März 12th, 2007

HILLSIDE ENGLAND TOURBERICHT (#91, 02-2002)

Posted in artikel by andreas

Tour d` England

Aller Anfang ist schwer … sei es mit dem Musikmachen oder dem schreiben eines Artikels. Vor allem heute, da ich gestern nacht viel zu lang Heinos Autobiographie “Und sie lieben mich doch” gelesen habe. Spitzen Buch! Da kann man einiges lernen, z.B. weiss ich jetzt Heinos wirklichen Namen, dass er am gleichen Tag Geburtstag hat wie ich und Zitate wie “Die moderne Jugend hat längst eine neue Romantik entdeckt., mit Lagerfeuer, Barbecue, Parties im Wald, die sie “wood sessions` nennen. Die Bundhose ist durch Jeans mit Rissen und Nieten ersetzt worden.

Der Nagelschuh wurde vom Cowboystiefel verdrängt. Und der Filzhut musste der Baseball-Mütze weichen. In den Herzen hat sich aber nichts geändert. Liebe, Fernsehen, Sehnsucht, Trauer, Freude, Glück.” erhellen den Sinn des Lebens. …hat da irgendwer “Emo` gerufen? In diesem Sinne ein kleiner Tourbericht der “modernen Jugend” in Form der Bands “Hillside` aus Münster und “that very time I saw` aus Düsseldorf, die vom 21. bis zum 27. Juli zusammen quer durch England gefahren sind.

Zur Orientierung: beide Bands spielen melodische Gitarrenmusik, die mal als “Emo”, mal als “Indie” o.ä. bezeichnet wird, aber um die Musik soll es hierbei eher am Rande gehen.  Okay, immer noch dabei? Hier eine schnelle Zusammenfassung, für die Unentschlossenen und Schnellleser: ein Bus, ein alter Opel Kadett, elf Leute, sechs Konzerte in stets entgegengesetzten Richtungen und alle sind heile zurückgekehrt. Aber ganz so kann man es nicht komprimieren, deshalb der Reihe nach:

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Sa. 21. 7. – Margate/ Lido

Der erste Tag und dazu noch ziemlich früh. um vier Uhr morgens geht es los zur Fähre Richtung Zeebrügge. “That very time I saw” sind schon einen Tag früher los und haben mit ihrem Bus einen Teil unserer Sachen abgeholt. So hart in der Frühe wird uns auch schnell klar, dass unser Opel Kadett ziemlich klein ist und die Leute auf der Rückbank zusätzlich gegen eine verpackte Standtom und Snare vom Schlagzeug, so wie alle Schlafsäcke und unzählige Beutel und Taschen kämpfen müssen. Bloss nicht die hintere Tür auf der Beifahrerseite öffnen!!!

Aber das lässt sich alles vergessen und unser Schlagzeuger Michael und unser Gitarrist Phillip fahren beindruckend ausgeschlafen die komplette Strecke bis zur Fähre. England wir kommen! Der Vorteil von LKW-Fähren ist, dass man umsonst Automatenkaffee, Sprite und Cola trinken kann. Schlafversuche. Wir werden von einer deutschen Dudelsack- oder Schalmeispielerin, die auf dem Weg zu einem 3wöchigen Hippiefestival ist, zielsicher als “Musiker”(?) enttarnt. “Was für Musik macht Ihr denn?”, fragt sie.

Ich sagte zaghaft “Gitarrenmusik”, worauf sie “auch so Schrammelmusik…” entgegnet. äh…, ja. Kurz vor Dover laufen Tex Avery-Cartoons im Schiffsfernsehen und einige Fernfahrer lachen brüllend laut bei den seltsamsten Witzen. Nur eine kurze Fahrstrecke von Dover nach Margate und der Linksverkehr ist beängstigend. Dort vor dem noch geschlossenen Club die Anderen getroffen. Bald darauf kam auch Phil, der die Tour organisiert hatte und es gab Essen und Getränke. Das Konzert am Abend war sehr nett und wir spielten zusammen mit den lokalen Bands Urotsakidoji und Dead life Portrait, ca. 60 Leute waren da. Das Bier war ziemlich teuer und ich angeschlagen auf dem Weg zum Schlafplatz. Aus dem Seiteneingang des “Lido` kann man von der Bühne direkt aufs Meer schauen. Ziemlich hübsch. Ein sehr netter Abend.

