Januar 23rd, 2013

MEAT PUPPETS (#155, 08-2012)

Posted in interview by jörg

Man erschrickt glatt beim Schreiben: Es wird so zwischen zwanzig und 25 Jahren her sein, dass ich die Meat Puppets zum ersten und bis vor relativ kurzem auch zum letzten Mal sah, damals im Vera zu Groningen, was zugleich ursächlich damit zusammenhängt, dass meine Erinnerungen an jenes Konzert „under the influence“ lediglich schemenhaft sind.

Es war spät, der Abend mild, ich hatte die Nacht davor nicht geschlafen. Der Knoten im Haar der Frau, die im Publikum vor mir stand, verwandelte sich in eine dämonische Fratze. Ein paar Langhaarige liefen, die Gitarren in der Hand zur Bühne und stöpselten ein.

Die Musik, die sie spielten, klang für meine vernebelten Ohren nach einer Mischung aus Jason & The Scorchers und Motörhead, mehr oder minder gleichzeitig, was ja irgendwie dann doch nicht so weit weg von dem ist, was die Meat Puppets damals wirklich spielten.

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Als ich Cris Kirkwood im Frühling des Jahres 2011 in Hamburg traf, war er auch nicht unbedingt verwundert über meine Beschreibung. „Wir wechseln sehr leicht von metalartigen Sachen zu Country-Sachen. Ich schätze, das ist, was uns als Kids ausgemacht hat und nach all den Jahren immer noch künstlerisch am Laufen hält. Wir machen das ganz sicher nicht mit Absicht im Sinne von: Kommt, wir machen jetzt eine Heavy-Metal-Version von Country. Eher: Kommt, wir machen, was auch immer wir wollen“.

Seit den Aufnahmen zum letzten, übrigens ziemlich gelungenen Album „Lollipop“ gibt es einen neuen Schlagzeuger, Shandon Sahm, Sohn der Texas-Legende Doug Sahm, und er tritt die beiden alten Herren in den Arsch. Ur-Schlagzeuger Derrick Bostrom wollte nicht mehr, arbeitet bei einer Bio-Lebensmittel-Firma – „er hörte auf, Rock’n’Roll zu spielen, weil es einfachere Arten gibt, seinen Lebensunterhalt verdienen“, erklärt Cris.

Auf die Frage, ob die Band ein Vollzeitjob für ihn sei, antwortet er: „Ja.“ Und nach einer kurzen Pause: „Wenn du es einen Vollzeitjob nennst, den ganzen Tag zuhause rumzusitzen und Bongs zu rauchen… Die Band ist der einzige Job, den ich hatte, seit ich 19 bin.“ Über Greg Ginn, der wie seine Mitmusiker ja neuerdings in Texas lebt, mag Cris nicht reden. „Wir waren jedenfalls kein Teil des SST-Kults, wenn es einen gab. Vielleicht hatten sie eine Vision, aber das war uns egal. Für uns war es eine Gelegenheit, Platten zu veröffentlichen und von der Musik zu leben. Und Greg ist mir egal. Black Flag waren eine tolle Band, aber… Ich weiss nicht, was mit Greg los ist. Leute kommen und gehen. Jeder, zu dem ich den Kontakt verloren habe, kann mir den Arsch lecken. Tief in mir drinnen bin ich ein Engel, ich hab nie jemandem was getan. Vollendung in Flaschen. Ich geb einen Scheiss auf Greg. Greg gibt mir Arsch-Herpes.“

Zum Rauchen gehen wir vor die Tür. Wie die Meat Puppets zu SST kamen, lässt sich anderswo nachlesen. Und Cris hat die Zeit genossen, wie er sagt. Allerdings gab es schon früh Knatsch. Derrick Bostrom hatte in einem Interview gesagt: „SST will aus der Punk-Szene Kapital schlagen“. Black Flag sagten den Meat Puppets für eine Europa-Tour ab und engagierten die Minutemen. Ansonsten: das übliche. Geld will Cris nie gesehen haben, auch wenn die Pups bestimmt ganz gut verkauften. „Greg ist durchgeknallt. Er hat Dukowski verklagt, er hat alle verklagt. Er hat uns verklagt…“

Er hat euch verklagt?
Cris: „Ja, aber ich will nicht darüber reden, das ist lange her“.

Ihren Back-Katalog haben sie zumindest wieder. Und eigentlich will er das alles auch gar nicht im Interview haben. „That’s fuckin‘ old news, long time ago.“
Also reden wir über heute. Cris ist vor allem begeistert von Shandon, der von Kindesbeinen an Musik macht – genau wie die Kirkwoods selbst.

Was hast du in der Zeit gemacht, als es die Meat Puppets nicht gab?
Cris: „Heroin. Knast. Mehr…“

Wie seid ihr wieder zusammengekommen? Es gab eine Version der Band ohne dich…
Cris: „Die Band fiel auseinander, weil ich Junkie wurde. Ein schrecklicher Junkie. Und sie wollten aus guten Gründen nichts mit mir zu tun haben. Dann starb meine Frau und ich wurde ein noch schlimmerer Junkie. Nach Jahren in der Gosse und im Knast, wurde ich von einem Sicherheitsmann eines Postamts in den Rücken geschossen, ging wieder in den Knast, kam heraus und schaffte es endlich, nicht wieder zurück auf Heroin zu kommen. Nachdem ich eine Weile clean war, ging ich zu einem Konzert der Band meines Neffen, des Bruders meines Sohnes, das war vor ein paar Jahren, 2005 oder 2006. Ich war Mitte 2005 aus dem Knast gekommen. Kurt dachte darüber nach, eine neue Meat-Puppets-Platte zu machen, offiziell hatten wir uns nie getrennt und ich war nie offiziell rausgeflogen“.

