Juni 3rd, 2019

KULTURAUSBESSERUNGSWERK LEVERKUSEN (# 173, 2015)

Posted in interview by Jan

Interview mit dem  KAW Leverkusen

Angrenzend an Leverkusen befindet sich die Stadt mit dem McDonalds neben der großen Kirche, deshalb verstehe ich es als meine Pflicht, mir das Einleitungszitat von dort zu besorgen.

So heißt es auf koeln.de zu dem KAW (Kulturausbesserungswerk), getragen vom Förder- und Trägerverein freie Jugend/Kulturzentren Leverkusen e.V.: „Das selbstverwaltete Kulturzentrum auf dem Bahngelände in Opladen soll eine Alternative zu dem Kulturangebot in Leverkusen bieten. Das selbstverwaltete Zentrum für Kultur und Politik soll Treffpunkt für die unterschiedlichsten Menschen sein und ein solidarisches und emanzipiertes Verbindungsglied in einer sich individualisierenden Gesellschaft darstellen. Neben den kulturellen Aktivitäten wie Theater, Kabarett und Ausstellungen soll Raum geschaffen werden, in dem Rassismus und Ausgrenzung keinen Platz haben und in dem Gruppen agieren können, denen im politischen Mainstream der sogenannten Neuen Mitte kein Platz zugestanden wird. Ganz konkret heißt dies viel Spaß durch Konzerte, Partys, Filmabende, Lesungen, Seminare und viele Gelegenheiten mehr, bei denen Menschen unterschiedlichen Alters, Geschlechtes, Herkunft oder sexueller Ausrichtung aufeinander zugehen können“.

Das KAW ist quasi ein autonomes Kulturzentrum mit Kabarett, Karneval und Theater und für mich neben dem AJZ Bahndamm (vgl. mein Interview in Trust # 110) der coolste Laden von Welt. Seit Anfang 2001 besteht das KAW und bietet eine reichhaltige Palette an Programm bzw. Mitmachmöglichkeiten an, von Punk zu Karnevalssitzungen, von Antifa über Flohmärkte hin zu Partys. Die Geschichte des Ladens ist umfangreich, sie wird in diesem Interview auch thematisiert und ist in en détail auf der Homepage nachzulesen.

Ein bisschen pathetisch formuliert, aber: die Vergangenheit des Ladens, besonders die Entstehungszeit, das ist auch meine Vergangenheit. Da ich aus Leverkusen komme, nun seit einigen Jahren in Frankfurt wohne, den Laden aber regelmäßig für Konzerte und Parties aufsuche, steht dieses Interview natürlich auch ein bisschen für meine Punk-Sozialisation.

Timo vom KAW, mit dem ich dieses Interview über die Geschichte und Gegenwart des Kulturausbesserungswerks führte, ist ein alter Bekannter. Erlauben Sie mir, dass ich kurz aushole? Sie werden diese Geschichte sicherlich in groben Zügen kennen, wenn sie auch aus einer Kleinstadt am Rande einer Großstadt kommen, in der es nur eine Rock-Kneipe gibt und die Konzert-Sozialisation über Jugendzentren läuft… Ich lernte Timo Mitte der 90er im Jugendzentrum Bunker in Leverkusen-Manfort kennen. Dort probte ich und Timo hatte auch ´ne Combo, die mit Nirvana-Sounds arbeitete. Dieses Jugendzentrum hatte als Schauplatz vieler HC-Konzerte Anfang der 90er eine große Bedeutung für mich. Es ist übrigens auch der Ort, an dem Deutscher W. in den 80er Sozialstunden ableisten musste, deshalb finden die 2000er OHL-Jubiläums-Konzerte in Leverkusen immer dort statt.

Die Konzerte im Bunker lagen etwas brach, so dass wir 1997 unter dem Konzertgruppennamen „Hungerhaken“ angefangen haben, dort Konzerte zu veranstalten. Zu der Zeit verkaufte ich auch das „blurr“ Fanzine in Leverkusen, da Leverkusens very own-Zine, das Various Artists Zine (die mit der Seven Inch-Beilage) nicht mehr publizierte. Das „blurr“ war mit Hauptsitz Düsseldorf quasi um die Ecke und auf dem Backcover des ersten „blurr“-Samplers stand sinngemäß die Aufforderung, doch Konzerte zu veranstalten und aktiv zu werden. Das traf mich 1996 wie ein Blitz, dass die Leute das geil finden könnten, wenn du aktiv wirst, und dass du das kannst, weil es ähnliche Leute wie du schon vorher einfach machten, das ist nicht schwer, das ist geil, ne Konzertgruppe zu haben…

So „gründete“ ich die Konzertgruppe Hungerhaken mit einem meiner besten Freunde, Lars und anderen Kumpelinnen, darunter auch Tina. Wir hielten uns auch streng an das Motto der „blurr“-Konzertgruppe im Neusser Geschwister-Scholl-Haus, auf Konzerten immer voller als das Publikum zu sein. Timo war Anfangs auch Teil dieser Konzertgruppe Hungerhaken im Jugendzentrum Bunker. Es gab sogar auch eine vegane Vokü bei Konzerten, wir waren fast zehn Leute…

Circa 1998 machten wir ein Kassierer-Konzert, und zwar auf Wunsch unseres einzigen Stammgastes W. Dieser kam immer zu unseren Konzerten, egal, ob wir Grind oder England-Punk machten, wir fragten ihn dann mal, was er sich wünschen würde. Er meinte „Kassierer, aber das schafft ihr nicht“…. Nun, wir schafften es, weil einer von uns den Sänger kannte, die Band selber kannte ich damals gar nicht. Als ich dann mir was von denen besorgte, erschien es mir mehr so „Harmloser Doofie-Punk, teils ganz lustig, weil so obszön“, aber die waren 1997 eben noch nicht so bekannt wie heute. Es war wirklich der Ansporn, den Wunsch unseres einzigem Stammgastes zu verwirklichen. Tja, nach dem Konzert verkleinerte sich unsere Konzertgruppe aufgrund interner Kritik wegen Sexismus und Kommerz (das Konzerte war teurer als die sonst obligatorische Grenze „Nie mehr als zehn DM Eintritt“) auf vier Leute, Lars, ich, Tina und der Stammgast. Fast der komplette Rest wanderte ab, zu dem anderen wichtigem Leverkusener Jugendzentrum, dem Haus der Jugend (HdJ) Kolbergerstraße in Leverkusen-Quettingen.

