Februar 23rd, 2007

JETS TO BRAZIL (#80, 02-2000)

Posted in interview by andreas

Vor einige Zeit tourten Promise Ring wie für solche Musik üblich durch den Norden des Landes; im Gepäck hatten sie eine neue Band, von der ich nur hörte, dass es sich um Ex-Jawbeaker handeln sollte, und diesbezüglich war klar, dass ich mir das ansehen wollte. Letztere hatten auf der einen Seite eine Menge für mein Wohlbefinden getan (und den Satz, den ich vor 30 Ausgaben hier schrieb, dass es sich um die beste Band der Welt handeln würde, kann ich retrospektiv immer noch genauso blindlings unterschreiben).

Jawbreaker blieben nicht ganz ohne Einfluss, gehörten sie doch mit zu den ersten und sind neben Samiam sicherlich die wichtigsten derer gewesen, bei denen der Begriff Emocore erstmalig auftauchte. Eine Menge Vorschusslorbeeren für die Jets to Brazil? Ja, zu viele wahrscheinlich auch. Fakt wiederum ist, dass Sänger und Gitarrist Blake nach dem Split nach New York zog, um sich dort als Autor für dies und jenes zu verdingen.

Aufgrund der Prosahaftigkeit seiner Songtexte sicherlich nicht die schlechteste Idee, wobei mir persönlich der damit einhergehende, intelektuelle Touch immer schon missfiel. Das hinderte ihn aber nicht daran, mit Jeremy von Handsome ein wenig zu lärmen anzufangen. Nach einiger überzeugungsarbeit und dem Hinzukommen von Chris an den Drums, der früher bei Texas is the reason gespielt hatte, kam es zur neuen Band.

Die bei Jade Tree erschienene Doppel LP Orange Rhyming Dicionary von Jets To Brazil liefert eingängigen, zuckersüssen Pop, der von langen, konzentriert geführten Instrumentals durchsetzt ist. Die Platte hat sich wohl wie warme Semmeln in den Staaten verkauft und räumte in der entsprechenden Sparte kräftig ab. Um so überraschender, sie vor nur knapp 100 Leuten im Schlachthof Wiesbaden zu sehen – eine ruhige, bedächtige Veranstaltung.

Die Leute lächelten manchmal. Ich unterhielt mich vor dem Konzert mit Blake und Jeremy, wobei deren unterkühlte, spröde Trockenheit ein Interview nicht unbedingt vereinfacht hat. Ich will gar nicht zählen, wie oft Blake „Ich weiss nicht“ sagte, oder zB auf die Frage, wie er denn mit dem für ihn nicht neuen Status als semipopulärer Musiker, den vor allem deutlich jüngere Leute bei Konzerten zujubeln, umgeht; ob er Berührungängste besitzt, ob er mit seinem Publikum auf einer Ebene kommuniziert: „Mein Vater mag unsere Band – er ist älter als ich.

Das ist okay. Ich kenne aber auch gar nicht so viele Leute, die mein Alter (32) haben – aber auf der anderen Seite kenne ich sowieso nicht viele Leute“. Spitzenantwort denke ich mir, auf eine Neues, gleiche Frage anders formuliert nochmal gestellt, „Ich war als Jugendlicher nicht so forsch wie die heutigen Leute – ich hätte mit 18 nie jemanden in einer Band einfach so angesprochen“ , gefolgt vom üblichen „Ich weiss nicht, ich kann dazu nichts sagen“.

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Hat sich überhaupt neben solchen Nichtigkeiten etwas geändert – interessant hierbei die um 180 versetzte Antwort zu dem, was zB die Trans Megetti zu dieser Sache zu sagen hatten: „Heute gibt es dieses riesige Underground Netzwerk, was es früher nicht gab“.

Blake: „Als ich 18 war, gab`s wenige Shows und viel Zeit dazwischen – heute ist das alles etabliert, es ist nicht mehr gefährlich“.

Da erinnert sich der bis dato in stoischer Ruhe veharrende Jeremy auch mal an seine Jugend: „früher war es etwas Besonderes, in einer Band zu spielen. Heute macht das jeder. Konzerte gab es eigentlich nie zu sehen – auch nicht in Conneticut, wo ich gross geworden bin. Man musste immer die 3 Stunden nach New York“.

Mein Einwurf, dass die Ostküstenstaaten alle reichlich dicht besiedelt sein, und u.a. ja Revelation in New Haven, Conneticut, mit ihrem Wirken anfingen, lässt er nicht gelten: „keiner von denen hat dort gespielt, die waren immer in New York“.

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Ok, erster Break – Früher war alles anders, aber prinzipiell wissen sie es nicht. Warum eigentlich New York, wo sie heute leben, wie kann man sich so etwas leisten?

Blake: Wir leben alle billig. Jeremy und ich leben in Brooklyn, Chris, unser Drummer, lebt in New Jersey. Wo ich wohne, ist es in der Tat günstig, günstiger als in San Francisco. Ich nutze das Nachtleben von New York ja nicht.

Ist New York ein ‚zuhause‘?