Ist es schwerer geworden? Bands verkaufen kaum noch Platten…
Cris: „Wir haben zum Glück sowieso nie Platten verkauft… Manche Sachen ändern sich nie… No, it’s a fucking gas! Ich weiss nicht, ich tu das gern. Auch wenn der Körper altert“.

Wenn du dich umschaust, gibt es spannende neue Sachen?
Cris: „Ich find’s immer super, Leuten beim Spielen zuzusehen, ihre Herangehensweise ans Instrument und so. Und es gab immer die verdammte Industrie-Seite der Dinge… (zwischendurch muss er mal Hintern schauen, aber er hat Recht…) … Das hat mich nie interessiert. Ich liebe Musik, aber ich hatte nie Träume vom Rock-Star-Dasein, ich fand Musik auf einem sehr persönlichen Level sehr interessant.“ Hast du eigentlich je Solo-Sachen gemacht? „Nein. Ich mache Zeug für mich, aber ich mache nichts daraus“.

Oder mit anderen Bands? Kurt spielte auf einem Album der Grupo Fantasma…
Cris: „Stimmt. Ich denke, das ist eine Austin-Sache. Sie fragten ihn einfach. Und dann bekamen sie einen Grammy und er hat keinen bekommen. Aber er hätte einen bekommen sollen. Ich weiss nicht, wer sie sind und so. Ich mach ab und zu Sachen hier und da, meine Freundin spielt Bass.“

Wie alt warst du, als die Band begann?
Cris: „17.“

Am Anfang habt ihr eher loose gespielt, finde ich…

Cris: „Die Schlüsselworte sind: ‚finde ich‘. Wir waren zunehmend lysergisch-laserpräzise dabei, die feinsten Geräusche mit unseren kleinen besaiteten Begleitern, die wir erbarmungslos verdroschen. Naja, ich denk nicht darüber nach. Wir spielen loose? Das ist mir egal. Loose verglichen mit was? Einem Symphonieorchester? Wer weiss. Ich denk nicht viel darüber nach. Als wir die erste Meat Puppets machten, waren alle auf Trip, wir hatten einen grossen Sack Ecstasy dabei, als wir Meat Puppets II aufnahmen.

‚Up On The Sun‘ ist getränkt mit Gras und Man Jelly, die vierte war unser abuse of the innocent face oder, wie ich es gern nenne, auf den Schwachen herumzutrampeln, Nummer 5 nahmen wir im Studio der Stones auf mit Mick und Keith am Ruder, Nummer 6 war unser Giorgio-Moroder-Album… Was für ein schöner Abend es geworden ist. Nicht zu kalt, der Wind ist schwächer geworden.“

Ist das jetzt das erste Mal in Europa seit damals?

Cris: „Wir waren vor ein paar Jahren beim All Tomorrow’s Parties, das war das erste Mal. Aber jetzt kommen wir zum ersten Mal wieder in viele Städte. Es ist super. Zum ersten Mal war ich 1975 in Deutschland, auf einer Studienreise…“

(Dann kommt eine Frau vorbei, die will, dass wir alle anfangen, nachzudenken. Punks, Pseudokommunisten, alle… Kassandra ist allerdings ansonsten schwer zu verstehen. Und erschwert das Abhören meines Interviewbandes… Kris will wissen, was sie sagt. Und erkennt den Wahnsinn.)

Cris: „In den Staaten ist es viel rauer. Die Mordrate ist atemberaubend.“

Auch dort, wo du lebst?

Cris: „Ja, Phoenix ist die fünft- oder sechstgrösste Stadt des Landes. Wenn man sieht, wie sich das Land verändert hat, seit ich ein Kind bin…“

(und er hört ein wenig der Kassandra zu)

Naja, da reden wir dann auch ein Weilchen drüber, Sozialstaat und so weiter, aber ihr kennt die Diskussionen, die Argumente, die Umstände – und wir sind uns da auch insofern einig, dass das ganze ziemlich brutal ist. „Ich lese gerade wieder eines meiner Lieblingsbücher, ‚A Journal of the Plague Year‘ von Daniel Defoe (dt: „Die Pest zu London“). Kennst du Defoe? Robinson Crusoe? Es ist Roman über die Pest in London. Und es ist zwar ein Roman, aber er war selbst da. Es ist wundervoll zu lesen, er ist ein verdammt toller Schriftsteller.“

Und es wundert ihn immer wieder, so sinngemäss, dass das menschliche Leben so flüchtig ist, aber sich im Grossen so wenig ändert… Und dann gehen wir unserer Wege, nachdem er mir noch ein Bier aus dem Kühlschrank backstage gegeben hat. Er ein wenig gebückt, schlurfend, die Zigarette im Mundwinkel. Auf der Bühne sieht er neben seinem beinahe etwas pummeligen Bruder klein und alt aus. Aber auf seinem Gesicht steht die grosse Freude, ein Teil dieser Band zu sein. Und was für eine!

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(stone)

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