Februar 18th, 2008

Kolumnen Dolf, Jan, Oma Hans – Ein Nachruf (#124, 07-2007)

Posted in kolumne by jörg

DOLF

Wie geil war das denn, Sommer im April, mehr davon! Gleichzeitig unglaublich diese anmassende Kleingeistigkeit der Menschen/Medien. Was glaubt “Mensch” eigentlich was er ist, nur weil er seit ein wenig mehr als 100 Jahren das Wetter beobachtet und es -heute bestimmt präziser als damals – aufzeichnet kommen dann so unglaubliche Schlussfolgerungen wie “Wärmster April seit Wetteraufzeichnungsbeginn” oder noch besser “Wärmster Monat seit Menschengedenken” oder ähnlicher Schwachsinn. Das muss man sich mal reinziehen:

Das Wetter existiert und ändert sich seit Jahrmillionen und der Mensch meint in einem Zeitraum von +100 Jahren eine Auffälligkeit gefunden zu haben – und wenn schon. Es war bestimmt schon öfter auch deutlich wärmer im April, so fucking what. (Was aber kein Freibrief sein sollte die Umwelt weiterhin zu verschmutzen!!!) Und seit Menschengedenken, auch das ist vollkommen lächerlich weil die Geschichte der beste Beweis ist das Mensch aus der Geschichte nichts lernt, na gut, nicht soviel wie er könnte. Schau dir doch nur mal die letzten 25 Jahre der Punk/Hardcore oder Alternativ Szene an… da wird immer wieder fast bei Null angefangen.

Weil immer wieder neue Generationen von “Kids” kommen, die meinen die Weisheit mit den Löffeln gefressen zu haben, anders zu sein oder alles besser zu machen. Nachvollziehbar, logo – auch verständlich. Aber auf Dauer auch ermüdent für Leute mit etwas mehr Lebenserfahrung als die Haltbarkeit eines durchschnittlichen MP3 Players. Anstatt auf Errungenschaften aufzubauen, sozusagen eine “aufbauende Evolution”, könnte man den Eindruck gewinnen das die Evolution immer wieder neu beginnt – gut, das ist jetzt in diesem Zusammenhang wohl das falsche Wort…. andererseits, wenn man sieht wieviel “Wissen” der Menscheit zwar irgendwo abzurufen ist, aber einfach untergeht wegen dem ganzen “neuen” Kram der täglich erdacht, erfunden und/oder verkauft wird.

Klar, kann man nicht alles auf dem Schirm haben, aber man sollte sich mal (zum wiederholten Male) Fragen was man wirklich braucht oder nicht – das kann auch “Wissen” sein und nicht nur irgendwelchen überflüssigen Produkte. Und man kann es nicht oft genug sagen, wenn Profit die Motivation für jegliches Tun ist, bedeutet das automatisch das Tun wird eingestellt sobald der Profit ausbleibt.

Während das bei vielen überflüssigen Produkten nur zu wünschenswert ist bleibt es bei anderen Sachen ziemlich schlimm: Kunst, Musik, Hilfsorganisationen wären hier mal so drei schnelle Stichwörter die mir neben vielen anderen einfallen. Und was ist jetzt der Unterschied zwischen Udo Jürgens, Pohlmann, Reinhard Mey, Silbermond, Katja Ebstein, Herbert Grönemeyer, Juli, Kettcar, Roy Black, Kante, Fertig Los, Revolverheld, Hansen Band, usw.? Richtig – Keiner! Es scheint noch nicht so vielen aufgefallen zu sein, aber der 3. Weltkrieg ist bereits da, er hat nur noch nicht (überall) angefangen. Welcome World War III.

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Erbärmlich sieht es aus, wie jeder sich abkämpft

Hört mal auf mit euren Schwanzvergleichen, ich verdiene mehr als du und blabla. Nervt wie Sau. Ich habe ja bis Anfang 2007 immer daran geglaubt, an dieses Vorurteil, dass “die Linken” sich immer gegenseitig selbst zerfleischen. Das wird ja auch humorvoll in “Das Leben des Brian” aufs Korn genommen, ihr wisst schon, “wir sind die Volksfront von Judäa”, “Nein, wir sind die judäasche Volksfront”. Aber es ist Quatsch und nicht wahr, dass die Linken viel mehr streiten und zu einer Abspaltung von der speziellen Abspaltung tendieren.

Da wurde mir klar, als ich diesen CSU-Konflikt um Frau Pauli und Stoiber mitbekam. Alter, wenn man davon ausgeht, was da hinter den Kulissen abgegangen sein muss jeder hetzt gegen jeden, schön mit jedem möglichen Dreck auf den Konkurrenten werfen, irgendwas bleibt bestimmt hängen Zumindest an diesem unwürdigem Gezergel wurde mir klar, dass die Leute, die immer altklug den Linken Unfähigkeit zu gemeinsamen Bündnissen attestieren, einen ziemlich an der Waffel haben: ICH GLAUB EUCH KEIN EINZIGES WORT MEHR!

