März 12th, 2007

JAWBOX (#60, 10-1996)

Posted in interview by andreas

Jawbox werden die meisten Leute kennen und die meisten mögen. Das ist ja nun auch nicht allzu schwer, schliesslich sind sie aus Washington D. C., waren auf Dischord und machen einfach gute, mitreissende Platten. Pünktlich zum beschissensten Sommer, den dieses Land seit 500 Jahren gesehen hat, bieten uns Jawbox zumindest einen guten Grund, Zuhause zu bleiben, nämlich ihre neue LP.

Diese heisst einfach nur Jawbox und rockt!!! 14 neue Songs plus ein Cover gibt’s zu hören und ich glaube von ihren Platten wird sich diese als bisher beste herausstellen. Ich bin schon auf die Tour im Herbst gespannt. Anfang Juni waren Jawbox für einige Interviews kurz in Deutschland und so hatte ich Gelegenheit, mit Bassistin Kim Coletta zu plaudern.

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Das erste, das mir an der neuen LP aufgefallen ist: Sie hat keinen Titel. Warum?

Kim: Manchmal nehmen Bands ihre erste Platte und geben ihr keinen Titel, sie heisst dann genauso wie die Band selbst, das wird oft getan. Wir hatten verschiedene Gründe dafür. Wir fühlen uns im Moment als Band sehr gut. Das Line-Up ist seit einigen Jahren gleich, wir sind sehr stolz auf die Musik, die wir geschrieben haben, wir fühlen uns einfach als Jawbox gut. Also dachten wir, dass das auch ein Statement ist, wenn wir jetzt die Platte einfach Jawbox betiteln.

Glaubst du nicht, dass viele Hörer aus den Gründen, die du gerade genannt hast, denken werden, dass dies euer Debüt sei?

Kim: Ja vieleicht, aber das stört mich nicht, mir ist egal, was die Leute denken. Ich glaube, dass eine Menge Leute die Geschichte der Band kennen und wenn nicht, werden sie, wenn sie sich die Zeit nehmen, unsere Geschichte herausfinden. Ich habe, um ehrlich zu sein, nie daran gedacht, aber du hast da schon irgendwie Recht. Ich mache mir aber darüber keine Sorgen. Ein anderer Grund dafür ist auch, dass unser letzter Albumtitel so verdammt lang war, das er für zwei Platten gelangt hat.

Jawbox haben in der letzten Zeit an Popularität gewonnen. Zwangsläufig bedeutet das, dass eine Menge neuer Leute zu eueren Konzerten gehen. Wie siehst du es, sind dir die Menschen, die euch gut finden, aber bis vor einem halben Jahr vorher mit dem, was man Punk/Indie-Szene nennt, nichts am Hut hatten, lieber als die, die sich schon seit ewigen Zeiten in der „Szene“ bewegen. Wer ist aufgeschlossener?

Kim: Hmm… das ist eine gute Frage. Darüber denke ich auch viel nach. Lass mich kurz nachdenken, diese Antwort ist wichtig. Also: Erstens, jeder, der unsere Band mag, ist mir willkommen. Nur, es gibt viele verschiedene Ebenen, auf denen man eine Band wie Jawbox oder jede andere Band, die es schon etwas länger gibt, mögen kann. Da sind die Leute, die seit dem ersten Tag dabei sind, diese Menschen mag ich natürlich mehr als alles andere, sie kennen unsere Geschichte, haben unsere Entwicklung als Band miterlebt, und viele von ihnen sind meine Freunde. Das waren die Tage, als uns 10 Leute live sehen wollten und ich alle persönlich kannte.

Die werden dann mit dir älter. Dann gibt es die jüngeren Fans, die sind aber als Freunde nicht meinesgleichen, ich meine im Sinne von Alter, verstehst du. Sie sind 10 oder 15 Jahre jünger als ich, ich würde also nach der Show nicht noch einen mit ihnen trinken gehen. Was mir an ihnen gefällt, ist die neue Energie, die sie zu den Live-Shows mitbringen, das macht doch schon einen Unterschied. Für mich bringen sie auch neue Perspektiven, wie ich meine Musik selber sehe. Manchmal ist es auch total frustrierend, wenn sie überhaupt nichts von uns wissen. Aber dann denke ich immer an meine Jugend zurück.

