Januar 8th, 2019

LEBENDEN TOTEN (#186, 2017)

Posted in interview by Jan

Die Band „Lebenden Toten“ wurde 2001 in Portland (Oregon) gegründet und spielt einen apokalyptischen Mix aus Crust, Noise, Punk und Hardcore. Kreischender Gesang trifft auf fettes Hardcore-Durchgebolze und permanente, nervtötende Rückkopplungen. Nachdem es in den letzten Jahren ruhiger um die Band geworden ist, haben sie sich jetzt in 2016 und 2017 wieder mit einigen Neuveröffentlichungen und ihrer ersten Europatour zurückgemeldet. Nach dem ausverkauften Gig im Berliner ACUD habe ich mich mit Frank (Gitarre) und Chanel (Gesang) über die neuen Platten, die Tour, das Thema Selbstvermarktung und den Information-Overkill im digitalen Zeitalter unterhalten.

Wir sitzen hier nach eurem Konzert im Berliner ACUD. Wie hat euch alles gefallen? Die Show, das Publikum, die Bands, mit denen ihr zusammengespielt habt und die Leute, die den Laden hier schmeißen.

Chanel: Großartig, wir wurden von allen sehr gut behandelt.

Frank: Ja, die Show war super. Und die Person, die die Show gebucht hat, Christian (Static Shock Musik/ Diät), ist seit vielen Jahren einer unserer Freunde. Es ist toll, ihn wiederzusehen und er hat hier einen super Job gemacht. Seine Band „Diät“ hat den Abend eröffnet und sie sind wunderbar. Ich habe zwar kaum etwas gesehen, weil es so voll war, aber was ich gehört habe war großartig. Touren in Europa ist ganz anders als in den Staaten, es ist viel gastfreundlicher.

Seid ihr nicht zum ersten Mal in Europa?

Chanel: Nein, wir kamen vor etwa 15 Jahren mit unserer Band „Atrocious Madness“ schon einmal hierher. Ich war damals an der Gitarre und Frank am Gesang. Wir haben also getauscht.

Aber mit „Lebenden Toten“ ist es das erste Mal?

Chanel: Ja, das ist jetzt das erste Mal für diese Band.

Frank: Es gibt uns jetzt ungefähr 16 Jahre.

Für mich war es gar nicht einfach, Platten von Euch aufzutreiben. Ich habe Euch etwa vor 5 Jahren irgendwo im Internet gefunden und dann in allen möglichen Plattenläden in Berlin versucht, was von euch aufzutreiben, aber die Leute kannten Euch nicht und es gab auch keine Platten. Deswegen bin ich so positiv überrascht, dass heute so viele Leute gekommen sind.

Chanel und Frank: Ja, wir haben schon seit 7 oder 8 Jahren nichts mehr rausgebracht.

Chanel: Was du im Internet findest, ist alles alt.

Frank: Die alten Platten sind alle ausverkauft.

Und die neue Scheibe ist die 12„ „Static“, die es auch auf Bandcamp gibt?

Chanel: Genau, „Static“ ist eine der neuen. Aber wir haben auch eine neue LP „Mind Parasites“, eine neue Flexi Disk 7„, die „At The Window“ heißt und einen Song auf einem Sampler, der letztes Jahr erschienen ist.

Ich habe jetzt im Vorfeld nur die „Static“ über Bandcamp gefunden.

Frank: Das ist interessant. Normalerweise veröffentlichen wir die Sachen selbst oder das mit uns befreundete Label Wicked Witch aus Amsterdam oder unser Freund aus Japan von Overthrow Records. Und weder wir noch die beiden Labels haben irgendeine Internetpräsenz. Alles, was Du im Netz findest ist von Leuten außerhalb der Band. Aber „Static“ haben wir jetzt auf dem Label „Iron Lung“ von einem Freund rausgebracht, den wir auch aus „Atrocious Madness“ Tagen kennen. Er kam mit der Idee zu uns, eine 12„ zu machen, mit nur einem Lied auf einer Seite und einer Radierung auf der anderen und künstlerischen Postkarten dabei. Es ist aber das erste Mal, dass wir dadurch auch etwas im Netz veröffentlichen. Und es ist spannend, dass viele Leute dann genau darauf als Erstes stoßen. Aber normalerweise stellen wir von uns nichts online.

