März 17th, 2007

BERICHT VOM HINDUKUSCH (#119, 08-2006)

Posted in artikel by andreas

Nachfolgend ein rein subjektiver Bericht aus einer Gegend der Welt, die zu unser aller Glück weit weg ist. Wie kommt so was ins TRUST? Ich selbst kenne das TRUST seit den Anfangstagen. Damals habe auch ich angefangen, mich stärker für „was-auch-immer“ zu engagieren. Getreu dem Motto „Support your local scene“, fing ich in der ostfriesisch/ emsländischen Pampa mit dem an, was fast alle (nur dort nicht) taten: Fanzine, Konzertorganisation, Band (z.B. Feeble Minded), DIY -Label etc. Auch heute noch musiziere ich (Lex Fendt) und bin dem TRUST immer noch verbunden, finde es lesenswert, unter anderem weil es mir ein entspanntes Mitaltern ermöglicht oder so. Egal! Ich habe dann kurzerhand mal angefragt, ob an einem solchen Bericht Interesse bestünde und ganz offensichtlich war die Antwort positiv.

Nun denn, wer hier mehr über den Sinn und Unsinn solcher Einsätze oder andere Dinge erwartet und irgendwie enttäuscht wird, darf sich gerne bei mir melden. Los geht es. Der Anflug auf Kabul ist atemberaubend. Noch nie ging es in meinem Leben so schnell, so steil bergab, dabei streift man beinahe die Bergkuppen, die Kabul talartig einfassen und dann breitet sich unter mir eine endlos scheinende hellbraune, staubige Ansammlung von Rechtecken, dazwischen ein nahezu ausgetrocknetes Flussbett und einige verstopfte Strassen, aus.

Es wirkt wie, na was?…vielleicht wie eine sandige Vorhölle, die jeden Moment vom Schlund eines Sandwurms verschlungen werden kann. Nun mag, wenn man daran glaubt, die Hölle oder ähnliches noch schlimmer sein. Was mein Leben anbelangt, fühle ich mich bereits von oben dieser nahe. Zumindest was die Lebensumstände von Menschen betrifft, ist es das Schlimmste was ich jemals sah. Dabei ist die Ansicht von oben lediglich eine schwache Vorbereitung auf das Treiben unten.

Wir landen auf einem Flugplatz, der unmittelbar die Geschichte (zumindest, die der annähernd letzten 30 Jahre) dieses Landes widerspiegelt: Instabilität und Krieg. Zerstörtes Militärgerät, zerstörte zivile Flugzeuge und ein Gebäude, welches auch nur bedingt Vertrauen vermittelte. Ab diesem Zeitpunkt gehören bewaffnete Soldaten und /oder Polizisten zu meinem täglichen Umfeld – was mir nicht wirklich ein Gefühl der Entspannung verschafft, gleichwohl die Herren zu unserem Schutz da sind. Der Flughafen gilt als minengeräumt, dennoch wagt niemand zu behaupten, er sei auch minenfrei. Also nur die benutzten Pfade betreten, bitte! Minen sind in diesem Land ein immer präsentes Thema und das UN Mine Action Center rechnet noch mit ca. 10 bis 20 Jahren, um auch nur die wichtigsten Flächen von Minen und Blindgängern zu räumen.

Dann geht es zu einem unserer Hauptquartiere, die natürlich aussehen wie ein Hochsicherheitstrakt, obwohl es eine zivile, nichtmilitärische Einrichtung ist. Das bedeutet meine erste Autofahrt, ca. eine Stunde, durch Kabul. Es ist voll, chaotisch, dreckig, laut, heiss und stickig. So ungefähr alles ist zerstört oder zumindest schwer in Mitleidenschaft gezogen. Die wenigen besser erhaltenen Gebäude sind dann meist auch burgartig eingefasst, von Panzersperren, Stacheldraht (dieser neumodische, der wirklich alles zerschneidet), Wachtürmen und Soldaten oder Polizisten.

Hinter den Mauern residieren meist Botschaften, Regierungsgebäude oder andere Organisationen. Natürlich gibt es auch hier „bessere“ Viertel, doch ich spreche über den Gesamteindruck. In der Resttrümmerwüste leben die Menschen in verfallenen Häusern und sind wahrscheinlich noch viel besser dran als die, die auf der Strasse oder in dem, im Sommer nahezu ausgetrockneten und unfassbar verdreckten (sieht eher aus wie eine liquide Müllkippe), „Kabul-River“ auf Stangenbauten leben. Zumindest sieht es so aus, als ob sie dort leben. Kabul ist einfach komplett überfüllt, mit Flüchtlingen, Menschen, die glauben in der Stadt mehr Möglichkeiten zum überleben vorzufinden.

Obwohl ich mich natürlich vor meiner Anreise mit der Frage beschäftigte, ob ich überhaupt nach Afghanistan gehen sollte, und also mit der Situation dort auseinandersetzte, habe ich in diesem Moment, bei aller Neugierde, den Eindruck hier falsch zu sein. Ich denke nur, was für ein elendes Treiben, elendiger Menschen. Das schlägt auch mir auf die Stimmung, obwohl – wie gesagt – ich theoretisch vorbereitet und nicht ganz unerfahren in so genannten Krisenregionen bin.

Im Compound, ein Containerdorf, angekommen beginnt der bürokratische Teil (Verträge, ID Cards, Code of Conduct etc). Dann bringt man uns in die sogenannten „Guesthouses“. Dieses sind Unterkünfte, die geprüft und genehmigt wurden und damit den Sicherstandards entsprechen, d.h. Bewachung, hohe Mauern, Bunker (meistens nur eine Art Kellerraum) etc. Da diese Häuser von Privatleuten geführt werden, wir ja auch Geld in diesem Land lassen sollen und keine andere Möglichkeit haben, kosten diese Unterkünfte nicht wenig, sind aber auch nicht ruinös. Die Standards variieren sehr und entsprechen nicht den hiesigen, was aber auch nur Wenige wunderte. Sämtliche Wege sind mit den offiziellen Jeeps und Fahrern hinter sich zu bringen.