Das HdJ war auch historischer Schauplatz wichtiger Konzerte lokaler Bands, aber auch zum Beispiel für die frühen Juz-Touren-Gigs von Sick of it All und Slapshot Anfang der 90er. Jedenfalls, nachdem Timo und ich sogar mal zusammen als Coverband für Oldies – Bon Scotch and the Alcoholdies – auf der Bühne standen, setzten er und andere eine mehr politische Schiene mit Konzerten und Veranstaltungen im HdJ Ende der 90er fort. Die Konzertgruppe hieß „Kasalla“, ein rheinländischer Ausdruck für „Jetzt gibt’s Stress“. 2002 feierten wir wiederum die Auflösung unserer Konzertgruppe im HdJ und spendeten ihnen unsere Überschüsse (und schlugen sie im Minigolf 2006!). 2001 entstand etwas neues, direkt neben dem HdJ… Das KAW fing an, Gestalt anzunehmen.

KAW steht für Kulturausbesserungswerk. Das spielt darauf an, dass das Gebäude des KAW früher auf einem echten Bahnausbesserungswerk stand und auch dafür genutzt wurde. Die Bedeutung eines solchen Zentrums für eine Stadt in der Größe von Leverkusen mit knapp 200 000 Einwohnern kann gar nicht hoch genug bewertet werden. Dort entstanden neue Ideen und vor allen neuen Taten! Es kamen Kneipenabende, neue Konzertgruppen, die Antifa Leverkusen fand ihre Heimat seit ihrem Exil aus den „Räumen“, der Flüchtlingsrat kam dazu, mit dem Erstarken von Pro NRW/Köln/Leverkusen ist es wichtig, Contra geben zu können….

Direkt gegenüber dem KAW war lange Jahre das Vereinsheim eines Motorradclubs. Ihr könnt euch die Missverständnisse sicher ausmalen, die daraus entstehen, wenn eine Hundertschaft feiernder Motorrad-Rocker an einem lauen Sommerabend sich in fünf Meter Trennlinie von der Hundertschaft feiernder Punker befindet. Das KAW mit seiner „Do it together“-Mentalität ähnelt sicherlich den AJZs in den Nachbarstädten (AZ Köln, AK 47 bzw. Linken Zentrum Düsseldorf, AZ Mülheim an der Ruhr, AZ Wuppertal, Waldmeister in Solingen, AJZ Bahndamm Wermelskirchen). Gleichzeitig ist das KAW aber auch mehr als „nur“ ein Punk-Laden, im Interview erfahrt ihr mehr dazu.

Wissen Sie, ich wollte 2003 zusammen mit Lars mal ein Buch schreiben, voller Interviews mit alten und neuen Musikern und Aktivisten aus unserer Heimatstadt namens „HC-Punk Leverkusen von 1980 bis 2000“. Das Cover sollte ein Rip-Off des ersten Bad Religion Covers sein, also in rot eingefärbt die Silhouette von Leverkusen mit dem Bayer-Kreuz, rechts in schräger Schrift dann „…like this!“, also die alte, von Bad Religion aufgeworfene Frage „How could hell be any worse?“ sollte dann hiermit beantwortet werden… Das Buch kam dann über das Cover und erste Planungsschritte nicht hinaus, das ist auch gar nicht schlimm, denn dieses Interview sagt alles aus, was in dem Buch auf 200 Seiten drin gestanden hätte.

Ich unterhielt mit also mit Timo, early Mitglied der Gründungscrew des KAW, in seiner Kölner Wohnung über die Geschichte und Gegenwart dieses sehr sehr geilen Ladens.

Timo, ich grüße dich, schön, dass es mit dem Interview klappt.

Hi Jan, ich freue mich auch.

Die Gründungsgeschichte des KAW hat u.a. mit der Konzertgruppe „Kasalla“ zu tun. Lass uns da beginnen. Ende Mai 2014 gab es im KAW eine Revival-Feier eurer alten Konzertgruppe. Was war „Kasalla“?

Kasalla war eine Veranstaltungsgruppe, die Ende der 90er Jahre in Leverkusen HC-Punk-Shows organisiert hat. Damals gab es das KAW noch nicht, aber es gab das Jugendzentrum „Haus der Jugend“ (HdJ) in der Kolbergerstraße in Leverkusen-Quettingen, einem gottverlassenen Ort. Und in dieses Jugendhaus haben wir dann die ganzen Bands aus Deutschland und Europa eingeladen, auf die wir persönlich Lust hatten. Das ging von Crust über HC hin zu Punk, alles mögliche an Bands haben wir gemacht. Wir hatten aber auch den Anspruch, dass die Konzerte ein Umfeld darstellen, in dem auch Politik stattfindet, zum Beispiel, dass auch Antifa-Flyer ausliegen. Aber es war auch der Anspruch an uns, dass wir selber politische Veranstaltungen machen, wir haben Zeitzeugen-Veranstaltungen mit Holocaust-Überlebenden und Demos organisiert und so etwas. Das war immer wichtig, zu gucken, was läuft gerade. In den 90er gab es die ganzen Anschläge der Neonazis, es gab auch eine aktive Neonazi-Szene in NRW, wir waren vernetzt mit vielen anderen Antifa-Gruppen in den benachbarten Städten. Es ging uns also nicht nur um Musik und saufen, sondern auch um die Verbindung mit Politik. Und es gab auch immer eine nette vegane Vokü bei den Konzerten.

Und letztes Jahr, 2014, gab es dann ein Revival?

Ja, wir haben uns gedacht, dass es echt an der Zeit wäre, sich mal wieder zu sehen. Es gab dann eine zweitägige Feier: für Freitag haben wir alle Leute eingeladen, mit denen wir früher viel zu tun hatten, es gab ein Essen, Fotos wurden ausgetauscht, wir sind ja heute bundesweit verstreut. Und am Samstag gab es in alter Tradition ein Konzert und vorher einen politischen Vortrag, aber dann alles im KAW und nicht im HdJ. Dafür haben wir dann drumherum noch eine Ausstellung mit Fotos, alten Flyern und Plakaten gemacht. Das war schon lustig, zu sehen, wie die Leute sich verändert hatten. Und die schwarz-weißen Flyer sind ja echt zeitlos.

Das war echt eine tolle Feier. Denkst du eigentlich an ein bestimmtes Konzert von euch besonders gerne zurück?