Gibt es einen bestimmten Grund, warum ihr nichts ins Netz stellt? Das ist ja für viele aktuelle Bands eher ungewöhnlich.

Frank: Ich mag Facebook nicht und alles, was mit Social Media zu tun hat. Klar, würde es für uns Sinn machen, auch im Internet präsent zu sein, damit die Leute mehr von uns erfahren. Aber gleichzeitig – wobei, das ist nur meine persönliche Meinung – setzt die Veröffentlichung im Internet die Wirkung herab von dem was man produziert. Ich denke, die Frage, wie man veröffentlicht hängt auch davon ab, welche Wirkung man erzielen möchte. So wie wir momentan arbeiten, sind wir sehr auf die Produktion fokussiert. Unsere Musik ist nicht schwer zu bekommen. Du musst uns nur einen Brief schreiben – dann können wir dir Platten oder T-Shirts schicken. Oder du schreibst den Labels. Es sollte halt eine Intention dafür geben. Es gibt dem Ganzen mehr Bedeutung und einen persönlicheren Fokus, wenn du etwas bekommst, das du nicht einfach nur beiläufig aufgabelst. Aber andererseits müssen wir auch nicht viel machen, denn viele andere Leute stellen Musik oder Liveaufnahmen von uns online.

Chanel: Ja, das ist cool, zu sehen, wie das passiert, dass Leute von sich aus Material von uns online stellen. Mir gefällt das sehr.

Das macht Euch natürlich auch sehr grenzübergreifend bekannt. Das Publikum heute war ja auch sehr international.

Frank: In der Punk- wie auch in der Metal Szene ist es eh normal, dass Leute Informationen teilen und es ist leicht auf Bands wie uns zu treffen. Punks suchen aktiv nach solcher Musik, die wir spielen, auch über Fanzines. Wir werden auch mit vielen Bands in Verbindung gebracht, die etwas Ähnliches machen wie wir.

Chanel: Ich tue mich immer schwer damit, über Selbstvermarktung nachzudenken. Eigentlich denke ich nie darüber nach. Wir wollen einfach nur die Musik machen, wir machen gerne die Shows, das Artwork der Alben und diese Sachen. Das ist es, was uns wichtig ist, aber die Vermarktungsseite spielt für uns keine große Rolle.

Frank: Wir sind beide schon etwas älter (lacht), und so sind wir auch groß geworden: Du machst Kunst, du bringst es raus und irgendjemand findet es. Ich habe Punk niemals damit verbunden, Werbung zu machen und dem Versuch, Leute auf dich aufmerksam zu machen. Und wir beide sind letztlich damit aufgewachsen, nach Sachen zu suchen und dann begeistert zu sein, wenn wir sie gefunden haben – und auch damit, nicht alles schon zu kennen. Ich glaube, viele Dinge gehen verloren, weil Leute denken, dass sie eh schon alles wissen über ein bestimmtes Genre, eine Band oder eine Kunstbewegung. Die Informationen sind heute so leicht verfügbar, aber ich denke, dass sie nicht komplett aufgenommen werden und dass dadurch einiges verloren geht. Wenn du hingegen etwas findest, das dich wirklich interessiert, suchst du dir auch viel mehr Informationen aktiv dazu raus. Es hat dann eine größere Bedeutung als etwas, dass man nur beiläufig irgendwo aufschnappt.

Die Europa Tour ist fast vorbei und es stehen nur noch zwei Shows an. Wie lief es bisher?

Chanel: Es war verdammt großartig! Ganz anders als vor 15 Jahren, aber es macht total Spaß und alle sind supernett zu uns. Wir sind total froh, auch darüber, mit so vielen anderen coolen Bands zusammen gespielt zu haben.

Habt Ihr auf der Tour neue Bands entdeckt, die Euch gefallen haben?

