Juli 2nd, 2015

MELVINS (#88, 06-2001)

Posted in interview by Jan

MELVINS – 5 more gluey porch treatments

Seit ihrem kongenialen 97er Album „Honky“ auf Noise Amphetamine Reptile Records und der anschliessenden Tour mit den SCHWEISSERN durch deutsche Clubs haben sich die MELVINS zumindest in Europa rar gemacht. Bassist Mark D. musste seinen Hut nehmen und wurde durch den kongenialen Kevin Rutmanis ersetzt und mit dem Ende der NOISE AMPHETAMINE REPTILE-Ära stand das Trio mit Wahlheimat San Francisco plötzlich ohne unterstützende Plattenfirma da.

Im Gegensatz zu den meisten Bands des Alternative Rock Zirkus haben die MELVINS in den siebzehn Jahren ihres Bestehens jedoch nie ihre Underground-Wurzeln gekappt. Bei Mike Patton´s IPECAC-Label unterzukommen war daher kein Problem und jetzt heisst es endlich wieder „Melvins over Europe“.

Zur aktuellen Tour versenken die drei diplomierten Rockzerleger ihre kaum noch vorhandene Konkurrenz mit gleich fünf(!) Neu-erscheinungen im Schattenreich der Belanglosigkeit:

Zum einen wäre da „Electroretard“, eine Zusammenstellung von alten, neu eingespielten Stücken („Gluey Porch Treatments“, „Revolve“, „Lovely Butterflies“ und „Tapping The Lion“) plus drei Coverversionen von den WIPERS, den COWS und PINK FLOYD, die die MELVINS ihrem Langzeitfreund und MAN´S RUIN-Betreiber Frank Kozik zur finanziellen Aufbesserung zur Verfügung gestellt haben. Ein Unterfangen, das normalerweise mit Skepsis betrachtet werden sollte, allein die Neufassung von „Youth Of America“ und das völlig ge-lungene Coverartwork (Hitler als Hase) machen einen Kauf unumgänglich. (Cargo)

„The Maggot“, „The Bootlicker“ und „The Crybaby“ dagegen sind die drei Teile einer MELVINS-Trilogie, die in den USA bereits 1999/2000 erschienen sind und hier nur für teure Import-Preise zu haben waren. Efa/Berlin macht damit endlich Schluß und vertreibt die drei Silberlinge seit März offiziell in Deutsch-land. Bestückt mit neuem Material ist dieser Dreisprung das bisher wohl ausgefeilteste und differenzierteste Werk von King Buzzo, Dale Crover und Kevin Rutmanis.

Eine ausführliche Besprechung würde diesen Rahmen sprengen, drei grobe Linien lassen sich dennoch skizzieren: Die Traditionelle ist auf „The Maggot“ zu hören, heavy, kompakt, zynisch und schwer verdaulich. Herausragend die Coverversion von PETER GREEN´s „The Green Manalishi (With The Two-Pronged Crown). „The Bootlicker“, mein persönlicher Favorit, ist der ruhige Gegenpol. Ein Album durchzogen von meditativ-sinistrer Tiefe und nicht nur das bisher ungewöhnlichste Melvins-Werk , sondern eines der interessantesten „ Rock“Alben überhaupt. Allein Crover´s Schlagwerk… „The Crybaby“ dagegen ist das stilistisch zerrissenste, weil maßgeblich durch seine Gäste mitgeprägte Album der Serie.

Aus der MELVINS-Family vertreten sind Leif Garrett und David Yow (Ex-JESUS LIZARD), Henry Bogdan (HELMET), Mike Patton (MR. BUNGLE) und J.G.Thirlwell (FOETUS), die Jungs von TOOL, als auch Bliss Blood (PAIN TEENS), Kevin Sharp (BRUTAL TRUTH) und Hank Williams 3., der Ur-Enkel des berühmten County-Sängers.

Zwar ist für April diesen Jahres ein brandneues Studiowerk auf IPECAC RECORDINGS angekündigt, erstmal startet das neue MELVINS-Label allerdings eine Wiederveröffentlichungsserie der alten Werke mit dem Titel „Out Of The Closet“. Den Anfang macht „Gluey Porch Treatments“, das Debut der Band von 1986, angereichert mit 12 bisher unveröffentlichten Garagendemos aus der Zeit und mit neuer Covergestaltung versehen.

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Zum Sinn bzw. Unsinn solcher Wiederveröffentlichungen ließ sich Gitarrist/Sänger und Kreativkopf der Band King Buzzo folgendermaßen aus (Auszüge aus den Linernotes der „Gluey Porch Treatments“ wiederveröffentlichung):

„Gluey Porch Treatments“… warum? Das weiß Gott allein… Wir fühlten uns alle wie Aussätzige, als wir dies aufgenommen haben. Ich zum Beispiel konnte es nicht einmal glauben, daß sich jemand mit genug Interesse an der Band finden würde, der für die Studiokosten aufzukommen bereit ist. Das hat uns fast in den Wahnsinn getrieben, weil für uns 1986 aber auch gar nichts lief. In jenem Sommer versuchten wir durch die USA zu touren und es war eine einzige Katastrophe. Von Küste zu Küste hatten wir nur Skinheads, die uns töten wollten.