Alles andere ist aus Sicherheitsgründen untersagt. Auch in Afghanistan wird die Entführung langsam als Geldquelle entdeckt, und natürlich besteht immer die Gefahr eines Anschlags. Deshalb sind die Fahrer angehalten, die Fahrtwege zu variieren und – wenn möglich – nicht zu stoppen. Die einzigen Wege, die man zurücklegt, sind die zwischen dem „Guesthouse“ und dem Arbeitsplatz, was in dieser überfüllten und Verkehrsregeln wenig aufgeschlossenen Stadt manchmal zwei Stunden dauert. Bei geringerer Sicherheitsstufe können wir mal in eines der sechs freigegebenen Restaurants fahren, bis zur Sperrstunde. Auch diese sind nur freigegeben, weil sie bewacht werden und hinter hohen Mauern verborgen sind.

Nicht wenig verwunderlich ist dabei der „Deutsche Hof“ in Kabul. Selbstverständlich mutet dieser Ort fernab der Heimat deutscher an (mit Gartenzwergen etc.), als Deutschland vielleicht ist. Zumindest gibt es dort Schweinefleisch und Bundesliga, allerdings ist unsere Neugier und unser Humorbedürfnis diesbezüglich nach einem Besuch erschöpft. Mich wundert dabei wirklich, was jemanden aus einem Land wie Deutschland dazu veranlasst, sich dort niederzulassen. Wir kommen mal kurz mit einem der Eigentümer ins Gespräch, und das ist unschön. Eine nicht geringe Verachtung gegenüber den Afghanen, und dabei findet er sich unglaublich cool dort zu sein, macht auf harten, abgebrühten Mann. Seine, wie auch die Kommentare seiner deutschen Freunde, auch zu den Nachrichten aus Deutschland, lassen den deutschen Schlichtspiesser, in dem Fall ostdeutscher Prägung, offenbar werden.

Es folgt eine Woche des „Check-ins“ in die Organisation, der Vorbereitung auf unsere Aufgabe und des medizinischen wie Sicherheitstrainings. Selten habe ich dabei eine so gute Vorbereitung erfahren, da diese robusten Trainings sich nicht im Allgemeinen erschöpfen, sondern richtigerweise an der Situation vor Ort orientieren. Wer sich an „Pulp Fiction“ und die Szene mit dem „Medizinisches Gerät-in-die-Brust rammen“ erinnert, weiss, was wir dort gelernt haben, nur benutzten wir einen Kugelschreiber. Jeden Abend müssen wir zu einer bestimmten Zeit per Funkgerät bestätigen, in unserem „Guesthouse“ zu sein.

Wer das vergisst, hat eine empfindlich hohe Gebühr abzudrücken, die sozialen Projekten gespendet wird. Verständlich wird die Sanktion, da sich bei Nichtmeldung der Sicherheitsapparat in Bewegung setzen muss, um den Aufenthaltsort der betroffenen Person herauszufinden. Ansonsten erfuhr man zum Beispiel, wie ein GPS und ein Satellitentelefon zu benutzen sind, etwa im Falle von Autopannen, Angriffen etc. Ohne Positionsbestimmung ist eine Rettungsaktion natürlich weitaus komplizierter.

Irgendwann kommt dann der spannende Moment, in dem uns eröffnet wird in welcher afghanischen Provinz wir es uns gemütlich machen sollten. Ich sollte in den Norden. Für viele ein Haupttreffer, da dort die ISAF Truppen stationiert sind und der Norden (allerdings nicht wegen den ISAF Truppen) als ungefährlicher gilt. Stimmt insoweit, als dass dort die Taliban wenig bis keinen Rückhalt haben (wie im Südosten, wo die Armeen der Kriegsmächte stationiert sind), mithin sehr unbeliebt sind, und man also zumindest deren Störaktionen wahrscheinlich eher nicht so ausgesetzt ist.

Das Problem im Norden ist allerdings die nicht geringe Dichte an Warlords, dort als Commander bezeichnet. Diese wollten natürlich alle bei der Wahl gewinnen, was nur einem kleinen Prozentsatz gelingen würde. Ein solcher Machtverlust hinterlässt Spannungen und Probleme. Für mich persönlich wurde es zudem eine organisatorische Grossaufgabe, da ich eine der grössten Provinzen bekam. Von Kabul ging es dann via Flugzeug nach Mazar-i-Scharif.

Tatsächlich hatte ich schon immer eine Affinität zu Afghanistan, völlig grundlos. Ich dachte immer, einmal den Hindukusch überqueren zu können, wäre etwas Tolles. Nun ist es soweit. Ich fliege über die teilweise mit Schnee bedeckten Berge. Der Rest ist braun und verbrannt. Es gibt weniger beeindruckende Dinge auf dieser Welt. So weit das Auge reicht, ein Anblick mächtiger Monotonie, und in mir kommt ein Gefühl des Verständnisses auf. Verständnis hinsichtlich der Tatsache, dass Afghanistan allein durch die natürlichen Gegebenheiten nie wirklich von der Zentralregierung in Kabul oder imperialen Streitkräften beherrscht werden konnte. Oder auch, warum Bin Laden, so er tatsächlich noch irgendwo herumschwirrt, nicht gefunden werden kann.

In Mazar gelandet werde ich zum dortigen Hauptquartier gebracht. Mazar vermittelt für afghanische Verhältnisse sogar den Eindruck einer funktionierenden und auch irgendwie schönen Stadt. In der Mitte die „Blue Mosque“, die wirklich beeindruckend ist. Obschon mir bei soviel Elend immer schleierhaft bleiben wird, warum Menschen ihre Energie in Glaubenshäuser stecken. Nun ja, es ist eine Binsenweisheit, das je schlechter der Lebensstandard von Menschen ist, je schlechter es ihnen geht, der Glaube wichtiger wird. Und dies ist natürlich eine Sicht der Dinge, die dem Luxus der Geburt in einem reichen Land geschuldet ist.

E- Mail, kurz nach der Ankunft in Mazar verfasst: „Kabul ist die Vorhölle und mir fehlen die Begrifflichkeiten, um diesem Gewirr an Eindrücken nahe zu kommen. Attackiert wurde ich dort und bisher insgesamt nur von einem Skorpion, dessen Angriff ich aber heldenhaft abwehren konnte… durch eine umgehend eingeleitete Flucht.