Schlimmstenfalls liesse sich sagen, dass bei Linken genauso doof rückwärtsgewandt gestritten wird, immer diese Machtspiele dazukommen, aber keinesfalls mehr. Das war auf jeden Fall für mich jetzt eine neue Erkenntnis – nicht neu, aber immer noch seltsam ist übrigens auch der Begriff “Kalter Krieg” – damit wird ja die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg bis 1989 bezeichnet, die Konfrontation USA vs. UDssR. Klar, “kalter Krieg” im Gegensatz zum “warmen zweiten Weltkrieg oder was”, ja ja, klar, Korea-Krieg in den 50igern, Vietnam-Krieg, die ganzen Stellvertreterkriege, Afghanistan, alles halt “der Systemkonflikt, den die Westmächte unter Führung der USA und der Ostblock unter Führung der Sowjetunion von 1945 bis 1990 mit allen verfügbaren Mitteln, aber unterhalb der Schwelle eines offenen Krieges austrugen” (von Wikipedia)?

Ah, verstehe, dann ist der Unterschied zwischen kalt und warm also, dass sich einer durch den Einsatz aller verfügbarer Mittel (aber nicht Atombombe) auszeichnet? Aber dann sind wir ja immer noch in einem anderen kalten Krieg? Ich verstehe echt nicht, wie man auf so einen Blödsinn kommen kann.

Wahrscheinlich holt sich da irgendein Institut für Zeitgeschichte immer noch tierisch einen drauf runter, dass sie mal einen Begriff in der öffentlichkeit prägen durften. Keiner Wunder, dass die Leute mit der höchsten formalen Bildung – hier Wissenschaftler, also Abi, Studium, Doktor, evt. Prof – oft auch einfach die mit der wenigsten Intelligenz sind. Ich meine, man muss nun wirklich keine Uni besucht haben, um eine ganz einfache Tatsache erkennen zu können:

Wir leben als Menschen hier. Was braucht ein Mensch heute, einfach mal erst so, zu leben? Er braucht ja wohl nen Dach über dem Kopf, er braucht Nahrung, er braucht Zugang zu kulturellen Dienstleitungen, er braucht den öffentlichen Nahverkehr, weil nicht alles in Fussweite um ihn herum liegt. Er braucht eine Arbeit, wo er ausreichend Geld verdient. Jedes einzelne von den aufgezählten Sachen kostet Geld, da fängt das Unrecht (oder unmoralisch formuliert, so ist`s halt der Warenproduzierenden Gesellschaft) an: ich meine, ich habe es mir nicht ausgesucht, aber ich brauche z.B. so ein fucking Reisepass – warum kostet das was?

Warum kosten Sachen, die ich elementar zum überleben brauche, Geld? Und warum zur Hölle kann man sich abstrampeln wie man will, es ist immer irgendwie zu viel zum sterben, zu wenig um zu leben? Bald kostet auch noch Luft Geld? Und vor allen Dingen: warum passiert nix?

Und wenn man mal ne bezahlbare Wohnung in der Innenstadt, nen anständigen Job (der einem auch noch Spass macht). dann hat man Glück gehabt, obwohl es doch eigentlich selbstverständlich und völlig normal sein sollte. das Normale wird zum besonderen – toller oi, tolles System. Ich glaube nicht, dass der Mensch von Natur aus dumm ist, ganz im Gegenteil. Ich glaube halt nur, dass die meisten Menschen dumm gemacht werden von dem ganzen Scheiss, der um sie herum erdrückt: Werbung, Leistungsgesellschaft, Eltern, Karriere, 2 Kinder, Haus bauen. und das sie das nicht merken und das ist halt einfach dumm, dass die meisten nicht merken, dass sie einfach dumm gemacht werden, auch und gerade in der Uni.

Am krassesten finde ich immer wieder diese Einstellung, die so eine Systemgestaltung der ökonomie produziert: das stumpf-passive Konsumieren. Acht Stunden Ikea als Freizeitgestaltung? Geil, kaufen, kaufen, kaufen! Urlaub? Geil, Dienstleistungen kaufen! Kultur? Merchandise, her damit! Neues Technikteil auf dem Markt? Sofort her damit, egal, ob ich das überhaupt gebrauchen kann. Ich nehme mich überhaupt nicht da raus, die Meisten sehen ja mich als den Dummen oder Spinner an: wie, du machst Sachen für ohne Geld?