Also, Highlights gab es auf jeden Fall einige. Ich bin mir jetzt gerade nicht mehr sicher, ob At-the-Drive-In schon ein Konzert von unserer Konzertgruppe war oder einem Vorläufer, aber das war echt super geil. Das war noch, bevor die bekannt waren. Die haben richtig geil gerockt, der Laden hat da echt gebebt, das war super.

1995 war das oder?

Nee, das muss später gewesen sein. Und dann hatten wir noch so einen anderen durchgeknallten Typen bei uns, wie hieß der nochmal gleich, genau, Atom and his package. Da lief auch das Kondenswasser die Wände runter, der war mit seinem kleinen Drumcomputer-Elektro-Punk seiner Zeit einfach zehn Jahre voraus, das war auch ein wunderschönes Konzert.

Gab es besonders schlechte Konzerte?

Wir hatten alle sehr unterschiedliche Geschmäcker und natürlich konnte man sich nicht mit allen Bands anfreunden bzw. sich für alle gleich begeistern. Ich habe gerne Konzerte mit Leverkusener Bands gemacht, zum Beispiel mit Quest for Rescue. Das war dann eher so Skate-Punk-HC, das hat mir total gefallen, und diese Konzerte waren auch gut besucht. Lustigerweise war aber dann ein komplett anderes Publikum da, als zum Beispiel bei den Crust-Konzerten. Und die Crust-Bands, also, das hat mich immer wahnsinnig gemacht, da bin ich dann immer nach draußen gegangen, um mein Bier zu trinken.

Wie ging es dann weiter, wie lief der Transfer vom HdJ zum KAW?

Wir hatten irgendwann keinen Bock mehr auf Jugendhaus. Man musste schon viel Zeit investieren, dass das Setting so wird, dass es nicht mehr allzu sehr „Juz-Style“ ist. Wir waren dann auf Raumsuche, haben unsere Fühler ausgestreckt und vieles überlegt, squatten ja oder nein, und so. In diesem Such-Prozess stießen wir auf eine Gruppe, die das ganze Juz-Ding schon zehn bzw. zwanzig Jahre früher gemacht hatte. Das war ne Gruppe von älteren Linken in Leverkusen. Mit ihnen organisierten wir 2000 zusammen eine 9. November-Gedenkdemonstration zur Reichspogromnacht. Die Demo war sehr erfolgreich, daraus entstanden engere Kontakte und irgendwann merkten wir „Moment, wir beide brauche neue Räume. Lasst es uns gemeinsam versuchen“.

Die hatten schon Ende der 70er angefangen mit Hausbesetzungen und erzählten auch von legendären Plenas im (Leverkusener Juz) Lindenhof, an denen 200 Leute teilnahmen. Aus dieser Szene stammen ja auch der Kabarettist Wilfried Schmickler oder die legendäre Band Ars Vitalis. Dazu waren da noch Aktivsten aus der Anti-Bayer-Szene. So entstand dann langsam die Erkenntnis, dass buchstäblich direkt neben dem HdJ ein Gebäude war, das man gemeinsam nutzen könnte. Neben dem Jugendzentrum lag das alte Ausbesserungswerk der Deutschen Bahn, dass die Bahn gerade langsam aufgab. Das Bahnausbesserungswerk war auf einem riesigen Gelände angesiedelt und wurde sukzessive dicht gemacht. Es entstand so eine riesige Brachfläche mit 72 Hektar bester Lage und vielen schönen alten Backsteingebäuden. Das Ausbesserungswerk konnte auf eine hundertjährige Tradition zurückblicken und das erste, was wir dann gemacht haben, war, das wir zu den Arbeitern gegangen sind und uns mit ihnen solidarisierten. Die sind ja teilweise in den Hungerstreik gegangen.

Weil die Bahn das Ausbesserungswerk schließen wollte?

Genau, das wurde am Ende ja auch gemacht und mittlerweile muss die Bahn neue Werke bauen, da der Bedarf wieder gestiegen ist, bizarr. Letztendlich wurde das Ausbesserungswerk geschlossen und wir konnten für das Gebäude einen Mietvertrag unterschreiben, das war 2001. Alles ging also recht schnell, 2000 sind wir auf die Suche gegangen und nach einem Jahr stand der Mietvertrag mit einer Immobiliengesellschaft der Deutschen Bahn. Das Haus war ein früheres Verwaltungshaus. Und daneben war noch eine 250 Quadratmeter große Halle, alles war total heruntergekommen, die Scheiben waren eingeschmissen und so. Es war uns klar, dass wir dort selber total viel machen müssen, deshalb kriegten wir die ersten zwei Jahre auch mietfrei.

Echt verrückt, dass das KAW direkt neben dem HdJ liegt.

Ja, das sind ja nur zehn Meter Entfernung, das war klar, das müssen wir nehmen!
2001 war es also soweit, das autonome Zentrum für Kultur und Politik öffnete auf dem Opladener Bahngelände seine Türen.

Sind eigentlich noch viele aus dem Gründungsteam mit an Bord?

Erstaunlicherweise ja, das Kernteam von fünfzehn bis zwanzig Leuten ist von Anfang an dabei.

Echt, so viele machten den Transfer von Kasalla zum KAW?

Ah, so meinst du das, aus der Kasalla-Crew sind jetzt noch drei Leute insgesamt im KAW aktiv. Wir waren damals ja in einer Umbruchphase, viele waren gerade mit dem Studium fertig und sind in andere Städte gezogen. Das ist eh charakteristisch für Leverkusen, also das Leute mit einem höheren Schulabschluss wegziehen, um zu studieren. Deshalb laufen in Leverkusen auch viele Sachen anders als in Uni-Städten.

Der Träger des KAW ist der „Förder- und Trägerverein freie Jugend- und Kulturzentren Leverkusen e.V.“, der setzt sich zusammen aus den alten Leverkusener Linken?

Ja, den Verein gibt es tatsächlich schon seit den 70er, damals fing das an, mit der Besetzung von Jugendzentren. Damals hieß es: „Wenn ihr ernst genommen werden wollt, um zum Beispiel mit der Kommune zu verhandeln, dann müsst ihr euch die Form eines Vereins geben“, deshalb wurde dieser Verein ins Leben gerufen. In seiner Trägerschaft waren schon viele selbstverwaltete Räume in Leverkusen bis Ende der 90er, zum Beispiel die „Räume“ oder der Schweinesaal.

Die „Räume“ waren die legendäre Schaustätte der Antifa Leverkusen in den 90er, das alte Schild hängt ja auch im KAW.