Mit 15 war ich auch naiv, aber irgendwas brachte mich zur Musik. Ich will aber jetzt auf keinen Fall snobistisch oder elitär wirken, das will ich unbedingt vermeiden. Es ist snobistisch, zu sagen: „Oh, die sind nicht so cool wie wir, weil sie nicht seit Jahren dabei sind“ oder „Die sind nicht so gut wie wir, weil sie ja nur wegen Green Day jetzt anfangen, gute Musik hören.“

Wenn du das tust, dann wirst du eine Person in einer kleinen Clique, in deiner eigenen kleinen Szene sein, und das ist auch nicht cool. Für mich ist es oft komisch, weil ich mich nicht so gut in sie reinversetzen kann, wie in die Leute, mit denen ich vor 15 Jahren Black Flag gesehen habe. Man darf aber auch nicht vergessen, dass jeder in einer gewissen Musik-Szene einen berechtigten Platz hat.

Wie alt bist du jetzt?

Kim: 29.

Ich auch. Das einzige, worauf wir uns ein wenig etwas einbilden können, ist die Tatsache, dass wir uns noch die Mühe gemacht haben, nach guter, interessanter Musik zu suchen.

Kim: Ja, aber du kannst den Leuten nicht vorwerfen, dass sie es heute einfach haben. Als ich 15, 16 Jahre alt war, haben mich Leute an meiner High School angespuckt, da Punk eine Sache war, die sie nicht tolerieren konnten. Ich bin in einer konservativen, kleinen Stadt in Amerika aufgewachsen.

Punkmusik zu hören war damals eine schwierige Angelegenheit. Erst musste man sie für sich entdecken, damals war es wirklich noch Untergrund, aber die Zeit war sehr aufregend, die Shows oft obskur, nur es war unsere Sache, wir hatten es auf die Beine gestellt. Die Kids heute bekommen es auf einem silbernen Tablett gereicht. Es ist so anders. Es passiert aber auch heute noch unheimlich viel, gerade von Jüngeren getragene Sachen. Ich bin sicher in Europa ist das genauso.

Ausserdem ist es nun ja nicht so, dass alle, die Green Day mögen, auch uns hören, wir sind einfach nicht so populär. Manchmals ist es auch noch heute schwierig, zu einer unserer Shows zu kommen. Unsere Fans scheinen doch schon an unserem Umfeld interessiert zu sein. Wir bekommen im Moment sehr viel E-Mail, besonders junge Leute. Eine junge Frau z. B., sie ist 15, hat mir geschrieben, dass sie für ihre Generation eine gewisse Geschichte vermisst.

Sie wollte, dass ich ihr helfe, in der Weise, dass ich ihr sagen sollte, was für Musik ich in meiner Jugend gehört habe, die mich wachsen liess. Es gibt also schon Leute, denen das alles nicht am Arsch vorbeigeht. Es sind nicht Millionen, aber es waren auch damals nicht viele. Es gibt sie noch, man vergisst sie nur, weil es einfach so viele Idioten gibt. Wenn man das Gute sucht, findet man es auch. Gott, das war jetzt aber positiv!

Fugazi, die wahrscheinlich bekannteste Band aus Washington D. C., haben es geschafft, zig Hunderttausend Platten zu verkaufen, obwohl Dischord ein reines Indie-Label ist. Die Major-Firmen haben das gemerkt, wollten die Band bestimmt unter Vertrag nehmen, etwas, was Ian natürlich nicht wollte. Nun sind Jawbox und Shudder To Think ja bei der Industrie gelandet, es wurde aber nie versucht, die Stadt D. C. so medienwirksam aufzubauen wie vorher Seattle. Warum?

Kim: Dieser Medienrummel kommt nicht umsonst von den Plattenfirmen, du musst danach fragen. Schau, Seattle und D. C. sind nicht vergleichbar. D. C.wollte niemals die Aufmerksamkeit, hat auch nie danach gefragt. In Seattle war Sup Pop das Label, sie arbeiteten völlig anders als Dischord. Sup Pop promotete Bands, war Teil des Hypes, sie riefen die Journalisten zu sich und zeigten ihnen ihre Szene. Sup Pop schaffte es, die Blitzlichter auf Seattle zu richten. Eine Zeitung biss an, und der Schneeballeffekt war in Gang gesetzt.

