September 3rd, 2013

LAGWAGON (#156, 10-2012)

Posted in interview by jörg

„Would you stop worrying about the punks? They’re just a bunch of kids with growing pains, and they’ll probably be doctors and lawyers someday.“

Interview mit LAGWAGON

 

Lagwagon muss man nicht vorstellen. Ebenso wenig den Hinweis inkludieren, von welchem Song das Intro-Zitat in der Überschrift stammt. Wohl eher müsste man sich dahingehend positionieren, warum man die Band für so wichtig hält, dass sie hier im Trust auftauchen. Ahhh, die 90er… Melody-Punk, Millencolin, Green Day, Offspring, Rancid. MTV. Nirvana. Hamburger Schule. Rap. Rage against the machine. Fanzines. Briefe. Und natürlich Lagwagon.

Es ist schon lustig, dass sie es (wieder) gibt. Wo sind eigentlich ihre Kritiker heute von wegen „Die Band wäre kommerziell, sexistisch“? Wahrscheinlich Doktoren oder Anwälte geworden. Ich erinnere mich noch gut an einen Text im Blurr Fanzine, nach dem die Band sich ihrer Übernachtungs-WG total scheisse aufgeführt hätte. Ist natürlich nicht cool. Hat mich als Fan schon betroffen gemacht. Ist abgeheftet, muss ich mal Carsten bei Gelegenheit fragen, was da vor 17 Jahren genau los war.

Auf jeden Fall: Mir gefällt Lagwagon. Musik und Texte. Ihre Version von melodic-Hardcore mit diesem gewissem kalifornischen Vibe, besonders auf den ersten drei Platten „Duh“, „Trashed“ und der „Hoss“ plus der wirklich genialen „Let´s talk about feelings“ EP. Das Debüt ist ein Gefühlsspeicher, unzählige Erinnerungen an Parties, Urlaube und DJ-Abende unserer damaligen Konzertgruppe in den 90er sind an diese Platte geknüpft.

„Angry days“, „Bury the hatchet“. Mann, habe ich das geliebt und tue es immer noch. Und ihre Texte sind gar nicht so stumpf. Eigentlich sind sie ziemlich gut. Wenngleich sie nicht politisch sind (oder gerade zum Glück deswegen, einerseits singen Punkbands oft das gleiche, andererseits will man, und das ist echt nichts gegen die Band, sicherlich keine politologischen Analysen aus dem Hause von Lagwagon hören). Es geht ihnen – so habe ich sie immer verstanden – um eine distanzierte, melancholische und leicht Jawbreaker-eske, dramatische verzweifelte Haltung zur Welt. Trotz ihres lustigen Rufes – und sie sind ja auch lustig anzuschauen, der zwei Meter Gitarrist und der 1,60 grosse Sänger – kreisen ihre Songs sehr selten um saufen, Frauen, lustig sein.

Zentrales Thema sind vielmehr zerbrochene Freundschaften, Ängste, das Scheitern von Ansprüchen und der Realität und vor die Wand gefahrene Beziehungen. Und vielleicht waren sie von den frustrierten Mittelklasse-Jugendlichen, die ihre Shirts zu Millionen getragen haben, eine Art Sprachrohr, vielleicht die Tocotronic des Punks? Während die anderen Melodic-Bands mehr fürs rüpelhafte standen, für derben Sexismus und non-PC à la NOFX, waren Lagwagon dann doch eine Ebene tiefgründiger, emotionaler. Hoss darf eben auch mal weinen, wenn das braunäugige Girl „Bye for now“ sagt. Der Sound von Lagwagon ist eine Kombination von dem noch rohem Klang der RKL – „Rock´n´Roll Nightmare“ LP und Bad Religons „Suffer“-Veröffentlichung gemixt mit Agent Orange.

Lagwagon kombinierten dieses dreckige punkige (das man allerdings nur noch an den Demotape-Songs erkennt) hin zu einer perfektionierten Melange von hochkomplexen melodic-Hardcore, der aus technisch äusserst versierten Stops und Breaks besteht. Jeder Schlagzeuger sollte mal die „Duh“ nach trommeln. Dazu gesellen sich kühle Coverversion wie CCR „Bad moon rising“ 1 , Van Morrison „Brown-eyed girl“, Agent Orange „Everything turns grey“, Jawbreaker „Want“ oder Devo „Freedom of choice“.

