März 15th, 2007

Moby. Höhepunkt der blöden Punk/Techno-Debatte (#61, 12-1996)

Posted in artikel by sebastian

Höhepunkt der blöden Punk/Techno-Debatte

Die neue MOBY-Platte ist draussen, heisst „Animal Rights“ und ist eine Rockplatte. Interessiert Euch das sonderlich? – Nein? – Na gut. Mich auch nicht so. Also weiter im Text.

„Anti-Alkoholiker. Drogen-Gegner. Christ. Techno-Punk. Happy Hardcore. Speed Metal. Querdenker.“ – So fängt es an, das von der Firma verfasste Info über MOBY. Ähnlich hätte ein Info über YOUTH OF TODAY oder SHELTER beginnen können. Die „Querdenker“ sind halt überall. Verkauft sich gut. Und darum geht es wohl in erster Linie.

Selbst Leuten, die sich kaum um Techno und ‚Raving Society‘-Klatsch gekümmert haben, ist der Name MOBY sicher schon einmal über den Weg gelaufen; wahrscheinlich assoziieren sie mit diesem Namen irgendeinen mittelmässigen, stark gehypten Techno-Act… und sollen recht behalten: Um genau das handelt es sich auch. Nicht so richtig schlecht, aber auch nicht der Rede wert.

Die goldenste Nase verdiente sich MOBY ja vielleicht noch als Ersatzrad bei FLIPPER (ja, den „Public Flipper“, der unerschütterlichen Noise-Legende), davon ist allerdings nichts mehr auf „Animal Rights“ zu hören, obwohl es sich mehr oder weniger um ein Hardcore-Album handelt, das nichts, wirklich gar nichts mit Rave und Elektronik zu tun hat.

Je nun, all das wäre auch nicht weiter schlimm. Drum fehlen mir auch Zeit und Lust, hier einen weitschweifigen Verriss auf „Animal Rights“ zu schreiben, der mir nebenbei auch gar nicht zusteht. Immerhin ist die fast im Alleingang eingespielte Platte vergleichsweise (zu dem, was heute so Gitarrenmusik macht und sich oft HC schimpft) gar nicht mal so schlecht, hat richtige Dampfhämmer und Gassenhauer mit HüSKER Dü-Format – und zu allem wird auch noch einer meiner Lieblingssongs von einer meiner Lieblingsbands gecovert: „That’s When I Reach For My Revolver“ von MIssION OF BURMA.

(Selbstredend kommt die Coverversion an das Original nicht ran, konnte es aber auch nicht völlig verkorksen. Immerhin. Wenn es MOBY gelingen sollte, mit dieser Version die jugendlichen Massen auf diese zu Unrecht völlig vergessene, seit jeher unterbewertete Band zu stossen, dann ist mein Altersstarrsinn schon halb befriedigt. Obwohl es mich zugleich ärgert, dass ausgerechnet diese Nummer in England bereits als Single ausgekoppelt wurde und jetzt hunderttausend Kids an der Nase herum geführt werden, indem man ihnen glauben macht, diese Wahnsinnsnummer sei auf dem Mist von MOBY gewachsen).

Kurzum: Ich möchte den spirituellen Veganer gar nicht näher unter die Lupe nehmen, Anlass für diesen Text ist nämlich ein ganz anderes ärgernis, das mit ihm selbst gar nichts oder doch wenig zu tun hat. Dieses ärgernis findet sich im mehr als zwei Seiten langen Presseinfo der Firma ‚Intercord‘ zur Platte, wo es heisst, dass nur „diejenigen, deren Köpfe noch frei von Kultur-Faschismus sind“, begreifen werden, warum MOBY wieder zur Gitarre greift und R.O.C.K. aufspielt. Den Faschismus-Begriff in diesem Zusammenhang zu benutzen ist – gelinde gesagt – ein bodenloser Hammer!

Der fahrlässige Umgang mit Sprache und die infamste politische Denunziation haben da Eingang in einen Streit gefunden, der sich mit steigender Plumpheit als blosses Scheingefecht um Marktanteile entpuppt. Ein Vokabular, das sich bislang nur in der linken Agit-Presse fand, wurde da von der Industrie übernommen, um Geschmacksfragen dermassen zu ideologisieren, dass der Plattenkauf zur Gewissensfrage wird: Je nach Firmenabteilung und Produkt beginnt sich hier eine Schlammschlacht abzuzeichnen, die mal Punk, mal Rock, mal House und mal Jungle zum Faschismus erklären kann.

Tiefer könnte die Krise nicht sein: Nicht mehr rebellische Jugend denunziert ihre Unterdrücker vorschnell, aber doch oft zutreffend als Faschisten, sondern die Musikindustrie schürt nun schon Faschismusvorwürfe, um Jugend gegeneinander zum Kauf aufzuhetzen und ihr überdies das letzte zu rauben, wozu Jugend bislang noch berechtigt war: Faschisten je nach Unmut als solche selber benennen zu können.