Der Afghane ist höflich und eher zurückhaltend, und in Mazar beruhigt mich immer wieder die Deutschenfreundlichkeit und der Satz, dass ich ein willkommener Gast sei. Mehr Sicherheitsgarantien kann man hier nicht bekommen, denn einem Gast wird hier nichts angetan. Ich hoffe nur, man beendet diesen Status nicht einseitig, ohne es mich wissen zu lassen. Insgesamt ist die Lage angespannt, aber Vorfälle gibt es nur im Süden und Südosten.

Der Norden ist anscheinend ruhiger und wirkt auch moderner. Mazar ist wirklich schön, auch wenn wir wegen den Ausgangssperren und dem Verbot sich per pedes fortzubewegen, natürlich das Wenige nur aus einem fahrenden Auto erblicken. Gestern fand ein „get-together“ aller Internationalen statt. Ungefähr 40 Leute tummelten sich auf dem Gelände des türkischen Konsulates und feierten ein wenig. Plötzlich und unerwartet wurde man auf ein kleines Fussballfeld gebeten und durfte dort 4 Schildkröten beim Verlassen des Mittelkreises beobachten und auf selbige Wetten. Nun, das mutete doch etwas seltsam an, kam mir als Neuling komisch deplatziert vor, dennoch …ein tolles Bild der Verzweiflung“.

(Anmerkung: Die Sache mit dem Schildkrötenrennen hätte später nicht mehr deplatziert auf mich gewirkt). Nach einiger Zeit geht es nach Maymana. Maymana ist die Provinzhauptstadt von Faryab, im Nordwesten von Afghanistan, nah der Grenze zu Turkmenistan. Maymana erlangte eine gewisse unschöne Bekanntheit (unter anderem im Spiegel Nr.16, 15.04.2006) im Zusammenhang mit dem Karikaturenstreit, da es dort Tote gab, als Afghanen das PRT Hauptquartier stürmen wollten.

PRT steht für „Provincial Reconstruction Team“ und bezeichnet einen Militärstützpunkt der ISAF Truppen, hier Finnen. Allerdings erfuhr ich kürzlich, dass die Auseinandersetzungen wohl eher ein Ablenkungsmanöver eines Commanders waren und mit den Karikaturen nichts zu tun haben. Ist auch wenig vorstellbar, dass die Menschen dort jemals eine der Zeichnungen gesehen haben, vielmehr – wie üblich – aufgrund von Geldzahlungen, Falschinformationen und/ oder Drohungen zu den Demonstrationen bewegt wurden.

Das bringt mir meine erste so genannte „Road Mission“ ein. Mit zwei zivilen Jeeps (immer zwei, falls einer den Weg nicht übersteht) und zwei Jeeps mit bewaffneten afghanischen Polizisten zur Bewachung. Zehn Stunden (für ca. 339 km) geht es westwärts, selten auf einer Strasse, denn Infrastruktur im Allgemeinen ist nichts, was man mit Afghanistan in Verbindung bringen sollte. Ansonsten geht es mehrheitlich durch Wüstenlandschaft, nicht in der Art, wie sie klassisch dargestellt wird, sondern eher steinig, staubig.

Auch auf dieser Fahrt eine unfassbare Monotonie in staubigem Braun. Dazwischen Ansammlungen der Kuchies, ein Nomadenvolk, das dort lebt – wie ist mir allerdings schleierhaft. Die wenigen grünen Flecken bestehen oftmals aus Feldern voller Cannabis. Nach dieser Buckelpistentour, einem platten Reifen, diverser Kamele/ Dromedare, Eseln und Maultieren, seltenen kleineren Städten/ Dörfern komme ich in Maymana an.

E- Mail, kurz nach der Ankunft in Maymana verfasst: „Ich vergass zu erwähnen, dass ich auf meinem Weg durch die Wüste und die Restlandschaft auch das gesehen habe, was Afghanistan so berühmt macht. Ja, auch eine Unmenge von schwerem Kampfgerät (Panzer, andere Fahrzeuge, Raketenwerfer), das wirklich überall ausgeschlachtet rumliegt aber ich meine Gras! Felder, nahezu Wälder aus Drogen. Die Weichen wie die Harten. Ansonsten bin ich an einem von General Dostums vielzähligen und recht grosszügig angelegten Häusern vorbeigekommen. Eine Untertreibung. Das hier ist Dostums Area, wie man mir öfters, bedeutungsschwanger mitteilte.

Ausserhalb Mazars kamen wir an einer Talibanfestung vorbei, die heiss umkämpft war. Das Ding sieht wie aus dem Mittelalter aus. Aus Lehm mit Türmen, die dem eines Schachspiels ähneln. Irgendwie putzig, mit welchen Mitteln die Jungs den Amis trotzen wollten.“

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Kurzer Ausflug in die Drogenwelt:

Afghanistan liefert ungefähr (die Angaben variieren) zwischen 72 und 87 Prozent der Weltproduktion an Heroin/ Opium und ist damit an der Weltspitze. Bei den leichten Drogen finden sich keine Angaben. Anfangs dachte ich, dass die Zurückhaltung der Internationalen hinsichtlich der Bekämpfung des Drogenanbaus vernünftig ist, da man sich die Frage stellen muss, wovon die Leute denn sonst leben sollen. Allerdings ist das natürlich etwas schlicht gedacht, da die Korruption und die Macht der Commander natürlich nur befördert wird, denn durch die Geldmittel können diese wieder zur Destabilität beitragen, Waffenkäufe finanzieren etc.. Der einzelne Bauer wird nicht viel Geld dafür sehen. Ich habe selbst übrigens nie mitbekommen, dass Afghanen Drogen nehmen, in manchen anderen Provinzen ist das wohl zumindest in Bezug auf Cannabis anders, wie Kollegen erzählen.
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Mein erster Eindruck von Maymana ist einer, der sich über die nächsten zwei Monate nicht ändern sollte. Willkommen im Mittelalter am Ende Deiner bekannten Welt! Hinter einer Bergkette öffnet sich mir der Blick auf eine kleine Stadt. Was die Hauptschotterwege/-strassen und die daran grenzenden Häuser anbelangt ist sie sogar recht gut in Schuss und wirkt sympathisch. Wenige Autos/Jeeps (wahlweise von internationalen Organisationen, dem Militär oder Reichen, also Commandern), ansonsten Eselkarren und Fahrräder. Keine Wasser- oder Stromversorgung, es sei denn durch Generatoren, die aber kaum einer besitzt. Natürlich auch hier, wie überall, eine abendliche/ nächtliche Ausgangssperre, die sich je nach Sicherheitslage verändert.