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So. 22. 7. – Liverpool/ The Cavern Club

Eine verdammt lange Strecke und wir sollten schon gegen 16 Uhr da sein. Früh losgefahren und doch zu spät angekommen. Um die 7-8 Std. im engen Kadett verbacht. Die Innenstadt von Liverpool besteht aus einer einzigen Einbahnstrasse. Als wir angekommen sind durften wir auch gleich aufbauen und 15 Minuten später anfangen, da wir als Support vor zwei angesagte New Metal Bands gebucht waren. Oha. Erst “Hillside` dann TVTIS. Die Kraftreserven waren schon ziemlich angefressen und um 19h auch nicht mehr als ein- bis zwei Hände voller Zuschauer neben den Bands da. Sehr guter Sound.

Anschliessend auf einer Sitzbank beim Merchandise gesessen und nur noch gewundert, dass die sehr nette Sängerin der folgenden Band uns vor dem nun zahlreicheren Publikum abfeierte und anschliessend von uns beiden Bands Platten und T-Shirts kaufte und fast perfekt Deutsch sprach. Ein arg betrunkener Schwabe war auch anwesend und war mehr als grosszügig mit Zigaretten und Getränken, sein Polo-Hemd wurde mit Buttons verziert. Der Veranstalter war sehr zufrieden mit allem und spendierte uns einen Kasten Beck`s. Vielen Dank.

Der “Cavern Club` ist glaub` ich der Ort an dem Beatles ihre ersten Konzerte gaben und deshalb standen sie dort auch golden angesprüht auf dem Bürgersteig herum. Die Beatles sind grossartig, aber in Liverpool erdrücken sie einen. Vielmehr hat die Stadt in den letzten 40 Jahren leider nicht hervor gebracht. Jeder zweite Song im Radio ist von den Beatles! In dem Haus in dem wir schliefen habe ich zum ersten mal eine Perserkatze in natura gesehen. Es lebe die Allergie. Diese Katzenart kann wohl auch so besonders laut schreien, jedenfalls dieses Exemplar, als würde man permanent auf sie eintreten, nur weil wir in “ihrem` Zimmer schliefen.

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Mo. 23. 7. Newcastle/ The Stout Fiddler

Früh aufgestanden und wieder 6 Stunden im Auto Richtung Newcastle, an der Grenze zu Schottland. Die Landschaft verändert sich und unser Sänger “Hans` findet es richtig schön “Englisch`. Newcastle ist auch sehr schön, eine ziemlich aufgeräumte College Stadt Nach einigem Irren dann den Pub gefunden, in dessen Keller wir spielen sollten und danach lange in der Sonne auf den Veranstalter gewartet. Rumalbern mit den Jungs von “that very time I saw`, die wahre Fussball- und Hakkasackmeisterschaften austrugen, und durch die Stadt geschlendert. Der Konzertraum war klein und länglich und erinnerte stark an ein Wohnzimmer.

Mit gut 35 Leuten war der Raum voll und die hatten dann auch ihren Spass. Die Band “this ain`t vegas` aus Newcastle war sehr nett und gut, klangen stark nach Dischordsachen a la Happy go licky. TVTIS veranstalteten live den Toastscheibenwettbewerb: wer es schaffte eine grosse Scheibe Toastbrot innerhalb einer Minute trocken herunterzuwürgen bekam einen Button. Hans hat es nachmittags irgendwann mit trockenstem Mund einmal geschafft. Kein Erfolg für die Wagemutigen, aber eine Menge Lacher. Unser Gastgeber hatte eine beträchtliche Anzahl Comics, Nippesfiguren, Star Wars Krams usw. Luke Skywalker in x-facher Ausführung sogar auf dem Klo.