Bilanzierend mit Blick auf das Gesamtoeuvre kann man festhalten: Lagwagon spielen zunehmend einen sehr glatten Sound, aus dem alles punkige und nicht-perfekte eliminiert wurde. Aber eine wirklich schlechte Platte haben sie bis in die jüngste Zeit nicht gemacht. Anfang der 90er aus Joey Cape´s früherer Band Section VIII entstanden, legte man 2000 die Band auf Eis, zwei Jahre später kamen sie mit der „Blaze“-Platte zurück. Interessant ist der Bandmitglieder-Transfer von dem grossen Bruder hin zu dem kleinen und zurück, d.h. zwischen Lagwagon (LW) und den Rich Kids on LSD (RKL).

So musizierte LW Gitarrist Chris Flipping („Der Lange“) auch in der letzten Reinkarnation von RKL in den 2000er Jahren mit und ersetzte dort Barry D´Alive. Derweil stieg der andere RKL- Gitarrist Chris Rest 1997 zudem bei LW ein. LW Schlagzeuger Derrick verliess die Band nach der dritten LP und trommelte fortan u.a. bei RKL. Er brachte sich 2005 um 2 (vgl. mein RKL memorial special 3, das auch ihm gewidmet war). LW verarbeiteten Derricks Tod auf der „Resolve“ Platte. Dave Raun hingegen trommelte ursprünglich bei RKL und seit 1996 bei LW, während für ihn bei RKL dann Boz Riviera trommelte. Und schlussendlich stieg 2010 der Originalbassist von LW – Jesse Buglione – aus, ihn ersetzte – Sie ahnen es schon – Joe Raposo, auch bekannt als RKL-Bassist Lil´Joe. Im Prinzip kann man also auch von R.K. LAGWAGON reden.

Die LP-Discographie der Band sieht folgendermassen aus: DUH (1992), TRASHED (1994), HOSS (1995), DOUBLE PLAIDINUM (1997), LETS TALK ABOUT FEELINGS (1998), LET`S TALK ABOUT LEFTOVERS 4 (2000, Doppel-LP), BLAZE (2003), RESOLVE ( 2005), I THINK MY OLDER BROTHER USED TO LISTEN TO LAGWAGON (2008, EP mit sieben Songs). Ach so, die ganzen Fussnoten haben einen Grund: wie erwähnt wirft man gemeinhin Lagwagon vor, eine oberflächliche Spass-Band mit totalen Blöd-Texten zu sein, das ist nicht fair. Joey Cape hat man wohl erst dann als „guten Texter“ akzeptiert, seitdem er solo auftritt, dabei schrieb er vorher nicht schlechte Texte für seine Hauptband.

Die ersten fünf Platten wurden mit zahlreichen Bonusdemosongs auf ihrem Hauslabel Fat Wrech Chords als Boxset wiederveröffentlicht. Dazu gab es auch in der Frankfurter Batschkapp („Schiebermütze“ auf hessisch) einen Auftritt. Mein letztes Konzert der Band lag (wagon!) lange zurück, 1997 bei der Rheinkultur in Bonn. Ich war neugierig, wie die Band heute live klingt und ich muss sagen: (immer noch) sehr sehr geil! Direkt am Anfang „Island of shame“ und „Violins“, der letzte Song war das „Brown-eyed girl“-Cover 5 , einzig „Bye for now“ 6  fehlte). Zudem wollte ich Joey Cape fragen, wie es ihm eigentlich so geht. 7

Interview: Jan Röhlk
Fotos: Mara Luka
Kontakt: www.lagwagon.com

***

Hi Joey, wie kam es zu der Wiederauflage des eures Backkataloges?

Joey: Wir sprachen seit einigen Jahren darüber, ob wir die Idee eines „Greatest Hits“ Albums aufgreifen sollten und erkannten dann, dass es zwei Gründe gibt, es nicht zu machen. Zum einen haben wir keine echten Hits. Ja, es gibt Songs, die die Leute gerne hören, die sind Teil des regulären Sets, aber wir hatten jetzt auch nie Radio- oder Video-Hits, vielleicht einfach deswegen, weil unsere Videos immer mit einem Budget von null Geld gemacht wurden, ha ha.