Unser Hauptquartier liegt unweit des PRT und besteht aus einem bewachten Areal, mit einem kleinen Gebäude, wo unsere Büros liegen, und einem noch kleineren, sowie zwei Containern wo wir schlafen können. Alles sehr improvisiert und eng, mein Schreibtisch muss zum Beispiel erst gefunden werden und steht dann im Durchgang, geschlafen wurde in einem kleinen Zwei-Bett-Zimmer, womit auch der letzte Gedanke an etwas Privatsphäre beiseite geschoben werden muss.

Ansonsten sorgen sich ein afghanischer Koch und eine afghanische Putzfrau um unser Wohl, wobei man auch hier nicht glauben darf, dass dies aus unserer Sicht luxuriös ist. Der Hygienebegriff ist aufgrund der realen Möglichkeiten ein anderer und da wir in einer so abgelegenen Provinz sind, gibt es auch selten uns bekannte beziehungsweise westliche Lebensmittel. Diese werden manchmal von Kollegen aus Mazar mitgebracht. Allerdings wird gleich nach meiner Ankunft der Landweg nach Maymana aus Sicherheitsgründen gesperrt.

Insofern gibt es Rind und Huhn (natürlich kein Schwein), an Reis und Brot, manchmal gefüllte Teigtaschen und dazu meistens Tomatensalat. Nun wird in solchen Ländern immer empfohlen, kein Obst oder Gemüse zu essen, das nicht geschält werden kann – weil natürlich auch das Waschen dieser Lebensmittel mit nicht allzu sauberen Wasser geschieht. Wir trinken nur Wasser aus Plastikflachen (die sehr teuer sind), zum Waschen haben wir Wassertanks auf dem Dach, die (für uns) nicht trinkbares Wasser enthalten – da wir an diese Lebensumstände natürlich nicht gewöhnt sind.

Insgesamt erachte ich die langen Jahre seit Mitte der 80er in versifften Konzertorten, besetzten Häusern oder anderen weniger hygienischen Orten als zwar nicht ausreichende, jedoch gute Vorbereitung für solche Einsätze. Irgendwann verlangt der Körper dann aber doch nach Obst und Gemüse. Die Folgen waren natürlich absehbar. Nach einiger Zeit, liess ich das Rindfleisch weg. Wenn man einmal gesehen hat, wo dieses zum Teil geschlachtet, vor allem aber verkauft wird – draussen hängend im Basar, im totalen Dreck und bei den Temperaturen, manchmal schwarz vor Insekten -, habe ich keine Lust mehr darauf.

Zudem verflüchtigen sich die bei mir üblicherweise einsetzenden Probleme im Darmbereich nicht und ich denke, dadurch vielleicht eine Verbesserung zu erreichen. Ein Irrtum! Probleme dieser Art, inklusive irgendwann auch Fieber, Erbrechen etc. bestehen die ganze Zeit. Das Klo ist des Nachts häufiger Treffpunkt mit den Kollegen. Das Huhn hingegen ist frisch, denn unser Koch bringt morgens die lebenden Hühner mit, die dann über den Compound rennen, bis dieser am Abend wieder hühnerfrei ist.

E- Mail: Meine erste „turn inside out“-Periode ist (hoffentlich) nun auch vorbei und die finnische Armeeärztin hat mir gute Pillen gegeben. Als Gegenleistung musste ich mir sehr, sehr lange ihr Wehklagen über ihr isoliertes Dasein anhören. Das war Lagerkoller in höchster Vollendung. (Anmerkung: Nur hinsichtlich der medizinischen Versorgung hatten wir etwas mit der Armee zu tun, ansonsten wird sehr viel Wert auf die Abgrenzung zum Militär gelegt).

Das Arbeitsumfeld (unter hohem Zeitdruck, angespannter Sicherheitslage und leicht eintretendem Lagerkoller) hinsichtlich der Kollegen ist spannend, weil eben neben den lokalen Mitarbeitern, also Afghanen, international. Afrikaner, Europäer (damit ist der Kontinent und nicht die EU gemeint), Nordamerikaner, Asiaten, Australier etc. Das Schöne (und auch nicht immer Schöne) daran ist, dass man mit diesen Menschen (und diese mit einem selbst) arbeiten und leben müssen.

Alle bringen ihren kulturellen Hintergrund mit, was den eigenen, insofern deutschen oder zentraleuropäischen Standpunkt korrigiert, der aber in seinen guten Varianten auch von anderen antizipiert wird. Das bereichert, wie ich finde, korrigiert die Selbstsicht und schafft neue Blickweisen.

Die Aufgabe bestand im Aufbau des Count Centre, also der zentralen Auszählungsstätte der Stimmen, der Provinz. Zwei Wahlen, zeitgleich, einmal zur Wolesi Jirga (quasi die Bundeswahl) und einmal zum Provincial Council (also die Landeswahl). Das bedeutet für mich unter anderem die Ortsfindung, den Aufbau des Zentrums, das Training und die Einstellung von ca. 300 Afghanen.

Aber erstmal muss ein Assistent gefunden werden, der zugleich als übersetzer fungierte. Nicht so einfach in einem solchen Ort, fernab von Allem. Schulbildung unter den Taliban war natürlich gleich Null, auch ein Grund weshalb sie im Norden wirklich verhasst sind. Aber ansonsten ist ein Land mit einer solchen Geschichte natürlich nicht wirklich in der Lage, Ausbildung zu ermöglichen. Ich finde zum Glück einen jungen Herrn, der aufgrund seiner Flucht (während der Taliban-Zeit) nach Pakistan und Indien Englisch sprach. Ihm wie seiner Familie ist übrigens sein genaues Alter nicht bekannt, 22 vielleicht 23, sagt er.

Er ist es auch, der von einer internationalen Kollegin erfuhr, dass ich musiziere, und fragt mich daraufhin, was für Musik wir denn machen würden. Als subkulturell „Geschädigter“ ratterte ich, in meinem Kopf, die feinen Unterschiede zwischen Punk, Punk-Rock, Hardcore etc. vor mich hin, um dann zu entscheiden, dass diese Begriffe hier sowieso nicht funktionieren können. Punk ist nun mal mehrheitlich ein Reichensport! Also nannte ich ihm den Universalbegriff: Rock!