Fünf Jahre später, als wir das zweite Mal tourten, sah ich die gleichen Leute, nur trugen sie jetzt SUB POP-T-Shirts und richtig lange Haare. Wie ironisch… es passt… also im Frühjahr 1986 waren wir sehr entmutigte Jungs im Aufnahmestudio, dennoch funktioniert dieses Album. Ich mag dieses Material immer noch… nun ja, das meiste auf alle Fälle. Ich hätte dir vorher, selbst wenn du mir eine Knarre an den Kopf gehalten hättest, nicht mal sagen können, was eigentlich auf dieser Platte war. Klick, klick…

Das war schon alles recht lange her. 1986. Jesus H Christ. 14 Jahre, um genau zu sein. Hmmmm… vielleicht sollte ich diese ganze Band-Sache noch mal überdenken. Müssen wir das Album wirklich wiederveröffentlichen? Ja… nein… ich denke… Ich bin mir sicher, daß wir es sollten, außerdem, wen kümmert es schon? Wir müssen das jetzt sogar veröffentlichen, es gibt Platz für Alles, für jeden erdenklichen Scheiß, den wir machen wollen. Das Ausführen von Visionen… verdammt nochmal… Wie auch immer, ich schweife ab. Die Original-Besetzung hat sich seit 1986 einige Male geändert.

Dale und ich sind gelieben, aber Matt Lukin, der originale MELVINS-Bassist wurde ersetzt. Er machte bei den jetzt auseinandergefallenen MUDHONEY weiter. Ich glaube, MUDHONEY haben 13 oder mehr Alben aufgenommen. Ich fand es amüsant, daß er, gleich nachdem wir ihm den Stiefeltritt verpasst hatten, bei MUDHONEY einstieg, die sofort zum Flagschiff der goldenen Sub Pop-Ära avancierten. Witzigerweise haben MUDHONEY nie wirklich etwas von dem Geld abbekommen, das die Sub Pop-Betreiber einsackten, als Grunge explodierte und zu einem weltweiten Albtraum wurde… Das passt… Eines jedoch ist sicher, und zwar das Sub Pop 1986 an uns kein Interesse zeigte. Die Veröffentlichung unserer Platte wurde in der Sub Pop-Kolumne der Seattle-Tageszeitung „The Rocket“ mit zwei Zeilen erwähnt. Wow.

Und das war in jenen Tagen, als Sub Pop selbst nur eine kleine Kolumne im hinteren Teil der „Rocket“ war. Ich glaube, sie mochten unsere Musik, schwer zu sagen. Damals hatte ich immer den Eindruck, wir würden weitaus mehr Aufmerksamkeit seitens der Seattle-Presse erhalten, wären wir nur eine STOOGES-Rip-Off-Band. Sie liebten jede Band, die lahmen „Funhouse“-Ära-STOOGES-rehash-trash spielten. Wir liebten die STOOGES, wir wollten aber nie die STOOGES sein. Abgesehen davon hasste Sub Pop unsere erste Single. Sub Pop-Chef Bruce Pavitt zerriss´ sie in einer Besprechung in Stücke. Unsere erste Besprechung, ein exzellenter Anfang für unsere Band.

Ich glaube es war Lou Reed, der sagte: „Was für eine Person wünscht sich bloß, Kritiker zu sein?“. Touche´. Ich verstehe das so, dass Bruce millionen von Dollar bei Seite geschafft hat, nachdem er das Sub Pop-Label an einen Major verkaufte, um dann vollkommen von der Bildfläche zu verschwinden und heute schert er sich einen Scheißdreck um Musik…. macht Sinn… Wie auch immer, unser Debut nahmen wir 1986 in Sausalito/Kalifornien auf. Wir brauchten zwei oder drei Tage fürs Aufnehmen und zwei oder drei weitere Tage für den Mix. Boom. Fertig.

Wir aßen Burritos im Mission District und fuhren zurück in den Washington District. Es regnete den ganzen Tag. Unser Label hatte uns gerade ausreichend Geld geschickt, um runter und wieder zurück zu fahren. Einige Monate später hielten wir unser Debut in den Händen. Das erste, was uns auffiel war, dass unser Name schief lay-outet wurde und das ganze Ding wie eine schlechte Fotokopie aussah. Wir hatten unsere Wünsche das Cover betreffend dem Besitzer (Victor-Alchemy Rec. d. T.) gegenüber klar zum Aus-Druck gebracht und der hatte sein OK gegeben, das Ganze dann aber fallengelassen, ohne uns ein Wort davon zu sagen und später die lahme Ausrede von den hohen Kosten für Farbdrucke vorgebracht.