Genau, dort saß die Antifa, aber auch andere politische Gruppen. Tja, und weil es den Verein glücklicherweise schon gab, dachten wir uns „Nehmen wir den doch“. Es hilft, auch weil er eben schon ein anerkannter Träger der Jugendhilfe ist.

Wenn die HC-Punker auf die Alt-Linken treffen, da könnte ich mir vorstellen, dass das eventuell konfliktbeladen ist, Stichwort „Punks vs. Hippies“?

Nein, es war von Anfang an sehr harmonisch und ist es auch immer noch. In der Anfangszeit herrschte eine echte Aufbruchs- und Pionierstimmung. Wir haben uns jeden Samstag zum bauen getroffen, häufig aber auch noch unter der Woche selber. Ich schilderte eben ja, wie marode und kaputt alles war. Wir haben da gemeinsam viel Initiative gezeigt, die Verkabelung gemacht, die Holzböden restauriert und so weiter. Natürlich, in jedem Projekt gibt es Konflikte, aber die verlaufen bei uns nicht an dieser Punk-Hippie-Schiene.

Ok, nun haben wir den Geschichtsblock erst mal abgehandelt, springen wir in die Gegenwart. Sehr erfreulicherweise gibt es das KAW heute immer noch und ich finde den Laden immer noch sehr geil. Euren Anspruch, niedrige Eintrittspreise für Konzerte und nen fairen Kurs für Getränke zu nehmen, den finde ich natürlich super – nur ist es doch so, dass 90 Prozent der Besucher aus der Mittelschicht kommen, also das Geld haben. Somit sind die Preise eigentlich zu billig oder?

Also, da muss ich erst mal widersprechen, die Besucher bei uns kommen nicht alle aus der Mittelschicht. Es kommen echt viele aus der Arbeiterschicht oder sind arbeitslos, insgesamt kommen doch so einige aus den „unteren Schichten“. Aber den Grundwiderspruch, den du aufgeworfen hast, den sehe ich auch. Wobei ich hier betonen will, dass das jetzt mein ganz eigene Perspektive ist. Ich denke, wir haben in den ganzen Jahren unsere Gäste teilweise falsch „erzogen“ in dem Gedanken, dass kein Konzert mehr als fünf Euro kosten dürfe. Wir als Laden und Veranstalter haben nicht nur eine soziale Verantwortung gegenüber unseren Gästen, also, dass wir eben ein niederschwelliges Angebot für Kultur bzw. Subkultur machen wollen, sondern wir haben auch eine Verantwortung gegenüber den Bands.

Ja, der Klassiker, es spielen zwei Bands aus USA, ne Vorband aus Südamerika, vier Euro Eintritt!

Genau, so etwas kann einfach nicht funktionieren. Du musst als Band den Flug zahlen, einen Tourbus finanzieren und bislang reden wir gar nicht davon, dass du von deiner Musik lebst oder gar fette Gagen einstreichst. Ich denke, wir haben da teilweise falsche Impulse gesetzt, manche Konzerte sind wirklich zu billig. Das ist intern auch ein Reibungspunkt, deshalb gibt es in unseren verschiedenen Veranstaltungsgruppen auch unterschiedliche Antworten auf diese Problematik. Und das sehe ich als große Qualität des KAW an. Eben, dass verschiedene Konzepte möglich sind und es nicht dogmatisch heißt „Nur das eine oder nur das andere“. Denn es ist tatsächlich so, dass wir auch teurere Konzerte machen, die werden teilweise von öffentlichen Trägern mitfinanziert. Diese Konzerte kosten dann 15 oder 18 Euro Eintritt, weil da dann eben Bands auftreten, die das professionell machen, die einen gewissen Bekanntheitsgrad haben bzw. zwingend mitbringen müssen, um überhaupt unsere Halle mit 300 Leuten in Leverkusen vollzumachen! Die Bands müssen so bekannt sein, dass auch in Leverkusen ausreichend Leute kommen. Also, beide Formen von Konzerten sind möglich im KAW, die mit drei oder vier Euro Eintritt und Bier für nen fairen Preis und die anderen…

Du erwähntest ja schon die Halle, das war ja eine jahrelange Arbeit bis zur Fertigstellung. Nun kann die Halle seit einiger Zeit für große Konzerte genutzt werden, seit wann ist das so?

Die Halle war von Anfang an da, nur durften wir sie offiziell nicht nutzen. Es gab nur ein Holzdach, keinen Brand- und Schallschutz und hinter der Halle wohnten direkt die Nachbarn. Ok, wir haben mal ein Hallen-Konzert gemacht und hatten dann direkt eine Unterschriftenliste gegen uns am Hals (lacht). Überhaupt war die Stadt Leverkusen viele Jahre lang null offen uns gegenüber eingestellt. 2004 hat uns das Bauamt der Stadt auch mal geschlossen wegen unzureichender Brandschutz-Vorkehrungen, das war auch so eine Geschichte. Jeder, der zu der Zeit in Köln in Clubs und Läden unterwegs war, der wusste, dass das KAW einen besseren Brandschutz hatte als die kommerziellen alternativen Läden in Köln, das waren vorgeschobene Gründe. Es war von Anfang an unsere Überlegung, die Halle auszubauen und zu nutzen.

Nur war dann auch direkt klar: wenn wir das machen, dann brauchen wir öffentliche Gelder, das schaffen wir sonst nicht alleine. Einer unser Aktivisten, Johannes Boddenberg, hatte die Idee, dass wir uns bei „Initiative ergreifen“ bewerben könnten. Das war damals noch unter der rot-grünen Landesregierung in NRW ein Projekt, mit dem soziokulturelle Zentren in städtebaulich interessanten Gebäuden unterstützt werden können, das Projekt gibt es auch heute noch. Wir haben uns also dort beworben und dann eine unglaubliche lange Qualifizierungsphase durchlaufen. Großes Konfliktpotential lag immer darin, dass wir darauf beharrten, den Laden ehrenamtlich führen zu wollen, also das keiner hier bezahlt wird. Für die Landesregierung war das absolut inakzeptabel, dass wir das ehrenamtlich handhaben wollten. Die Förderung stand immer sehr auf der Kippe.