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Di. 24. 7. London/ The Swan

Hurra! Wieder mal quer durchs Land auf der M1. Die Ernährung besteht fast komplett aus Toast und Plastikkäse, praktisch einzeln in Scheiben eingeschweisst. Man lernt sich im engen Auto platzsparend Brote zu schmieren. Der Kadett schlägt sich wacker und wir kommen in London an um festzustellen, dass unsere Wegbeschreibung mal wieder vollkommen falsch ist. Nervenzehrendes Herumgurken und -fragen in London.

Wir bekommen etwas zu essen und treffen Freunde aus Margate, die extra nach London gekommen sind um uns, “words may fail` und die relativ bekannten “rydell` zu sehen. Es sind fast 90 Leute da und wir freuen uns, darunter auch 15 Japaner einer nahegelegen Summerschool, die seltsam tanzen ( …linedance!) und sich freuen, aber leider schon um halb zehn zurück zur Schule müssen.

Das Konzert ist okay, “Hillside` kämpfen gegen technische Probleme und TVTIS liefern ein gutes Konzert. Verkaufen sogar einige T-Shirts. Der Veranstalter ist noch sehr jung und ihm fällt ein, dass er vergessen hat uns Schlafplätze zu besorgen. Das Dilemma beginnt. TVTIS kommen bei einem 16jährigen unter, dessen Eltern wohl länger verreist sind und der sich daraufhin die Haare geschoren, Unmengen Gras besorgt hat und das Haus mehr als gründlich vermüllt hat. Er liegt regungslos auf dem Sofa und hat zwei Fernseher.

Hillside fahren mit dem Veranstalter zu einer spontan angerufenen Bekannten von ihm, die, ebenfalls 17 Jahre alt und ihre Eltern sind verreist, gerade eine Mädchenparty macht. Sie ist schon gut betrunken und wir dürfen nichts anfassen, was auch niemand will, da wir nur schlafen wollen. Sie beschliesst aber, da sie am nächsten Tag in den Urlaub fährt, dass wir doch nicht bei ihr schlafen dürfen und schmeisst uns raus. Phillip und Michael können daraufhin in einer anderen sehr kleinen Wohnung bis 7 Uhr morgens pennen und unser Sänger Hans und ich schlafen irgendwie im vollgepackten Auto. Am nächsten, schweren Morgen gönnen wir uns ein dickes englisches Frühstück. Währenddessen bekommen wir einen Strafzettel von 60, der in den Tiefen des Handschuhfachs bis heute verschwunden ist.

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Mi 25.5. Nottingham/ The Old Angel

Früh in London aufgestanden und diesmal nur eine kurze Fahrstrecke zu der Stadt, die mit der Sage von Robin Hood wirbt. Ein nettes, kleineres Städtchen mit einem kostenlosen bewachten Parkplatz neben dem Stadtpark. Klasse! Ein wenig durch die Stadt gebummelt und dann Schlafsäcke mitgenommen und etwas Schlaf nachgeholt. Allerdings war der Versuch sich an den dortigen sanitären Anlagen etwas frisch zu machen nicht sehr prickelnd. Die Kontaktbörse für ältere und junge Männer.

Der “Old Angel Pub` hat einen grossen Konzertraum und der Veranstalter wohl mit mehr Leuten gerechnet. Schade, “Afraid of the Dark` die als erstes spielten eine Sängerin mit schöner Stimme hatten mussten darunter sehr leiden. Erfreulicherweise kamen nochmals Bekannte von Ignition Records und der Band Rydell, die den Tag zuvor schon in London waren. Besten Dank nochmals! Nachts dann in der Küche des Veranstalters geschlafen, in die am nächsten morgen um 8 Uhr früh dessen Vermieter kam, um an irgendetwas herum zu handwerkern. Unser “Gastgeber` verzog sich dann auch flugs mit seiner Freundin sehr lange aufs Klo um mächtig zu kiffen und jede Band mit ca. 6  abzuspeisen. Er hätte da etwas falsch verstanden und könnte uns auch nicht mehr geben, ausserdem müsse er jetzt zur Arbeit. Ach ja, vorher noch mal schnell kiffen gehen. Wie gut dass er ein Telefon im Wohnzimmer hatte, mit dem man dann zu Hause mal anrufen konnte.