Er veränderte alles. Wir hatten nicht einmal die Möglichkeit uns zu beschweren, weil der Betreiber aus welchem Grund auch immer plötzlich verschwunden war. Seit 13 Jahren hat niemand mehr etwas von ihm gehört. Pamela Debarres erwähnt ihn kurz in ihrem Buch über die ganzen Rockstars, die sie gefickt hat und wir vermuteten, dass er der Sohn eines ziemlich bekannten Schauspielers aus grauen Vorzeiten sein könnte, aber darüber hinaus wissen wir nichts. Eine Sache die ich weiß: er war ein absoluter Speed-Junkie, was vielleicht sein bizarres Verhalten erklärt.

Damals habe ich mich tierisch aufgeregt, heute kann ich über die Geschichte nur lachen. Unsere Wiederver-öffentlichung enhält obendrein Demoauf-nahmen, die wir kurz vor dem Album gemacht haben. Ich glaube, wir schlossen zwei Kassettendecks zusammen und legten einige Mikrophone in der Garage von Matt´s Eltern aus. Sie lebten weit vor der Stadt, direkt an einem riesigen Fluß und wir konnten so laut und so spät sein, wie wir wollten. Die einzigen Nachbarn waren diese „unibomber type redneck hippies“, die Tonnen von Dope rauchten und ihr eigenes Gebräu herstellten, in großen Fässern draußen in den Wäldern.

Sie schmissen volltrunkene Parties und errichteten riesige Leuchtfeuer, die die Bäume erleuchteten und die ganze Gegend wie eine Szene aus „Lord Of The Flies“ erschienen ließ. … Einige Jahre bevor diese GREEN RIVER abfingen, ein wenig herumzuspielen. Ich erinnere mich an ihre erste Demo-Aufnahme und sie machten dieses Stück „Leech“, das ich einfach wunderbar fand; einfach der beste Song, den sie je geschrieben haben.

Später erzählte mir Jeff Ament, GREEN RIVER´s Bassist, er würde den Song hassen. „Zu repetiv“ sagte er und irgendetwas davon, das gleiche Riff nicht endlos wiederholen zu wollen. Ich dachte, dass das lächerlich sei und am Ende landete der Song auf unserem Album. Ich mag das Stück immer noch; es ist ein großartiges Riff, ein großartiger GREEN RIVER-Wegwurf. Die Kommentare von Jeff erscheinen besonders heute merkwürdig, bedenkt man, dass er sich daran machte, PEARL JAM zu gründen und später Billionen von Dollars mit repetiven Riffs verdiente.

Als ich ihn das erste Mal traf, spielte er in einer Hochgeschwindigkeitshardcoreband aus Missoula Montana. Innerhalb kürzester Zeit sprang er von 200 km/h-Hardcore über zu STOOGES-Rock zu MÖTLEY CRUE-Haarschnitt und Glam-Metal zu PEARL JAM, was immer das ist. Boom. Also, was immer ich auch von seinen vergangenen oder gegenwärtigen Bands denke, muß ich Jeff doch einfach für dieses bestrafende „Leech“-Riff danken… Dank dir… Eine Band aus jener Zeit, die ich allerdings mochte, waren MALFUNCTION. Unglücklicherweise lösten sie sich auf, bevor sie irgendwo ankamen.

Einmal hat mir Landrew, ihr Bassist gesagt, früher wären sie Musiker gewesen, die mit Drogen spielen; jetzt seien sie Drogisten, die mit Musik spielen. Die Droge nahm schnell alle Zeit in Anspruch und es dauerte auch nicht mehr lange, bis er an einer Überdosis starb. Wunderschön… Seattle. ICH habe dort niemals gelebt. Niemand von uns. Wir waren Kleinstadtkinder die wild durch die große Stadt liefen. Da war dieser verrückte kleine Promoter namens Hugo, der Shows für das „Metropolis“, einen downtown-club in Seattle buchte.

1984 gab ich ihm ein Tape von uns, um einen Auftritt zu bekommen und er schaute mich an und lachte nur. Später, zu seinem Schutz, hat er uns dann gebucht als Opener für die MINUTEMEN, was großartig war. Ich liebte die MINUTEMEN. An dem Abend spielten auch die lokalen U-MEN. Ich denke, die haben nie die Aufmerksamkeit erhalten, die sie verdient hätten. Ihre erste EP gehört mit zum Besten, was je aus Seattle gekommen ist.

Ungefähr 1984 ging ich aus, um diese ziemlich populäre und nichtsdestotrotz geniale Band aus Boston, die FU´S genannt, zu sehen und niemand war da, der Laden war leer. Die FU`S hatten das Nachsehen, denn die U-MEN schmissen eine Frei-Bier-Show auf der anderen Seite der Stadt. Ein Ereignis, gegen das keine Band der Welt hätte anstinken können. Daran zurückdenkend bereue ich, nicht zu der Bier-Party gegangen zu sein.“

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tom dreyer

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