Und zum anderen ist es heute im digitalen Zeitalter auch so, dass die Kids in Songs denken, und ich denke eher in Alben. Eine „best of“ Platte würde signalisieren, dass dort eben unsere besten Songs drauf sind, aber ich finde, dass man sich eher die Signatur, die Zusammenstellung der Lieder auf den Platten anhören und beurteilen sollte, den Aufbau und die Reihenfolge der gesamten Kompositionen. Deshalb kamen wir auf die Idee mit dem Boxset der ersten fünf Platten 8 . Diese Neuauflagen machten einfach Sinn, da sie damals auch völlig anders gemastered wurden, eben eher für Vinyl als für CD.

Wo habt ihr die Bonusdemosongs ausfindig gemacht?

Joey: Ich bin die Person, die alles von der Band aufbewahrt. Bei den Umzügen mit meiner Frau ist die Hälfte des Krams von mir, Kisten über Kisten mit LW Material. Ich bin dann alles durchgegangen. Und wenn du einmal damit anfängst, das Material zu sichten, das ist wie die Büchse der Pandora zu öffnen. Du fängst an, dich an alte Aufnahmen zu erinnern, an frühere Leute, die mithalfen, du versteht viel mehr die Evolution der Band, zumindest war das bei mir der Fall. So von wegen „Scheisse, das Demo, das nahmen wir doch da und da auf“.

So erinnerte ich mich an Jaime, der jetzt auf einer Farm in West-Virginia lebt. Er machte unsere früheren Demos. All die Leute von damals sind nicht Teil der heutigen Facebook-Generation, es dauerte drei Jahre, alle ausfindig zu machen, aber am Ende fanden wir sie .

Wenn man beispielsweise den Song „Angry Days“ 9  in der früheren Demo- und der späteren Album-Version vergleicht, dann hört man da sehr grosse Unterschiede. Wurde die Band einfach besser oder gab es da einen Produzenten, der den Aufnahmen einen bestimmten „Drive“ verliehen hat?

Joey: Na ja, bis zu den Studio-Aufnahmen spielten wir die Songs im Vergleich zur Demo-Aufnahme ja schon häufiger, wir wurden besser und sicherer und vor allem, wenn du in einem echten Studio bist, dann stimmst du auch mal deine Gitarre richtig. Die erste LP klingt immer noch sehr harsch, wie ich finde. Aber wir hatten auch einen Typ namens Donald, der machte unsere zwei ersten Alben, baute die Mikros auf und so.

Die Demos waren auch sehr schlecht aufgenommen, auf vier Spur. Wir hatten im Studio dann Equipment, das teilweise aus dem Westbeach Studio stammte, dort nahmen die ganzen Epitaph-Bands auf, also, das war schon sehr hochwertig.

Wer schreibt grundsätzlich die Lieder und wie kommt es letztendlich immer wieder zu Songs, die nach LW klingen?

Joey: Ich weiss es nicht, es klingt halt wie es klingt, es gibt keine geheime Chemie oder Zutatenliste, die genauestens kalkuliert ist. Du hast bei Rockbands keine Kontrolle, es sind einfach fünf Leute, die das Ding machen. Bei elektronischer Musik beispielsweise kannst du das ganz anders kalkulieren und bestimmen. Wobei ich schon finde, das wir heute ganz anders wie früher klingen. Es sind ja auch neue Leute dabei.

Guter Punkt, du bist der einzige, der nie bei RKL spielte, stimmt das?

Joey: Das ist nicht ganz richtig, ok, ich war nie in RKL oder fast nie. Aber ich kannte Chris Rest und Bomber und war mit Jason Sears in einer Band. RKL waren eine wichtige Inspiration für uns, genauso für NOFX. Ich bin etwas älter als die anderen Leute und war schon recht früh in den 80er an Punk interessiert, aber wir kommen aus kleinen benachbarten Städten, aus Goleta und Santa Barbara, daher kannten wir uns natürlich. Bomber war das Genie der Band, sein Gehirn funktionierte ganz anders…

Er gewann doch auch die kalifornische Lotterie?

Joey: Ja, sein Freund gewann die, er war die Inspiration für alle.