Bei Ian ist es so, dass die Journalisten keine für sie gute Story zusammenbekommen, weil er nicht mal mit ihnen reden wird. Er gibt keine Interviews. Er wird nie im MTV sein, er wird nie im Rolling Stone sein. Glaub mir, Major-Labels rufen andauernd bei Dischord an und wollen Fugazi unter Vertrag nehmen, und wir sagen dann immer höflich, dass sie abhauen sollen. Sowas passiert dauernd, nur machen wir das nicht publik.

Arbeitest du noch bei Dischord?

Kim: Ja, immer noch.

Residiert das ganze Label immer noch in diesem kleinen Haus….

Kim: Nein, das Haus, das du von den Bildern her kennst, ist das Haus von Ians Eltern, wo alles vor 15 Jahren anfing. Dieses Jahr haben wir unseren 15. Geburtstag, toll was, wir sind sogar älter als das Trust. Später ist das Label dann in einen Vorort von Washington gezogen, nach Arlington. Ausserdem gibt es noch das sogenannte Dischord-Haus, in dem Ian und ein paar andere leben.

Nur das Label ist in letzter Zeit so gewachsen, dass wir in ein Bürogebäude umziehen mussten. Im Moment arbeiten sieben Leute full-time bei Dischord, es ist nicht mehr so klein. Es ist zwar sehr nahe vom Haus, in dem Ian lebt, aber ich glaube, er wollte seinen Lebensraum zurück. Er ist auch etwas älter geworden und ich glaube, er wollte kein Plattenlabel mehr in seinem Wohnzimmer. Dischord ist jetzt ziemlich organisiert, aber trotzdem sehr verantwortungsvoll. So sollte ein Business eigentlich sein.

Ihr seid jetzt seit drei Jahren bei Atlantic. War es rückblickend eine kluge Entscheidung?

Kim: Ja, ich glaube ja. Wir haben bei Dischord angefangen und haben auch unsere ersten beiden Platten bei Dischord veröffentlicht. Ich habe damals bei Dischord gearbeitet, arbeite auch heute noch dort, ich glaube auch immer noch, dass es das beste und interessanteste Indie-Label in Amerika ist, es gibt noch eine handvoll gute Label, aber Dischord ist toll. Nur… Dischord macht einige Sachen für ihre Bands und andere Sachen eben nicht. Als wir populärer wurden, mehr in den Staaten tourten, wurde es frustrierend für uns, weil wir einen besseren Vertrieb und mehr Publicity wollten.

Wir wollten mit Leuten wie dir reden, nur Dischord hat niemanden, der Interviews vereinbart. Es gibt bei Dischord niemanden, der sich um die Pressearbeit kümmert. Cynthia macht ein wenig. Wir haben daraufhin mit Ian gesprochen, unseren Punkt zur Sprache gebracht. Uns war natürlich klar, dass sich Dischord nie wegen einer Band ändern würde, ich würde sie das auch nie bitten. Es war also klar, dass wir einen Wechsel brauchten. Der Abschluss mit Atlantic war insofern besonders, weil sie auf uns zukamen.

Sie haben uns gefragt, wir haben kein Major-Deal gesucht. Unsere A & R-Person ist einer meiner besten Freude aus den alten Hardcore-Zeiten in Boston, wo ich aufwuchs. Wir haben dann einfach alles, was wir von einem Major-Label erwarteten, aufgeschrieben und es Atlantic gegeben. Und hätten sie unsere Bedingungen nicht alle akzeptiert, hätte wir einfach „Fuck You“ gesagt. Ganz einfach. Wir hatten ein Label, wir brauchten Atlantic nicht. Sie haben aber zu allem, was wir wollten, ja gesagt, also dachten wir uns, wir probieren es und schauen, wie es geht. Man hat so eine Chance nur einmal und wir wollten es versuchen. Ob ich jetzt denke, dass das etwas für jede Band ist? Nein!

Es geht mir nur darum, ob ihr jetzt, da ihr schon länger bei Atlantic seid, noch zufrieden seid?

Kim: OK, es ist so, als wir bei Dischord waren, gab es Sachen, die mich sehr glücklich machten und Sachen, die mich SEHR unglücklich machten. Wenn ich das sage, rasten viele Leute immer aus, weil Dischord für sie das absolute Traumlabel ist, aber scheiss drauf, sie waren nie bei Dischord, sie haben keine Ahnung. Bei Atlantic ist es genauso, es gibt gutes und schlechtes. Manchmal ist es total schwierig, mit einem Majorlabel umzugehen. Früher gingen wir zu Ian, fragten, „Wir brauchen das, ja oder nein?“. Bei Atlantic müssen erstmal 15 Leute das absegnen. Es ist eine Bürokratie.