Frank: Es gab da eine Band, mit der wir in Kopenhagen gespielt haben – „Exotica“, die hat mir sehr gefallen. Ein paar Konzerte haben wir mit unseren Freunden aus Portland „Long Knife“ gespielt und auch mit einer Band, die wir aus Texas kennen, die „Butcher“ heißen. Es war super, viele Leute zu treffen, die wir schon seit der letzten Tour vor 15 Jahren nicht mehr gesehen haben. Heute haben wir z.B. einen Typen getroffen haben, der uns als „Atrocious Madness“ mal bei einem Reggae Festival an einem See in Serbien gebucht hat, was eine der absurdesten Sachen war, die wir je gemacht haben. Es ist wirklich inspirierend und großartig zu sehen, dass all die Leute von früher immer noch da sind.

Wie bleibt Ihr denn in Kontakt mit den Leuten?

Chanel: Mit manchen Leuten bleiben wir schon in Kontakt, aber bei anderen verliert man den Kontakt auch wieder mit der Zeit. Wenn man sie dann aber wiedertrifft, kommen alle Erinnerungen zurück.

Frank: Anfangs haben wir noch Briefe geschrieben, was dann aber durch E-Mails ersetzt wurde. Häufig läuft der Kontakt darüber, dass wir Platten anderer Bands vertreiben oder uns gegenseitig Konzerte organisieren. Aber es gibt schon Leute, mit denen ich seit 15 Jahren nicht mehr gesprochen habe. Persönlichen Kontakt mit Bands aus Europa gibt es nur, wenn sie in die USA auf Tour kommen. Oder wenn wir persönlich mal rüberkommen.

Chanel: Wir arbeiten viel und es ist sehr teuer hierher zu kommen. Das letzte Mal, als ich selbst in Europa gewesen bin, ist 7 oder 8 Jahre her.

Wie finanziert ihr Eure Tour?

Chanel: Wir bezahlen das alles selbst.

Frank: Wir machen Konzerte zu Hause, verkaufen Platten und T-Shirts, und das bringt etwas Geld rein.

Chanel (lacht): Wir hoffen, dass es am Ende reicht.

Und seid ihr bis hierhin gut durchgekommen?

Frank: Ja, vermutlich schon. Und wenn nicht, versuchen wir später noch etwas Geld aufzutreiben. Und wenn es nicht klappt, dann nicht… (lacht).

Gibt es einen besonderen Grund, warum ihr im ACUD gespielt habt?

Chanel: Unser Freund Christian hat die Show hier gebucht. Das ist der einzige Grund.

Frank: Wir haben nicht so viel Einfluss darauf, wo Shows gebucht werden. In der Regel läuft das über Kontakte vor Ort, die sich dann darum kümmern.

Chanel: Für uns ist es immer eine Überraschung, wo wir dann auftreten. Letztes Mal war es die Köpi.

Woher nehmt ihr die Inspiration für eure Texte?

Chanel: Die Inspiration für meine Texte kommt sowohl von persönlichen Erfahrungen als auch von dem was in der Welt passiert. Ich denke, dass die Dinge sehr miteinander verbunden sind: unsere innere Verfasstheit, die Art wie wir kämpfen und die Art wie wir von populärer Kultur und Politik beeinflusst werden. Es geht also viel um das Persönliche, aber auch um die politische Seite von Dingen, die dich als Individuum beeinflussen, in der Art und Weise wie du in der Welt funktionierst.

Frank: Bei den wenigen Sachen, die ich für „Lebenden Toten“ schreibe, handelt es sich um ziemlich eindeutige Statements für mich, aber das können Leute auch anders wahrnehmen. Es geht bei mir um das politische Klima und die Art, wie Menschen geformt werden, bzw. wie ihr Geist durch das Internet oder die Medien geformt wird.

Chanel: Es geht um die ganze populäre Kultur und die Dinge, die du da aufnimmst – die ganzen Informationen und der Einfluss, den sie auf dich haben. Und dann die Frage, was hinter den Informationen steckt, warum z.B. manche Informationen verfügbar sind und andere nicht.

