Februar 20th, 2007

ONEDIMENSIONAL MAN (#96, 10-2002)

Posted in interview by sebastian

Lange schon hat mir Musik nicht mehr derart physisches Vergnügen bereitet. Die letzten Shows der MELVINS liegen bereits eineinhalb Jahre zurück, als ich so etwas wie körperliche Transzendenz verspüren konnte.

In Padova auf dem „Sherwood Festival“ schafft es eine Band dann endlich wieder, mich ins Stolpern zu bringen, einen Enthusiasmus verspüren zu lassen, der Tage später noch weiter in mir strahlt.                        

Allein diesem Schlagzeugberserker Dario bei der Arbeit zuzuschauen, wie er nackt seine 26-Inch Bassdrum tritt, sein minimal ausgestattetes Instrumentarium mit maximalem Volumen verdrischt, um am Ende eines jeden Stücks kurz mit dem Kopf auf der Tom aufzuschlagen, scheinbar endfertig liegen zubleiben und Sekunden spaeter doch wieder die Arme zur nächsten Attacke hochzureissen.

Giulio, der Gitarrist, hingegen werkelt sich introvertierter, aber nicht weniger aufrührerisch durch einen Dschungel von trommelfellerbebenden Klängen, Sounds, Krach und chirugenklingenscharf-gespielten Riffs, die JESUS LIZARD`s Duane Dennison in seinen besten Tagen zur Ehre gereicht hätten. Abgerundet wird dieser recht einzigartige „broken bone waltz“ von Pierpaolo, der auf der Bühne nicht nur für so manche theatralische Verrenkung gut ist, croont, singt und bluest, sondern mit seinem aus der Tiefe der Gedärme kommenden Bassspiel die Quadratur des Kreises vollends in Szene setzt.

Was für eine Band! Was fuer ein Gebraeu aus animalischer Kraft, purem Sex, aus Leidem, Tiefe, mathematisch-präziser Rhythmik und dem Willen zum (über)-Leben. Einige Wochen später versuche ich ähnlich einem Süchtigen diese Erfahrung zu wiederholen. Unweit von Pordenone, auf der Lichtung eines kleinen Waldstückes deren Zufahrt in der Nacht nur von Fackelschein ausgeleuchtet wird, befindet sich der „Soundpark“. Im Sommer zelebrieren einige Freaks hier Musikveranstaltungen.

Zwei Bier- und Essensstaende neben einer offenen Buehne haben sie errichtet, es gibt Bücher und Musik zu kaufen, Sprayer zeigen ihre Kunst auf grossen Leinwandrollen und irgendwelche Hippies üben sich im Jonglieren und Feuerspucken. Den Schlagzeugauftakt von ONE DIMENSIONAL MAN kann man durch den Boden des gesamten Waldes ziehen spüren und wieder ist da dieses grosse Beben und Zucken in mir und dieses unbeschreibliche Glücksgefühl, das wie Goldregen durch meine Adern rauscht und mich immer überkommt, wenn ich etwas Aussergewöhnlichem und Grossartigen beiwohne.

ONE DIMENSIONAL MAN existieren seit 1996 im Grossraum Venedig und haben bereits um die 300 gespielte Shows auf dem Buckel. In Italien haben sie von den COWS, BLONDE REDHEAD, KEPONE und JSBE ueber DEUS und der ROLLINS BAND bis hin zu den MELVINS nichts an Profilierungsmöglichkeiten ausgelassen und es ist kein Witz das DALE CROVER, der Melvins-Schlagzeuger einmal von Dario darauf hingewiesen, dass er doch mehr üben möge, nur betreten den Kopf senken und dem ONE DIMESIONAL MAN zustimmen konnte.

Während ihr 97er Debut noch an eine Realisation dessen erinnert, was die gesegneten und verschiedenen PARTY DIKTATOR im Studio nie vermocht haben aufzuzeichnen, ist auf dem Zweitling „1000 Doses Of Love“ von 1999 bereits zu erkennen, dass ONE DIMENSIONAL MAN`s Sache die Verschmelzung energetischstem Noiserocks amerikanischer Prägung mit derben Neo-Blues-Elementen sein soll.