Klar, jeder hat nen Hobby, aber oft genug ist es doch ein Ego-Hobby, was weiss ich, Briefmarken sammeln und selten etwas, wo man mit mehreren was gestaltet. Und klar, Sachen ohne Geld machen kann sich auch nur der leisten, der erstmal seine Grundbedürfnisse gesichert hat. Ohne Geld was machen geht halt nur mit Geld. übrigens, wieso sagt nicht mal einer, dass diese These, dass Punkrock heute einfach die Feindbilder fehlen, weil alles so bequem geworden ist, totaler Müll ist? Also bequem in dem Sinne gemeint, dass man heute nicht mehr schwarz/weiss sagen kann, “Who`s the enemy know”, wie es MDC noch “konnten”?

Man liest dann immer, dass eine rechtskonservative Bewegung und eine blühende, von subkulturellem Gegenprotest gekennzeichnete Punkbewegung zusammenhängen nach dem Motto “je schlimmer die da oben, umso kraftvoller wir da unten”. äh? Punkrock oder wilder Rock`n`Roll oder wilder Jazz war jetzt aber unter Franco oder in Portugal auch nich soo viel oder? Wo gibt`s denn viel Punk? Da, wo die Kohle ist: Nordamerika, Japan, Europa. Is schon alles gut mit dem Punk, nur bloss nich übertreiben.

Frei nach Brecht, erst kommt das Fressen, dann die Moral und dann die Kultur oder so. Haste Kohle, dann kannste auch Musik machen. Hast nix zu essen, haste auch wenig Lust, Musik zu machen. Geht`s dir Scheisse, dann setzt man das eben nicht in seine Kreativität etc. um. Oder doch? Nö. Ja aber der gute Rollins, wie der damals seine Emotionen bei “flag” rausgehauen hat, für 5 $ am Tag im Haus der Familie Ginn gelebt hat der vielleicht? Na ja, können wir ja ausführlicher noch bei leckerem Cognac und Zigarren im Kaminzimmer erörtern.

Meine letzte neue Erkenntnis im Vergleich zu der vorhergehenden Kolumne ist, dass ich glaube, jetzt mein Standard-Gegenargument zu Trustkritiken wie “die ersten 51 Ausgaben waren gut” oder “bis Ausgabe 12 war es gut” gefunden haben: Ich denke nicht, dass da was dran ist und in diesem Zusammenhang sollte doch auch mal wieder der schöne Text von den Toten Hosen, “Das Wort zum Sonntag,”, zitiert werden, weil: es ist einfach auch wahr: “Früher war alles besser, früher war alles gut, da hielten alle noch zusammen, die Bewegung hatte noch Wut. Früher, hör auf mit früher, ich will es nicht mehr hörn. Denn damals war es auch nicht anders, mich kann das alles nicht störn.” Ach so, neu auch die Myspace-Seite unserer Band, http://myspace.com/johnhillermann.

Ich wünsche euch ein schönes Leben!

Jan

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Gastkolumne

Oma Hans – Ein Nachruf

Ich weiss, ich weiss. Die Oma gibt es jetzt schon seit über einem Jahr nicht mehr. Aber ich vermisse sie immer noch. Mehr als je zuvor. Ich kann mir Kettcar, Tomte oder Muff Potter einfach nicht geben. Das ist Schrott. Also im Vergleich mit der Oma. Im Vergleich zu Phil Collins sind sie ganz okay, aber Phil Collins steht hier nicht zur Debatte. Hier geht es um OMA HANS und den Vergleich hält keine Band stand (zu mindestens keine aus deutschen Gefilden).
“Ich finde, das ist echt alles zu viel mit den ganzen Interviews. Es ist alles das Gleiche. Immer dieselben Fragen! Wie ist das Label? Wie ist die Platte entstanden? Wie bist du auf den Text gekommen? Das kann man sich doch alles selber beantworten. Wahrscheinlich sogar noch fantasievoller als der Interviewte.”

Vielleicht liegt in diesem Statement von Jens Rachut, Sänger und Kopf von Oma Hans, das ganze Geheimnis dieser Band. Sie waren anders als alle anderen Bands. Sie scherten sich einen Dreck um Konventionen und loteten immer wieder neue musikalische und textliche Grenzen aus. Gut fünf Jahre gab es Oma Hans aus Hamburg und um ihre Band, geschweige denn ihre Personen haben die vier Musiker nie grosses Aufheben gemacht.