Erst nachdem wir ein Konzept vorgelegt haben, dass wir für den Notfall, wenn unser ehrenamtliches Konzept nicht mehr funktioniert, trotzdem in der Lage sind, den weiteren Betrieb im KAW zu gewährleisten… Also, wir haben den worst-case-Fall ausgemalt: wenn unser ehrenamtlich betriebener alternativen Laden nicht mehr läuft, dann könnten wir mit bezahlten Kräften trotzdem überleben. Wir haben jede Menge betriebswirtschaftliches Zahlenmaterial aufbereitet und Konzeptionen erstellt. So konnten wir denen zeigen, dass der Weiterbetrieb bei Eintritt des Notfalls möglich ist. Und dann war alles klar, die Regierung sagte „Alles ok, die haben einen Notfallplan in der Tasche, grünes Licht!“. 2005 oder 2006 kam dann die Förderzusage, 2007 haben wir wie die Wahnsinnigen umgebaut. Die Förderungssumme lag bei 650 000 Euro. Davon mussten wir zwanzig Prozent selber tragen, das brachten wir hauptsächlich durch bauliche Eigenleistung auf. Dann nahmen wir noch Darlehen auf und konnten 60 000 Euro an Spenden sammeln.

Yeah, habe ich ganz vergessen, die vielen Spenden.

Ja, und seitdem ist die Halle offiziell für 300 Leute zugelassen, verfügt über einen guten Schall- und Brandschutz, eine professionelle Bühnen- und Veranstaltungstechnik und ist rundum eben voll funktionsfähig.

Vor Jahren sagte eine Aktivistin vom KAW – ich will aber hier keine Namen nennen, Petra, – dass es ihr Traum wäre, in der fertigen Halle dann ein Konzert von Tocotronic zu veranstalten. Das könntet ihr ja nun machen?

Nun ja, Tocotronic müssten wir schon in einer noch größeren Halle machen, aber das ist schon ein Problem: Tocotronic oder The Notwist wären schon Herzensangelegenheiten von einigen von uns. Aber diese Bands kriegen wir nicht, die sind zu groß und da stoßen wir bei den Bookern auf taube Ohren. Dann gibt es Bands, die sind halt zu klein, bei denen kommen einfach nur hundert Leute, zumindest in Leverkusen. In Köln würden bei denen locker 300 bis 400 Leute erscheinen, aber in Leverkusen klappt es zum verrecken nicht, auch weil die Leute aus Köln oder Düsseldorf nicht in eine kleinere Stadt wie Leverkusen zum Konzert fahren. Es ist echt nicht einfach, Bands zu finden, die in die Halle passen, das ist ein echtes Problem.

Doof, jetzt habt ihr die Halle, aber wer passt da rein?

Ja, wir müssen dann immer Bands finden, die sich so in der Mitte bewegen, sag´ ich mal. Die keinen hohen Gagenansprüche haben, aber über eine gewisse Popularität verfügen, um die Halle vollzumachen, die sich aber eben dann trotzdem auf nen Doordeal oder zumindest ne bezahlbare Gage einlassen! Es ist aber auch spannend, genau solche Bands zu finden, eben die, die gerade auf dem Sprung sind. Wir hatten jetzt Fliehende Stürme gemacht, der AZ-Klassiker, da war die Halle ausverkauft. Dann gab es die Twisted Chords-Label-Nacht, gut, da waren ja mehrere Bands am Start…

Yeah, Mühlheim Asozial als Headliner!

Genau, die sind ja total bekannt hier in der Gegend und zogen viele Leute. Ich hatte noch ein Konzert mit ner türkischen Band gemacht…

Bandista?

Genau, da waren dann rund 200 Leute da, es war also nicht ganz voll, aber trotzdem ne super Stimmung. Also, es geht schon, Bands zu finden. Aber es bleibt eine große Herausforderung. Sowieso sind die Hallen-Konzerte auch noch mal eine Anstrengung für sich. Du musst den ganzen Laden fahren und alles im Blick haben. Wir möchten ja eben keine professionelle Security und bezahlte Leute, die alles abchecken und an der Theke arbeiten. Wir wollen, dass das alles unsere Leute sind, eben Menschen, die Bock auf gute Musik in Leverkusen haben und dafür mithelfen, in dem sie zum Beispiel ehrenamtlich Theke machen.

Jetzt ist das KAW also nicht mehr nur der Laden, wo billige Punk-Konzerte vor fünfzig Leuten stattfinden, sondern es gibt die böse große Halle. Es gibt doch sicher schon Leute, die euch nun den Sellout vorgeworfen haben?

Hier muss ich wieder sagen: im KAW gibt es ganz verschiedene Geschmäcker. Wir waren nie ein reiner Punk-Laden! Wir haben von Anfang an eine große Bandbreite an Generationen unter den Aktivsten und eine breite Auffächerungen an Lieblings-Musik-Richtungen. Das sehe ich auch weiterhin als große Qualität das Ladens an.

Es gibt diese Passage in eurer Selbstdarstellung, dass „der an Kleinkunst interessierte Mitvierziger sich in dem Kulturprogramm ebenso wieder finden soll wie der für Punkmusik begeisterte Jugendliche“. Letztendlich bietet ihr ja eine große Palette von Punk-Konzerten über Kabarett bis hin zu alternativen Karnevalssitzungen an. Kann man also sagen, dass eure Laden-Idee mehr dem Berliner SO 36 entspricht? Die kommen ja auch aus dem Punk, aber machen auch ein breites soziopolitisches Programm mit Techno, Politik, Lesungen usw. Also, das KAW ist ja eben nicht ein reiner Musikladen wie – was weiß ich – das New Yorker CBGBs?

Genau, so kann man es sagen, wenn der Vergleich auch etwas großspurig ist. Der Trägerverein hat eine lange Tradition und mehrere bundesweite bekannte Kabarettisten hervorgebracht. Das wird immer noch fortgesetzt mit entweder ausverkauften oder sehr gut frequentierten Kabarettveranstaltungen. Dort kommen dann eher ältere Leute hin. Und es gibt natürlich die Deutsch-Punk-Konzerte für den achtzehnjährigen Stachel-Iro-Punker. Und dann gibt es noch die Konzerte mit experimentellen avantgardistischen australischen Noise-Bands, wo ich dann aber leider mit nur fünf anderen Leuten im Raum stehe und mir denke „Fuck, was läuft hier falsch!?“. Wahrscheinlich kann so was wirklich nicht in Leverkusen funktionieren. Dann wiederum ist es trotzdem geil, dass es im KAW versucht wird. Es gibt so viele Bands, die wir schon veranstaltet haben, bei denen wir es richtig genossen haben, nicht unter kommerziellen Druck zu stehen.

Apropos Leverkusen: wie würdest du Leverkusen für Nicht-Leverkusener erklären?