Blake: Nein. Ich wohne ja diesmal in einem entlegenen Teil von Brooklyn, und als ich früher in NY war, lebte ich in der Nähe des NYU Campus in Manhattan – das ist wie zwei verschiedene Städte. Das nächste lag auf der Hand, was habe man eigentlich davon, so fragte ich mich und sie danach, wenn man so auf diese Weise in Brooklyn lebe? Jeremy findet die kleine Nachbarschaft sehr hübsch, die Parks und solche Dinge. Blake findet`s gut, dass er für „einen Dollar 50 per Subway nach Manhattan fahren kann, um dort ins Metropolitan Museum zu gehen oder einen tollen Film zu sehen: Es ist ein guter Zugang zur Kultur, ohne dafür zu viel zu bezahlen.

Wie würden sie denn die Zukunft der Stadt New York sehen – welchen Veränderungen wird die Stadt unterliegen?

Blake: NY wird so wie es jetzt ist sehr lange bleiben. Sofern keine grosse Bombe fällt oder sich ein Erdbeben ereignet. Die armen Leute werden weiter nach draussen geschoben, diesen Prozess gibt`s schon ewig, das ist nichts Neues. Was früher East Village war, ist heute Wiliamsburg oder Queens.

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Wie wird eine Stadt im 21. Jahrhundert aussehen? Ist New York eine Blaupause für so etwas, oder ist es eher wahrscheinlich, dass gigantische, suburbane Gegenden wie LA dies sind?

Blake weiss es nicht… Jeremy denkt, dass die meisten (amerkanischen) Städte mit weniger Problemen zu kämpfen haben, zumal es in New York schon immer den Drang gab „gegen die Stadt und die reichen Leute zu sein“, dies sei ein Kernpunkt des städtischen Selbstverständnisses oder zumindest das eines Teils seiner Bürger.

Blake erkennt, dass „New York keinen Platz mehr bietet und daher sich gar nicht sonderlich weiter entwickeln kann. Los Angeles? Das ist über sich selbst hinausgeschossen. Eine Menge gescheiterter Vororte. Aber sowohl LA wie auch NY besitzen eine kulturelle Identität, und die ’neue“ Stadt des 21. Jahrhundert gibt es noch nicht und sie hat auch diese (Identität) noch nicht. So was wie eine Disney Stadt in Florida, eine komplett neue Sache“.

Zweiter Break. Es war das letzte Interview, dass ich dieses Jahrzehnt geführt habe, und daher kamen auch bei mir Gedanken über das Vergangene auf. Nein, in Dekaden will Blake nicht denken, er hat sich da noch kein festes Bild gemacht, aber das werde sicherlich „in der ein oder anderen Weise an mich zurückverkauft werden“.

Die Neunziger waren die Zeit, in der er zum Erwachsenen wurde, anfing, Dinge alleine zu tun. Aus diesem Grund hält er die Neunziger für wichtig in seiner persönlichen Entwicklung: Der übliche anmerikanische Weg: Ausziehen – College – Beruf??

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Würdet ihr euch eher als Künstler oder als Handwerker sehen? Ist Rockmusiker ein Beruf?

Jeremy: Arbeitender Künstler?

Blake: Hart arbeitende Künstler? Ich glaube, ich bin ein Songwriter. Das ist, was ich tue, das ist, wofür ich bezahlt werde.

Klingt nach Beruf.

Blake: Das stimmt, aber es ist etwas, was ich gerne tue und was ich auch machen würde, wenn ich kein Geld dafür bekommen würde. Ich weiss nicht.

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Na, da war ja herzlich wenig vom Künstler zu spüren, aber natürlich interessant, ob er der Meinung sei, mit seinen Platten einen Input zur Gegenwartskultur zu leisten. Typisch dazu die Antwort, in der er darauf hinweist, dass es eben nur eine weitere Schallplatte sei, die von den Hörern abhängig ist. Persönlich hingegen freut er sich über die Möglichkeit, seine Gedanken und Ideen so zu konservieren (ob`s da nicht ein DAT getan hätte?).

Denken Sie denn nie darüber nach, ob ihre Platten den ‚test of time“ bestehen? Blake meint „Nein, nie“, aber Jeremy führt weiter aus, „es ist gefährlich, über so etwas zu denken. Denn dann denkst du auch daran, wenn du einen Song schreiben willst und hast dadurch die falsche Motivation. Man darf nicht über die Auswirkungen nachdenken, da man sonst den Songs als solchen vernachlässigt.“  Blake führt fort – „die Auswirkungen, die Interpretation hängt ja von anderen Leuten ab“.

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Wie sollen denn die Leute reagieren? Wie sollen sie seine Lyrics interpretieren? Gibt es bei den sehr vage formuliertem Statements eine ‚Wahrheit“?

Blake: Ich hoffe, dass die Leute erst einmal die Musik hören, und davon vielleicht gefesselt werden. Dann erst kommen die Lyrics in Betracht. Ich glaube, dass die Lyrics einiges an Arbeit abverlangen können. Also werden die Hörer an diesem Punkt weitermachen oder weggehen. Was sie daraus interpretieren ist mir eigentlich egal, damit habe ich kein Problem. Für mich ist es wichtig, dass ich die Textzeilen rechtfertigen kann. Wenn mich jemand nach einer Zeile fragt, will ich mir sicher sein, dass ich es weiss. Und das ist der Fall.

What“s the name of the pelican in flipper?

Blake: No chance. There was a name though?

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Interview & Photos von daniel

Links (2015):
Jets To Brazil auf
Wikipedia
Jets To Brazil Discography auf Discogs

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