Auf der anderen Seite arbeiten eine Menge Leute bei Atlantic richtig hart für uns! Und vor allem haben wir etwas Erfolg. Es ist, wie alles im Leben, ein Grauwert. Deswegen sind wir in Europa auch bei City Slang. Wir wollten zu City Slang, weil wir wussten, dass wenn wir die Platte bei East West veröffentlicht hätten, sich niemand darum geschert hätte. So wollte ich aber nicht arbeiten, weil wir nicht die Erfahrung in Europa haben. In Australien sind wir auch auf einem Indie.Wir waren wirklich vorsichtig mit allem.

Seht ihr durch diese Unterstützung bei Atlantic reelle Chancen für einen richtigen Erfolg?

Kim: Nein, ich glaube, wir werden nie richtig zum Mainstream gehören, weil unsere Songs zu kompliziert sind. Ich habe nicht genug Vertrauen in die Menschheit. Das ist auch nicht mein Ziel. Mein Ziel ist es, die beste Musik, die ich in der gegebenen Zeit machen kann, für mich zu machen. Wir bringen diese Musik raus und wenn Leute dann durch sie bewegt werden, dann ist das wichtig für mich.

Und es gibt einfach ein paar Leute, die unsere Musik besser verstehen als andere, und das ist auch OK. Ich kann aber nicht glauben, dass meine Musik so wertvoll ist, dass es den Mainstream verändert, ich glaube, dazu ist sie auch nicht wichtig genug. Sie ist für mich wichtig und ich hoffe für ein paar andere auch, aber wie sollte ich gegen Oasis, Hooty and the Blowfish etc. ankämpfen. Ich will das hier auch nur solange machen, wie es mir Spass macht.

Für mich ist einer der Hauptgründe Musik zu machen, der, dass es Spass macht. Wenn es keinen Spass mehr macht, werde ich mehr mit meinem Label, Desoto machen. Im Moment macht es noch Spass, aber ich kann einen Punkt sehen, so in ein paar Jahren, an dem ich warscheinlich etwas anderes probieren will. Jeder bei Jawbox hat auch etwas, das er neben Jaxbox tut. Es wäre langweilig, nur Rockmusik zu machen. Unser Schlagzeuger hat letztes Jahr einen Film gemacht, Jay produziert andere Bands usw…. Ich sehe mich auf jeden Fall nicht auf einer Bühne in 10 Jahren. Ich will nicht mit 40 noch Punkrock machen.

Jetzt haben wir noch kein Wort über die neue LP gesprochen….

Kim: Ja, die Platte, stimmt, da war ja noch was. Diesmal haben wir etwas getan, was wir schon vorher machen wollten, aber voher noch nicht geschafft haben. Diesmal sind wir wirklich mit zuvielen Songs ins Studio gegangen. Wir konnten also wirklich auswählen und nur die besten benutzen. Wir sind diesmal auch mit allen Songs richtig zufrieden. Denn oft gehen Bands ins Studio, wir haben das auch schon so gemacht, und sind noch am Komponieren. Dann geht das Gehetze los: „Wir brauchen noch zwei Songs, wir brauchen noch mehr Text…..“

Wie kamt ihr auf die Idee, Tori Amos zu covern?

Kim: Das fragt uns jeder hier in Europa! Das Lustige dabei ist, dass „Cornflake Girl“ in Amerika kein Hit war, kein Mensch kennt den Song.

Das läuft hier 20 mal pro Tag im Radio.

Kim: Glaub mir, jetzt weiss ich das auch. Es war Bills Idee, denn eigentlich ist niemand von uns Tori Amos-Fan, und er hörte den Song und meinte, dass das ein wunderbarer Song sei, nur sei er überproduziert, zu lang und die Geigen würden stören. Also dachten wir uns, es wäre spassig, den Song abzuspecken und daraus einen Jawbox-Song zu machen.

Gab es von ihr irgendeine Reaktion?

Kim: Ja, es wurde ihr vorgespielt und sie quietschte „Oh that’s so cool.“ Sie spricht mit einer hohen Piepsstimme. Sie sagte noch, dass noch kein Song von ihr gecovert worden sei und sie es gut fände.

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Text & Interview: Al Schulha

Links (2015):
Wikipedia
Discogs

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