Schon habe ich wieder etwas gelernt. Bisher erlebte ich es noch nie, dass dieser Begriff nicht funktioniert. So aber hier. „Was ist Rock?“, kontert er und ich weiss nicht weiter, also frage ich, was er denn kenne. Musik a la Bollywood fand ich heraus, und versuchte dann laute Strommusik zu erklären. In Anbetracht dieses Ortes, in dem man zwar Strom kennt, jedoch nur die wenigen Reichen einen Generator ihr Eigen nennen, besteht natürlich bereits hinsichtlich des Faktors Lautstärke ein nur schwer zu überwindender Graben.

Ist auf jeden Fall ein sehr witziges Gespräch. Er interessiert sich wie viele sehr für Tanz und Musik, und es ist interessant zu erleben, wie dieses zum Ausdruck gebracht wird. Aktivitäten dieser Art (eigentlich alles was Freude macht) waren unter den Taliban nicht wirklich angezeigt. Vielleicht aus diesem Grunde entschuldigen oder erklären sich die jungen Afghanen erstmal sehr aufwändig, bevor sie darüber sprechen, es tun. Sie warten quasi darauf, dass man ihnen zustimmt, dass dies schöne und erlaubte Dinge seien, bevor sie fortfahren. Die älteren haben damit allerdings weniger Probleme.

Insgesamt merkt man den normalen Menschen dort an, dass es ihnen aberzogen wurde, eigene Entscheidungen zu treffen. So ist es kaum möglich, Arbeiten zu delegieren. Trotz bestehender Zwischenhierarchien ist es beispielsweise so, dass alle zu mir kommen, wenn Sie auch nur ein paar Gummibänder, Kopien etc. benötigen. Obwohl ich jedes Mal erklärt, dass es nicht nötig ist, mich zu fragen, und wenn, dann die dafür zuständigen Personen. Es bleibt mehrheitlich bei diesem Verhalten. Im Zuge von Recherchen meinerseits, warum die Leute sich so verhalten, treffe ich auf viele tiefenerschütterte Menschen/ Biografien, deren Verhalten aufgrund von Folter (meist durch die Taliban verübt) erklärbar scheint.

Sie wollen kein Risiko mehr eingehen, haben schlicht Angst etwas falsch zu machen. Abgesehen davon schmücken Afghanen sich gerne mit der Nähe zu so genannten Autoritäten. Es ist zum Beispiel nicht möglich, dass ich mich nach hinten ins Auto setze. Mein Assistent meint dann immer, mir gebühre der Platz vorne. Als ich ihm dann sage, dass das für mich keine Rolle spielen würde, sitzt er manchmal vorne und hat es sichtlich genossen.

Selbstverständlich gelten für uns Regelungen, die Kultur des Landes zu respektieren und uns dementsprechend anzupassen. Das bedeutete für Frauen ein Kopftuch und für uns alle keine Kleidung, die allzu viel Haut zeigt. Ein T-Shirt ist für Männer das höchste der Gefühle. Eine kurze Hose, allein aus ästhetischen Gründen zweifelhaft wie ich finde, sollte vermieden werden. Zudem gibt man als Mann einer Frau (vice versa) nicht die Hand zur Begrüssung. Selbst wenn eine gemischte Gruppe Afghanen vor einem steht werden nur die Männer so begrüsst.

Es ist manchmal wirklich nicht so einfach, den eigenen Kulturkreis hinter sich zu lassen. Deshalb bin ich später dazu übergegangen die Begrüssung ortsüblicher zu gestalten, meine rechte Hand auf meinen Brustkorb zu legen, leicht meinen Kopf zu neigen und „Salaam“ zu sagen (Kurzformel für „Salaam aleikum“). Auch muss man darauf achten, dass man zum Beispiel nicht bei geschlossener Tür mit der Putzfrau in einem Raum ist. Das könnte zumindest Spekulationen oder Schlimmeres verursachen, die „selbstverständlich“ zuerst zu Lasten der Dame gehen.

Alle diese Verhaltensweisen, wie auch die permanent präsente Mann-Frau-Problematik sind natürlich und zum Glück weit entfernt von unserer Gesellschaft. Gerade auch die inhaltliche Ferne diesem Thema gegenüber lässt mich oftmals nur schwer mein Verhalten danach auszurichten, wenngleich es natürlich richtig ist, die örtlichen Gegebenheiten zu respektieren.

Noch eine kleine Geschichte dazu. Die Schwester einer bei uns angestellten Afghanin heiratet und wir sind eingeladen. Zu diesem Zeitpunkt ist die Sicherheitslage noch nicht so angespannt, und für uns ist es ein Gebot der Höflichkeit. Spannend ist es sowieso. Die Feierlichkeiten ziehen sich über mehrere Tage hin, selbstverständlich feiern auch hier Männlein wie Weiblein getrennt, sprich zu anderen Zeiten. Wir sind zum Essen geladen, was dann so aussieht, dass am Eingang zum Hof des Hauses eine mobile Waschmöglichkeit aufgebaut ist. Dort kann man sich säubern, um dann in den Vorhof des Hauses zu gelangen.

Zu einer solchen Speisung kann wohl jeder erscheinen und als wir kommen, sind ca. 300 Leute da, nur Männer und männliche Kinder, eine unfassbare Stille. Mein erster Gedanke ist der an ein Missverständnis es handelt sich wohl doch nicht um eine Hochzeit, sondern um einen Beerdigung. Wir werden dann in einen Raum geführt (natürlich ohne Schuhe) in dem Kissen an den Wänden lang verteilt sind, um darauf Platz zu nehmen. Der Raum ist gut gefüllt und trotzdem wird kaum und wenn dann leise geredet. Ich frage den übersetzer, ob dies wegen uns so sei oder normal ist, und er antwortet, dass sei immer so. Wir bekommen etwas zu essen, Reis mit etwas Huhn und Brot. Kaum Gespräch, nach dem Essen wird aufgestanden und gegangen und die nächsten kamen.

Vielleicht ist die Stimmung aber auch so, da man davon ausgehen muss, dass die Hochzeit nicht durch die Ehepartner, sondern durch die Väter derselben arrangiert wurde, sprich: Der Mann hat die Frau gekauft. Das hat zur Folge, dass junge Damen oft bei alten Herren landen, da nur diese in der Lage sind, den Preis aufzubringen. Keine schöne Vorstellung, und wie ich ganz subjektiv finde eine Erklärung für die Grabesstimmung, wenngleich auch wohl nicht die Richtige.