Mit „You Kill Me“ von diesem Jahr ist das symphatische Trio endgültig aus dem Schatten grosser, historischer Vorbilder wie JESUS LIZARD und Konsorten hervorgetreten und hat seine individuelle Leuchtkraft und einen sehr eigenen Sound gefunden. Ich wüsste nicht, wer „You Kill Me“ in seinem Rockkontext derzeit noch schlagen koennte. Sicherlich nicht all` jene Emo-Kasper und Pseudo-Punk-Bands der siebten Generation, die partout nicht aufhoeren wollen, mit dem Klingelkasten nervtoetend um unsere Häuser zu ziehen. Das folgende Gespräch fand nach dem Auftritt in Padova statt.

***

Wie heisst Du?

Paolo: Mein Name ist Paolo. Und wer bist Du?

Paolo, manchmal habe ich das Gefühl, dass Bands, die von der Bühne herab über Politik sprechen nur vortäuschen, politisch zu sein.

Paolo: Nun ja, gewöhnlich betreibe ich keine politischen Ansprachen auf der Bühne. Ich habe damit erst in den letzten fünf, sechs Monaten angefangen, weil ich angesichts der Situation in unserem Land einfach Angst bekomme. Ich bin Bürger dieses Landes und ich fühle mich frei, über die Politik dieses Landes zu sprechen.

Ich denke das ist in Ordnung, das ist gut. Die Leute müssen wissen, was in diesem Land passiert. Und ich fühle mich wirklich aufgeschreckt, ich bin entsetzt von dem, was hier zur Zeit abläuft. Es gibt kaum jemanden, der offen darüber spricht und das macht mir Angst.

Mir auch. (lacht) Deine Gesten zum Ende Eures Konzertes haben mir gut gefallen und diese Ansage, dass fünfzig Prozent von Deinem Herzen kommt und der Fuckfinger für Sylvio (Berlusconi) ist.

Paolo: (lacht) Als ich sagte, dies ist für mich, meinte ich, Kommunismus ist für mich, weil, weisst Du, dass ist in gewisser Weise ein kommunistisches Gefühl. Ich denke, wir alle kommen vom linken Flügel. Ich wollte damit nur einen Witz machen: Mein Herz gehört mir und das hier ist für Berlusconi. Du weisst, was das bedeutet? Das bedeutet, fick` Dich, Sylvio.

Bisher kenne ich leider nur Eür erstes, selbstbetiteltes Album von 1997.

Paolo: Um Dir die Wahrheit zu sagen, hat sich die Band sehr gewandelt, seit dem Giulio dazugestossen ist.

Wer ist Giulio?

Paolo: Giulio ist der neue Gitarrist.

Der Junge mit dem seltsamen Bart.

Paolo: Genau.

Der, der ein wenig pervers ausschaut.

Paolo: Dario ist noch viel schlimmer. (lacht) Weil er so amerikanisch aussieht und er sich dessen sogar bewusst ist. Ein wenig L.A., ein wenig kalifornisch und zu allem überfluss weiss er das auch noch. Ich denke aber, dass unser zweites Album, was „1000 Doses Of Love“ heisst, unser eigentliches Debutalbum, unser wirkliches erstes Album ist. Davor waren wir nämlich in einer konstant schwierigen Situation, mit verschiedenen Gitarristen und verschiedensten Stimmungen innerhalb der Gruppe, was nicht immer so schön war.

„1000 Doses Of Love“ ist von daher so etwas wie unsere Renaissance, weshalb ich das Gefühl mag, dieses Album als unser Debut zu betrachten. „You Kill Me“, unser neues Album, was für mich also unser zweites ist ah, hier hast Du eine Kopie.

Danke. Das ist also Euer neustes Werk, die dritte Zweite sozusagen.

Paolo: Genau, das ist „You Kill Me“, produziert von Giulio, unserem Gitarristen. Wir haben das Label von Wide Records zu Gamma Pop gewechselt und unser neues Album ist gänzlich anders als die Vorgänger ausgefallen. Natürlich gibt es da eine Linie, die sich durch alle drei Alben zieht, dies ist schliesslich immer noch dieselbe Band und das ist auch nachvollziehbar, aber „You Kill Me“ ist unser bestes Album. Die Band spielt Songs, spielt zusammen, spielt demokratisch zusammen, hat zusammen arrangiert, hat sich gemeinsam hingekniet und gemeinsam genug Tests durchlaufen. Auch für die Aufnahmen hatten wir mehr Zeit.

Wo habt Ihr aufgenommen?

Paolo: Wir haben in Senigallia im Red House Studio aufgenommen und wir sind mit dem Resultat sehr zufrieden, weil wir endlich unseren eigenen Sound gefunden haben. Das Album klingt anders als unsere Live-Auftritte, Du hast jetzt den Gig gesehen, das Album hingegen ist für Zuhause aufgenommen.