Selbst dann nicht, als Muff Potter ihre Scheiben bei Universal veröffentlichen, Marcus Wiebusch erfolgreicher Jungunternehmer wurde und Tomte auf heavy rotation gingen. Oma Hans lehnten weiterhin jegliche Promoaktionen oder Interviews ab und veröffentlichten ihre Alben auch weiterhin grundsätzlich nur auf Vinyl. Das man dabei dem langjährigen Kleinst- Indielabel Schiffen Records die Treue hielt, verstand sich von selbst. Trotz alledem spielten sie regelmässig vor über 500 Zuschauern, wurden von den Sternen bis zu Pale als grosser Einfluss genannt.

Oma Hans sind schon vor den ersten Aufnahmen und Auftritten im Jahr 2001 keine Unbekannten gewesen. Die Kunde von einer neuen `Jensen – Band’ machte in den einschlägigen Zirkeln schnell die Runde. Gemeint war damit Jens Rachut. Der sang schon bei den legendären Hamburger Bands Angeschissen, Blumen am Arsch der Hölle und Dackelblut. Bei den beiden letztgenannten Bands spielte auch Andreas Ness Gitarre, der ebenfalls bei Oma Hans mit an Board war und auch dort wieder die Seiten bearbeitete.

Gerade Dackelblut sind eine der wenigen Bands gewesen, auf die sich in den Neunziger Jahren das eher traditionelle Punk Publikum und die Spex Jüngerschaft einigen konnten. Oma Hans knüpften an diese Vergangenheit an. Sie wandelten stetig weiter auf dem schmalen Grat zwischen aufbäumen und resignieren, zwischen Wipers und Joy Division. Die Fähigkeit von Rachut die Irrungen, Verklärtheiten und Stimmungslagen seiner ganz eigenen Lebenswelt zu artikulieren und mit der Musik in Einklang zu bringen, kam auch bei Oma Hans wieder zum Vorschein.

Aber Oma Hans entwickelte mit der Zeit ihren eigenen Sound. Dafür sorgten auch die beiden `Neuen’. Bassistin Peta Devlin, die zuvor bei Die Braut haut ins Auge gespielt hatte und Schlagzeuger Armin, der nebenbei noch für die Postrock Formation Kurt trommelte. Für das im Sommer 2004 aufgenommene Album Peggy, stand er allerdings nicht zur Verfügung. Zwei Tage vor Aufnahmebeginn hätte er fast einen Finger verloren und konnte nicht mit ins Studio. Das einzige, was es über diesen Vorfall zu hören gab, war folgendes Statement:

“Ach, der ist besoffen auf der Reeperbahn über einen Zaun geknallt und wollte sein Astra retten. Dabei hat er sich den Ringfinger abgerissen.” So mussten kurzerhand alte Kontakte aktiviert und ein Ersatz für die Aufnahmen gefunden werden. Stephan Mahler, der ehemalige Schlagzeuger von Slime, übte die Songs drei Tage mit dem Rest der Band, um sie dann in einem Tag einzuspielen. Es war aber vor allem Bassistin Peta, die bei einigen Stücken auch sang, die dem eingespielten Duo Rachut/ Ness neue Impulse gab.

Mit ihrer melodischen Stimme stand sie im Kontrast zur mal monoton, mal geschrienen Stimme von Rachut. Nicht wenige fanden, dass es dieser Kontrast war, der Oma Hans einen Ausnahmestatus verlieh und die Band von den übrigen `Jensen – Bands’ abhob.

Anfang 2006 zirkulierte dann das Gerücht, dass eine Auflösung kurz bevor stünde. Als sie kurz darauf eine 7″ mit dem Titel Abschied veröffentlichten, wurde es amtlich. Ihre letzte Tour im Frühjahr 2006, spielten sie wieder in ausverkauften Clubs. Fast immer mussten sie ihr komplettes Set zweimal spielen, da die Leute einfach nicht nach Hause gehen wollten. über die Gründe der Auflösung gibt es bis heute keine Informationen. Interviews oder Pressemitteilungen gab es natürlich keine.

Aber vielleicht hatte Jens Rachut eine Vorahnung, als er den Text zu dem Song 0832 schrieb. “Das ist meine kleine Nische, wenn`s bekannt wird hau ich ab. Denn fast alles, was berühmt ist, ist so öde. Ich will so was nicht hören, ich will so was nicht fühlen, ich kann so was nicht ab.”

Bis heute weiss ich immer noch nicht, ob ich mich freuen oder heulen soll. Freuen über diesen lässigen Abgang auf dem Höhepunkt ihrer Karriere, der so phantastisch zu dieser Band passt. Aber dann fange ich doch wieder an zu schluchzen. Denn wessen Platten soll ich mir denn nun kaufen? Und auf welchen Konzerten kann ich jemals wieder so aus vollem Herzen mitsingen? “Wenn man sich schon Illusionen macht dann aber richtig, es muss stimmen auch wenn es nur für eine kurze Zeit ist.”

Michael Katerla

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