Welche Musiker inspirieren dich heute? Es gibt diesen Trend, jetzt Bruce Springsteen gut zu finden, wegen Gaslight Anthem…

Joey: Bruce Springsteen mochte ich immer schon, aber ich würde sagen, diese ganze neue und alte Szene von der Ostküste, den New Jersey Bands, die gefällt mir, Bouncing Souls, klar, Gaslight Anthem…und tausende Bands, die mir gerade nicht einfallen…

Misfits?
Joey:
Haha, richtig, also, das stellt sicher eine Inspiration für mich dar. Und noch mal wegen der anderen Frage, du kannst einfach keine Musik machen, ohne nicht irgendwann mal vom Boss beeinflusst gewesen zu sein. Bestimmte Musiker oder Bands kannst du einfach nicht ignorieren, weil sie so zentral wichtig waren, zum Beispiel kannst du nicht Musik machen, ohne von den Beatles in irgendeiner Form beeinflusst zu sein, das ist unmöglich.

Oder die Beach Boys, die sind klasse, ich habe einfach diese „amerikanische“ Musik in meinen Blut. Ich bin Mitte der 60er geboren, deshalb, Simon and Garfunkel und all das, das sind Einflüsse, zwar keine sehr direkten, aber ich mag verschiedene Arten von Musik, RocknRoll, Folk, Song Writer-Musik.

Erinnerst du dich noch, wie ihr damals auf Fat kamt?

Joey: Wir hatten unser Demotape aufgenommen, ich lebte mit meinem Vater nördlich von San Francisco, recht isoliert. Chris lernte ich bei einem Konzert in einem Laden auf der Haight Street kennen (Anmerkung: Chris Rest betritt kurz den Raum und bejaht das). Bei einem Konzert sah ich Fat Mike und ich hatte unsere Demokassette in meiner Jackentasche oder so dabei. Ich gab die ihm, weil ich gehört hatte, dass er ein Label starten will…

Direkt am nächsten Tag klingelte das Telefon bei uns im Haus und mein Vater meinte „Da ist ein Typ am Telefon, er nennt sich äh…“Fat…Mike“??? Dieser Mensch will wohl dich sprechen?“, ha ha. Ja und er meinte, er hat das Demo gehört und wir müssten eine Platte machen. Ich rief die Band an und buchstäblich am folgenden Tag waren wir schon zur Aufnahme in Los Angeles.

Gab es nie Gedanken, das Label zu verlassen, als ihr richtig Erfolg hattet, so Mitte der 90er, als buchstäblich jeder LW Shirts anhatte? Gab es Überlegungen zu Epitaph oder zu einem Majorlabel zu gehen?

Joey: Haha, ja, wir waren eine echte „T-Shirt- Band“, das sollte der Name für unsere Autobiografie werden. Nein, die Kreise von Majorfirmen und unsere haben sich nie überschnitten, ich könnte dir jetzt über die Länge eines Buches über Kumpels in Bands, die zu Majors gingen, was erzählen. Bei Fat ist einfach so pur, so ehrlich und einfach, wir wuchsen ja auch mit dem Label auf bis heute. Es gibt da keine Formen der Korruption, das ist klasse, deshalb gab es nie die Idee, nicht mehr mit Fatwreck zusammenzuarbeiten.

Jesse, euer alter Bassist, hat LW mit einem bemerkenswerten Statement  10 verlassen. Wie entgehst du dem Konflikt von wegen „künstlerischer Stagnation“, d.h. mit Mitte 40 noch die Songs spielen, die man als junger Mensch schrieb? Durch deine Solo-Sachen?

Joey: Ehrlicherweise ist beinahe unmöglich, nicht zu stagnieren. Du kannst einige wenige Sachen unternehmen: du könntest in regelmässigen Abständen dein Set ändern, so bleibt es frisch, zum Beispiel spielen wir aufgrund der Veröffentlichung des Boxsets auf dieser Tour nur Songs von den ersten fünf Platten, das ist anders als sonst. Jetzt nur für mich selber gesprochen, ich ziehe meine kreative Stimulation nicht nur aus der Band, ich mache ausserhalb der Band noch andere Sachen.

Ich verstehe Jesse´s Punkt total, auf der anderen Seite muss man auch sehen, dass er nie was ausserhalb der Band machte, er machte immer nur LW und das, seitdem er 14 Jahre alt war, und in die Band kam. Ich musste bei unserer ersten Europa-Tour unterschreiben, dass ich auf ihn als Minderjährigen aufpassen werde, ha ha. Du musst andere Sachen machen, bei mir sind es die Solo-Sachen, ja und noch andere Bands.