Wir wollen die Leute nicht auch noch Zuhause vergewaltigen. (lacht) Wenn sie zum Konzert kommen wollen, sollen sie zum Konzert kommen. Falls nicht, können sie sich unsere Musik Zuhause anhören. Das ist freundlicher, netter, das Album ist angenehmer.

Ich mochte aber Euren Gig. Streckenweise hat mich das zwar an die klassische amerikanische Noise-Rock-Schule, an den Chicago-Sound von Bands wie JESUS LIZARD oder TAR erinnernt, auf der anderen Seite präsentiert Ihr aber eine sehr eigenständige Weiterentwicklung und Eure ausgespielte Energie ist schon recht mitreissend.

Paolo: Wir alle kennen SHELLAC, wir lieben alle JESUS LIZARD und RAPEMEN und kennen SCRATCH ACID und BIRTHDAY PARTY. Wir mögen aber genauso BOB DYLAN und Traditionelles. Was ich also denke ist, dass unsere Bemühungen in traditionellere Richtungen tendieren, nicht in Richtung SHELLAC und nicht in Richtung Zukunft. Wir schauen zurück. Wir sind sehr daran interessiert, Bluessongs zu machen.

Wirklich?

Paolo: Ja, echte, traditionelle Bluessongs, gespielt jedoch mit der Mentalität von SHELLAC-Musikern. Das ist was ich fühle, was wir machen. Und natürlich ist das eine sehr simple Beschreibung dessen, was wir machen.

Ich habe Euch hier von Leuten mit dem Ausdruck „Noise-Blues“ beschreiben hören. Ich mag solche Etiketten aber weniger.

Paolo: „Noise-Blues“ ist wirklich nur eine Etikette. Ich denke, wir sind schwer in eine Schublade zu packen. Wir sind eher Freidenker, freie Spieler, Musiker. Wir machen eben, was uns Spass bereitet zu machen. Und wir sind sehr glücklich, wenn wir einen guten Song geschrieben haben. Für mich ist der Song wichtiger als der Sound. Die Geschichte, die du Menschen erzählen kannst. Die Botschaft, die du vermitteln kannst.

Du bist aus Venedig?

Paolo: Das bin ich.

Aus welchem Stadtteil?

Paolo: Dem historischen Zentrum. Ich lebe am Rialto.

Das klingt vielleicht wie ein Klischee, aber umgeben von all` dieser Schönheit mimst Du dann denn wütenden, jungen Mann?

Paolo: Nun, in Wirklichkeit bin ich der einzige aus Venedig. Giulio kommt aus Padova, einer Stadt die eher einem industriellen Gebiet gleichkommt. Dario, unser Schlagzeuger, kommt aus der Nähe von Jesolo, einer ziemlich touristisch erschlossenen Gegend. Die Musik, die wir spielen, ist das Resultat unserer Kultur. Du kannst in Berlin leben, oder in Australien oder in Venedig und du kannst mehr oder weniger die gleiche Kultur haben, weil du in Melbourne, New York oder Venedig die BIRTHDAY PARTY hören kannst.

Auf eine Art ist das Globalisation, da gibt es keine Grenzen. Natürlich, und das ist lustig, wenn man daran denkt, gibt es eine Gruppe aus Venedig, die wie eine texanische Band spielt, da unsere Musik eher der von SCRATCH ACID oder JESUS LZARD ähnelt, als der von VIVALDI. Okay, das ist lustig, das muss ich zugeben. Aber um auf Deine Frage zurückzukommen: In Venedig gibt es keine Leute, die diese Art von Musik hören. Junge Menschen in Venedig hören sich Reggae-Musik und solche Dinge an. Wir sind da totale Aussenseiter und niemand kennt uns in Venedig. Niemand schert sich da einen Dreck um mich oder um uns.

Wie hat sich Euer originärer ONE DIMENSIONAL MAN-Sound dann entwickelt?

Paolo: Als ich 14 Jahre alt war, hörte ich mir progressiven Rock an. Als ich 20 war, hörte ich Punk. Als ich 22 war, begann ich mir SCRATCH ACID anzuhören. Ich weiss nicht. Mit 25 waren es dann JESUS LIZARD und SONIC YOUTH. Als ich 30 Jahre alt wurde, war ich verliebt in BIRTHDAY PARTY. Jetzt bin ich 35 Jahre alt und verliebt in mich selbst. (lacht)

Was hältst Du denn generell vom augenblicklichen Stand Italienischer Rockkunst. Eure Vorbands heute beispielsweise waren ja eher der Kategorie der Kopieisten zuzurechnen.