Dieses drastische Beispiel macht vor allem eines deutlich: Der Streit um Gitarre vs Elektronik und Rock vs Techno ist in den letzten Jahren dermassen ideologisiert worden, dass daraus zwei Fronten hervorgingen, die sich nur noch stumpf grunzend mit den schlimmsten aller Vorwürfe – keinesfalls aber mit Argumenten -beschimpfen können. Wer aber hat diese Fronten entstehen lassen? Wer schüttet da unentwegt öl ins Feuer? Und: Wem dient das Ganze?

Die Fakten sprechen ja eine ganz andere Sprache: Mit „Digital Hardcore“ (rund um ATARI TEENAGE RIOT, EC8OR, EAU DE COLOGNE u.a.) ist eine Mischform entstanden, die Punk und Dancefloor zu vereinen versucht; auf ‚Earache Records‘ erschien vor kurzem mit Johnny Violents „Schocker“-Album die erste Gabber-Platte auf einem bislang dem Noiserock vorbehaltenen Label. Autonome Zentren, einst den strengen Agit-Stilen Punk, Hardcore und Hip Hop vorbehalten, veranstalten Antifa-Raves.

Ausserdem – mensch erinnere sich – entstanden bereits zwischen 1976 und 1983 (weisse) Techno-Ansätze im Umfeld von Punk und New Wave, etwa bei SUICIDE, D.A.F., DER PLAN, THE WITCH TRIALS (die erste Band von Jello Biafra) und Adrian Sherwood. Auf der anderen Seite äusserte Carl Craig, namhafter DJ aus Detroit, vor kurzem in einem Interview: „Gebt meiner Musik keinen Namen, sie hat mit Namen nichts zu tun.“

Auf musikalischer Ebene sind die Grenzen zwischen den angeblich so zerstrittenen Fronten längst geöffnet und jeder auch nur halbwegs an Musik interessierte Mensch interessiert sich einen Hasendreck, unter welchem Button die Platte läuft, auf die er gerade scharf ist. –

Der Independent-Gedanke mitsamt all seinen politischen Ausrichtungen existiert in beiden ‚Lagern‘ (das kann man nur noch apostrophieren, vor allem, weil es verdammt nach der Sprache der tatsächlichen Faschisten klingt), ebenso wie es in beiden ‚Lagern‘ zum Grossteil Mitläufer, Geldmacher, Dummschwätzer, Ausbeuter und Flachwichser gibt. Techno ist genausowenig = Dolls United („Eine Insel mit zwei Bergen“) wie Gitarre = Bon Jovi ist. Also noch einmal die Frage: Wer ist für den scheinbar unüberwindbaren Graben verantwortlich?

Die Fans? – Möglicherweise gibt es einen Kern von Punk/HC-Fans, der Techno aus tiefstem Herzen ablehnt, weil Punk ihnen (vermeintlich) authentischer ist, die Musiker ‚echter‘, alles persönlicher, verschlissener, nicht auf Mode und Kohle aus. Sollte sich Punk allerdings nur noch auf diese Motivation beschränken, wäre ich der erste, der Techno blind gegen ihn verteidigen würde!

Was bitteschön hat dieses nachbarliche, schlimmstenfalls kameradschaftliche Verhältnis der ‚Szene‘, diese alkoholfeuchte Idylle mit den Tugenden von Schrebergarten und Kaserne, für einen Eigenwert? – Das, was da als menschliche Substanz über den bösen Materialismus gesetzt wird, unterscheidet sich kaum von dem Prinzip KELLY FAMILY, das ähnlich identitätstiftend wirkt, wenn die KELLYS ihren Fans vorleben, dass man auch ohne Schminke und ‚Levis‘ eine ‚ganze Persönlichkeit‘ sein kann. Unterscheidet sich kaum von dem, was die Fans von Phil Collins und BAP in ähnlicher Weise schwärmerisch äussern: Ihre Stars seien so ’natürlich‘, Menschen wie du und ich.

Je weniger Punk sein Selbstverständnis aus politischer Gegenkultur zieht, je mehr er also nur seine Kraft aus dem ‚Authentischen‘ begründet, desto schwerer wird es ihm fallen, ein ernstzunehmendes Argument gegen Techno vorzubringen.

Dasselbe gilt freilich für die Punk- bzw.- Gitarren-Gegner aus dem Techno-Umfeld, wo diese mit blasiert futuristischen Sprüchen verkünden, ihre Szene sei ‚moderner‘, das wahre Abbild der Neunziger. Das ist selbstredend so bescheuert wie der Glaube, Mozart würde heute besser klingen, wenn man seine Klavierstücke auf dem Moog nachspielt.