Stimmt, wie läuft es eigentlich bei den Me First and the Gimme Gimmies, wann kommt euer deutsches Schlagerplatte nach dem japanischen Album?

Joey: Ich weiss es nicht, die Zusammenarbeit bei Me First ist immer total chaotisch, ha ha. Wir sprachen darüber, das ist alles, was ich dir sagen kann.

Ältere Punks ziehen gerne aufs Land, ist das bei dir auch so, wo lebst du heute, Goleta?

Joey: In einem Haus in San Francisco mit meiner achtjährigen Tochter. Sie sagte letztens den schönen Satz „I feel more country like city“ und so ist es auch bei mir. Es wäre grossartig, aufs Land zu ziehen, aber wir wohnen hier auch recht urban und die Stadt ist schon klasse. In Goleta lebte ich auch einige Jahre.

Apropos, das hat mich hat immer fasziniert, dass ihr daher kommt und Ebullition Records auch. 2004 war ich mal in der Stadt, die ist ja recht klein und ihr habt da ja schon zwei unterschiedliche Punkbegriffe: ihr mehr die „kommerziellen“ Melodic-Punks und Kent McLard vegan straight edge und total „underground“ 11 , kanntet ihr euch damals, gab es Verbindungen?

Joey: Also, die früheren Leute in der Band kamen alle – ausser mir – aus Goleta, ich war aus Montecito, daher stammen die RKL-Leute. Ich lebte aber dann später in Goleta, dort probten wir jahrelang. Kent war immer ein netter Typ, wir hatten aber keine Verbindungen, wir waren die Typen, die betrunken waren, sich herumschlugen, er machte andere Sachen, u.a. arbeitete er mit einem Typ zusammen, der das Fanzine „Reality Control“ herausgab, der war sehr wichtig für unsere lokale Szene, Jamie heisst er. Er war straight edge und gründete in der Nachbarschaft einen Punkclub, dort gab es dann kein Alkoholausschank bei den Konzerten.

Wie in der Gilman Street?

Joey: Ja genau, du kannst sagen, das war die „Gilman Street von Santa Barbara“. Er zog dann nach West Virginia, und er war auch der Typ mit den frühen Demos von uns… Lustigerweise verstanden wir uns damals nicht besonders gut, ich meine, ich kippte Tequila ohne Ende in mich rein…

Oh, da gibt es doch eure Textzeile mit „Tequila shots make it more fun“?

Joey: Ha ha, genau, „Beer googles“, ich mag den Song heute nicht mehr, der war mehr ein Joke. Auf jeden Fall, Jamie, er war ein sehr innovativer Mensch, der auch Lebensmittel aus Containern wieder aufbereitete und zusammenbastelte. Er konnte aus Müll funktionierende Sachen bauen, zum Beispiel kaputte Telefone wieder zusammensetzen, Verstärker aus Schrott bauen, er war super fit im Recycling. Heute stellt er Gitarrenpedale her, ich kaufte bei ihm mal ein Fuzz-Pedal, das ist unglaublich toll. Scheisse, wieso komm ich nicht auf seinen Firmennamen?!

Ich muss auf jeden Fall noch ein Kompliment loswerden, dieser letzte Song auf der „Let´s talk about feelings“, „The kids are all wrong“ 12 , der ist so klasse, ein echtes Meisterwerk.

Joey: Dank dir, das ist sehr nett.

Auch wenn er nicht auf den coolen frühen zwei Platten drauf war, ha. War das mit dem Piano-Intro deine Idee?

Joey: Ha, richtig. Ich glaube, dass meine andere Band – Bad Astronaut (BA)- ein Katalysator für diesen Song war. Die Idee mit dem Klavier war meine, ich liebe einfach diesen Klang…Aber ich hab es nicht gespielt, ich komme jetzt gerade auch nicht auf den Namen des Typs, Mann, wie hiess der, das gibt es doch nicht?! Es gibt jemand, der in meiner allerersten Band von vor 20 Jahren mitmachte, er war dann später bei BA dabei. Ich wollte zuerst LW auch mehr in diese Richtung entwickeln, aber ich merkte dann, nee, das muss anders sein.