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Do. 26. 7. Bradford/ 1 in 12

Nachmittags früh in Bradford angekommen, nach den altbekannten Problemen mit der Anfahrtsskizze und den Tag ein wenig genutzt. Bradford war ein paar Tage zuvor durch die Medien gegeistert, als ein weiterer Schauplatz von heftigen Krawallen zwischen asiatischen Jugendlichen und der Polizei. Aufgestaute Wut und Aggressionen sind hier verständlich, angesichts der böse von der Rezession geschüttelten ehemaligen Industriestadt, in der die Wohnviertel teilweise nach Rassen aufgeteilt sind. Die Supermärkte werben hier mit ihrem grossen Alkoholangebot und die Army hat ein grosses Rekrutierungsbüro, ganz in der Nähe der Fussgängerzone.

Der “1in12` Club ist ein ehemals besetztes Haus, welches die Besetzer kauften und zu einem schönen, autonomen Kulturzentrum mit grossem Konzertraum, Proberäumen, Cafe, Bar usw. gewandelt haben. Viele Bands für einen Abend, ich kann sie nicht mehr aufzählen, als letztes spielten Godnose aus Australien. Wir waren als erste dran. Das harte Los des Openers, aber doch in Ordnung. Es wurde spät voller und wir verkauften erstaunlicherweise ein paar 7″es und T-Shirts. TVTIS übernachteten bei Verwandten ausserhalb und wir bei einem der Veranstalter, dessen Mitbewohner G-Sus hiess und österreicher war.

Unser Gastgeber Martin führte uns auf dem Rückweg durch Bradford und zeigte dabei, wo die Unruhen stattfanden. Den Höhepunkt erreichten sie eine Strasse neben seinem Haus, wo ein Autohaus und ein Gemeindezentrum ausbrannten. Ein wenig beunruhigend. Martin fand das weniger und rauchte eine Tüte nach der anderen. Nachts gab es noch eine Art “Motley Crüe`-Dokumentation, in der die Deppen in einer Stretchlimousine mit Swimmingpool an Stelle eines Kofferraums über den Hollywood Boulevard fahren und von ihrer harten Vergangenheit erzählen. Ziemlich grossartiger Trash. Danach gingen bei mir die Lichter aus.

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Fr. 27. 7. Rückfahrt

Eigentlich war noch ein Konzert in Ramsgate geplant, welches in letztes Minute allerdings platze. Wir standen früh auf und assen Martins nett gemeintes, aber ziemlich “englisches` Frühstück. Wie um alles in der Welt kann man ein Rührei so tief grau bekommen? Klolektüre war ein Magazin namens “Bizarre`, was seinem Namen alle Ehre machte. Danach die sehr lange Rückfahrt Richtung Dover, wo wir uns von TVTIS verabschiedeten, die eine andere Fähre nahmen als wir. Wir konnten ebenfalls früher als geplant übersetzen. Auf einer Landstrasse in Belgien noch mal kurz geblitzt worden und am nächsten morgen unglaublich müde aber froh zurück.

Sieben Tage, sechs Konzerte und unzählige Kilometer, eine Zeit die man nicht missen möchte. Vielen Dank an alle, die die Shows gemacht haben, auf deren Fussböden wir schlafen durften und die bei unseren Konzerten waren. Danke auch an “that very time I saw` für die Zeit in England.

“In den Herzen hat sich aber nichts geändert. Liebe, Fernsehen, Sehnsucht, Trauer, Freude, Glück”. – Heino wusste es schon immer …

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Mehr Informationen unter:
[ www.hillsidemusic.de ] und [ www.tvtis.de ]

Schreibt was Euch bedrückt an:
Hillside
Jägerstr. 31
48153 Münster
hillside@gmx.li

 

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