Oh je, also, es gibt da ja die bekannte Punkband aus Leverkusen, die ich aber nicht mag, aber die hatten dann doch einen guten Songtext, „Leverkusen, Herz aus Beton“. Ich finde, dass trifft es gut. Es ist eine sehr grau Stadt, komplett von Bayer dominiert…

Dieser kleine DIY-Chemie-Konzern (lacht)?

Ja, genau (lacht)! Leverkusen ist eine kleinere Großstadt mit circa 160 000 Einwohnern, es ist keine Uni-Stadt, d.h. bald wird sie es ein bisschen, da ein Ableger der FH Köln hier entsteht (guess what: Fachbereich Chemie!), aber Leverkusen ist eben keine Uni-Stadt; das merkt man, was bestimmte politische Diskurse angeht, die sind hier anders als bei Autonomen Zentren in Uni-Städten…Fuck, wie will man Leverkusen charakterisieren?

Das hast du super gemacht, finde ich.

Leverkusen ist halt nicht gerade die Perle des Westens (lacht)!

Ist klar (lacht). Wie in vielen anderen Zentren ist bei euch das Plenum das höchste Entscheidungsorgan. Wie geht ihr mit dem Problem um, dass man einerseits den Anspruch aufstellt, dass alle gleichberechtigt sind, aber dann in echt sich doch versteckte Hierarchien ausbilden?

Ja, es gibt bei uns informelle Hierarchien, das stimmt, und es können sich sicher immer wieder solche Hierarchien ergeben, weil manche Leute einfach viel mehr wissen. Sie wissen, wie bestimmte Sachen laufen, das kann zum Beispiel die Technik betreffen, aber auch andere Bereiche. Und dem Problem der Hierarchie-Bildung kann man nur mit Transparenz entgegen treten, man braucht eine offene Gesprächskultur, damit alle Bescheid wissen, wie die Abläufe sind. Ich finde aber, dass klappt ganz okay bei uns, also, wie wir uns auf dem Plenum über solche Sachen austauschen und zusätzlich treffen wir uns zweimal im Jahr, um über große Strukturfragen zu debattieren.

Timo, du hast mal in einem Interview gesagt, dass das Kulturausbesserungswerk „Leute, die keine professionellen Veranstalter sind, in die Lage versetzen will, eigenverantwortlich politische und kulturelle Veranstaltungen zu organisieren“. Viele stellen sich die Organisation, Durchführung und Nachbereitung von Konzerten sehr einfach vor und haben ständig was an den Konzerten zu kritisieren. Was sind so die gängigen Missverständnisse, wenn es um die Organisation von Konzerten geht?

90 Prozent der Leute sind direkt wieder raus, wenn sie hören, dass sie das Klo putzen müssen. Tatsächlich bekommen wir immer noch sehr viele Privat-Party-Anfragen, aber wir machen das seit Jahren nicht mehr. Dafür haben wir den Laden nicht aufgebaut. Jeder, der fragt, kriegt aber natürlich eine freundliche Absage. Unser Auftrag ist es, dass wir einen Raum bieten, damit Leute Sachen ausprobieren können, aber es muss eine öffentliche Veranstaltung sein. Es kommen auch immer wieder Leute zu unserem Plenum und stellen dort ihr Konzept für eine Veranstaltung vor. Es muss nur dann jemand aus unseren Reihen geben, der Bock auf diese Veranstaltung hat und diese dann begleiten möchte.

Einen Paten?

Ja, wobei wir in all den Jahren immer noch keinen Begriff für diese Person gefunden haben. In Ermangelung eines Begriffes nennen wir solche Leute einfach „Dingens“.

Dingens (lacht)?

Ja genau, man braucht ´nen Dingens, um hier als Neuer Veranstaltungen machen zu können.

Sehr geil (lacht)!

Ja und wenn Dingens sagt, „Ich habe Bock auf diese externe Veranstaltung, das gefällt mir“, dann berät Dingens den neuen Veranstalter im Vorfeld, ist natürlich am Abend da, schließt auf, zeigt und erklärt die Technik usw. Also, wenn es diese Person gibt, dann kann der Neu-Veranstalter auf unsere ganzen Ressourcen zurückgreifen, d.h. die Veranstaltungstechnik-AG stellt dann einen Ton-Techniker und Leute, die die Technik mit aufbauen und jemand, der das Licht fährt. Aber dann wiederum muss sich der Veranstalter um den ganzen Rest selber kümmern. Die Leute stellen sich das immer sehr einfach vor, die denken, dass wir dann Leute für zum Beispiel Theke und Kasse stellen, das tun wir aber nicht. Die Veranstalter müssen selber dafür Leute aus ihrem Freundes – und Bekanntenkreis mitbringen. Das ist eine große Hürde. De facto ist es aber auch so, dass dann vorher auch immer im KAW rum gefragt wird, „Ey, hast du nicht Bock, bei der Veranstaltung Theke zu machen“, und dann sind doch wieder KAW-isten am Abend als Helfer dabei. Weil, wir wollen ja auch, dass Leute frischen Wind einbringen und das neue Sachen stattfinden. Trotzdem ist schon eine Hürde, dass grundsätzlich die neuen Veranstalter selber erst mal ihr Personal mitbringen müssen, es ist daher auch nicht soo häufig, dass externe Veranstaltungen stattfinden.

Ich hatte früher in Leverkusen immer das Gefühl, dass Leute über 30 schon Altpunks sind. Bei Konzertgruppen ist es ja schon das Problem, dass meistens junge Leute in ihren 20er Jahren total aktiv sind, da sie oft als Student viele Freiheitsgrade haben. Wenn dann mit Ende 20 die Lohnarbeit anfängt, dann hören sie auf und neue junge Leute kommen und es ist eine hohe Fluktuation… Habt ihr dieses Problem? Ein anderes ist auch, dass statt regelmäßig wechselndem Nachwuchs keine neuen Leute kommen, und die Aktivsten vergreisen; wie ist das bei euch?

Bei uns gibt es eine große Spreizung der Generationen. Es gibt die Ü-50-Leute, die spielen in den Vereins-Selbstverwaltungsstrukturen eine wichtige Rolle, sie machen zum Beispiel die Buchhaltung und solche Geschichten. Unser Hauptrekrutierungsfeld war und ist aber immer die sogenannte Mittwochskneipe. Die haben wir tatsächlich noch als Kasalla-Mittwochskneipe im KAW etabliert, da schließt sich auch wieder der Kreis.