Wie läuft deine Solokarriere eigentlich?

Joey: Der solo Kram kam ja später, ich versuche immer, viele Sachen zu machen, ich lebe ja nicht ewig. Ich versteh es immer nicht, es gibt Musiker, die daheimsitzen und nichts machen und nur auf die nächste Tour und die Aufnahmen für das kommende Album warten. Warum?! Man ist doch Musiker geworden, weil man die Musik so geil findet.

Da hört man doch nicht auf, Musik zu machen. Oder wenn du Maler bist, du malst zwei Bilder und sagst dann, „Alles klar, aber jetzt erst mal ein Jahr Pause“? Das ist doch seltsam, wie man sich langweilen kann, wenn man für eine bestimmte Sache eine Leidenschaft hat, es in seinem Blut hat?

Was habt ihr für die Zukunft geplant, macht ihr eine neue Platte ?

Joey: Es gibt Gespräche, wie wir das machen könnten. Aber es ist echt komisch, mit einer Band ein neues Album aufzunehmen, das aus echter Überzeugung und mit der richtigen Integrität gemacht wird, das kannst du nicht erzwingen. Du musst warten, bis du auf die Identität des Albums kommst, bist du inspiriert wirst, was weiss ich, du wachst morgens auf, und dann hast du „es“. Und wenn du es hast, musst du das ja dann mit deiner Band ausmachen, wie es dann weitergeht. Ich will nur sagen: du musst warten, bis es zu was neuem kommt.

Danke für das Interview, hier noch der Klassiekr: KISS oder AC/DC?

Joey: Wow, das ist hart. Als ich jünger war, war ich natürlich KISS-Fan und hatte alle Platten und die Kostüme. Mist, das ist eine gute Frage, wie mit „Stones oder Beatles“. Ich denke, später war ich mehr der AC/DC-Fan, sie sind echt eine der grössten Rock´n´Roll-Bands aller Zeiten.

Dann war das „Highway to hell“-Albumcover auf der „Trashed“-Collage kein Zufall?

Joey: Ha ha, richtig. Den ganzen Bon Scott-Kram liebe ich sehr.

Hast du noch ne Botschaft für unsere Leser?

Joey: Puh, Trust Fanzine, da fällt mir nichts intelligentes ein, ich bin in solchen letzten weisen Worten auch nicht gut. Vielleicht so was wie „Echte Liebe beruht immer auf Vertrauen“? Oder „Fisch ist kein Gemüse“? Das sagte ich in meiner Zeit als Vegetarier immer, die ist aber auch vorbei, deshalb kann ich das heute nicht mehr bringen, sorry, Mir fällt echt nichts gutes ein.

***

Anmerkungen:

1. 1992 im Kölner Underground (Vorband Face to Face, yeah) warteten ich und Tim G. nur auf diesen Song. Als wir enttäuscht nach der ersten Zugabe den Saal verliessen, um die 4 nach Leverkusen zu nehmen und schon draussen waren, spielten sie es doch noch. Wir direkt durch die Hintertür auf die Bühne und gestagedivet.

Später auf dem Heimweg hielt uns die Polizei an, weil wir kein Licht am Rad eingestellt hatten. Cool, wenn man sich noch genau erinnern kann. Heute eher „Ich nehme vier Bier, was trinkt ihr?“, einen Song angucken, dann draussen rumstehen, saufen, rauchen, labern. Hmh.

2. Die Memorialseite findet sich hier: http://derrickplourde.info

3. Vgl. Trust # 127 / 2007 und # 128/2008.

4. Die Platte erschien 2000 auf Joeys eigenem Label My Records und 2002 dann bei Fat Wreck Chords.

5. Dieses wunderschöne Lied von Van Morrison hat auch einen schönen Text, den ich mal in einem Liebesbrief in meiner Abi-Zeit an meine damalige Flamme (natürlich braunäugig) schrieb, geklappt hat es nur bedingt (übrigens auch nicht mit einem späteren Versuch von einem The Queers Song „Day Dreaming of you“): „Hey where did we go, days when the rain came. Down in the hollow, playin‘ a new game. Laughin‘ and Runnin‘, hey hey, skippin‘ and a jumpin‘. In the misty mornin‘ fog with our hearts a thumpin‘ at you. You,my Brown-Eyed Girl.