Paolo: Offen mag ich das hier gar nicht sagen, ich versuche schliesslich freundlich zu sein. Generell bin ich aber kein grosser Freund von Italienischer-Independent-Musik. Es gibt nur sehr wenige Bands, und natürlich ist das nur meine Sichtweise, die interessante Sachen spielen. Benennen kann ich eigentlich nur UZEDA oder THREE SECOND KIss.

UZEDA aus Sizilien mochte ich auch gern.

Paolo: Die waren wirklich fantastisch und haben ja auch mit Steve Albini zusammengearbeitet. Kennst Du THREE SECOND KIss aus Bologna?

Ja, da kann ich auch etwas mit anfangen.

Paolo: Das ist auch eine gute Band. Und dann ich weiss nicht, JULIE`S HAIRCUT. Die haben auf diesem Festival hier (Sherwood Festival/Padova) auf der gleichen Bühne wie wir gespielt.

Sind die gut?

Paolo: Ja, definitiv.

Nun, weil der Name so lahmarschig klingt.

Paolo: ähm, ja die sind poppiger als wir natürlich. Du kannst sie vielleicht mit PAVEMENT vergleichen. Kennst Du die?

Stephen Malkmus.

Paolo: Genau. Ich habe nichts gegen diese Art von Musik. Ich liebe es zwar nicht, aber ich habe auch nichts dagegen und ich denke, sie machen Spass.Dann gibt es da noch eine Band, die auch auf unserem Label Gamma Pop sind: BARTOK.

BARTOK, wie der ungarische Komponist?

Paolo: Ganz genau. Das ist eine sehr interessante Gruppe.

Magst Du diesen Ansatz im Rhythmus, wie ihn viele osteuropäische Musiker jener Zeit gepflegt haben? Eure Rhythmus-Abteilung spielt schliesslich auch sehr unorthodox auf.

Paolo: Oh verdammt, unser Rhythmus ist sehr dramatisch und mathematisch, das ist schon sehr Rock`n`Roll.

Folgt Ihr einem Konzept mit Eurem nackten Schlagzeuger heute Abend auf der Bühne, oder war das ein spontaner Zug von Dario?

Giulio: (der auch dazugestossen ist) Er ist immer nackt!

Wie die DWARVES oder der alte CHILI PEPPERS-Trick?

Giulio: Neeeiiiin. Das ist seine Art, sich zu benehmen.

(lacht) Ist er einfach nur ungezogen oder liegt das daran, dass das hier einfach ein heisses Land ist?

Giulio: (lacht) Eindeutig weil wir in einem heissen Land leben.

Paolo: (lacht) Wenn ich spiele, schwitze ich meinen Saft einfach aus, aber Dario verliert ja gleich literweise Schweiss. So viele Klamotten hat er gar nicht, das alles aufzusaugen. Deshalb lässt er auch jedesmal die Hose herunter.

Giulio: Deswegen müssen wir unbedingt einmal in Deutschland spielen, weil ich mir sicher bin, dass wir dort unsere Kleidung viel eher schonen werden.

Danke und Euch noch eine bunte Nacht.

***

Interview. Tom Dreyer

Diskographie:

ONE DIMENSIONAL MAN (Wide Records 1997)

1000 DOSES OF LOVE (Wide Records 1999)

YOU KILL ME (Gamma Pop 2002)

www.onedimensionalman.com

„You Kill Me“

„Ugly hungry dogs! Bark!
America`s swinging! The ground sinking
The whole luminous ceremony
Is to be shown off in front of us!
Ugly hungry dogs! Blatter!
America`s swinging! The ground sinking
until I finally die! And everybody`s gonna say
YEAH! Fuck it!
That`s the way it goes!
That`s the way it goes!
That`s the way it goes!
Ad infinitum
everybody knows
My swinging America!
Oh! My damnation
Ugly hungry dogs! Bark!
America`s swinging! The ground sinking!
Until I finally give up my ghost!
And everybody`s going to say
Yeah! Fuck it!
That`s the way it goes!
America`s swinging! The ground sinking
America`s my incubus!
America`s my succubus!
Mister P.P.Pasolini wouldn`t have said so
My swinging America! Oh! My damnation!
Ad infinitum“

(„America“ von der 1999er „1000 Doses Of Love“CD)

 

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