Echt, das kommt von Kasalla, krass, das weiß ich gar nicht mehr?

Genau! Bei Kasalla war es ja so, dass die Leute irgendwann auseinandergegangen sind. Die Kneipe am Mittwoch haben dann neue Leute übernommen, die ihrerseits wieder von anderen Leuten abgelöst wurden. Die Mittwochskneipe ist auch die Veranstaltungsreihe, um die es immer wieder in so Zyklen Streit gibt, manchmal haben gerade die jüngeren Leute keinen Bock, am Ende noch zu putzen, na ja, mal mehr, mal weniger. Die Kneipe ist aber der Ort, an dem Leute mit 15 oder 16 Jahren zum ersten Mal mit dem KAW in Kontakt kommen, sich auch vielleicht mal hinter die Theke stellen und ein bis zwei Leute pro Jahr bleiben dann in der KAW-Struktur „hängen“. Die machen dann kontinuierlich bei Veranstaltungen mit und kommen zum Plenum vorbei. Die anderen kommen dann „nur“ zum Bier- und Cola-trinken, aber…

…Besucher braucht man ja auch, sonst gäbe es ja nur noch Aktivisten, das wäre schlimm.

Stimmt und ja, jetzt gerade könnten wieder ein paar mehr Leute hängen bleiben. Und Leute aus meiner Altersschicht, also Mitte bzw. Ende 30, die sind ziemlich unterrepräsentiert. Das wiederum hat aber auch ganz klar mit Leverkusen zu tun. Wenn die Leute mit 18 oder 19 Jahren einen höheren Schulabschluss machen, dann ziehen sie meistens in andere Städte, um dort zu studieren. Und diese Leute sind dann einfach weg und Leverkusen ist einfach eine Stadt, die man gut verlassen kann. Von den 20 bis 25 Jährigen gibt es viele bei uns, und ja, viele hören dann auch auf, wenn sie ihre Arbeitskraft verkaufen müssen wollen… Dieses Problem lässt sich leider nicht auflösen, dass du zu Beginn deiner Lohnarbeit echt weniger Zeit für solche Projekte wie das KAW hast. Ich finde es immer traurig, wenn die Leute dann weniger kommen…

Das habe ich selber auch gemerkt, als ich mit arbeiten gehen begonnen hatte und parallel noch ein bisschen in Frankfurt Konzerte machte bzw. mithalf… es ist ja nicht damit getan, Samstag abends mit der Band zu saufen. Die pennen ja dann bei dir, es gibt Frühstück, dann musst du abbauen am Sonntag Nachmittag… Wie sieht das bei euch eigentlich mit der Geschlechter-Parität aus, meistens sind ja immer doch mehr Männer aktiv als Frauen? Stumpf gedacht, ihr macht ja auch Theater, da könnte ich mir denken, dass da mehr Frauen aktiv sind?

Das Geschlechter-Verhältnis in unserer Aktivistenschaft empfinde ich als sehr ausgeglichen. Ok, bei bestimmten Veranstaltungen merkt du schon, es ist von den Besuchern her eher Männer-lastig. Und das KAW ist jetzt auch nicht gerade der Vorreiter in Sachen Queerness, wir sind eben auch ein eher hetero-normativer Laden, wie so viele andere auch. Aber bei den Aktiven ist es echt gut gemischt.

Das Verhältnis der Stadt Leverkusen zum KAW hattest du ja schon mal angesprochen. Ich habe den Eindruck, dass die Stadt heute mehr auf eurer Seite steht, das Kulturbüro unterstützt euch, es gab auch mal ne Spende seitens der Sparkasse Leverkusen, das war ja vor Jahren völlig „unnormal“ oder?

Das mit der Sparkasse, das war nur, als wir das Geld für den Hallenumbau brauchten. Im Großen und Ganzen ist es so, dass die Stadt auf unserer Seite ist. Wir kriegen ein bisschen Geld im Jahr vom Jugendamt und für einzelne größere Konzert auch mal ne Förderung vom Kulturbüro, also, die ganz großen Querschüsse der Stadt, die kommen nicht mehr vor. Damals war eben der Haupt-Konflikt, dass das KAW auf dem Filetstück der „Neuen Bahnstadt Opladen“ steht. Hier sollten massig neue Wohnprojekte entstehen. Das komplette Gelände des früheren Bahnausbesserungswerks ist eines der größten Städtebauprojekte in NRW, auf dem zurzeit auch ganz viele Einfamilienhäuser gebaut wurden und noch werden. Wir sitzen da wie ein Stachel im Fleisch, sozusagen.

Ich denke da gerade an den Asterix-Comic mit dem kleinem widerspenstigen Dorf!?

Ja, so ähnlich. Als das KAW dann die Förderung durch die Landesmittel bekommen hat, war dann auch der Stadt Leverkusen endlich klar, dass sie jetzt nichts mehr machen können und sie begannen, uns zu akzeptieren. Leider ist ihnen dann städtebaulich nichts weiter eingefallen, als später dann eine fünf bis sechs Meter hohe Mauer um das KAW zu ziehen. Das war echt schrecklich, als das Baumaterial dafür geliefert wurde, das waren Betonelemente höher als die Berliner Mauer. An dem Tag hat es auch noch geregnet und dann wurde diese 80 Meter lange Mauer gebaut, um das KAW ein bisschen von den Einfamilienhäusern abzuschirmen…

Wobei sich aus diesen Häusern bestimmt der zukünftige Nachwuchs fürs KAW bilden wird.

Kann sein, aber der Mauerbau, das war echt frustrierend. Ok, mittlerweile ist die Mauer Leverkusens größte Graffiti-Wall, d.h. sie darf legal auf der uns zu gewendeten Seite besprüht werden und wirkt daher nicht mehr so schlimm. Bei uns gab es aber auch intern viele Kontroversen und Debatten um die Bahnstadt Opladen. Einige von uns fanden das gut, dass hier Wohnungen gebaut werden, die anderen sahen das kritisch und ablehnend, vor allem im Zusammenhang mit Gentrifizierungsprozessen. Nun ja, wir werden das nie auflösen können. Und mit der neuen Mauer vor unserer Tür sind wir dann satirisch umgegangen, das können wir eh am besten.