Am Abend dann, nachdem die Herren „gefeiert“ haben, dürfen die Damen, damit auch eine internationale Kollegin, feiern. Es wird sogar getanzt und meine Kollegin macht Bilder der Braut, die alles andere als amüsiert wirkt, aber vielleicht ist auch dies nur eine Bewertung, entsprungen aus einem westlich-arroganten Vorurteil meinerseits. Ich werde die nächsten Wochen der Vorbereitung auf den E-Day (am gleichen Tag, als Deutschland Merkel wählte) und die Zeit danach verkürzen und nur einige kleine Geschichten zum Besten geben.

Auf der Suche nach der Location ist anvisiert, eine Schule zu nutzen. Zwar läuft der Schulbetrieb noch, doch muss ich den Ort sehen und ihn ausmessen, um mit der Planung des Zentrums beginnen zu können. Eines Nachmittags besuche ich, zusammen mit einem Officer eines merkwürdigen Sicherheitsvereins, der für uns arbeitet, die Schule. Es ist gerade Pause, was ein „Hallo gab. In sekundenschnelle haben wir eine Traube Heranwachsender jeglichen Alters um uns herum. Alle neugierig und ca. tausend Mal ein „Hello, Sir mit einem Grinsen und „Hello beantwortet. Man will mit uns sprechen. Dann werden wir ins Lehrerzimmer geleitet, und ich stelle mich dem Direktor vor.

Ein älterer, natürlich bärtiger Herr, mit diesem typischen Wickel, korrekt ist natürlich Turban, auf dem Kopf. Sehr sympathisch, weil sachlich (und das ist eher selten), schildert er seine Probleme mit der Umsiedlung der Schüler. Ansonsten ein Lehrerzimmer, wie ich es mir als Schüler erwünscht hätte. Ein ca. 50 Quadratmeter grosser Raum, an der Wand ausgelegt mit Kissen auf Podesten und komplett überfüllt mit dem Lehrkörper. Ausser dem Direktor fast nur Frauen, keine in Burka, nur ein Tisch, keine Stühle, Tee und allenthalben geschäftige Gemütlichkeit. Natürlich sind wir die Hauptattraktion.

Die Umsiedlung der Schüler soll durch uns organisiert und Zelte sowie Mobiliar dafür gestellt werden – wie wir es mit dem Deputy Governor verabredet hatten. Ein fairer Tausch, immerhin müssen die Kleinen jetzt in Zelten unterrichtet werden, weil wir das Count Centre dort errichten. Allerdings habe ich den Eindruck, dass die Schule, die in der russischen Besatzungszeit erbaut wurde, auch nicht weniger luftig ist als ein Zelt. Kein Glas in den Fenstern, und das Mobiliar hat nur wenig unbeschadet die vergangenen Jahre überstanden. Das heisst:

Es ist keines vorhanden. Auch deswegen verbleibt das von uns gestellte Mobiliar (so werden auch alle Wahlstationen, mehr als 700 in dieser Provinz, mit Mobiliar ausgestattet), wie natürlich auch die von uns eingesetzten Scheiben in dieser und anderen Schulen und Einrichtungen. Kostenlos natürlich.

Der oben erwähnte Sicherheitsverein beschäftigt anscheinend ausschliesslich ehemalige Soldaten irgendwelcher Sondereinheiten. Die ganz Harten. Mehrheitlich Britten. Ein seltsamer Menschenschlag, dessen Existenz ich nur aufgrund von Filmen wie Rambo oder so bisher erahnte. Killer eben, die gern mal von ihren Einsätzen erzählen, damit prahlen, dass sie circa tausend Methoden kennen, einen Menschen mit den blossen Händen zu töten, und wenn es ganz Dicke kommt auch mit der Anzahl der Getöteten. Auch da ist nicht jeder gleich, aber ich habe selten so unsympathische Karikaturen getroffen. Hier ist auch ganz deutlich ein Unterschied zu normalen Soldaten zu bemerken Die, die ich bisher getroffen, erscheinen weit mehr in einer Zivilgesellschaft eingebettet zu sein, sind eben zivilisierter.

Dann müssen wir das Training im „Counting“ der Arbeitnehmer (mehr als 300) organisieren. Das ist ein kompliziertes Verfahren, ausgerichtet an den Grundsätzen, eine völlig anonymisierte Stimmabgabe zu gewährleisten und natürlich auch den Prozess für die Observer und Kandidaten transparent zu gestalten, um Vertrauen zu schaffen. Das ist natürlich in einem solchen, korrupten Land mehr als schwer. Die anonyme Stimmabgabe ist einer der wichtigsten Punkte, denn alle Commander interessieren sich vehement für die Stimmabgabe in ihrem Herrschaftsbereich.

Wir haben zwei Wahlzettel (für jede Wahl einen), beide DIN A 3 gross mit insgesamt 151 Kandidaten. Darauf ist der Kandidat mit einem Bild, seinem Namen, einer Nummer und zusätzlich für die Analphabeten einem Symbol abgebildet. Es gab hier eine Kandidaten- und keine Parteienwahl. Aufgrund der Grösse der Wahlzettel und der Anzahl der Kandidaten sortiern wir erst nach Kolumnen und dann nach Kandidaten einer Kolumne. Ein langes Verfahren, allerdings hat z.B. Kabul den logistischen Horror eines achtseitigen DIN A 3 Wahlzettels zu bewältigen, mit „Ich- weiss- nicht- wie-vielen“-Kandidaten.

Das Training ist eine sehenswerte Veranstaltung. Mehrheitlich bärtige und turbantragende Männer, die früh morgens – wie des öfteren am Tag – erstmal ein Gebet einschieben müssen, um anfangen zu können. Die Damen erscheinen natürlich in Burkas (blau oder weiss), wobei die weissen für die jüngeren Damen sein sollen. Allerdings weiss der Assistent zu berichten, dass viele Familien kein Geld für mehrere Burkas haben, insofern sei es immer ein Ratespiel, ob alt oder jung darunter zum Vorschein kommt. Im Gebäude fallen dann die Hüllen.

