegen die herrschenden Machtstrukturen, aber sowas muss halt auch gut durchdacht und clever arrangiert sein, um auch den Richtigen zu schaden. Die Machtstrukturen funktionieren sehr gut und die oberen Schichten, die Wirtschaft hat viel Geld, um einiges dagegen zu halten und werden alles tun um ihre Stellung zu halten.

Obwohl es noch relativ leicht ist Menschen für irgendwelche Sachen im ökonomischen und/oder ökologischen Bereich zu überzeugen, ist es dagegen aber sehr schwer Menschen zu erklären, dass sie sich selbst, ihre Person und Rollen und Verhaltensmuster hinterfragen müssen. Es ist sehr schwer dein eigenes Verhalten kritisch zu beobachten und es zu verändern, weil dir das vom 1. Tag indoktriniert wird und du es einfach als normal beigebracht bekommst.

Meinst du manche Leute würden euch als „Prediger“ bezeichnen, oder meinst du nicht selbst manchmal, dass ihr eine „predigende “ Band seit ?

Paul: Ich schreibe heute viel mehr über persönliche Dinge, als ich es am Anfang tat. Da hab ich ausschliesslich so politische Texte geschrieben, die für mich zu diesem Zeitpunkt echt Sinn gemacht haben, es ist nicht so das sie das nun nicht mehr tun, aber in diesen Liedern geht es nicht um das „wahre“ Leben, wie ich es im Moment empfinde. Naja, heute schreibe ich nur noch Texte aus meiner Perspektive.

Ist Musik eine „Waffe“ oder kann Eure als eine verstanden werden?

Paul: Nein! Für die meisten Leute ist Musik reine Unterhaltung, manchmal interessieren sich die Leute schon für die Texte und Pamphlete die wir anbieten, aber das ist im Vergleich zu den Menschen die Musik konsumieren ist das ein winzigster Teil. Hmm… Musik ist ein Werk-zeug und es kommt darauf an wie man dieses Werkzeug benutzt. Aber ich würde in manchen Situationen gerne eine „Waffe“ sein, gegen Tough Guys, so das sie weglaufen (lacht). Ich habe `nen Haufen Literatur über sexuelle Gewalt usw. gelesen und dadurch kenne ich mich auch etwas mit Statistiken aus.

Paul: Da gibt es eine Statistik, die besagt, dass jede dritte Frau einmal in ihrem Leben vergewaltigt wird und irgendwann kam ich dann auf den Gedanken, dass unter Umständen dann jeder dritte Mann möglicherweise einmal in seinem Leben eine Frau sexuell belästigt oder sogar vergewaltigt hat, wobei die Grenzen da ja fliessend sind, diese Vorstellung ist schon sehr, sehr krass! Obwohl das auch nicht unbedingt weit hergeholt ist. Auf unseren Shows in Winnipeg habe ich das manchmal gesagt und ein paar Typen wurden da echt voll sauer und kamen eines Abends auf eines unserer Konzer-te und haben den Set gestoppt und uns und ein paar andere angebrüllt usw…

Ja es heisst doch so oft „Communication is the key“, warum dann nicht einmal ein Konzert stoppen und diskutieren ?

Paul: Wie Consolidated … Irgendwie war die Situation auch wieder lustig es entstand keine wirkliche Diskussion, weil die Typen nur das Konzert stoppen und uns fertig machen wollten. Ich trat dann mal zwei Schritte zurück und sah 16 Typen auf einander einbrüllen und ein paar Frauen die den DJ versuchten zu überreden die Musik wieder anzumachen, weil sie tanzen wollten.

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Anschliessend erzählte Paul noch, dass alles was sie von Europa bisher sahen total tourimässig war und dass alle der historischen Strassen nun nur noch Einkaufsmeilen zu sein scheinen.

Interview & Fotos: Marc Hartmann

Links (2015):
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