Hoffnungslos naive Argumente gibt es auf beiden Seiten, doch ich glaube kaum, dass sie Ursache eines Streits sind, der bereits im Ideologischen eskaliert ist, denn die Kids kommen mir in der Regel toleranter und offener vor als die öffentlichen Meinungsmacher, jene „Fachleute“, die da in Zeitschriften und Promoabteilungen über die ‚Musik zur Zeit‘ philosophieren.

Ich selbst halte es für sehr auffällig, ja offenkundig, dass die energische Debatte um Punk/Gitarre vs Techno/Elektronik erst ab einer Zeit ansetzte, in der sämtliche Subkulturen verwässerten und immer inhaltsärmer wurden, schliesslich ganz auf rebellische Gehalte zu verzichten begannen oder diese nur noch in Phrasen runterspulten.

In einem grossen Ablenkungsmanöver, das politisiert, wo es nichts zu politisieren gibt, vertuscht die Debatte, dass Punk schon seit geraumer Zeit nichts mehr zu sagen hat – und Techno noch nie etwas zu sagen hatte. Die Bücher über Techno (z.B. „Techno“ von Anz/Walder, „Generation XTC“ von Böpple / Knüfer und „DJ Culture“) sind voll von Legitimationsphrasen, die uns Techno als neue Subversion schmackhaft machen wollen, ja, sie bersten vor Erklärungen, wie hochpolitisch, widerständlerisch Techno doch ist (- wo das so vehement erklärt werden muss, drängt sich der Verdacht auf, dass es eben doch nicht in der Sache selbst drinsteckt). Punk hatte zu seinen besten Zeiten solche Erklärungen nicht nötig, weil sich das Rebellische aus der Sache selbst ergab – heute allerdings sieht auch er sich in der Legitimationskrise.

Die „Chaostage“ sind nicht mehr als ein verzweifelter Versuch, die Bewegung rund um äRZTE und GREEN DAY vor ihrer selbstverschuldeten Verflachung und Inhaltslosigkeit zu retten. Doch es ist zu spät: Keine „Chaostage“, keine äRZTE, keine „Love Parade“ und kein MOBY – egal ob er nun ravt oder rockt – können die hohl gewordenen Bewegungen noch mit Substanz füllen. Alles bleibt unverbindlich, aussagelos, modisch und beliebig. Es geht nur noch um Musik und um deren Verkäuflichkeit – doch gerade das gibt keiner zu, gerade davon lenken alle ab.

Wo es keine Inhalte mehr gibt, reduziert sich der Streit auf Stile und Instrumente und entblösst sich darin in seiner ganzen Künstlichkeit. Es ist völlig egal, ob einer Cordhosen oder zerschlissene Jeans trägt, ob er Kaffee trinkt, Dosenbier oder Afri Cola, ob er eine abgewrackte Gitarre spielt oder den Sampler füttert oder aber beides zugleich (solche Bands gibt es ja auch – man höre TORTOISE und SEEFEEL) – je stärker sich das Gefecht auf beiden Seiten an Moden aufheizt, desto deutlicher wird, wie stark es an Inhalten fehlt.

Und darin sehe ich dann doch eine Hoffnung: Punk/Hardcore auf der einen Seite und Techno/Elektronik auf der anderen sind beinahe schon auf dem Höhepunkt ihrer Bedeutungslosigkeit angelangt, schreiten auf eine gähnende Leere zu, die, sobald sie beide geschluckt hat, die Bewegungen vielleicht zum Umkippen bringen wird.

Soll heissen: überall zeichnet sich ab, dass sich etwas ändern muss -eine Veränderung steht an, die nichts mit der Musik selber zu tun hat, sondern mit einer Frage des Umfelds, mit einer Frage nach Inhalten. Wenn nun also schon Promozettel mit dem Faschismus-Begriff um sich werfen, bleibt abzuwarten, bis selbst der letzte merkt, wie sehr ihm auf der Nase herumgetanzt wird, wie sehr Jugend nur noch als Konsument gemolken wird. Dann ist es an der Zeit, eine neue Gegenkultur zu schaffen, selbstorganisierte Zentren, alte Diskussionen neu zu eröffnen, alte Kämpfe neu zu führen.

Solange die Stossrichtung stimmt, wird es völlig egal sein, ob der Kampf unter den Rhythmen von Techno oder denen von Punk geführt wird – oder rhythmusfrei unter schwebenden Ambient-Klängen. Es ist egal. Dieser ganze beschissene Streit, der so viel Energie um nichts kostet, ist eine Erfindung derer, die von Musik leben: Erfindung der Plattenfirmen, der Produzenten und Journalisten. Es liegt an den Konsumenten, sich ihm zu verweigern. Weder den Rave-MOBY noch den Rock-MOBY kaufen. Das Eigene wagen. Weder Techno noch Punk, solange die uns nichts zu sagen haben.

Text: Martin Büsser

Links (2015):
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Homepage Moby
Discogs Moby

 

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