Letztes Jahr gab es ein grosses „Mauerfest“, wir haben ein Gerüst aufgestellt, von dem man per Fernstecher auf die „Zonis“ blicken konnte, es liefen Songs von Nina Hagen und wir haben natürlich ein bisschen mit der ganzen Mauersymbolik gespielt und die Einnahmen dann an Boats for People gespendet, die zum Thema Geflüchtete übers Mittelmeer arbeiten. Das war dann auch unser eigentliches Statement, dass die Mauern heutzutage woanders und unsichtbar verlaufen. Die CDU ist total ausgerastet und veröffentlichte wütende Pressemitteilungen, wo sie sich so richtig schön blamierten. Bei der Zahl der Mautertoten ist ihnen wohl das Komma ein wenig verrückt…

Also, wir haben ironisch mit der Mauer gespielt und uns dann noch bei der Stadt Leverkusen für die Errichtung des Antifaschistischen Schutzwalls bedankt – auch ein Verweis auf die vielen Angriffe von Leverkusener Neonazis, die von der Stadt bagatellisiert werden. Das kam nicht immer gut an, aber damit muss die Stadt leben. Dann sollten wir noch das Graffiti „Antifaschistischer Schutzwall“ auf der Wall entfernen, aber wir haben das ja gar nicht draufgesprüht und die Wall ist legal. Tja, dann sind irgendwann welche von der Stadt hingegangen und haben den Schriftzug entfernt. Also, immer, wenn es etwas politischer wird auf der Wall, dann kommen dann doch immer kleinere Einschränkungen seitens der Stadt im Hinblick auf die Meinungsfreiheit (lacht). Aber wegmachen sollen sie es schon selber.

Ihr hattet ja echt auch viele Jahre interessante Nachbarn gehabt, da war doch die bizarre Situation, dass direkt gegenüber vom KAW jahrelang die Vereinshalle eines Motorradclubs war, wo sind die eigentlich jetzt?

Genau, der Motorradclub ist umgezogen, es war mit ihnen nicht immer ganz einfach, um es mal so zu formulieren, ich weiß jetzt allerdings nicht, ob ich wirklich noch mehr dazu hier sagen will…

Ok, der Club war da, ist aber jetzt nicht mehr da, dafür steht da jetzt die Mauer.

Ja, also, die haben tatsächlich eine Mäzenatin gefunden, so nennt man das, glaube ich. Die hat ihnen dann eine neue Halle im Industriegebiet Leverkusen-Fixheide finanziert. Die sind also gar nicht so weit entfernt von uns, deshalb…

Ok (lacht)! Ein letztes Zitat aus eurem Selbstverständnis: „Das KAW soll ein Ort der Subversion, des bunten, kreativen Widerstandes gegen die Realität sein“. Du bist vor Jahren von Leverkusen nach Köln umgezogen, engagierst dich aber weiterhin fürs KAW. Wie lange wirst du noch den Weg zusammen mit dem KAW mitgehen?

Sehr lange noch, hoffe ich. Ich find´s klasse, dass das KAW immer so schöne pragmatische Lösungen gefunden hat und es hier nicht so ideologisch wie in anderen Läden ist. Wir haben eine klasse technische Ausstattung und sind ´ne super Aktiven-Gemeinschaft, deshalb macht es mir immer totalen Spass, hier Veranstaltungen zu organisieren. Ich habe natürlich auch das Problem, dass viele Aktivisten haben; es gibt so Phasen, in denen ich merke, dass ich mich zurück ziehen muss. Man merkt, dass man gerade einfach nicht mehr kann und es einem zu viel wird, das es da Punkte gibt, auf die man einfach aktuell nicht klarkommt. Es ist dann immer gesund, zu pausieren. Es gibt immer welche, die ihren Ausstieg mit einem großen Paukenschlag ankündigen, „Ich komme nie wieder“. Ich habe für mich festgestellt, dass es gesünder ist, einfach mal ´ne Pause zu machen und ´ne Auszeit zu nehmen. Die meisten kommen ja doch auch am Ende wieder zurück ins KAW, weil es eben einfach ein schöner Ort ist. Und ganz ehrlich, wenn man noch in Leverkusen wohnt, dann gibt es auch nicht viele andere Alternativen hier.

Ja, wir hätten in den 90er das KAW gut gebrauchen können!

Das stimmt.

Um Leverkusen herum existiert ja eine vielfältige AZ-Szene, in u.a. Köln, Düsseldorf, Solingen, Wermelskirchen und Mülheim an der Ruhr. Jeder Laden hat eine eigene Identität, das KAW ist durch seine breite Angebotspalette auch was sehr eigenes – juckt(e) es dich trotzdem manchmal, bei einem anderen Laden mitzumischen?

Wenn überhaupt käme nur das AZ Köln in Frage. Da bin ich immer sehr nahe dran am Geschehen, schon seit der Gründung. Ich kenne viele, die dort aktiv sind und bin mit einigen befreundet. Aber sonst, ob ich woanders mitmischen will, das ist eine ganz einfache Entscheidung: ich kann nicht zwei Sachen gleichzeitig machen, deshalb habe ich mich fürs KAW entscheiden. Ich will ja auch meine Mit-Aktivsten nicht im Stich lassen. In Köln mache ich dafür dann andere politische Arbeit. Aber was das AZ-aktiv-sein betrifft, da bin ich beim KAW aktiv und fahre dafür dann die Viertelstunde von Köln nach Leverkusen.

Kommen wir zur allerletzten Frage: was wäre dein Traum-Line-up für ein Konzert im KAW, egal ob lebend oder tot, was sind deine drei Bands?

Oh jee. Also ganz klar Notwist…

Dann Nirvana, tipp´ ich mal?

Ja Wahnsinn, du meinst echt, auch tote? Ja dann, na klar Nirvana.

Fehlt ne dritte Band.

Stimmt, da muss ich nachdenken, da fällt mit gerade keine ein. Ist echt ´ne schwere Frage. Ok, eine ganz tolle Sache war es ja, das wir vor einiger Zeit ein Solo-Konzert mit dem New Model Army Sänger bei uns machen konnten. Das ist schon auch eine Band, die ich schon immer total geil fand. Es war einfach verrückt: den Sänger brachten wir dann in so einem Hotel in Opladen unter. Ich holte ihn am nächsten Tag ab, wir sind durch die Stadt spaziert und sind ´nen Kaffee trinken gegangen… in der verschissenen Fussgängerzone von Leverkusen-Opladen! (lacht) Das war echt bizarr. Und das sind die Momente, für die man den Laden macht.

Sauber (lacht)! Das ist doch ein schönes Schlusswort, ich danke dir für deine Zeit, Timo.

Interview: Jan Röhlk

Kontakt: info@kulturausbesserungswerk.de

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