Selbstverständlich haben sie auch dann noch irgendeinen handlicheren Schleier dabei, zumindest aber kann man die Gesichter sehen. Wie mein Assistent weiter berichtet begrenzt die Anzahl der Burkas, auch die Zahl der weiblichen Familienmitglieder, die zeitgleich auf die Strasse gehen können. Das findet auch er zum Lachen, wahrscheinlich aber aus anderen Motiven. Alles in allem ist dies ein grosser Spass. Die Afghanen sind interessiert, offen, freundlich und voll dabei, mit Ausnahme der krank/schwach wirkenden (einige!), die einem das Bild zu der Statistik lieferten, dass die durchschnittliche Lebenserwartung hier zwischen 43 und 45 Jahren liegt.

Die Zeit der Anlieferung der Wahlurnen und damit die Auszählung rückt näher. Aufgrund der grossen Entfernungen und der fehlenden Infrastruktur werden die Wahlzettel/Wahlurnen mit LKWs, Pferdekarren und Transportesel zu uns transportiert. Gleichzeitig fangen die ca. 300 Arbeitnehmer an zu arbeiten, und die 151 Kandidaten oder ihre Observer plus internationale Observer (z.B. der EU) kommen auch jeden Tag, um den Prozess zu begutachten.

Zu den Kandidaten: In dieser Provinz sind wohl mehr als 90 Prozent der Kandidaten Analphabeten, was im Vergleich mit anderen Provinzen anscheinend ein guter Schnitt ist. Es gibt eine Frauenquote, und die weiblichen Kandidaten sind durch die Bank weg besser gebildet und waren mehrheitlich in der Zeit der Taliban im Ausland.

Unter den Herren gab es ca. 20 bis 30 Mächtige. Commander. Das führt zu Spannungen, bis hin zu Morden, versuchten Tötungen und selbstverständlich zu Bedrohungen. Die Tötungen sind unter anderem dem Umstand geschuldet, dass das afghanische Wahlgesetz eine seltsame Regelung beinhaltet. Wenn jemand vor dir, egal warum, ausscheidet, rückst du auf seinen Platz vor. Die Damen bleiben gelassen und versuchen meines Wissens nach nicht, sich gegenseitig zu beseitigen, und von den Herren droht ihnen aufgrund dieser Regelung keine Gefahr, da ein Mann keine Frau ersetzen kann. Die Herren jedoch spielen diese Karte.

Die Drohungen treffen auch uns. Das ist schon seltsam, und beim ersten Mal frage ich erstaunt meinen übersetzer, ob ich gerade bedroht worden sei. Er antwortet, dass man das durchaus so verstehen könne. Die ersten Tage sind somit nicht leicht und bringen einen guten Schnitt, allerdings habe ich oftmals den Eindruck, dass die Drohungen weniger für mich, als für die Zuhörer gedacht sind. Die Herren müssen sich ein wenig wichtig tun vor der versammelten Commanderkonkurrenz.

Danach kühlt sich die Lage etwas ab und wird erst zum Ende der Auszählung wieder brisanter. Für mich bedeutet diese Situation unablässiges Reden in einem Land der Rudelbildung. Meint: Kaum hat sich ein Gespräch mit einem Kandidaten ergeben, stehe ich umringt von ca. 50 Leuten, die alle irgendwas zu klären haben. Die Tatsache, mehrheitlich Analphabeten vor sich zu haben, die zum ersten Mal so einen Vorgang erleben, und das sehr komplizierte Verfahren der Auszählung erleichtert die Sache auch nicht wirklich. Ausserdem ist dem Misstrauen Allem und Jedem gegenüber in einer solchen korrupten Gesellschaft schwer etwas entgegenzuhalten.

Ich brauche auch ein wenig Zeit zu verstehen, wie Kommunikation verläuft, wie die Leute reden. Zum Beispiel geschieht es, dass einer unserer übersetzer genervt (wie wir) von einem Commander ist, der sich gegenüber meiner Kollegin tagelang aufregt. Er sagt dann urplötzlich etwas zu dem Herren, und dieser hält inne und entschuldigt sich. Was war geschehen? Wir fragen ihn (da er ja auch eigentlich nur übersetzen soll, auch damit die übersetzer selbst nicht in die Schusslinie geraten) und er berichtet, dass er dem Commander sagte: „Dein Grossvater war ein guter ehrenvoller Mann, dein Vater ist ein guter ehrenvoller Mann, warum nur verhältst du dich so?“. Tatsache ist, er kennt weder den Gross- noch den Vater des Herren, aber es wirkt.

Am Ende hilft ein vielleicht etwas seltsamer Humor, ein guter Verdrängungsapparat, der mit Hilfe des Arbeitsstresses ein pausenloses Nachdenken über die Sicherheitsrisiken vermeidet. Anders geht es, glaube ich, auch nicht. Wenn man sich zum Beispiel pausenlos vor Augen halten würde, dass das Wachpersonal (afghanische Polizei) des Count Centre schlecht bezahlt und aus guten Gründen durch und durch korrupt ist, könnte man nicht mehr arbeiten. Denn klar und sogar einigermassen verständlich ist, dass diese Leute eher nichts im Fall des Falles für uns tun. Später ersetzen wir die Polizei deshalb auch durch afghanischem Militär, das besser organisiert ist und zumindest den Eindruck machte, nicht korrupt zu sein.

Zur Verdeutlichung, was sich dort noch abspielt und warum man Humor benötigt, eine der „schönsten“ Szenen. Wer das nicht witzig findet Wieder einmal erscheint mein „Lieblingscommander“ (ein wirklich gefährlicher Mensch) und beschwert sich. Natürlich haben wir ihm wieder Stimmen geklaut, denn schliesslich haben alle Bewohner seines Machtbereichs für ihn gestimmt – wie er zu wissen glaubt. Nun, das ist ganz offensichtlich nicht so, bringt uns aber viel Gespräch mit dem Herren ein. Diesmal ist er jedoch nicht nur in Begleitung seines Beraters (ein Mullah, der lesen und schreiben kann), sondern zusätzlich mit einem anderen Commander erschienen.

Dieser ist etwas smarter, auch gebildeter, allerdings nicht weniger kompliziert im Umgang. Auch dieser behauptet, wir hätten ihm Stimmen geklaut. Beide sind der Meinung, dass wir in einem Batch (es wurde, um die Sicherheit des Wählers/ der anonymen Stimmabgabe zu garantieren, nicht Wahlstation für Wahlstation ausgezählt, sondern mehrere aus verschiedenen Bezirken gemischt, das nannte sich dann Batch) jeweils dem einen und dem anderen Stimmen geklaut haben, um sie dann dem jeweils anderen Kontrahenten zuzuschlagen.