Frank: Ein Thema ist auch die Frage, warum Dinge in einer bestimmten Weise präsentiert werden. Es ist ja nicht nur so, dass dir bestimmte Informationen gegeben werden, es stellt sich auch immer die Frage warum du gerade diese Information bekommst. So geht es nicht immer nur um das Thema der Information, sondern auch darum, warum sie dir gegeben wird. Ich denke, es gibt da zahlreiche Ebenen auf denen man beeinflusst und geformt wird durch Informationen, die einem zur Verfügung gestellt werden.

Aber ist das Problem heute nicht eher, dass man bei den tausenden Informationsquellen, die verfügbar sind, nicht mehr wirklich weiß, woran man sich halten kann – gerade, wenn alle etwas anderes sagen?

Frank: Ja, es ist eine komplett andere Welt, als vor 10 oder 20 Jahren noch. Damals hatte man wirklich noch begrenzten Zugang zu Informationen und jetzt gibt es so viele. Trotzdem geben viele der Quellen immer noch denselben Blickwinkel auf die Dinge wieder.

Chanel: Das ist auch etwas, worüber ich schreibe: Wie überwältigend es ist, in dieser Welt zu leben, und dass es zu fast keinem Zeitpunkt mehr möglich ist, nicht auf die vielen Informationen zuzugreifen, die du von überall bekommst. Ich denke, das ist auch ein Teil unserer Philosophie, uns nicht so sehr im Internet zu promoten und da eher ein paar Schritte zurückzutreten, und so nicht Teil dieser ganzen Informationsüberflutung zu sein. Wir lieben es, auf Tour zu gehen, unsere Musik für die Leute zu spielen, unsere Platten zu verbreiten, aber zur gleichen Zeit sind wir daran interessiert, diese Informationsüberflutung zu hinterfragen, zu sehen, warum das passiert und wie das uns alle beeinflusst. Denn es gibt da so selten die Möglichkeit mal Atem zu holen.

Frank: Viele Leute lesen ja auch z.B. gar keine ganzen Zeitungsartikel mehr, sondern sind nach der Überschrift und den ersten Absätzen gedanklich schon wieder ganz woanders. So verpassen Leute natürlich auch viel.

Ist das denn etwas, was ihr bei euch selber auch bemerkt?

Frank: Definitiv!

Chanel: Ja, das ist bei mir genauso. Ich bin sehr interessiert an dem was passiert, und da bin ich auch oft sehr überwältigt und überreizt durch die ganze Informationsfülle, die es gibt. So lese ich viele Sachen sehr schnell und oft auch vieles parallel – denn ich will alles wissen. Und dass mich das selber betrifft, ist auch ein Grund, warum ich darüber schreibe. Eben diese individuelle Erfahrung als Teil der kollektiven Erfahrung in der Kultur scheint mir sehr wichtig zu sein.

Frank: Oft wählst du heute nur unter den Dingen, die für dich schon vorhanden sind und die du bereits definiert hast und die eher deine schon bestehende Meinung wiedergeben, als einen wirklich gegensätzlichen Blickwinkel anzubieten.

Chanel: Das ist diese Filterblase, wobei du nur in einem kleinen Kreis von dem bleibst, was dich eh schon interessiert, und darüber kommst du nicht hinaus.

Frank: Es ist immer schön, wenn Leute mit deiner Meinung übereinstimmen, aber man sollte auch infrage stellen, warum das so ist.

Chanel: Um das zu umgehen, lese ich auch viele Sachen, die aus fragwürdigen Quellen kommen, wie z.B. rechtsradikale Medien, um zu sehen, was da so abgeht und womit ich nicht übereinstimme. Das ist gruselig, aber gleichzeitig denke ich, dass es wichtig ist, auch zu sehen, wie andere Leute denken.

Ich denke auch, dass es wichtig ist, den Blickwinken gelegentlich mal zu wechselt. So lese ich z.B. oft Biografien von Leuten, die ich nicht mag.

Chanel: Wenn man das nicht macht, verliert man den Bezug zur Welt.

Frank: Und es ist gut, um sich daran zu erinnern, warum man an bestimmte Dinge glaubt und an andere nicht.

Danke für das Interview.

Interview/Text: Michael Rösener

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