Now what ever happened. Tuesday is so slow, goin‘ down the old mine, with a transistor radio. Standin‘ in the sunlight laughin‘. Hidin‘ behind a rainbow wall. Slippin‘ and a slidin‘. All along the waterfall with you… Do you remember when, ah we used to sing …So hard to find my way, now that I’m all on my own. I saw you just the other day, my how you had grown. Cast my memory back there. Lord, sometimes overcome thinkin‘ bout…“ Eigentlich kein Wunder, dass es mit dem Text nicht klappte, äh ja.

6. Bye for now: „Here comes the day I see my friends far away. When I grow up inside, what will happen to me? The city sights, the business types I can see but where are you? Bye for now. Didn’t mean to let you down, didn’t mean to drive you away. Bye for now! Now that your not around, So many things I’d like to say!

See here I think I’ve found the missing link. The piece that holds us together. If I had my way I’d here you say that it’s OK. Friendship should last for ever. Bye for now. Didn’t mean to let you down.“

7. Nach unserem Interview machten Vertreter von einem Internet-Fernsehen ein Video-Interview mit Joey Cape im Biergarten quasi bei uns am Nebentisch:http://www.ozelot.tv/new/rezensionen/anzeigen.php?type=news&value=1818

8. Vgl. https://www.fatwreck.com/record/detail/786: „LP Box beinhaltet: 1. Duh 2xLP, 2. Trashed 2xLP, 3. Hoss 2xLP, 4. Double Plaidinum 2xLP, 5. Let’s Talk About Feelings 2xLP, 6. Angry Days 7”, 7. Live DVD, 8. 24×36 poster.“

9. Ein wunderschöner Song mit einem ganz interessantem Text: „Angry youth. Mr. Elite. You’re older now. Inside your head lives an old scene. Mr. Punk, sad and hating everyone. Your excuse is old. The way you felt has left you hating yourself. ‚Cause everyone is so confused. You never worked for a cent. Self-destructive you pay your debt. Cause you miss another time. When all your friends were so defined.

Now all of them have gone or changed. Do you still live in angry days? But if you’ve lost someone you love. If your mask was taken off. Does life cut you down to size? Does it open up your eyes? Because they all have found their way. As you struggle through your maze. You built up walls of hate. Don’t tell me it’s too late. …Can you grow out of senseless hate. Senseless hate.“

10. Vgl. http://sputnikmusic.com/news.php?newsid=12661: „There are actually a number of other reasons that motivated my decision to finally leave…Money isn’t really among those, considering I’m making much less now working 50+ hours a week than I ever did with Lagwagon. Overall, what it comes down to is that it’s hard continuing with something if your heart’s not in it.

And for me, in a weird way, there’s something a little more gratifying about doing my current job (art director for a magazine). Even though it’s a magazine I wouldn’t personally read and our monthly deadline is more stressful than Lagwagon ever was, doing new layouts every day has become a little more gratifying than playing ‚Mr. Coffee‘ for the 2000th time.“

11. Es entbehrt einer gewissen Ironie nicht, dass ebenjener Kent McLard, Mister DIY non-Profit himself, der Namensgeber für eine der kommerziell erfolgreichsten Rap-Punk-Wie-auch-immer Bands der 90er war, Rage Against the Machine. Vgl. http://www.ebullition.com/catalog.html#5: „I always wonder what would have happened to Ebullition and Inside Out if they had done that LP on Ebullition rather than doing the 7″ with Revelation.

I still wish Ebullition would have been able to do this release. Incidentally, Inside Out did plan to do a second record called Rage Against The Machine, which was a phrase I coined in some writings I did for No Answers #9. They never managed to finish this second release and Zack ended up using the phrase for the title of his next band.“ Ich finde den Typ ja recht merkwürdig (Sorry, Herr Unsinn!) – als er in seinem Heartattack schrieb, Trust wäre kommerziell, weil wegen Barcode, ha ha, Idiot – aber das mit RATM ist irgendwie so richtig schön ironisch.

12. The Kids are all wrong: „Def, watching cars. And focus on one ‚till it’s gone. Heroes die off everyday. Like fathers who would never stay. The kids are all wrong. They’re full of their hopeless opinion. The kids are all wrong. That’s all I ever really learned.“

Links (2015):
Wikipedia
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Discogs

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