Das ist eine übliche Beschwerde und kompletter Unsinn. Also reden wir, bis ich irgendwann merke, dass sie sich nur noch miteinander streiten, und frage daher meinen übersetzer, ob die Herren noch mit mir sprechen würden oder ob ich mich anderen Aufgaben widmen kann. Daraufhin übersetzt er das Gespräch, ohne dabei erstaunt zu wirken, eher so, als ob die beiden gerade über das Wetter reden. Also, C1 verspricht C2, ihn noch vor Ende der Auszählung umzubringen, C2 gibt C1 das gleiche Versprechen. Ich bin doch überrascht, das das so öffentlich ausgetragen wird, werde dann aber durch das Handyklingeln (es gibt dort zwei Netze, und die Commander können sich das natürlich auch leisten) des C2 überrascht und muss mich in eine Ecke stehlen, da ich vor Lachen nicht mehr an mir halten kann. C2 hatte als Handyton die Miss Marple Filmmusik.

Das habe ich wirklich nicht erwartet. Am Ende der Welt, diese Musik in einer solchen Situation! Ob einer der beiden sein Versprechen eingelöst hat, ist mir nicht bekannt. Irgendwie geht das dann vorbei, und ich erspare dem Leser weitere Geschichten, mit Ausnahme der Feststellung, dass der Kontakt mit den normalen Afghanen ein sehr guter und oftmals auch angenehmer ist. Eher als unschön zu bezeichnen ist der Umgang mit den Mächtigen, die in einem solchen Land natürlich wenigen Kontrollmechanismen unterliegen und deshalb ihren Despotismus ungehemmter ausleben können und es auch tun.

Da der Landweg immer noch zu gefährlich scheint, fliege ich mit einer kleinen Maschine nach Kabul. Es gibt in Maymana eine Sandpiste für kleinere Flugzeuge, die erst einmal die Landebahn überfliegen. Dabei prüfen sie, ob etwas „faul“ ist, um dann gegebenenfalls im zweiten Anflug zu landen. Ich bin glücklich, diesen Ort verlassen zu können, glaubte ich zeitweise doch, für immer hier festzusitzen. Kurze Anfälle klaustrophobischer Art. Kurz in Kabul gewesen, um weiter in den Südosten zu reisen und in einem anderen Count Centre auszuhelfen. Nach der Vorhölle nun die Hölle Taliban-Area. Zum Glück nur kurz.

Gerade auch in der Zeit des Ramadans merkt man Unterschiede zwischen Nicht-Taliban und Taliban-Gegenden. Natürlich sind wir angehalten, den Ramadan zu respektieren, was unter anderem bedeutete, in der öffentlichkeit zur Tageszeit „nichts die Lippen passieren zu lassen“. Also, auch nicht rauchen oder Wasser trinken. Im Norden sind die Afghanen teilweise zu mir gekommen und haben gesagt, ich könne ruhig rauchen (in der Zeit beinahe Stresskettenraucher), denn immerhin sei ich ja nicht ihrer Religion angehörig.

Das ist im Süden eher undenkbar und riskanter. Ohnehin ist der afghanische Islam ein sehr alter und wirkt aus meiner subjektiven Sicht nicht expansiv ausgerichtet. Auf jeden Fall sollte man auch nicht leichtfertig die Taliban mit ihrer Interpretation des Glaubens für mehrheitsfähig halten. Obschon mir natürlich klar ist, dass eine offene tolerante Zivilgesellschaft etwas anderes ist. Die wenigen, aber leider zunehmenden Selbstmordattentate in Afghanistan sind zum Beispiel auch darauf zurückzuführen, dass der afghanische Glaube dies eigentlich ablehnt.

Nebenbei bemerkt ist dies das erste islamische Land, indem ich als Deutscher auf Sympathien traf, die nicht auf Hitler bzw. antijüdischen Motiven beruhten. Vielmehr bezogen sich diese auf die alten wirtschaftlichen und kulturellen Verbindungen zwischen Deutschland und Afghanistan. Deutschland gilt den Afghanen als objektiver Vermittler, ohne eigene imperiale Ziele zu verfolgen. Dann Kabul, „Guesthouse“ (das wie ich jetzt gehört habe den letzten „Riots“ vollständig, bis auf die Grundmauern, zum Opfer gefallen ist) und nach einer Woche Papierkram ab nach Dubai.

Vielleicht bezeichnend, dass einige von uns dort längerfristige Jobs angeboten bekommen haben und niemand geblieben ist. Ich denke mir, dass es Zeit ist, mal wieder etwas Schönes zu sehen, kein solches Elend mehr, und ich glaube, da geht es mir nicht alleine so.

Noch eine kleine Episode aus einem anderen, reichen, islamischen Land. Als ich auf der Rückreise in Dubai ankomme, habe ich mehr als zehn Stunden Aufenthalt. Es ist immer noch Ramadan. Bereits vor dem Flughafengebäude werden ich und andere Ausländer von Passanten darauf aufmerksam gemacht, dass wir Probleme bekommen könnten, da wir rauchen. Also aus. Dann fahre ich mit einem Taxi durch die Stadt und an den Strand, um etwas von Dubai zu sehen. Alle Essläden, auch Fast-Food-Ketten, sind bis Sonnenuntergang geschlossen, doch ich habe Hunger. Also frage ich vorsichtig den Taxifahrer, ob dies möglich sei.

Er meint, wir würden das hinbekommen und steuert einen Drive-In an, der allerdings geschlossen ist. Hinter dem Gebäude stehen zwei weitere Autos mit heruntergelassenen Gardinen. Ich schleiche zur Ausgabe, bekomme tatsächlich etwas, und der Taxifahrer besteht darauf, dass in seinem Auto gegessen wird. Da stehen wir nun, drei Autos, in denen heimlich gegessen wurde. Wie beim Drogenkauf oder so, denke ich und bin schwer genervt von so wenig Toleranz Andersdenkenden gegenüber. Soviel dazu und wie bereits am Anfang geschrieben, wer in irgendeiner Weise enttäuscht wurde, darf gerne nachfragen.

Text: Kugel

 

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